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Verkehrsrecht III: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Was wusste der Beschuldigte von der Schadenshöhe?

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Und zum Tagesschluss dann noch ein schon etwas älterer Beschluss des AG Gießen, zu einer „Dauerbrennerproblematik“ in Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB i.V.m. § 142 StGB). Nämlich die Frage: Was hat der Beschuldigte gewusst bzw., was konnte er wissen?-

Dazu der AG Gießen, Beschl. v. 02.06.2022 – 507 Gs – 804 Js 5325/22:

„Vorliegend kann es aktuell dahinstehen, ob die Beschuldigte den Unfall bemerkt hat und demzufolge vorsätzlich bezüglich des § 142 StGB handelte. Objektive Anhaltspunkte (Verweildauer nach der Kollision, Umsetzen in eine andere Parklücke) dürften gegeben sein. Allerdings ist nicht jede Straftat nach § 142 StGB automatisch mit der Maßregel des § 69 StGB verknüpft.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO erfordert (über den Tatverdacht bzgl. des § 142 StGB hinausgehend) dringende Gründe für die Annahme, dass die Fahrerlaubnis auch nach Durchführung der Hauptverhandlung entzogen werden wird, §§ 69 StGB, 111a Abs. 1 S. 1 StPO. Es ist ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass das Gericht d. Beschuldigten als ungeeignet zum Fahren von Kraftfahrzeugen ansehen wird.

Die Voraussetzungen für die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 S. 3 StGB sind vorliegend (zumindest nach derzeitigem Sachstand) nicht gegeben.

Ein „bedeutender Schaden“ im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wird nach unterschiedlicher Rechtsprechung immer dann angenommen, wenn die Schadenssumme 1.200,- € bzw. 1.300,¬€ (teilweise auch erst ab 1.500,- €) beträgt. Die Anknüpfung auf Blatt 4 der Akte lässt jedoch eine objektivierte Grundlage vermissen. Überdies ist aus dem sich aus den Lichtbildern ergebendem Gesamtzustand des geschädigten Fahrzeugs (BI. 11, Bild 006) eine derartige Schadenshöhe nach den Grundsätzen des Zivilrechts nicht ableitbar: Ein Gutachten oder ein Kostenvoranschlag liegt gleichwohl nicht vor.

Insofern kann es vorliegend dahinstehen, dass die rein objektive Schadenshöhe aus einem späteren Gutachten für sich genommen ohnehin für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ausreicht. Vielmehr ist im Rahmen der Entscheidung nach § 111a StPO zu prüfen, ob die- Beschuldigte subjektiv wissen konnte, bei dem Unfall einen solchen Sachschaden verursacht zu haben.

Die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB setzt gerade voraus, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass erhebliche Folgen eingetreten sind. Hierbei reicht es aus, dass er die objektiven Umstände erkennen konnte, die die rechtliche Bewertung des Schadens als „bedeutend“ begründen. Zwar ist vorliegend auf den Lichtbildern des Fahrzeuges des Geschädigten zu erkennen, dass dieses im Seitenbereich der Stoßstange Verschrammungen und Lackspuren des Täterfahrzeuges aufweist. Dass die Beschuldigte als Laie mit einem Sachschaden in der genannten Größenordnung rechnen musste, ist daher nicht erkennbar. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt, an dem sie die Unfallstelle verließ. Ob sich nachträglich ein höherer Schaden herausstellt, ist insoweit nicht entscheidend.

Dafür lassen sich aus den Ermittlungsakten auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen keine belastbaren Angaben herleiten.“

Sollte man als Verteidiger in den Fällen immer im Blick haben.

Mal nachgedacht?, oder: Ein Blick ins RVG erleichtert die Vergütungsfestsetzung…

Schluessel ErfolgManchmal frage ich mich, was sich eigentlich Rechtspfleger/UdG so gedacht haben, als sie eine Zwischenverfügung o.Ä. gemacht haben. Mal nachgedacht oder ggf. auch mal in den Kommentar geschaut? Häufig komme ich zu dem Ergebnis, dass das wohl nicht sein kann, denn dann hätte man die Verfügung, um die es geht, nicht gemacht.

So bei einem Fall, den mir der Kollege Hauer aus Gießen berichtet hat. Der Kollege schildert folgenden Sachverhalt:

„Bei meinem Mandanten handelt es sich um einen unbegleiteten 16-jährigen Albaner, dem die Staatsanwaltschaft vorgeworfen hatte, mit weiteren Personen in einer Erstaufnahmeeinrichtung u.a. einen  Landfriedensbruch im besonders schweren Fall begangen zu haben. Aufgrund des vorgeworfenen Sachverhalts erließ das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Untersuchungshaftbefehl, der auch sofort vollstreckt wurde. Im Zuge dessen erfolgte meine Beiordnung zum Pflichtverteidiger.

Im weiteren Verfahrensverlauf erfolgten nach Akteneinsicht mehrere Gespräche zwischen der Staatsanwaltschaft, dem Ergänzungspfleger, der für das Asylantragsverfahren bestellt wurde, und mir. Außerdem wollte mein Mandant schnellstmöglich wieder in seine Heimat zurück. Der Asylantrag wurde daher zurückgenommen und er verblieb bis zu seiner endgültigen Abschiebung in Untersuchungshaft.

Im Hinblick darauf, auf den Ermittlungsstand bzw. den Verdachtsmoment und die vollzogene Untersuchungshaft hatte ich beantragt, das Ermittlungsverfahren nach § 45 Abs. 2 JGG einzustellen. Ich vertrat die Ansicht, dass die obigen Umstände ausreichend gewesen sind,  um nachhaltig erzieherisch auf meinen Mandanten einzuwirken.

Die Staatsanwaltschaft ist meiner Argumentation gefolgt und hat das Verfahren endgültig nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt.

Bei meinem Antrag auf Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren habe ich auch VV 4141 RVG in Ansatz gebracht. Am 17.02.2016 erhielt ich sodann den beigefügten Hinweis des Amtsgerichts mit der Bitte um eine Stellungnahme.“

In dem „beigefügten Hinweis des Amtsgerichts“ Gießen v. 17.02.2016 heißt es:

„….wird bzgl. Ihres Antrags vom 26.01.2016 mitgteilt, dass nach hiesiger Ansicht keine Gebühr nach VV Nr. 4141 VV RVG anfallen konnte, da das Verfahren noch nicht eröffnet wurde; die Sache befand sich nur im Ermilltungsverfahren.

Um Stellungnahme wird gebeten.“

Stellung hat der Kollege Hauer genommen, und zwar wie folgt:

„[..].Der Rechtsanwalt erhält eine zusätzliche Gebühr, wenn durch seine Mitwirkung, wie vorliegend bereits im Antrag nachgewiesen, eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, VV 4141 RVG. Ihm wird in den VV 4141 RVG Abs.?1 genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt. Dies ist schon der Fall, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, VV 4141 RVG Abs.?1 Nr. 1. Vor diesem Hintergrund wird eine Hauptverhandlung auch dann entbehrlich, wenn bereits die Staatsanwaltschaft das Verfahren endgültig einstellt, da sie andernfalls den Erlass eines Strafbefehls beantragen oder Anklage hätte erheben müssen (BeckOK RVG/Kotz RVG Rn. 6, beck-online). Vergütungsrechtlich nicht nur vorläufige Einstellungen aus dem Bereich des Jugendstrafverfahrens sind Sachbehandlungen nach § 47 und § 45 JGG (BeckOK RVG/Kotz RVG Rn. 23, beck-online).[..].“

Das ist in meinen Augen schon viel zu viel: M.E. hätte gereicht: „Anderer Ansicht als Sie: Das Gesetz in Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. VV RVG. Ein Blick dorthin hätte die Vergütungsfestsetzung sicher erleichert.“

Ich bin gespannt, ob die Stellungnahme des Kollegen den Rechtspfleger/UdG auf den richtigen Weg gebracht hat.

Ach so. Ich habe die Sache nichts in ein RVG-Gebührenrätsel genommen. Dazu ist sie zu einfach.

Akteneinsicht: Akteneinsicht a la AG Gießen – KEINE Schutzgebühr für den Hersteller

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Folgende Ausgangslage: In einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung lehnt die Verwaltungsbehörde die Übersendung einer Fotokopie der Bedienungsanleitung des bei der Messung verwendeten Lasergeräts unter Hinweis darauf ab, dass kein Anspruch auf Übersendung bestehe. Sie hat auf die Möglichkeit verwiesen, die Bedienungsanleitung nach Terminsabstimmung vor Ort einzusehen oder direkt über den Hersteller anzufordern. Der Hersteller hatte auf Anfrage des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen dann eine Übersendung der Bedienungsanleitung des Lasergeräts nur gegen Zahlung einer „Schutzgebühr“ von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand in Aussicht gestellt.

Dagegen der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung, der beim AG Gießen Erfolg hat. Der AG Gießen, Beschl. v. 04.01.2013 – 5602 OWi 311/12 – führt aus:

„Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung am jeweiligen Ort der Polizeidienststelle, welche die Messung durchgeführt hat, ist im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahren und die auch vorliegend gegebene große Entfernung des Wohnorts des Antragstellers, bzw. des Orts der Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zum Tatort, nicht zumutbar. Ebenfalls nicht zumutbar für den Antragsteller ist die Zahlung eines Entgelts an den Hersteller des Lasergeräts in Höhe von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand für die Übersendung von Kopien der Bedienungsanleitung.

 Hingegen ist zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Antragstellers die Übersendung von Fotokopien der Bedienungsanleitung oder auch eines Datensatzes per E- Mail der Verwaltungsbehörde zur zumutbar. Der Übersendung von Kopien stehen keine wichtigen Gründe entgegen.

 Urheberrechtliche Bedenken gegen die Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung bestehen nicht, da die Bedienungsanleitung für das Lasergerät lediglich die vorgegebenen technischen Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise beschreibt und keine eigenständige Schöpfung ihres Autors darstellt (vgl. LG Ellwangen, Beschluss vom 25.10.2012, AZ 1 Qs 166/09).

M.E. zutreffend. Eine ähnliche Diskussion hatten wir schon mal beim AG Wetzlar und beim AG Wuppertal. Zur Frage des Urheberrechts verweise ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 07.01.2013, 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12– (vgl. dazu das Posting hier:Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung.

 

 

Akteneinsicht: Wird da der Bock zum Gärtner gemacht?

Und gleich – um den Ausgleich herzustellen – zum AG, Wetzlar, Beschl. v. 04.01.2012 – 45 OWi 21/11 (vgl. hier) noch eine andere Akteneinsichtsentscheidung hinterher. Das AG Gießen, Beschl. v. 23.09.2011 – 5602 OWi 56/11 macht es grundsätzlich richtig, wenn es sagt:

  1. Dem Verteidiger ist im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren auch Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes zu gewähren.
  2. Der Fertigung einer Kopie steht ein Urheberecht des Herstellers der Bedienungsanleitung nicht entgegen.
  3. Allerdings: Sofern die Bedienungsanleitung z.B. Kapitel mit technischen Angaben enthalten sollte, die mit der Aufstellung, Bedienung und Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktion des Gerätes durch die Messbeamten nicht in direktem Zusammenhang stehen, kann jedoch von der Fertigung von Kopien abgesehen werden.

Mit Nr. 3 habe ich etwas Probleme, da ich dort ein Hintertürchen sehe bzw. Abgrenzungsprobleme vermute. Denn, wer entscheidet, was „technische Angaben“ sind, die „nicht in direktem Zusammenhang“ stehen? Die Verwaltungsbehörde? Macht man da nicht den Bock zum Gärtner?