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Unfall in der Waschstraße, oder: Nicht „beim Betrieb“

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Author Hydro

Schon etwas älter ist der Hinweisbeschluss des OLG Koblenz vom 03.07.2019. Ich komme darauf dennoch heute zurück.

Thematik. Unfall in einer Waschanlage und damit die Frage nach der Haftung gem. § 7 StVG. Das OLG meint im OLG Koblenz, Beschl. v. 03.07.2019 – 12 U 57/19: Wird ein Schaden an einem Pkw zu einem Zeitpunkt verursacht, wenn sich der Pkw des Schadensverursachers noch auf dem Förderband einer Waschstraße befindet, somit der Transportvorgang der Waschstraße noch nicht beendet war, scheidet eine Haftung nach § 7 StVG aus..

Dazu aus dem Beschluss:

Mit dem Landgericht ist der Senat der Überzeugung, dass die Beklagten für den bei dem Kläger eingetretenen Schaden weder aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG), noch aus dem Gesichtspunkt der Verschuldenshaftung (§ 823 BGB) verantwortlich sind.

Der Schaden an dem Pkw des Klägers hat sich nicht beim Betrieb des Pkw der Beklagten zu 1. ereignet.

Zwar ist das Haftungsmerkmal „beim Betrieb“ entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung für eigene Wagnisse. Erforderlich ist es aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll. Die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um deren Willen die Rechtsnorm erlassen worden ist (BGH VI ZR 253/13, Urteil vom 21.01.2014 juris). Dies ist dann der Fall, wenn der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebsvorrichtung des Kfz steht (BGH VI ZR 168/04, Urteil vom 26.04.2005, juris). Dagegen scheidet eine Haftung aus § 7 StVG grundsätzlich dann aus, wenn bei dem „gegnerischen Pkw“ die Fortbewegungs- und Transportfunktion keinerlei Rolle gespielt hat.

Der Schaden an dem Pkw des Klägers hat sich zu einem Zeitpunkt ereignet, als sich der Pkw der Beklagten zu 1. noch auf dem Förderband der Waschstraße befand, somit der Transportvorgang der Waschstraße noch nicht beendet war. Der Motor des Pkw des Beklagten zu 1. wurde auch erst nach dem Eintritt des Schadens gestartet. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich der Pkw nicht im Betrieb. Ein Kraftfahrzeug ist dann nicht im Betrieb im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG, wenn es ohne eigene Motorkraft durch eine automatische Waschanlage gezogen wird. Solange sich das Fahrzeug innerhalb des automatisierten Wasch- und Transportvorganges befindet, kommt weder die Fortbewegungsfunktion, noch die Transportfunktion des Fahrzeuges in irgendeiner Weise zum Tragen. Das Fahrzeug ist vielmehr vollständig abhängig von den automatisierten Transportvorgängen innerhalb der Waschstraße. Es ist insoweit vergleichbar mit jedem beliebigen Gegenstand der in gleicher Weise automatisch transportiert und bewegt wird. Die besonderen Gefahren des eigentlichen Betriebes des Kraftfahrzeuges (Geschwindigkeit, Ausmaße, Gewicht) entfalten hingegen in diesem Moment keine Relevanz (Zum gleichen Ergebnis kommend: KG Berlin in VersR 1977, 626; LG Paderborn 5 S 56/14, Urteil vom 26.11.2014, juris; AG Köln 272 C 33/12, Urteil vom 26.06.2012, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 7 StVG Rn. 8). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus der im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25.06.2019 zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20.06.2019 (C-100/18, juris). Das nach dem Parken in Brand geratene Fahrzeug ist nach der Überzeugung des Senats mit dem in einer Waschstraße automatisch transportierten Fahrzeug nicht vergleichbar. Im Falle des in Brand geratenen geparkten Fahrzeuges hat der Fahrer den Parkvorgang bewusst herbeigeführt und das Fahrzeug an einer bestimmten Stelle abgestellt, an der es auch verbleibt. Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zu 1. keinen Einfluss darauf, wie und wohin ihr Fahrzeug aufgrund des automatisierten Wasch- und Transportvorganges in der Waschstraße bewegt wurde. Das Fahrzeug wurde im Ergebnis von seiner eigentlichen Funktion vollständig losgelöst.

Eine Haftung aus § 7 StVG kommt somit nicht in Betracht.“

Das OLG ist dann seinem Hinweis „gefolgt“ und hat im OLG Koblenz, Beschl. v. 05.08.2019 – 12 U 57/19 – die Berufung zurückgewiesen.

Überholen bei Sichtbehinderung, oder: Wer haftet wie?

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Die zweite Entscheidung kommt vom LG Saarbrücken. Dieses hat im LG Saarbrücken, Urt. v. 11.01.2019 – 13 S 142/18 -, über das der Kollege Gratz ja schon berichtet hat, über die Haftungsverteilung bei einem „Überholerunfall“ entschieden.

Folgendes Unfallgeschehen liegt der Entscheidung zugrunde: Der Kläger „beabsichtigte … mit seinem Ford C-Max (amtl. Kennz. pp.) nebst Anhänger aus der pp. kommend, nach links in die bevorrechtigte pp. (Zeichen 205) einzubiegen. Die Zeugin pp. befuhr mit ihrem Linienbus die pp. in Richtung pp. . Vor der Einmündung der pp. hielt sie das Fahrzeug an, da ein weiterer Linienbus die hinter der Einmündung befindliche Bushaltebucht blockierte. Sie gab dem an der Seitenlinie der Fahrbahn wartenden Kläger ein Handzeichen dahingehend, dass er gefahrlos in die pp. einfahren könne. Als dieser daraufhin anfuhr und sodann ein Stück über die Sichtlinie des Busses hinausragte, um auf die Gegenfahrbahn der pp. einbiegen zu können, kam es zur Kollision mit dem von der Beklagten zu 1) gesteuerten, bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Peugeot 106 der Beklagten zu 2) (amtl. Kennz. pp.), der den Linienbus überholen wollte. Dabei wurde der klägerische PKW im rechten Frontbereich, das Beklagtenfahrzeug an der rechten Seite beschädigt.

Mit der Klage hat der Kläger auf der Grundlage eines eigenen Mitverursachungsanteils von 40 % Schadensersatz verlangt. Das AG hat die Klage abgewiesen, da die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter dem Vorfahrtsverstoß des Klägers zurück trete. Hiergegen die Berufung des Klägers die teilweise Erfolg hatte. Das LG geht von einer Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu Lasten des Klägers aus:

„1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch der Kläger grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7 Abs. 1,17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies ist zu-treffend und wird von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen.

2. Soweit die Erstrichterin weiterhin im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG einen Verstoß des Klägers gegen § 8 Abs. 2 S 2 StVO (Missachtung der Vorfahrt) eingestellt hat, hält auch dies einer Überprüfung durch das Berufungsgericht stand.

a) Zutreffend ist zunächst der Ansatz des Erstgerichts, dass vorliegend für einen Verkehrsverstoß des Klägers ein Anscheinsbeweis streitet. Kommt es im Bereich einer vorfahrtsgeregelten Einmündung zu einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen und dem vorfahrtsberechtigten Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dafür, dass der Wartepflichtige den Unfall durch eine schuld-hafte Vorfahrtsverletzung verursacht hat (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 12.07.2013 – 13 S 71/13, NZV 2014, 30, vom 28.03.2014 – 13 S 196/13, NJW 2015, 177, vom 29.04.2016 – 13 S 3/16, juris, vom 07.10.2016, 13 S 35/16, juris und vom 22.09.2017 – 13 S 44/17).

b) Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert, wie die Erstrichterin zutreffend festgestellt hat. Hierfür wäre der Nachweis von Tatsachen erforderlich, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs eröffnen. Dies ist etwa der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Beginns des Abbiegevorgangs der Vorfahrtsberechtigte sich noch außerhalb der Sichtweite des Wartepflichtigen befunden hat oder noch so weit entfernt war, dass die glatte Durchfahrt des Bevorrechtigten nicht beeinträchtigt und dieser auch nicht etwa wegen der drohenden Möglichkeit eines Zusammenstoßes in Verwirrung gebracht, zu Ausgleichsbewegungen oder gar unsachgemäßem Verhalten genötigt wurde (vgl. Nachweise in den Kammerurteilen vom 09.07.2010 – 13 S 16/10 und vom 12.07.2013 – 13 S 71/13).

aa) Unabhängig davon, dass der Kläger überhaupt nicht vorgetragen hat, die Beklagte sei bei Beginn des Abbiegevorgangs noch außer Sichtweite gewesen oder habe sich in einer so großen Entfernung zum Kollisionsort befunden, dass ein Zusammenstoß nicht zu befürchten gestanden habe, ist nach den erstinstanzlichen Feststellungen jedenfalls davon auszugehen, dass es der Kläger vorliegend versäumt hat – ein langsames Hineintasten in die pp. bis zur Sichtlinie des Linienbusses kann insoweit nach der Zeugenaussage der Busfahrerin pp. zu seinen Gunsten unterstellt werden -, sich vor dem Beginn des eigentlichen Einbiegevorgangs noch einmal durch entsprechende Blickzuwendung nach links bezüglich des von dort herannahenden Verkehrs in dem erforderlichen Umfang zu orientieren. Damit hat er keine ausreichende Sorge dafür getragen, dass der bevorrechtigte Verkehr weder gefährdet noch wesentlich behindert wurde.

bb) Die Vermutung, dass sich dieser Sorgfaltsverstoß auch unfallursächlich ausgewirkt hat, hätte der Kläger allenfalls durch den Nachweis einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit der Erstbeklagten er-schüttern können, wenn dadurch Unfallvarianten in Betracht gekommen wären, in denen er, auch bei entsprechender Blickzuwendung, von einem gefahrlosen Herausfahren hätte ausgehen dürfen oder aber die Erstbeklagte bei Beginn des eigentlichen Abbiegevorgangs noch außerhalb der Sichtweite des Klägers gewesen wäre. Dies lässt sich, wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, den Zeugenaussagen nicht entnehmen. Auch ansonsten liegen keinerlei Hinweise auf eine überhöhte Geschwindigkeit vor, weshalb von einer ursprünglich beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens weitere Er-kenntnisse nicht zu erwarten waren. Dementsprechend hat der Kläger diesen Beweisantrag in der zwe-ten Instanz letztlich nicht mehr aufrechterhalten.

3. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Erstrichterin im Rahmen der Haftungsabwägung keinen schuldhaften Verkehrsverstoß der Beklagten mit einbezogen hat.

a) Auf einen etwaigen Verstoß der Erstbeklagten gegen §§ 20 Abs. 1, Abs. 5 StVO kann sich der Kläger nicht berufen, da die Vorschrift dem Schutz von Fußgängern dient (Spelz in: Freymann/Wellner, juris-PK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 20 StVO, Rn. 9), nicht aber dem des einmündenden Kraftverkehrs.

b) Gleiches gilt, soweit der Kläger behauptet hat, die Erstbeklagte habe die durchgezogene Mittellinie der Fahrbahn überfahren, als sie an dem Bus vorbeigefahren sei (§ 41 StVO, Zeichen 295). Die Fahrstreifenbegrenzung dient dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem des nachfolgenden, einbiegen-den, kreuzenden oder querenden Verkehrs (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 41 StVO, Rn. 307).

Auch lässt sich hieraus kein unmittelbares Überholverbot ableiten (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; OLG Hamm VRS 54, 458; zur durchgezogenen Linie auch Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Oktober 2001 – 4 U 10/01 – 2). Eine solche Markierung schützt allenfalls dort, wo sie sich wegen der Enge der Fahrbahn faktisch wie ein Überholverbot auswirkt, lediglich das Vertrauen des Vorausfahrenden, an dieser Stelle nicht mit einem Überholtwerden rechnen zu müssen (BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86MDR 1987, 1018; Kammerurteil vom 14.09.2012 -13 S 54/11 m.w.N.). Dies gilt allerdings nicht für den querenden Verkehr.

c) Ein Überholverbot aufgrund unklarer Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist entgegen der klägerischen Auffassung vorliegend ebenfalls nicht zu bejahen.

aa) Unklar ist nach allgemeiner Auffassung eine Verkehrslage, wenn der Fahrzeugführer nach allen objektiven Umständen des Einzelfalles mit einem gefahrlosen Überholen nicht rechnen kann. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Überholende nicht verlässlich zu beurteilen vermag, wie ein voraus-fahrendes Fahrzeug oder kreuzender oder einmündender Verkehr sogleich fahren wird oder er beispiels-weise die zum Überholen benötigte Strecke aufgrund Sichtbehinderungen nicht vollständig überblicken kann (Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 40).

bb) Der Linienbus der Zeugin pp. stand bei der Annäherung der Erstbeklagten unstreitig auf der rechten Fahrspur der pp. . Nach Angaben des Lebensgefährten der Erstbeklagten, des Zeugen pp. (Beifahrer), hatte er den rechten Blinker betätigt. Anzeichen dafür, dass der Bus anfahren würde, lagen unstreitig nicht vor. Zwar versperrte dieser Bus die Sicht des nachfolgenden Verkehrs auf die Einmündung der pp. und damit auch auf den dort wartenden Kläger, der Straßenverlauf der linken Fahrspur war aus Sicht der Erstbeklagten jedoch geradlinig und frei überschaubar. Konkrete Anzeichen, die Anlass zu der Befürchtung gegeben hätten, die vorfahrtsberechtigte Erstbeklagte könne ihre Fahrt nicht ungehindert fortsetzen, waren nicht vorhanden. Allein die Möglichkeit, dass vor dem wartenden Bus ein Fahrzeug die bevorrechtigte Fahrbahn queren könnte, rechtfertigt eine unklare Verkehrslage und ein daraus folgendes Überholverbot für den fließenden Verkehr auf der pp. in der konkreten Situation nicht (vgl. auch Kammerurteil vom 23. Januar 2015 – 13 S 170/14).

d) Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist gleichfalls nicht feststellbar. Dass die Erstbeklagte z.B. einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hätte, so dass dem Kläger ein ungefährdetes Vortasten bis zum Überblick überhaupt nicht möglich gewesen wäre, behaupten weder Klage noch Berufung.

Ob vorliegend ein Anwendungsfall der so genannten Lückenrechtsprechung gegeben ist, wonach sich derjenige, der an einer Kolonne aus mehreren Fahrzeugen vorbeifährt, bei erkennbaren Verkehrslücken innerhalb der Kolonne in Höhe von Kreuzungen und Einmündungen diesen Lücken nur mit gespannter Aufmerksamkeit und unter Beachtung einer Geschwindigkeit nähern darf, die ihm notfalls ein sofortiges Anhalten, auch vor unvorsichtig aus der Lücke herausfahrenden Fahrzeugen ermöglicht (vgl. Helle in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 5 StVO, Rn. 48; Kammerurteil vom 5. Dezember 2014 – 13 S 80/14), kann hier dahin stehen. Denn es kann mangels fehlender Kenntnis und mangels Möglichkeiten einer Rekonstruktion bzgl. des exakten Fahrverhaltens der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge und insbesondere deren Entfernung zueinander im Zeitpunkt der erstmaligen Reaktionsaufforderung an die Erstbeklagte nicht mehr beweissicher geklärt werden, ob diese bei entsprechender Sorgfalt den Unfall hätte vermeiden können. Dies geht zulasten des insoweit beweisbelasteten Klägers.

4. Nicht anzuschließen vermag sich die Kammer allerdings der Auffassung der Erstrichterin, die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs trete vorliegend angesichts des Verkehrsverstoßes des Klägers zu-rück. Zwar ist es zutreffend, dass ein Verstoß gegen die Vorfahrtsregelung die Alleinhaftung des Wartepflichtigen rechtfertigen kann (vgl. z.B. Kammer Urteil vom 09.06.2017 – 13 S 39/17). Diese Beurteilung folgt aus der besonderen Bedeutung der Vorfahrtsregelung, die dem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt auferlegt und deren Verletzung daher besonders schwer wiegt (so bereits BGH, Urteil vom 18.09.1964 – VI ZR 132/63, VersR 1964, 1195; vgl. auch BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 296/86, VersR 1988, 79). Vorliegend hat sich allerdings die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs verschuldensunabhängig bereits dadurch erhöht, dass die Beklagte zu 1) an dem Linienbus der Zeugin pp., der die Sicht auf den davor befindlichen Verkehrsraum teilweise versperrte, vorbeifuhr und sich schon dadurch in eine, im Unfall realisierte, gefahrträchtige Verkehrssituation begeben hatte, zumal auch eine Unterbrechung in der Mittellinie der Fahrbahn signalisierte, dass in diesem Bereich ein Kreuzen der Fahrbahn grundsätzlich möglich war. Dem trägt eine Haftungsverteilung von 25% zu Lasten der Beklagten und 75% zu La92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzel-fall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).“

Nichteheliche Lebensgemeinschaft, oder: Schutzpflicht für auf Bahnschienen abgestelltes Kfz des Partners?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zwei landgerichtliche Entscheidungen. Zunächst ist das das LG Köln, Urt. v. 09.05.2019 – 8 O 307/18. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde.

Die Parteien, die seit 2014 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebten, machten im April 2017 mit dem Fahrzeug des Klägers einen Ausflug. Der Kläger litt an einer Allergie, die ihn in unregelmäßigen und nicht vorhersehbaren Abständen zum Aufsuchen der Toilette veranlasste. Kurz vor Erreichen eines Ausflugslokals ereilte ihn ein solcher Anfall. Er hielt daher sein Fahrzeug auf der Fläche einer Bahngleisanlage an, um eine Toilette in einer in der Nähe befindlichen Gaststätte aufzusuchen. Dabei bemerkte er nicht, dass er sein Fahrzeug geringfügig linksseitig mit dem hinteren Teil der Karosserie auf den Bahnschienen abgestellt hatte.

Der Kläger bat daher die Beklagte beim Verlassen des Wagens darum, dass Fahrzeug sogleich wegzusetzen. Ein dann vorbei kommender Zeuge wies die Beklagte zudem darauf hin, die Gleise schnellstmöglich zu verlassen, da dort Züge verkehrten. Nachdem die Beklagte den Zeugen zunächst nur fragend ansah, wiederholte dieser die Warnung. Als die Beklagte dann das Fahrzeug auf der Beifahrerseite verlassen hatte, näherte sich ein Güterzug und erfasste das Fahrzeug. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 7.000 EUR. Er ist der Ansicht (gewesen), die Beklagte sei für den Schaden zumindest mitverantwortlich, sodass sie diesen zur Hälfte auszugleichen habe.

Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des ihm am 09.04.2017 entstandenen Schadens zu.

Zwischen den Parteien bestand kein Schuldverhältnis, aus dem sich die Pflicht der Beklagten, das Fahrzeug des Klägers aus dem Gleiskörper fortzusetzen, ergab. Durch den Zuruf des Klägers, die Beklagte solle seinen Pkw fortsetzen, wurde kein Auftragsvertrag im Sinne von § 662 BGB geschlossen. Die Beklagte hat kein auf den Abschluss eines Auftragsvertrages im Sinne von § 662 BGB gerichtetes Angebot des Klägers angenommen. Es ist bereits zweifelhaft, ob die an seine Lebensgefährtin gerichtete Bitte des Klägers überhaupt auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet war und nicht nur ein Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtliche Bindungen begründen sollte. Jedenfalls kann nicht angenommen werden, dass die Beklagte ein auf den Vertragsschluss gerichtetes Angebot des Klägers im Sinne von § 145 BGB angenommen hat, § 147 BGB. Nach dem Vorbringen beider Parteien hat die Beklagte dem Kläger weder ausdrücklich noch konkludent zu erkennen gegeben, dass sie rechtsverbindlich die Verpflichtung eingehen will, das Fahrzeug aus dem Schienenbereich zu entfernen. Auf der Grundlage des klägerischen Vortrages hat die Beklagte auf sein Ansinnen hin überhaupt nicht reagiert. Auch nach dem Beklagtenvortrag ist eine Willenserklärung gegenüber dem Kläger nicht ersichtlich. Danach ist sie erst nach dem Hinweis des Zeugen I ausgestiegen, um den Wagen zu versetzen.

Aus denselben Gründen kann auch der Abschluss eines Verwahrungsvertrages gemä? § 688 BGB nicht angenommen werden.

Allein der Umstand, dass die Parteien einen gemeinsamen Ausflug unternommen haben, begründet kein Schuldverhältnis im Sinne von § 311 BGB. Zwar ist denkbar, dass sich aus einer Fahrgemeinschaft wechselseitige Rechte und Pflichten für die Beteiligten ergeben können. Hierfür müssen jedoch Anzeichen für einen Rechtsbindungswillen vorliegen. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Mitglieder einer Fahrgemeinschaft abwechselnd zur Arbeitsstelle und zurück fahren und darauf vertrauen, dass die Absprache verlässlich eingehalten wird (OLG Köln VersR 2004, 189). Hier liegt der Fall jedoch anders. Die Parteien haben sich im Rahmen ihrer damaligen Beziehung zu einem Freizeitausflug zusammengefunden. Wechselseitige Rechte und Pflichten sollten hierdurch bei lebensnaher Betrachtung nicht begründet werden.

Die Beklagte haftet auch nicht aus § 823 BGB. Die Beklagte hat das Eigentum des Klägers nicht beschädigt. Ein aktives Handeln der Beklagten, das zur Beschädigung des Pkw geführt hat, liegt nicht vor. Die Beklagte hat den Tatbestand des § 823 BGB auch nicht durch pflichtwidriges Unterlassen verwirklicht. Da keine allgemeine Rechtspflicht besteht, Dritte vor Gefahren zu schützen, bleibt eine Tatsbestandsverwirklichung durch Unterlassen die Ausnahme und ist nur dann anzunehmen, wenn den Schädiger eine spezifische Pflicht zum Handeln getroffen hat. Eine solche Pflicht kann sich aus einer Verkehrssicherungspflicht oder einer Garantenstellung ergeben (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 100 ff.). Entgegen der Auffassung des Klägers haftet die Beklagte nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht für sein Eigentum. Verkehrssicherungspflichten knüpfen an den Gedanken an, dass jeder, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu schaffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 102). Abgesehen davon, dass die Beklagte das Fahrzeug nicht im Schienenbereich abgestellt hat und damit keine Gefahrenlage geschaffen hat, umfasst der Schutzbereich dieses Haftungsgrundsatzes nicht die Gefahrenquelle selbst, sondern andere Rechtsgüter. Die Beklagte war auch nicht aufgrund einer Garantenstellung verpflichtet, Schaden von dem Pkw abzuwenden. Eine Pflicht zum Handeln besteht nur dann, wenn jemand für den Geschädigten in besonderer Weise (= rechtsgutbezogen) verantwortlich ist. Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden, genügt hingegen nicht (Förster in: BeckOK BGB § 823 Rn. 103). Zwar kann aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine besondere Fürsorge- und Obhutspflicht folgen. Diese Pflichten beziehen sich regelmäßig auf persönliche Rechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit (Förster in BeckOK BGB § 823 Rn. 103.1, 103.2). Eine allgemeine rechtliche Verpflichtung, von den Vermögenswerten des Partners Schaden abzuwenden, lässt sich hieraus nicht ableiten.“

Gebrauchwagenkauf, oder: Wer hat denn nun wann am Tacho geschraubt?

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, hat auch etwas mit Manipulation zu tun. Es geht nämlich im OLG Jena, Beschl. v. 29.08.2019 – 1 U 239/19 – um eine Tachomanipulation beim Gebrauchtwagenkauf.

In dem Verfahren nimmt der Kläger den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises in Anspruch, den er aufgrund eines im Januar 2018 geschlossenen Kaufvertrags über einen Pkw der Marke Audi gezahlt hat. Der Vertrag nannte als Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs die Strecke von „ca. 195.000 km“ und verwies darauf, dass es mit einem Austauschgetriebe ausgestattet ist, das seinerseits eine Laufleistung von 125.000 km hinter sich hat. Das war auch der Tachostand bei Vertragsschluss. Er war das Ergebnis einer Manipulation, die der Beklagte im Jahre 2017 selbst in Auftrag gab, um den Wegstreckenzähler an die Laufleistung des Austauschgetriebes anzupassen. Dieses wurde aber schon früher eingebaut, namentlich als das Fahrzeug eine Laufleistung von 70.000 km oder 77.000 km aufwies.

Noch im Januar 2018 verlangte der Kläger im Wege einer WhatsApp-Nachricht vom Beklagten eine Herabsetzung des Kaufpreises mit der Begründung, die Laufleistung des Fahrzeugs liege in Wahrheit über 200.000 km. Er behauptet, der Beklagte habe ihm vor Abschluss des Kaufvertrags berichtet, die Veränderung des Tachostandes sei schon beim Einbau des Austauschgetriebes durch die Herstellerfirma erfolgt. Dass er die Manipulation selbst veranlasst habe, lasse gemeinsam mit dem Umstand, dass der Wagen, der eigentlich ein Vielfahrerfahrzeug sei, in 2017 dann nur eine sehr geringe Laufleistung erbracht hätte, den Schluss zu, dass die Gesamtlaufleistung in Wirklichkeit sehr viel höher liege.

Nach Erhebung der Klage zum LG hat der Kläger durch Schriftsatz vom 11.02.2019 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Anfechtung sei nach Ablauf der hierfür geltenden Frist erfolgt und ein Sachmangel deshalb nicht gegeben, weil der Beklagte
die Tachomanipulation bei Eingehung des Kaufvertrags offenbart habe.

Die Berufung des Klägers hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 24.07.2019 Bezug genommen, in dem ausgeführt ist:

„Der zulässigen Berufung muss nach derzeitigem Stand der Erfolg in der Sache versagt bleiben. Die Entscheidung des Landgerichts lässt weder entscheidungserhebliche Rechtsfehler erkennen, noch bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen (§§ 513, 529 ZPO). Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann die Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags weder nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wegen Anfechtung seiner Willenserklärung gemäß § 123 Abs. 1 BGB noch infolge eines wirksamen Rücktritts wegen eines Sachmangels gemäß §§ 437 Nr. 2, 346 Abs. 1 BGB verlangen oder im Rahmen einer Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.

1. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

Was die Anfechtungsfrist anbelangt, die sich nach § 124 Abs. 1 BGB auf ein Jahr beläuft und die das Landgericht für versäumt hält, will die Berufung zwischen der Behauptung einer über 200.000 km liegenden Laufleistung und der Frage der Urheberschaft der Manipulation des Messgeräts unterschieden wissen. Dies gelingt ihr nicht. Denn die eine Fehlvorstellung ist untrennbar mit der anderen verknüpft. Die in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 27. Januar 2018 zum Ausdruck gebrachte Annahme einer Laufleistung über 200.000 km ergibt sich ja gerade daraus, dass die Veränderung der Anzeige auf den Beklagten zurückgehen soll. Wäre der Kläger zu diesem Zeitpunkt nach wie vor davon ausgegangen, dass der Eingriff durch den Hersteller erfolgt war, hätte für ihn überhaupt kein Anlass zu Zweifeln daran bestanden, dass die im Vertrag angegebene Laufleistung der Wirklichkeit entspricht. Die Anfechtung des Kaufvertrags ist daher in jedem Fall verfristet.

2. Rücktritt wegen Sachmangels

a) Beschaffenheitsvereinbarung

Der Senat vermag sich der von der Berufung angestrebten Differenzierung zwischen Laufleistung und Urheberschaft der Tachomanipulation auch nicht im Hinblick auf die kaufrechtliche Gewährleistung anzuschließen. Da ein Eingriff in die Messung des Wegstreckenzählers eine Straftat nach § 22b Abs. 1 StVG bedeutet, kann die Frage ihrer Urheberschaft von vornherein nicht Gegenstand einer Verkehrserwartung an die Beschaffenheit einer Kaufsache gemäß § 434 Abs. 2 S. 2 BGB sein. Aus demselben Grund taugt sie aber auch nicht als Objekt einer wirksamen Beschaffenheitsvereinbarung gemäß Satz 1 der Vorschrift. Selbst wenn der vom Kläger angebotene Zeugenbeweis ergeben sollte, dass der Beklagte vor Vertragsschluss eine Veränderung der Anzeige durch den Hersteller behauptet haben sollte, folgte hieraus noch nicht, dass dies entgegen der Urkunde über den streitgegenständlichen Vertrag auch als Beschaffenheit des Fahrzeugs vereinbart worden wäre. Zum einen wäre eine Einigung über die Modalitäten einer Straftat als Merkmal der Kaufsache ohnehin wirkungslos gewesen (es gibt entgegen der Ansicht der Berufung keine „fachgerechte“ Manipulation). Zum anderen war, wie das Landgericht ebenfalls hervorgehoben hat, den vom Beklagten übergebenen Unterlagen eindeutig zu entnehmen, dass die Veränderung des Tachometers nicht anlässlich des Einbaus des Austauschmotors erfolgt sein konnte. Folglich kann dem Beklagten auch nicht unterstellt werden, sich auf eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Inhalt eingelassen zu haben, wie ihn der Kläger behauptet. Worüber sich die Parteien geeinigt haben und was aus der Urkunde auch klar hervortritt, ist allein die Divergenz zwischen der Anzeige des Tachometers und der wahren Laufleistung…………“

Gestellter Unfall?, oder: Was spricht dafür, was dagegen?

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Nach längerer Zeit stelle ich heute im „Kessel Buntes“ mit dem OLG Frankfurt, Urt. v. 08.04.2019 – 23 U 112/17 – mal wieder eine Entscheidung zum „gestellten Unfall“ vor (Anmerkung: „getürkt“ draf man ja nicht mehr schreiben, das gibt Ärger“). Das OLG hat in seiner Entscheidung dazu bzw. zu den Indizien, die für einen „gestellten Unfall“ sprechen – neben den Ausführungen zu einer verfahrensrechtlichen Fragestellung – wie folgt Stellung genommen:

„Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich vorliegend um einen gestellten Unfall. Dafür sprechen vorliegend folgende Indizien:

Das Geschehen hat sich Mitte November 2014 um … Uhr an einem Ort ereignet, an dem die Anwesenheit von zufälligen und unabhängigen Zeugen und damit die Gefahr der Entdeckung eines verabredeten Unfalls äußerst unwahrscheinlich war. Der Beklagte zu 2) hat das Schadensereignis auf dem Parkplatz vor dem sogenannten „X“ auf dem … in Stadt1 verursacht. Durchgangsverkehr auf dem Weg1 ist ausgeschlossen, sämtliche Einrichtungen auf dem … sind zu dieser Zeit frühmorgens geschlossen. Auch die zufällige Anwesenheit von Passanten war sehr unwahrscheinlich. Es handelte sich insgesamt gesehen unter Berücksichtigung der Jahres- und der Tageszeit um einen abgelegenen Ort.

Für den Beklagten zu 2) bestand überhaupt kein Anlass, das klägerische Fahrzeug zu beschädigen. Der – wie aus den vorgelegten Lichtbildern ersichtlich und zudem hinsichtlich der Örtlichkeiten gerichtsbekannt ist – weitläufige und übersichtliche Parkplatz war zum Unfallzeitpunkt nahezu leer. Geparkt war dort lediglich das Fahrzeug des Klägers, möglicherweise noch ein weiteres Fahrzeug. Der Beklagte zu 2) hatte damit eine überaus große Fläche zur Verfügung, um sein Fahrzeug ordnungsgemäß abzustellen. Warum der Beklagte zu 2) dann so dicht neben dem Fahrzeug des Klägers und zudem rückwärts parken wollte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte zu 2) hat dies auch in seiner informatorischen Anhörung nicht erklären können. Unter keinem Gesichtspunkt ist nachvollziehbar, dass es für den Beklagten zu 2) „ordentlicher“ war, derart dicht neben dem Fahrzeug des Klägers einzuparken. Zudem ist der Beklagte zu 2), wie er in der informatorischen Anhörung eingeräumt und auch der Sachverständige SV1 in seinem Gutachten vom 9. Januar 2017 festgestellt hat, dabei ungewöhnlich schnell gefahren. Der Sachverständige spricht ausdrücklich von einer „ungewöhnlich hohen Intensität“ des Einparkvorgangs. Dafür spricht auch, dass durch den Aufprall dem eigenen Bekunden des Beklagten zu 2) zufolge das parkende klägerische Fahrzeug seitlich verschoben wurde.

Der Beklagte zu 2) hat zudem das klägerische Fahrzeug beim versuchten Einparken nicht nur einfach gestreift, sondern durch ein kaum nachvollziehbares Fahrmanöver die gesamte linke Seite des klägerischen Fahrzeugs großflächig beschädigt. Der Sachverständige erwähnt in diesem Zusammenhang „mehrere unabhängig voneinander erfolgte Kontakte“. Der Beklagte zu 2) hat dies damit zu erklären versucht, dass er nach dem rückwärtigen Anstoßen den Vorwärtsgang eingelegt hat und wieder nach vorne gefahren ist. Auch das begegnet erheblichen Zweifeln. Der Beklagte zu 2) hat angegeben, der erste Kontakt beim rückwärtigen Einparken hätte am Heck des gegnerischen Fahrzeugs stattgefunden. Warum dann beim Vorwärtsfahren und einem Einschlagen des Lenkrades nach links und damit vom klägerischen Fahrzeug weg noch nahezu die gesamte Seite des Klägerfahrzeugs bis nahezu zum Vorderrad beschädigt wurde, ist nicht erklärlich.

Der Beklagte zu 2) hat ferner angegeben, er sei beim rückwärtigen Einparken „von der Kupplung gerutscht“. Der Beklagte zu 2) hat seit 1989 eine Fahrerlaubnis, nach eigenem Bekunden war ihm dies bis zum damaligen Zeitpunkt noch nie geschehen. Warum dem Beklagten zu 2) dies gerade in der streitgegenständlichen Situation, in der der Beklagte zu 2) weder abgelenkt war noch andere außergewöhnliche Umstände vorlagen, widerfahren ist, bleibt ebenfalls offen.

Insgesamt handelte es sich bei dem zum Schaden führenden Ereignis um einen einfach zu beherrschenden und vollkommen risikoarmen Vorgang, der die Fahrweise des Beklagten zu 2) als nicht erklärbar erscheinen lassen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass dem Beklagten zu 2) bei dem eigentlich einfachen Manöver – dem Einparken auf einem nahezu leeren und großen Parkplatz – gleich mehrere Fahrfehler unterlaufen sind, nämlich das Abrutschen von der Kupplung sowie das Anfahren nach vorne mit weiteren Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug, die bei einem geübten Kraftfahrer bereits schon einzeln äußerst ungewöhnlich sind und den Verdacht eines gestellten Verkehrsunfalls erwecken.

Mögen nach der Einlassung des Beklagten zu 2) diesem auch mehrere ungewöhnliche und schwer nachvollziehbare Fahrfehler unterlaufen sein, wird die Schilderung vollends unglaubwürdig durch die informatorische Anhörung des Klägers. Der Kläger hat mit auffallender Detailarmut eigentlich nur angegeben, der Beklagte zu 2) habe ihn im Arbeitsraum aufgesucht, kurz den Unfall geschildert und habe nach dem gemeinsamen Begehen der Unfallstelle seine Versicherung angerufen. Auf ausdrückliches Nachfragen hat der Kläger erklärt, er habe sich die Beschädigung seines Fahrzeugs im Einzelnen eigentlich gar nicht angeschaut, er sei B von Beruf und kenne sich da nicht aus. Ein solches Verhalten ist in jeder Beziehung lebensfremd. Auch ein Laie konnte und musste erkennen, dass der Beklagte zu 2) ein offenbar gänzlich sinnloses und überflüssiges Fahrmanöver vollzogen und dabei massive Schäden am klägerischen Fahrzeug verursacht hat. Dass der Kläger dies zunächst vollkommen kommentarlos hingenommen und den Beklagten zu 2) nicht nach Einzelheiten befragt haben will, obwohl sein Herz ihm wehgetan hätte, ist nicht nachvollziehbar. Erst auf ausdrückliches Befragen durch das Gericht hat der Kläger bekundet, er sei selbstverständlich aufgebracht gewesen, will aber gleichwohl dem Beklagten zu 2) – was überaus nahe gelegen hätte – keine Vorwürfe gemacht haben, obwohl letzterem unschwer bereits nach dem äußeren Geschehensablauf jedenfalls der Vorwurf eines außergewöhnlich grobem und ungewöhnlichem Sorgfaltsverstoß mit erheblichen Folgen gemacht werden konnte und musste. Wichtig war für den Kläger in erster Linie, dass „keine Polizei“ geholt werden müsse, wie der Beklagte zu 2) nach einem Telefonat mit seiner Versicherung ihm versichert habe.

Zu den oben dargestellten Ungereimtheiten und Widersprüchen kommen weitere Indizien für einen gestellten Unfall hinzu, die zwar jeweils für sich genommen „unverdächtig“ sind, aber im Zusammenhang und unter Berücksichtigung des Verhaltens des Klägers und des Beklagten zu 2) den Eindruck verstärken, dass vorliegend ein Unfall lediglich gestellt wurde. So sind beide Parteien Landsleute und haben sich auf Polnisch vor Ort verständigt. Beide Parteien kannten sich von gemeinsamen Besuchen im örtlichen Fitnesscenter. Beide Parteien wohnen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelte es sich um ein höherwertiges Fahrzeug mit hoher Laufleistung, welches einen Totalschaden erlitt, dessen Schäden auf Gutachterbasis abgerechnet wurden, aber so beschaffen waren, dass sie wesentlich kostengünstiger repariert werden konnten, wie hier auch geschehen. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2) besaß einen äußerst geringen Wert und wurde erst wenige Tage vor dem streitgegenständlichen Ereignis bei der Beklagten zu 1) versichert.“