Schlagwort-Archive: Abtretung

Vollzug II: Rentner im Knast – Haftkostenbeitrag?, oder: Abgetretene Einkünfte

© cunaplus – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2023 – 1 Ws 208/23 (StrVollz). Es geht um die Zahlung eines Haftkostenbeitrags.

Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe wegen Betruges in der JVA. Vom 22.12.2021 bis zum 24.10.2021 befand er sich zunächst im offenen und seit dem 17.11.2022 im geschlossenen Vollzug.

Der Antragsteller hat das gesetzliche Rentenalter erreicht. Bereits während des offenen Vollzugs wurde der Antragsteller auf Grund von Renteneinkünften an den Haftkosten beteiligt. Mit Bescheid vom 12.04.2023 erhob die Antragsgegnerin seit 17.11.2022 ebenfalls einen monatlichen Haftkostenbeitrag auf Grund von Renteneinkünften. Diesen setzte sie für den Zeitraum vom 17.11.2022 bis zum 31.12.2022 auf 322,60 EUR und für die Zeit vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2023 auf monatlich 312,94 EUR fest. Als monatliche Renteneinkünfte legte sie Renteneinkünfte in Höhe von monatlich 621,01 EUR zugrunde.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die StVK zurückgewiesen hat. Die  Rechtsbeschwerde des Verurteilten hatte Erfolg:

„Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

1. So geht die Strafvollstreckungskammer zwar zunächst zutreffend davon aus, dass Renteneinkünfte grundsätzlich zu den Einkünften im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG zählen, welche für eine Kostenbeteiligung im Rahmen der Haftkosten nach 52 Abs. 2 in Betracht kommen (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2008, 294). Soweit die Kammer allerdings bei ihrer Betrachtung auch solche Einkünfte berücksichtigt, die aus nicht näher festgestellten Gründen bereits abgetreten worden sind, hält dies einer rechtlichen Überprüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

Entgegen der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer ist für die grundsätzliche Möglichkeit für eine Heranziehung zu den Haftkosten zunächst Voraussetzung, dass der Antragssteller über entsprechende Einkünfte verfügte (vgl. Feest, Lesting, Lindemann StVollzG, 7. Aufl., Teil II § 61 LandesR Rn. 6). Hierfür spricht schon der Wortlaut. Denn § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG setzt für eine Kostenbeteiligung zunächst voraus, dass die oder der Gefangene Einkünfte hat, d.h. er auch darüber verfügen kann. Soweit das Gesetz die Formulierung „entfallende“ Einkünfte gebraucht, bezieht sich dies erkennbar auf die zeitliche Komponente, bei der nur solche Einkünfte zu berücksichtigen sind, die im jeweiligen Zeitraum anfallen. Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine eng am Wortlaut haftende Anwendung. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption, die eine Angleichung der Haftsituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse erreichen will, ist der Gefangene grundsätzlich an den Kosten seiner Haft zu beteiligen und zwar – den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt in Freiheit vergleichbar – nicht an sämtlichen, durch die Inhaftierung entstehenden Kosten, sondern allein an den Kosten für Unterkunft und Verpflegung (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 52 Rn. 2). Dies setzt hingegen voraus, dass der Gefangene Einkünfte erzielt, die ihm prinzipiell zunächst auch zufließen.

Im Falle einer wirksamen Abtretung der für die Berechnung einer Haftkostenbeteiligung herangezogenen Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung wäre jedoch ein Wechsel in der Gläubigerstellung eingetreten (MüKoBGB/Kieninger, 9. Aufl. 2022, BGB § 398 Rn. 92) mit der Folge, dass der Zedent die Gläubigerstellung verliert. Demnach wären spätere Abtretungen oder Verpfändungen durch ihn unwirksam, für eine Aufrechnung fehlte es an der Inhaberschaft, Pfändungen gingen ins Leere und die Forderung gehörte im später eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zedenten nicht zur Masse (MüKoBGB/Kieninger aaO Rn. 95). Folglich könnten auch andere Gläubiger des Antragstellers nicht mehr auf die abgetretene Forderung zugreifen. Nichts anderes kann daher für die Antragsgegnerin gelten. Demnach kommt es für die Frage der Prüfung einer Kostenbeteiligung maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller noch Inhaber der von ihm behaupteten Forderung ist.

Zu den Fragen einer Abtretung und deren Wirksamkeit insbesondere im Hinblick auf etwaige Abtretungsverbote (vgl. §§ 399, 400 BGB, § 53 SGB I) hat die Strafvollstreckungskammer dagegen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Senat ist daher an der Prüfung gehindert, ob die Strafvollstreckungskammer letztlich zutreffend von der Erhebung von Haftkostenbeiträgen beim Antragsteller ausgegangen ist.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vorliegend maßgeblich zu prüfen sein wird, ob eine wirksame Abtretung vorgelegen hat. Dabei hat die Kammer die Behauptung des Antragstellers im Freibeweisverfahren – kritisch – zu würdigen. Zwar ist der Gefangene zu einer Auskunft – anders als im Steuerrecht – mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht verpflichtet (vgl. Arloth/Krä StVollzG § 50 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Kuhn, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 50). Den Antragsteller trifft im Verfahren nach dem StVollzG auch weder eine Beweislast für sein Vorbringen noch hat er das Beweisrisiko zu tragen (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 115 Rn. 2 m.w.N.). Der erforderliche Umfang der Aufklärung bemisst sich allerdings an dem Vorbringen der streitenden Parteien. Je eingehender, plausibler und anhand der Umstände nachvollziehbarer eine der Parteien einen Sachverhalt darstellt, die andere Partei ihm aber nur pauschal oder neben der Sache liegend entgegentritt, desto eher darf sich der Tatrichter mit dem Vorbringen der erstgenannten Partei zufriedengeben (KG BeckRS 2016, 13731 und BeckRS 2016, 13733). Behauptungen des Antragstellers, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Tatsachenfeststellungen zu Grunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – 3 StR 154/22 –, Rn. 17, juris).

Gemessen daran ist die Strafvollstreckungskammer daher nicht gehalten, allein die bloße Behauptung des Antragstellers über eine Abtretung bei der Prüfung der Haftkostenbeteiligung zugrunde zu legen. Vielmehr sprechen bislang die weiteren Umstände eines fehlenden Tatsachenvortrags zu näheren Umständen der angeblichen Abtretung sowie der zuvor beanstandungsfreien Zahlung des Haftkostenbeitrags während des offenen Vollzugs für eine bloße Schutzbehauptung des Antragstellers. Dass auf seinen Namen ein Beitragskonto mit den zugrunde gelegten monatlichen Beträgen geführt wird ist bislang unstreitig, sodass es dem Antragsteller obliegt, die behauptete Abtretung näher darzulegen, wenn diese – wie hier weder offenkundig noch aus anderen Vorgängen bekannt ist (vgl. in diesem Sinne auch (OLG Koblenz Beschl. v. 20.10.2014 – 2 Ws 495/14 (Vollz), BeckRS 2015, 1832 Rn. 2, beck-online).“

Gebühren nach Freispruch im „Corona-Verfahren“, oder: Unterdurchschnittlich/Rechtsfragen ausgetragen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute dann „RVG-Tag“.

Den beginne ich mit dem LG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2021 – 2b Qs 160/21. Den Beschluss hätte ich auch an einem Montag unter der Thematik „Corona“ vorstellen können. Denn es geht um die Erstattung der anwaltlichen Gebühren nach einem Freispruch wegen eines Verstoßes gegen die Corona-VO Niedersachsen. Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid erlassen worden, weil er sich mit zwei weiteren Personen in einem Pkw befunden und dabei nicht den erforderlichen Mindestabstand eingehalten habe. Mit dem Bescheid wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt.

Nach Freispruch hatte der Verteidiger die notwendigen Auslagen geltend gemacht und zwar für sich als Abtretungsempfänger. Festgesetzt worden ist zugunsten des Betroffenen, und zwar nur in einer geringeren Höhe als beantragt. Lassen wir mal die Frage der Abtretung außen vor – insoweit bitte selbst lesen, was das LG auf die sofortige Beschwerde meint – was m.E. falsch ist. Hier soll es nur um die Gebührenhöhe gehen. Dazu wird ausgeführt:

„2. Die vom Verteidiger angesetzten Gebühren sind unbillig gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.

Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit liegt jedenfalls insgesamt eine unterdurchschnittliche Angelegenheit vor. Es handelt sich nämlich um ein einfach gelagertes Ordnungswidrigkeitsverfahren, das keiner besonderen Vorbereitung bedurfte. Inhaltlich war lediglich zu klären, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt, wobei es sich um eine reine Rechtsfrage handelte. über die es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits Ausführungen in zwei Beschlüssen des Amtsgerichts Stuttgart (Az.: 4 OWi 177 Js 68534/20) und Amtsgericht Reutlingen (4 OWi 23 Js 16246/20) gab. Es handelte sich daher auch nicht um eine. wie der Verteidiger meint, nicht ausgetragene Rechtsfrage. Darüber hinaus ergibt sich aus der Akte kein Hinweis darauf, dass an dem Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse bestand. Die Dauer der Hauptverhandlung betrug lediglich 10 Minuten, wobei Zeugen nicht vernommen worden sind und der Betroffene von dem persönlichen Erscheinen entbunden worden ist. Der Schriftverkehr mit dem Verteidiger beschränkte sich auf den Einspruchsschriftsatz vom 29.06.2020 und eine Einspruchsbegründung vom 02.07.2020 deren Inhalt äußerst überschaubar war. Der Aktenumfang war mit 34 Blatt bis zum Beginn der Hauptverhandlung gering, wobei sich ein nicht unerheblicher Teil des Umfanges aus den Folgen der teilweisen mehrfachen Heftung von ergänzenden Sachverhaltsmitteilungen/Stellungnahmen ergab.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Betroffenen ist angesichts der verhängten Geldbuße in Höhe von 200,00 € noch als unterdurchschnittlich zu bewerten. Es drohten weder berufliche noch andere einschneidende Konsequenzen. Der Verteidiger hat in der Beschwerdeschrift vom 23.05.2021 zwar vorgetragen, dass die Angelegenheit für den Betroffenen von hoher Bedeutung gewesen sei, da im Wiederholungsfalle (anders als im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht) dramatische Bußgelderhöhungen gedroht hätten. Dieses Vorbringen ist jedoch zu allgemein gehalten, um daraus ein billiges Ermessen für die Gebührenbestimmung abzuleiten. Der Verteidiger hat bereits nicht vorgetragen, warum es bei dem Betroffenen im Verurteilungsfalle zu Wiederholungsfällen hätte kommen sollen, wäre er doch in diesem Falle besonders sensibilisiert gewesen.

Die genauen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sind unbekannt. Sie bleiben daher als Gebührenbemessungskriterien außer Betracht. Für die Angemessenheit einer Gebühr ist der Rechtsanwalt darlegungs- und beweispflichtig.“

Dazu nur: Die Ausführungen des LG zur Gebührenbemessung sind ebenfalls falsch. Sie kranken schon daran, dass das LG den falschen Maßstab zugrunde legt. Auszugehen ist nämlich auch im Bußgeldverfahren von der Mittelgebühr. Auf der Grundlage sind dann die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Dabei hat dann m.E. die Schwierigkeit des Verfahrens hier so erhebliches Gewicht, dass – selbst wenn die anderen Umstände unterdurchschnittlich wären, was sie nicht sind – die geringfügige Überschreitung der Mittelgebühr durch den Verteidiger zumindest aber die Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen wäre. Denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Verteidigers haben, was das LG geflissentlich übersieht, die beiden von ihm erwähnten Entscheidungen des AG Stuttgart und des AG Reutlingen noch nicht vorgelegen, auch gab es noch keine OLG-Rechtsprechung zu der Problematik, so dass die anstehenden Rechtsfragen eben doch „nicht ausgetragen“ waren und eine umfassende Auseinandersetzung auch mit der verfassungsrechtlichen Problematik erforderten. Das mag heute nach einem Jahr „Pandemie-Rechtsprechung anders sein. Im Frühjahr 2020 waren die Fragen Neuland.

Fazit: Gewogen und zu leicht befunden. Und: Ganz schlaues LG.

Vertrag über Kfz-Schadensgutachten, oder: Unwirksamkeit von Abtretungsklauseln

© fotomek – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt heute auch vom BGH. Dort hat der 6. Zivilsenat im BGH, Urt. v. 18.02.2020, Az. VI ZR 135/19 – über die Wirksamkeit der in einem Vertrag über die Erstellung eines Kfz-Schadensgutachtens enthaltenen formularmäßigen Klausel entschieden. Nach dieser Klausel trat der Geschädigte dem Sachverständigen in Bezug auf dessen Honoraranspruch „erfüllungshalber“ seinen auf Ersatz der Sachverständigenkosten gerichteten Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger ab. Der BGH sagt: Unwirksam ist, wenn in dem Vertrag gleichzeitig folgende Klausel enthalten ist: „Das Sachverständigenbüro kann die Ansprüche gegen mich geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. In diesem Fall erhalte ich die Forderung zurück, um sie selbst gegen die Anspruchsgegner durchzusetzen.“:

„1. Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, die Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Er muss einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Der Vertragspartner soll andererseits ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte und Pflichten feststellen können, damit er die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen bei Vertragsschluss hinreichend erfassen kann und nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird (vgl. Senat, Urteile vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 156/18, NJW-RR 2020, 112 Rn. 23; vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 9; BGH, Urteile vom 12. Dezember 2019 – IX ZR 77/19, ZIP 2020, 310 Rn. 24; vom 16. Januar 2020 – IX ZR 351/18, juris Rn. 25; jeweils mwN). Der Vertragspartner soll unter anderem davor geschützt werden, infolge falscher Vorstellungen über die angebotene Leistung zu einem unangemessenen Vertragsabschluss verleitet zu werden. Die eindeutige und durchschaubare Vermittlung der mit einem beabsichtigten Vertragsschluss verbundenen Rechte und Pflichten ist Voraussetzung für eine informierte Sachentscheidung. Die Klausel muss deshalb nicht nur in ihrer Formulierung verständlich sein, sondern auch die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit wie möglich verdeutlichen (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 156/18, NJW-RR 2020, 112 Rn. 23; BGH, Urteil vom 16. Januar 2020 – IX ZR 351/18, juris Rn. 25). Eine Intransparenz kann sich nicht nur bei einzelnen Klauseln aus ihrer inhaltlichen Unklarheit, mangelnden Verständlichkeit oder der unzureichenden Erkennbarkeit der Konsequenzen ergeben, sondern auch aus der Gesamtregelung (vgl. Senat, Urteile vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 156/18, NJW-RR 2020, 112 Rn. 23; vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 10; jeweils mwN). Abzustellen ist dabei auf die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden (vgl. Senat, Urteile vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 156/18, NJW-RR 2020, 112 Rn. 23; vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 9; BGH, Urteile vom 12. Dezember 2019 – IX ZR 77/19, ZIP 2020, 310 Rn. 24; vom 16. Januar 2020 – IX ZR 351/18, juris Rn. 25; jeweils mwN). Für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist in erster Linie ihr Wortlaut relevant (vgl. Senat, Urteile vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 10; vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 504/16, NJW 2018, 455 Rn. 22; jeweils mwN).

Die in diesem Zusammenhang erforderliche Auslegung der Klausel kann der Senat ungeachtet der Frage, ob die Klausel über den räumlichen Bezirk des Berufungsgerichts hinaus verwendet wird, selbst vornehmen (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 156/18, NJW-RR 2020, 112 Rn. 21; BGH, Urteile vom 12. Dezember 2019 – IX ZR 77/19, ZIP 2020, 310 Rn. 21; vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200, 362 Rn. 25).

2. Diesen Anforderungen entspricht die Klausel nicht. Aus ihr wird für den durchschnittlichen Auftraggeber (Unfallgeschädigten) nicht hinreichend deutlich, unter welchen Voraussetzungen er den erfüllungshalber abgetretenen Anspruch zurückerhält und welche Rechte er in diesem Zusammenhang hat. Der vorletzte Satz der Klausel sieht vor, dass die S. die Ansprüche gegen den Auftraggeber geltend machen kann, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. Im letzten Satz der Klausel heißt es, dass der Auftraggeber in diesem Fall die Forderung zurückerhält, um sie selbst gegen die Anspruchsgegner geltend zu machen. Insoweit bleibt offen, zu welchem Zeitpunkt genau der Auftraggeber die Forderung zurückerhalten soll. In Betracht kommen drei Möglichkeiten (und ggf. eine entsprechende Vorleistungspflicht): Erstens bereits bei Zahlungsanforderung durch die S., zweitens gleichzeitig mit der Zahlung des Auftraggebers oder drittens erst danach. Abweichendes ergibt sich nicht aus der Annahme der Revisionserwiderung, die S. sei bei Geltendmachung ihres (Rest-)Anspruchs insoweit verpflichtet, den Schadensersatzanspruch zurück abzutreten, und dem Auftraggeber stehe ein Zurückbehaltungsrecht zu, wenn die S. nicht in der Lage sei, die Schadensersatzforderung in Höhe der Inanspruchnahme rückabzutreten. Denn zu einem solchen Recht des Auftraggebers, eine Zugum-Zug-Leistung verlangen zu können, würden erst interessenbezogene Erwägungen führen, die so von einem durchschnittlichen Auftraggeber (Unfallgeschädigten) nicht erwartet werden können (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 10).

Die danach in der Klausel intransparent geregelte Frage, unter welchen Voraussetzungen der Auftraggeber den erfüllungshalber abgetretenen Schadensersatzanspruch (teilweise) zurückerhält und welche Rechte er in diesem Zusammenhang hat, steht in unmittelbarem inhaltlichen Zusammenhang mit der Regelung der erfüllungshalber erfolgenden Anspruchsabtretung selbst und führt deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB zu deren Unwirksamkeit (vgl. Senat, Urteil vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17, NJW 2019, 51 Rn. 11).

Die richtige Formulierung der Vorausabtretung, oder: Rahmengebühr beim Berufskraftfahrer

© weyo – Fotolia.com

Die zweite Gebührenentscheidung stammt vom Kollegen Grüne aus Schweinfurt. Bei der Gelegenheit: Allen Einsendern herzlichen Dank für die vielen (schönen) RVG-Entscheidungen. Im Moment ist mein Ordner ziemlich leer, so dass ich mich über weitere/neue Entscheidungen sehr freuen würde.

Hier hatte der Kollege beim AG Köln einen Mandanten in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Missachtung eines qualifizierten Durchfahrtsverbots für LKW vertreten. Nach Einstellung des Verfahrens macht der Kollege Kostenerstattung gegenüber der Staatskasse geltend und beantragt dabei Überweisung an ihn, weist allerdings wohl nicht auf die zu seinen Gunsten erfolgte (Voraus)Abtretung der Kostenerstattungsansprüche hin. Dies veranlasst die Bezirksrevisorin zu dem Einwand, dass dem Verteidiger ein eigenes Antragsrecht nicht zustehe. Der Kollege legt dann die Vollmacht mit der darin enthaltenen Vorausabtretung vor. Diese war der Bezirksrevisorin und dem AG Köln aber dann nicht ausreichend, einerseits wegen angeblicher Unwirksamkeit der Abtretung und wegen Unbestimmtheit der „wegen“-Angabe – es würde ja schließlich das gerichtliche Aktenzeichen fehlen.

Das LG hat dem Hin und Her dann im LG Köln, Beschl. v. 13.08.2019 – 323 Qs 87/19 – ein Ende bereitet:

1. Entgegen der Ansicht von Amtsgericht und Bezirksrevisorin bestehen im konkreten Fall keine Bedenken gegen die Aktivlegitimation des Beschwerdeführers. Insofern hat der Betroffene als Gläubiger der Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Staatskasse diese wirksam gem. § 398 S. 1 BGB an den Beschwerdeführer abgetreten.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die von dem Betroffenen unter dem 02.08.2018 unterzeichnete „Vollmacht“ wegen „VOWi vom 24.04.2018″ vorgelegt, in welcher sich unter Ziff. 1 am Ende in Fettdruck der Passus befindet „Zukünftige Kostenerstattungsansprüche werden unwiderruflich an die oben genannten Rechtsanwälte zur Sicherung deren jeweiliger Honoraransprüche abgetreten.“

Aus objektiver Sicht des Erklärungsempfängers – hier des Beschwerdeführers – handelt es sich gem. den § 133, 157 BGB dabei um ein Abtretungsangebot künftiger Kostenerstattungsansprüche, welche dieser auch nach seinem Vorbringen angenommen hat. Einer Unterschrift des Beschwerdeführers unter die Vollmachtsurkunde bedarf es gem. § 151 S. 1 BGB zur Annahme dabei nicht. Es bestehen weiterhin auch keine Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Abtretungserklärung. Insofern ist die Vorausabtretung künftiger Ansprüche allgemein anerkannt, soweit diese so beschrieben ist, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners bestimmbar ist. Insofern war es dem Betroffenen und dem Beschwerdeführer aufgrund der Bezeichnung als „VOWi vom 24.04.2018″ klar, aus welchem künftigen Bußgeld- und Gerichtsverfahren ein solcher Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse folgen würde. Dass es insofern Unklarheiten zwischen den Vertragsparteien gegeben hätte, ist nicht erkennbar. Schließlich verstößt die verwendete Formularklausel auch nicht gegen § 305c BGB, als sie überraschend wäre. Insofern geht § 43 RVG ausdrücklich davon aus, dass der Betroffene seinen Anspruch auf Erstattung von Anwaltskosten als notwendige Auslagen an letzteren abtreten kann. Eine solche Abtretung ist damit jedoch nicht so ungewöhnlich, dass der Betroffene mit einer solchen Abtretungsklausel nicht rechnen müsste. Dies gilt im konkreten Fall auch für die Aufnahme der Abtretungsklausel in die Vollmachtsurkunde. Den teilweise erhobenen Bedenken dahingehend, dass innerhalb einer einseitigen Vollmachtserteilung ein Angebot auf Abschluss eines Abtretungsvertrags versteckt würde, wurde hier dadurch begegnet, dass diese Passage im Fettdruck hervorgehoben wurde. Aufgrund dieser konkreten Gestaltung ist daher davon auszugehen, dass der Inhalt der Klausel für den Betroffenen erkennbar und daher nicht überraschend war (so auch etwa OLG Rostock, Beschluss vom 30.04.2018, 20 Ws 78/18 — juris -; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.03.2015, 2 Ws 426/14 — juris; Meyer/Kroiß-Kroiß, RVG, 7.A., 2018, § 43 Rn. 7; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG-Kommentar, 23.A., 2017, § 43 Rn. 12; Riedel/Sußbauer-Kremer, RVG, 10.A., 2015, § 43 Rn. 10; Hartung/Schons/Enders-Hartung, RVG, 3.A., 2017, § 43 Rn. 18).

Das ist zutreffend

In der Sache ist das LG der Gebührenbestimmung des Kollegen dann weitgehend gefolgt. Es hat nur bei der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG Abstriche gemacht:

„…..Die Betragsrahmengebühr der Verfahrensgebühr Ziff. 5109 VV RVG umfasst einen Rahmen von 30,00 EUR bis 290,00 EUR für Bußgelder von 60,00 bis 5.000,00 EUR. Die Gebühr umfasst dabei die erbrachten Tätigkeiten nach Erteilung des Auftrags zur Verteidigung im gerichtlichen Verfahren bis zum Abschluss der ersten Instanz, also insbesondere die Vorbereitung der Rechtsverteidigung, die Fertigung von Schriftsätzen, die Zustellung und Empfangnahme von Entscheidungen etc. (vgl. Meyer/Kroiß-Krumm, a.a.O., RVG Nr. 5107-5112 VV, Rn. 6).

Bei der Bemessung dieser Gebühr ist konkret zu berücksichtigen, dass innerhalb des Gebührenrahmens für Bußgelder von 60 bis 5.000 EUR das dem Betroffenen drohende Bußgeld von 500,00 EUR zwar nicht unerheblich ist, jedoch weiterhin am unteren Rand der abgedeckten Bußgeldspannweite liegt. Die Eintragung von Punkten im Fahreignungs-register stand nicht zu befürchten. Für eine bereits leicht überdurchschnittliche Bedeutung der Sache spricht dann jedoch das vorgesehene Fahrverbot für den Betroffenen von zwei Monaten. Zwar hätte dieser hier die Möglichkeit gehabt, den Zeitpunkt dieses Fahrverbots innerhalb von vier Monaten selbst zu wählen und es wäre ihm auch ohne Weiteres zumutbar, hierfür seinen Jahresurlaub zu verwenden. Gleichzeitig ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dem Betroffenen — ggf. unter Abbau von Überstunden – mehr als 40 Urlaubstage zur Verfügung standen. Insofern erscheint es auch als naheliegend, dass dies vor dem Hintergrund, dass der Betroffene Berufsfahrer ist, zu nicht unerheblichen Problemen mit seiner Arbeitsstelle geführt hätte, ohne dass jedoch zwingend von einem Verlust des Arbeitsplatzes auszugehen ist. Insgesamt spricht diese individuelle Bedeutung für den Betroffenen bei der Verfahrensgebühr für eine leicht (20%) über der Mittelgebühr liegenden Gebührenhöhe, nicht jedoch für eine um 50% über der Mittelgebühr liegende Gebührenhöhe, die bis nahe an den oberen Rand des Gebührenrahmens reicht. Die Schwierigkeit des Falls mit der Besonderheit der Zustellungsproblematik des Bußgeldbescheids bewegt sich im mittleren Bereich und rechtfertigt ebenfalls keine noch höhere Festsetzung dieser Gebühr. Die angemessene Verfahrensgebühr wird im Antrag des Verteidigers auch um mehr als 20% überschritten, sodass sie von der Kammer festzusetzen war.“

Darüber, ob das so zutreffend ist, kann man streiten.

Abtretung in der Vollmacht, oder: Dann aber aufgepasst bei der Gestaltung der Vollmacht

© AK-DigiArt – Fotolia.com

Ich hoffe die Vatertagsgänger sind alle wieder zu Hause :-), so dass ich mit den freitäglichen Gebührenpostings starten kann.  Zunächst der OLG Rostock, Beschl. v. 30.04.2018 – 20 Ws 78/18.  Ein „zweigeteilter Beschluss“ = mit zwei Problembereichen, von denen ich hier nur eins darstellen will. Das andere ist ein wenig kompliziert und daher gut fürs Selbststudium geeignet.

Das Problem, das ich aus dem Beschluss hier aufgreifen will, hängt mit § 43 RVG zusammen, und zwar geht es um die Frage: Wirksamkeit der Abtretung der Kostenerstattungsansprüche in der Vollmacht.  Da geht es ja in der Rechtsprechung immer noch ein wenig hin und her. Ich erinnere da an den OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.03.2015 – 2 Ws 426/14 -, über den ich hier ja auch berichtet habe: Verteidiger aufgepasst: Keine Abtretung in der Vollmacht.

Das OLG Rostock grenzt sich von dem Beschluss ab. Es sieht in dem von ihm entschiedenen Fall die Abtretung als wirksam an, und zwar:

Weder dem Kostenfestsetzungsantrag vom 28.08.2015 noch dem Rechtsmittel steht entgegen, dass sie nicht im Namen des früheren Angeklagten Te. als Kostengläubiger angebracht wurden, sondern von Rechtsanwalt J. im eigenen Namen. Denn der Angeklagte hat seine zukünftigen Kostenerstattungsansprüche gegen die Staatskasse bereits mit der Rechtsanwalt J. am 13.11.2013 erteilten und von diesem zu den Akten gereichten Vollmacht wirksam und unwiderruflich zur Abgeltung von dessen Honoraransprüchen (= Kosten und Auslagen) an diesen abgetreten (vgl. zur Wirksamkeit einer in die Vollmachtsurkunde aufgenommenen Abtretungserklärung Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl., § 43 Rdz. 12; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.03.2015 – 2 Ws 426/14 – jeweils m.w.N.). Diese Abtretungserklärung scheitert auch nicht an der Vorschrift des § 305c BGB, denn die betreffende Textpassage war in der Vollmachtsurkunde gegenüber den übrigen darin enthaltenen Regelungen eigens durch Fettdruck besonders hervorgehoben worden, weshalb der Senat davon ausgehen kann, dass sie für den Mandanten nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages klar erkennbar und deshalb nicht überraschend war.

Die Wirksamkeit dieser Abtretung wurde durch die spätere Kündigung des anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrags und den Widerruf der Vollmacht nicht berührt. Insoweit ist zwischen der vertraglich vereinbarten Forderungsabtretung einerseits (§ 398 BGB) und der einseitig erteilten Verteidigervollmacht andererseits zu unterscheiden (§ 168 Satz 2 BGB). Während die Vollmacht auch durch einseitige Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Gericht wirksam widerrufen werden konnte (§ 167 Abs. 1, § 168 Satz 3 BGB), gilt dies für die Abtretungsvereinbarung nicht.

Auch die nochmalige Abtretung seiner gegen die Staatskasse bestehenden Ansprüche auf Ersatz seiner notwendigen Auslagen durch den vormals Angeklagten vom 16.04.2015 an seinen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. lässt die Wirksamkeit der früheren Abtretung an Rechtsanwalt J. unberührt (vgl. Burhoff a.a.O. Rdz. 11).“

Also: Abtretung in der Vollmacht ist möglich, wenn man die zivilrechtlichen Vorgaben beachtet. Das war hier der Fall.

Und wenn die Abtretung wirksam ist, dann treten alle zivilrechtlichen Folgen ein, also z.B. wie hier, dass eine nachfolgende weitere Abtretung unwirksam ist = ins Leere geht. Und im Verfahren ist dann die Aufrechnung der Staatskasse unwirksam. Das betrifft alle Ansprüche der Staatskasse, also die betreffend bezahlte Pflichtverteidigergebühren, eine Pauschvergütung oder Gerichtskosten. Voraussetzung ist dann aber natürlich, dass die Abtretungsurkunde zur Akte gereicht worden ist.