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Und dann habe ich als dritte Entscheidung noch etwas aus der OLG-Rechtsprechung. Und zwar hatte mich ein Kollege auf den OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.07.2024 – 7 ORs 28 SRs 899/23 – hingewiesen. Den habe ich mir dann über die dortige Pressestelle besorgt, was mal wieder sehr gut geklappt hat. Kein Gezicke, sondern: Zack war der Beschluss da.
In der Entscheidung geht es um die die Verhandlungsleitung des Vorsitzenden und Eingriffe des Vorsitzenden in das Fragerecht des Verteidigers. Das machen Vorsitzende ja gerne, wenn es in der HV vermeintlich nicht so läuft, wie es sich das Gericht „vorstellt“.
Hier hatten wir folgenden Sachverhalt. Der Angeklagte ist durch Urteil des LG u.a. wegen Körperverletzung in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Hiergegen wendet er sich u.a. mit seiner auf eine Verfahrensrüge gestützten Revision. Die Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg.
Zugrunde lag folgendes Verfahrensgeschehen:
In der Hauptverhandlung wurde der Zeuge A., der mutmaßlich Geschädigte in einigen Körperverletzungsfällen als Zeuge vernommen. Die Vernehmung begann am 14.o6.2023 und wurde am 21.06. 2023 fortgesetzt. Vor dem Fortsetzungstermin war dem Zeugen mit Verfügung des Vorsitzenden vom 15.06.2023 nach § 68b Abs. 2 StPO ein Zeugenbeistand bestellt worden, da der Zeuge seine Befugnisse und Interessen in der Vernehmungssituation nicht selbst wahrnehmen könne.
In der Hauptverhandlung am 21.06.2023 wurde dem Verteidiger das Fragerecht gewährt. Vor Abschluss der Befragung erging folgende Verfügung des Vorsitzenden: „Nachdem der Zeuge von Seiten der Verteidigung bisher mehrfach ständig wechselnd zwischen den Tatkomplexen 1/2 und 3 befragt wurde, wird nunmehr darauf hingewiesen, dass die Befragung zum Tatkomplex 3 fortzusetzen ist und erst im Anschluss, sollten dazu keine weiteren Fragen mehr sein, die noch verbleibenden Fragen zum Tatkomplex 1/2 zu stellen sind.“
Nachdem der Verteidiger um einen Gerichtsbeschluss gebeten hatte, bestätigte die Jugendkammer die Verfügung des Vorsitzenden. Diese sei nicht rechtswidrig; eine weitergehende Begründung erfolgte nicht. Anschließend wurde die Befragung des Zeugen in der vom Vorsitzenden vorgegebenen Reihenfolge fortgesetzt.
Dazu dann das OLG, das dieser Vorgehensweise des Vorsitzenden einen Riegel vorgeschoben hat:
„b) Die Verfahrensrüge ist zulässig.
aa) Das Rügevorbringen genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Weiterge-hender Darlegungen, etwa zum Inhalt der an den Zeugen gerichteten Fragen, bedurfte es nicht, nachdem sich die Rüge nicht gegen die Zurückweisung einzelner Fragen nach § 241 Abs. 2 StPO richtet, sondern gegen die an die Verteidigung gerichtete Anordnung des Vorsit-zenden, den Zeugen nur in einer vorgegebenen Reihenfolge zu den einzelnen Taten zu befragen.
bb) Durch die als Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO auszulegende „Bitte“ um einen Ge-richtsbeschluss hat der Verteidiger zudem von dem erforderlichen Zwischenrechtsbehelf Ge-brauch gemacht. Dass die Beanstandung nicht begründet wurde, schadet hierbei nicht. Denn es bedarf zu einer möglichen Beeinträchtigung verfahrensrechtlicher Belange keines Vortrags, wenn die Beeinträchtigung auf der Hand liegt (KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 238, Rn. 17; s. auch BeckOK StPO/Gorf, 51. Ed., § 238, Rn. 12). Dies ist vorliegend der Fall.
§ 240 Abs. 2 Satz 1 StPO gewährt dem Verteidiger das Recht, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen. Dieses Fragerecht verschafft ihm die Mög-lichkeit, auf die vollständige Erörterung des Verfahrensstoffes durch die bestmögliche Aus-schöpfung der persönlichen Beweismittel hinzuwirken (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 240, Rn. 1). Eine sinnvolle und effektive Ausübung des Fragerechts ist dabei grundsätzlich nur dann möglich, wenn der Verteidiger seine Befugnis eigenständig und ununterbrochen in Verfolgung des von ihm entwickelten Konzepts ausüben kann (KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 240, Rn 8).
Es liegt daher auf der Hand, dass eine gerichtliche Vorgabe, das Fragerecht nur in einer be-stimmten Reihenfolge auszuüben, Verteidigungsbelange berühren kann, macht es eine solche Anordnung dem Verteidiger doch unter Umständen unmöglich, das von ihm vorbereitete Ver-nehmungskonzept umzusetzen. Einer besonderen Begründung der Beanstandung bedurfte es deshalb nicht.
c) Die vom Vorsitzenden getroffene und von der Jugendkammer bestätigte Anordnung erweist sich als verfahrensfehlerhaft. Denn der Senat kann nicht prüfen, ob die Anordnung, den Zeu-gen A. erst zur Tat II. Nr. 3 zu befragen und dann zu den Taten II. Nr. 1 und Nr. 2, zurecht er-folgte.
aa) Der Vorsitzende hat im Rahmen der ihm obliegenden Verhandlungsleitung sowie insbe-sondere in Ausübung seiner Fürsorgepflicht gegenüber Zeugen für einen sachgerechten Ab-lauf der Beweisaufnahme zu sorgen. Dabei hat er auch auf eine hinreichende Strukturierung der Vernehmung hinzuwirken, denn nur dann kann der Zeuge die ihm obliegenden Pflichten erfüllen und zur Wahrheitsfindung beitragen. Dies schließt Vorgaben auch im Hinblick auf die Reihenfolge der Befragung zu einzelnen Tatkomplexen nicht grundsätzlich aus, die Verfah-rensbeteiligten einschließlich des Verteidigers sind im Hinblick auf die Vernehmung von Zeu-gen und Sachverständigen nicht völlig frei. Jedoch bedürfen Vorgaben, die das Fragerecht berühren, stets einer sorgfältigen Begründung. An einer solchen fehlt es hier.
So lässt sich weder der Verfügung des Vorsitzenden noch dem bestätigenden Beschluss der Jugendkammer entnehmen, dass eine besondere Schutzbedürftigkeit des Zeugen bestand, die einen Eingriff in das Fragerecht der Verteidigung hätte rechtfertigen können, und es ist auch nicht dargetan, weshalb es über die Beiordnung des Zeugenbeistands hinaus des Eingriffs in das Fragerecht des Verteidigers bedurfte. Auch ist nicht erkennbar, dass die Vorgabe zur Reihenfolge einzelner Fragen deshalb erforderlich gewesen wäre, weil der Zeuge andernfalls der Befragung nicht hätte folgen können oder zu sachgerechten Antworten nicht in Lage gewesen wäre. Schließlich ist auch nicht dargelegt, dass das Fragerecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt wurde.
bb) Eine zwischen einzelnen Taten wechselnde Befragung eines Zeugen ist nicht generell unzulässig, zumal die den Zeugen A. betreffenden Taten in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Zwei der Taten sollen am 19. Februar 2022 begangen worden sein, die dritte Tat dann wenige Tage später am 1. März 2022. Zudem legen die Feststellun-gen nahe, dass der Hintergrund sämtlicher Auseinandersetzungen darin liegt, dass der Ange-klagte darüber verärgert war, dass der Zeuge A. während seiner Inhaftierung eine Beziehung mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin C. geführt hatte; hinsichtlich des Tatmotivs ist die Ju-gendkammer von Eifersucht des Angeklagten ausgegangen (UA S. 19). Angesichts dessen ist eine zwischen den einzelnen Taten hin und her wechselnde Befragung jedenfalls ohne das Hinzutreten weiterer, vorliegend nicht ersichtlicher Umstände zulässig.
d) Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht aus-schließen, dass die Strafkammer im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen A. zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, hätte der Verteidiger seine Fragen in der von ihm vorgesehenen Reihenfolge stellen können. Auf die zudem erhobene Sachrüge kommt es daher insoweit nicht an.“
Fazit: I.d.R. „Finger weg vom Fragerecht“ und eine Bitte an die Verteidiger: Die Maßnahme des Vorsitzenden muss nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden. Dabei sollte man als Verteidiger er klar und deutliche formulieren, was „gewünscht“ ist: Also nicht: „Bitte um einen Gerichtsbeschluss“, sondern „Ich beanstande…..“. Dann gibt es keine Auslegungsprobleme, was eigentlich gewollt ist. Und: Die Beanstandung sollte begründet werden. Das hatte der Verteidiger hier nicht getan, was allerdings nach Auffassung des OLG nicht geschadet hat. In Fällen, in denen die Beeinträchtigung der Verteidigerrechte nicht so eindeutig ist wie hier, kann es ggf. an der Stelle Problem geben.
Zu allem <<Werbemodus an>> Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl., 2025, Rn 1957 ff., und zwar auch zur Zurückweisung von Fragen und zur Entziehung des Fragerechts. <<Werbemodus aus>>.