Schlagwort-Archive: AG Aurich

Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Wenn die StA „toter Mann spielt.“

Bild von photosforyou auf Pixabay

Und dann der Klassiker zum neuen Recht, nämlich zur Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung. Es handelt sich um drei Beschlüsse, nämlich den LG Leipzig, Beschl. v. 02.08.2023 – 5 Qs 41/23, den AG Aurich, Beschl. v. 04.07.2023 – 6 Gs 1305/23 und den AG Amberg, Beschl. v. 21.07.2023 – 6b Gs 1771/23. Alle drei sind m.E. falsch.

Der AG Aurich, Beschl. v. 04.07.2023 – 6 Gs 1305/23 – und der AG Amberg, Beschl. v. 21.07.2023 – 6b Gs 1771/23 – geben die übliche – falsche – Begründung in diesen Fällen: Das haben wir immer schon so gemacht und das neue Recht zwingt uns nicht, unsere – falsche – Auffassung zu ändern. Muss man leider mit leben.

Kleiner Hinweis an das AG Aurich. Der Satz: „Auch ist kein umfangreiches Tätigwerden des Verteidigers ersichtlich, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte.“ erschließt sich nicht. Und er macht es auch nicht besser. Denn er ist ebenso falsch. Denn die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Beiordnung hat ja nun nichts mit dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu tun.

Und zum AG Amberg, Beschl. v. 21.07.2023 – 6b Gs 1771/23 – insoweit läuft die Beschwerde – ist anzumerken: Mich wundert, dass man an seinen eigenen Meinung festhält, obwohl das für den Bezirk zuständige OLg die Frage anders entschieden hat. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass das OLG in einer gerade vom AG entschiedenen Frage, nämlich im AG Amberg, Beschl. v. 12.10.2022 – 6 Gs 398/21, mit „Pauken und Trompeten“ anders entschieden hat, nämlich im OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.07.2023 – Ws 133/23. Im Übrigen leuchtet mir nicht ein, warum die StA den Beiordnungsantrag nicht sofort nach Eingang dem AG vorlegt. In der StPO – zumindest in meiner – heißt es „unverzüglich“.

Der LG Leipzig, Beschl. v. 02.08.2023 – 5 Qs 41/23 – hat folgenden in der Praxis häufigen Sachverhalt: Dem Beschuldigten wird Diebstahl vorgeworfen. Sein Verteidiger legitimiert sich am 26.11.2022 unter Angabe der polizeilichen Tagebuchnummer gegenüber der bis dahin noch nicht mit der Sache befassten StA und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Zur Begründung verwies er darauf, dass sich der Beschuldigte – zu der Zeit in einem anderweitig geführten Verfahren in Untersuchungshaft befand.

Eine Reaktion der StA erfolgte nicht. Im April 2023 legte die Polizei schließlich der StA die Akten vor, die „Zuordnung“ des Verteidigerschriftsatzes vom 26.11.2022 zur Verfahrensakte erfolgte Anfang Juni 2023. In der Folge übersandte der sachbearbeitende Staatsanwalt dem AG die Akten mit der Anregung, eine Pflichtverteidigerbestellung abzulehnen, da der Beschuldigte in der anderen Sache am 06.12.2022 aus der Haft entlassen worden war.

Das AG macht es jedoch richtig und gibt dem Antrag des Beschuldigten statt und ordnete ihm einen Pflichtverteidiger bei. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hätten unstreitig die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vorgelegen. Auch hätte die Akte unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung über den Beiordnungsantrag vorgelegt werden müssen.

Dagegen dann die sofortige Beschwerde der bis dahin untätigen Staatsanwaltschaft; man ist offenbar wach geworden. Und das Rechtsmittel hat dann aber beim LG Erfolg:

„Zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses am 03.07.2023 lag ein Fall einer notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 und Abs. 2 StPO nicht (mehr) vor…..

…..

Auch die von dem Amtsgericht Torgau angestellte Erwägung, dass der Beiordnungsantrag des Verteidigers vom 26.11.2022 nicht rechtzeitig bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO dem Amtsgericht vorgelegt worden wäre, rechtfertigt eine (rückwirkende) Beiordnung nicht. Zwar ist gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO ein Pflichtverteidiger unverzüglich zu bestellen, wenn der Beschuldigte dies beantragt hat und die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gem. § 140 StPO vorliegen. Wie sich auch § 140 Abs. 2 Nr. 3 StPO jedoch ergibt, ist der unbestimmte Rechtsbegriff der „Unverzüglichkeit“ nicht nach Maßgabe eines bestimmten Zeitablaufs zu bemessen. Ein Verstoß gegen die Unverzüglichkeit, ein schuldhafttes Zögern, ist nur dann gegeben, wenn die Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei) einen Beiordnungsantrag pflichtwidrig übergehen und das Verfahren weiterbetreiben, insbesondere weitere Ermittlungshandlungen mit Außenwirkung und Beweiserhebungen zum Nachteil des Beschuldigten vornehmen bzw. anstrengen (vgl. BT-Drucksache 19/13829, S. 38 zu § 141 Abs. 2 Satz 2 StPO: „… Mit der Richtlinienvorgabe zur unverzüglichen Verteidigerbeiordnung in den Fällen der Haft ist diese Ausnahme vereinbar, da eine vorwerfbare Verzögerung der Verteidigerbestellung solange nicht vorliegt, wie weder Vernehmungen noch sonstige Ermittlungsmaßnahmen mit Außenwirkung vorgenommen werden sollen…“). Entsprechendes ist vorliegend auch nicht passiert. Zum Zeitpunkt der Antragsstellung am 26.11.2022 war das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Leipzig noch gar nicht eingegangen bzw. erfasst, was zu diesem Zeitpunkt auch dem Verteidiger, der lediglich die polizeiliche Tagebuchnr. in seinem, am Tattag verfassten Schriftsatz vom 26.11.2022 angab, bekannt gewesen sein dürfte. Als erste Amtshandlung veranlasste der sachbearbeitende Staatsanwalt am 07.06.2023 die Beinahme des Schriftsatzes des Verteidigers vom 26.11.2022 zur Sachakte, zog nachfolgend eine Auskunft der Staatsanwaltschaft Passau bei und legte unmittelbar nach deren Eingang am 20.06.2023 das Verfahren dem Amtsgericht Torgau – Ermittlungsrichter – zur Entscheidung über den Beiordnungsantrag vor. Unter Missachtung des Beiordnungsantrages wurden keine weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen veranlasst. Im Übrigen ergibt sich aus der Ermittlungsakte, dass zwar die Verfahrensakte durch die Polizei erst am 17.04.2023 an die Staatsanwaltschaft Leipzig gesandt, aber nach dem 26.11.2022 auch von dort aus keine weiteren Ermittlungen durchgeführt wurden. Von daher fanden keinerlei Ermittlungshandlungen zum Nachteil des Beschuldigten unter Verletzung seiner Verteidigerrechte statt, weshalb es zu einer schuldhaft verspäteten Vorlage des Antrages vom 26.11.2022 nicht gekommen ist.

Im Übrigen folgt auch aus einer anderen Erwägung, dass vorliegend eine rückwirkende Beiordnung nur als systemwidrig anzusehen ist, weshalb die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Torgau nicht durchgreift. Gemäß § 143 Abs. 2 S.1 StPO kann nämlich eine erfolgte Beiordnung aufgehoben werden, wenn ein Fall einer notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegt. Gemäß § 143 Abs. 2 S. 2 StPO gilt dies im Falle des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO insbesondere dann, wenn der Beschuldigte mindestens 2 Wochen vor der Hauptverhandlung aus der Haft entlassen worden ist. Es wäre demzufolge vorliegend völlig widersinnig, wenn zunächst eine rückwirkende Beiordnung angeordnet werden würde, dann aber umgehend wieder auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben werden müsste, da der Beschuldigte sich bereits seit mehreren Monaten wieder auf freiem Fuß befindet und ein Strafverfahren noch gar nicht angestrengt ist. In der Regelung des § 143 Abs. 2 StPO spiegelt sich nämlich der Rechtsgedanke wieder, dass eine Beiordnung allein dem öffentlichen Zweck dient, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden (zukünftigen) (Straf-)Verfahren zu gewährleisten, jedoch nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten (BGH-Beschluss vom 20.07.2009, Az. 1 StR 344/08, NStZ-RR 2009, 348). An dieser Beurteilung hat auch die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 (über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, nachfolgend als PKH-Richtlinie bezeichnet), die durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 in nationales Recht umgesetzt wurde, nichts geändert (OLG Dresden, Beschl. v. 24.02.2023, Az. 2 Ws 33/23; ständige Rspr. der Kammer: Beschl. v. 08.05.2023, Az. 5 Qs 27/23; Beschl. v. 01.06.2023, Az. 5 Qs 32/23 u. Beschl. v. 10.07.2023, Az. 5 Qs 36/23).

§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO sieht bei einem inhaftierten Beschuldigten eine notwendige Verteidigung vor, da der sich nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte ersichtlich in seiner Verteidigung eingeschränkt ist. Deshalb ist nicht ansatzweise ersichtlich, warum der nunmehr seit längerer Zeit aus der Haft entlassene Beschuldigte noch eines bestellten Verteidigers bedarf, obwohl der die eigene Verteidigungsfähigkeit einschränkende Umstand in Wegfall geraten ist. Eine Pflichtverteidigerbeiordnung quasi als Sanktionierung der Strafverfolgungsbehörde für eine verspätete Vorlage eines Beiordnungsantrages ist gesetzlich nicht vorgesehen und war es auch bisher nicht. Werden Beweise unter Verletzung bzw. Missachtung strafprozessualer Rechte eines Beschuldigten erhoben, ist in einem späteren Strafverfahren (soweit ein solches überhaupt angestrengt wird) zu klären, ob und inwieweit derartige Beweismittel in eine strafrechtliche Hauptverhandlung eingebracht und verwertet werden können.“

Wie gesagt: Auch falsch. Der Beschluss wird nicht dadurch richtig, dass man mit „widersinnig“ und „nicht ansatzweise“ argmentiert und alte Rechtsprechung des BGH anführt.

Im Übrigen kann ich die  Behauptung des LG, es sei nicht zu einer schuldhaften Verzögerung der Verbescheidung des Beiordnungsantrags gekommen, nicht nachvollziehen. Die Staatsanwalt hat nach Eingang des Beiordnungsantrags mehrere Monate verstreichen lassen, ohne irgendwie auf den Antrag zu reagieren. Eine derartige Verzögerung ist m.E. nicht hinnehmbar; die Staatsanwaltschaft hätte sich bei der Polizei nach dem Verfahrensstand erkundigen können und auch müssen. Stattdessen hat sie „toter Mann gespielt“. Genau das wollte der Gesetzgeber aber mit der Einführung der „unverzüglichen Entscheidung aber verhindern. Allerdings: Ebenfalls nicht nachvollziebar ist für mich, dass der Verteidiger nicht mal an seinen noch offenen Antrag erinnert hat.

Darüber hinaus ist auch der Hinweis des LG auf die Begründung zur Reform des Rechts der notwendigen Vertedigung im Jahr 2019 verfehlt, denn die zitierte Passage bezieht sich ausschließlich auf den Fall des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, wonach eine an sich von Amts wegen gebotene Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen. Diese Vorschrift betrifft jedoch nur Beiordnungen von Amts wegen, wohingegen Beiordnungsanträge des Beschuldigten gerade nicht erfasst sind. Kann man alles beim Kollegen Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3677 m.w.N. nachlesen.

Und: Auch die mögliche Aufhebung der Bestellung rechtfertigt die Untätigkeit der StA nicht. Denn es handelt es sich nicht um eine zwingende Rücknahme, da in solchen Fällen sorgfältig geprüft werden muss, ob der Rücknahme nicht Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegenstehen bzw. ob die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers wegen der früheren Inhaftierung des Beschuldigten weiterhin erforderlich ist. Zum anderen entbindet die Möglichkeit einer späteren (!) Rücknahme die Ermittlungsbehörden ja wohl nicht von ihrer Pflicht zur Befolgung des vom Gesetzgeber in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ausdrücklich normierten Unverzüglichkeitsgebots. Das scheint man aber in Leipzig anders zu sehen. Ohne weitere Worte.

Aber: Zumindest die Kostenentscheidung ist – aus Sicht des LG – richtig. Immerhin.

OWi I: Geschwindigkeitsmessungen, oder: Eichmarken, Standardisierung, (Akten)Einsicht, Zitiergebot

In den letzten Wochen habe ich einiges an OWi-Entscheidungen bekommen. Daher dann heute mal wieder ein OWi-Tag. Da es doch eine ganze Menge ist, gibt es dazu dann – ausnahmsweise – heute dann mal nur die Leitsätze.

Und ich beginne mit Entscheidungen zu Geschwindigkeitsmessungen. Und zwar.

1. Eine Messung mit Riegl FG 21 P ist ein standardisiertes Messverfahren. Dass das Messgerät weder ein Messfoto noch Rohmessdaten speichert, hat auf diese Einordnung keinen Einfluss.

2. Die Einsicht in nicht bei der Akte befindliche Unterlagen, wie z.B. Lebensakte, verkehrsrechtliche Anordnung, muss nicht gewährt werden. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. v. 25.07.2019 – 1586/15) steht dem nicht entgegen.

1. Es entspricht sich festigender Rechtsprechung, dass die Verteidigung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren im Vorfeld der Hauptverhandlung und namentlich im Ermittlungsverfahren Zugang zu allen Informationen erhalten kann, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen. Denn nur mit diesen Unterlagen kann sie beurteilen, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen.

2. Dies bedeutet, dass sich der verteidigungswillige Betroffene die bereitstehenden Daten vor der Hauptverhandlung beschaffen muss und sachverständig überprüfen lassen kann. Sein Ansprechpartner ist dabei die Verwaltungsbehörde.

Das Kostenrisiko trägt in Bezug auf das Privatgutachten grundsätzlich der Betroffene, nur im Falle eines Freispruchs kann etwas anderes gelten (Anschluss an LG Aachen NZV 2018, 480).

1. Bei dem Antrag auf Beiziehung nicht bei den Gerichtsakten befindlicher Rohmessdaten (hier: Ausdruck mittels Tuff-Viewer erstellter Bilddatei) handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 77 Abs. 1 OWiG bzw. § 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann.

2. Als Verletzung des rechtlichen Gehörs kann die Versagung der Beiziehung nicht gerügt werden, weil Art. 103 Abs. 1 GG kein Recht auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt.

Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden Rohmessdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.

  • OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.11.2020 – 1 OWi 2 Ss Rs 124/20

Nach der am 27. April 2020 erfolgten Verkündung der 54. Verordnung zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften besteht, soweit die Änderungsverordnung wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot aus Art. 80a Abs. 3 GG nichtig ist, die bis dahin geltende Rechtslage fort.

Von einem standardisierten Messverfahren kann nicht ausgegangen werden, wenn nach Ende der Messung nicht alle Eichmarken auf ihre Unversehrtheit geprüft worden sind.

 

Der Verteidiger im Hamsterrad, oder: Doch Ping-Pong für den Verteidiger

© J.J.Brown - Fotolia.com

© J.J.Brown – Fotolia.com

Regelmäßige Leser des Blogs werden sich erinnern, dass ich vor einiger Zeit über die Frage eines Kollegen aus dem LG-Bezirk Aurich berichtet habe, in der es um die Problematik der Erstreckung ging. Es ging im Kern darum, wer für die Erstreckungsentscheidung i.S. des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG (alt § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG) zuständig ist, wenn die Verbindung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft erfolgt, die Beiordnung des Rechtsanwalts dann aber erst durch das Gericht ausgesprochen wird. Und es ging auch um den Zeitpunkt der erforderlichen Erstreckungsentscheidung (vgl. dazu das erste Posting:  Ich habe da mal eine Frage: Kein Ping-Pong bei der Erstreckungsentscheidung).  Zu der Problematik haben sich dann das AG und das LG Aurich geäußert (vgl. hier: So geht es m.E. nicht, verehrte Frau Kollegin… und Das LG Aurich kann es auch nicht, oder: Auricher Ping-Pong. Beide m.E. falsch. Das LG Aurich aber dann im LG Aurich, Beschl. v. 25.11.2013 –  13 Qs 35/13 –zumindest insofern noch mit dem hoffnungsfroh stimmenden Satz: “Über den Erstreckungsantrag ist erst im Gebührenfestsetzungsverfahren zu entscheiden.”  Ah, eine Entscheidung soll es also geben. Nur, wer und wann?

Inzwischen ist das Verfahren beendet und der Kollege hat seinen Vergütungsfestsetzungsantrag gestellt. Und natürlich gehofft, dass über seinen „Erstreckungsantrag“ entschieden wird. Und die Entscheidung hat er bekommen, und zwar den den AG Aurich, Beschl. v.  21.01.2014 – 5 Ls 210 Js 8603/12 (27/13). Der ist so kurz, dass ich ihn hier im Volltext einstelle:

„In der Strafsache gegen
wegen
wird die dem Rechtsanwalt X. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung festgesetzt auf 862,39 EUR.
Begründung der Absetzungen:
Ein Gebührenanspruch für die vor Anklageerhebung hinzuverbundenen Verfahren besteht nicht. Die Beiordnung erfolgte gem. Beschluß vom 23.09.2013 nach Verbindung. Die Beiordnung erstreckt sich nicht automatisch auch auf die vorherige Tätigkeit des Rechtsanwalts in den verbundenen Verfahren. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG.
Die Pauschale für Post und Telekommunikation gem. Nr. 7002 VV RVG beträgt 20,00 €.“

Kurz und m.E. falsch, wobei ich den Hinweis auf den § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG als einen Flüchtigkeitsfehler ansehe; die Erstreckungsregelung befindet sich jetzt in § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG. Falsch m.E. deshalb, weil die Entscheidung keine Entscheidung zur Erstreckung enthält, es sei denn, man wollte die Ablehnung der Festsetzung der in den verbundenen Verfahren entstandenen Gebühren als eine konkludente Erstreckungsentscheidung ansehen. Für die wäre m.E. aber der Rechtspfleger nicht zuständig. Er hätte m.E. die Akten dem Gericht vorlegen müssen, das dann über die Erstreckung hätte entscheiden müssen (s. den Beschluss des LG Aurich). So geht es jedenfalls nicht.

Der Kollege hat natürlich Erinnerung eingelegt. Der Irrsinn Das Ping-Pong-Spiel geht also weiter. Ich bin gespannt, ob der Irrsinn das Verfahren dann jetzt ein Ende hat und das AG über die Erstreckung entscheidet, oder wieder sagt: Ich nicht, denn ich habe nicht verbunden. Dann wird der Kollege sicherlich Beschwerde einlegen und die Sache landet da, wo sie schon einmal war, nämlich beim LG. Das muss dann über die Erstreckung entscheiden, wenn es mit seinem Beschluss ernst macht. Für den Kollegen misslich. Abgesehen von Zeitverlust: Ihm ist dann auch eine Instanz verloren gegangen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Aufruf zu Lynch-Justiz bei Facebook – (nochmal) zwei Wochen Jugendarrest…

Wir erinnern uns: Im Februar/März 2012 gab es in Emden den Mordfall Lena. In dem nach dem Mord an der Schülerin irrtümlich ein junger Mann aus Emden unter Verdacht geraten und verhaftet worden. In Zusammenhang damit hatte es Aufrufe zur Lynchjustiz gegeben. Einer davon hat jetzt noch einmal das AG Aurich beschäftigt. „Ab zur Polizeiwache, lasst uns das Schwein mit Steinen beschmeißen“, hatte der dort Angeklagte auf seiner Seite bei Facebook gepostet. Anschließend hatten sich dann bis zu 50 Menschen vor dem Emder Polizeikommissariat versammelt, in dem der Verdächtige saß und gefordert: „Schickt das Schwein raus. Dann werden wir uns um ihn kümmern.“

Wegen des Aufrufs ist dann heute der inzwischen 19-jährige Angeklagte, der über Facebook gepostet hatte wegen des öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt worden. (vgl. auch schon das AG Emden hier: Der Lynch-Aufruf bei Facebook bringt zwei Wochen Jugendarrest, wegen weiterer Einzelheiten vgl. u.a. hier bei FAZ „Jugendarrest nach Aufruf zur Selbstjustiz“. Damit sind dann wohl alle Verfahren erledigt.