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„Viel“ Nutzungsausfall, oder: Reparatur hat 159 Tage gedauert

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Und als zweite zivilrechtliche Entscheidung dann das OLG Düsseldorf, Urt. v. 09.03.2021 – 1 U 77/20.

Es geht um Nutzungsausfall-. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 11.06.2018 ereignete. Zur Ermittlung der an ihrem Kraftfahrzeug durch den Unfall hervorgerufenen Schäden gab die Klägerin am 29.06.2008 ein Gutachten der DEKRA in Auftrag, welches am 02.07.2018 erstellt und der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 23.07.2018 übersandt wurde. In dem Gutachten wurden Reparaturkosten in Höhe von 10.464,61 netto (12.452,89 Euro brutto), eine Wertminderung in Höhe von 1.400,00 Euro und eine Reparaturzeit von vier Tagen bei einem Nutzungsausfallbetrag von 79,00 Euro pro Tag ausgewiesen. In dem Schreiben vom 23.07.2018 wurden die Bruttoreparaturkosten, die Wertminderung, ein Nutzungsausfallschaden in Höhe von 316,00 Euro (4 Tage x 79,00 Euro), Kosten der Begutachtung in Höhe von 772,55 Euro sowie eine Auslagenpauschale von 40,00 Euro geltend gemacht, mithin ein Gesamtbetrag von 14.981,44 Euro. Hinzu kamen außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro. Mit Schreiben vom 01.08.2018 wies die Beklagte die Ansprüche der Klägerin zurück mit der Begründung, dass nach Angaben des Beifahrers des bei ihr versicherten Fahrzeugs dieses bei gelber Ampelschaltung in den Kreuzungsbereich eingefahren sei, sodass keine Eintrittspflicht bestehe.

Am 09.08.2018 erteilte die Klägerin der Firma M. GmbH einen Reparaturauftrag mit der Maßgabe, dass mit der Reparatur erst nach eindeutiger Klärung der Haftungsfrage begonnen werden solle. Nachdem die Klägerin am 14.08.2018 über die Ordnungsbehörde erfahren hatte, dass der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs seinen Einspruch gegen einen gegen ihn wegen des Unfalls erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte, wurde am selben Tag mit der Reparatur begonnen. Während der Zeit der Reparatur nutzte die Klägerin einen Pkw X., der jedenfalls auch durch ihren Sohn genutzt wurde. In den Zeiträumen vom 10.09.2018 bis zum 20.09.2018 und vom 15.10.2018 bis zum 05.11.2018, in denen sich der Sohn mit dem Fahrzeug im Urlaub befand, nutzte die Klägerin einen Mietwagen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.01.2019 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die bereits im Schreiben vom 23.07.2018 genannten Forderungen geltend, allerdings mit der Maßgabe, dass nunmehr ein Nutzungsausfall für 159 Tage zu je 79,00 Euro, mithin 12.561,00 Euro, sowie zusätzlich die Erstattung zweier Mietwagenrechnungen in Höhe von zusammen 2.093,59 Euro für die Urlaubszeiträume ihres Sohnes, also 31 Tage, gefordert wurde. Der eingeforderte Gesamtbetrag erhöhte sich dadurch auf 29.283,24 Euro. Anwaltskosten wurde nunmehr in Höhe von 1.358,86 Euro gefordert. Es wurde eine Frist zur Zahlung bis zum 31.01.2019 gesetzt.

Die Beklagte zahlte in der Folge an die Klägerin einen Betrag von 16.707,44 Euro, verweigerte jedoch eine Zahlung auf den Nutzungsausfallanspruch für 159 Tage. Auch Anwaltskosten wurden nicht erstattet. Mit der Klage macht die Klägerin die Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 12.561,00 Euro sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

Zur langen Reparaturdauer trägt die Klägerin vor, dass ein Airbag-Modul für die Beifahrerseite längere Zeit nicht geliefert worden sei, ohne dass das Fahrzeug nicht betrieben werden dürfe. Bei Lieferung des Moduls habe sich dann herausgestellt, dass auch der Kabelbaum der Beifahrertür defekt gewesen sei, weswegen dieser habe nachbestellt und eingebaut werden müssen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Verzögerungen bei der Reparatur des unfallbeschädigten Kfz, die nicht vom Geschädigten zu vertreten sind, gehen zu Lasten des Schädigers. Insofern kann von dem Geschädigten eine Nutzungsausfallentschädigung auch für einen längeren Zeitraum (hier: 104 Tage) beansprucht werden.

  2. Hat die Werkstatt die Verzögerung mit Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen (hier: Airbag-Modul für die Beifahrerseite) begründet, trifft den Geschädigten keine dahingehende Schadenminderungspflicht, selbst bei anderen Werkstätten oder bei dem Fahrzeughersteller nach der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu forschen. Er darf sich vielmehr grundsätzlich darauf verlassen, dass die von ihm beauftragte Werkstatt sich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um die zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen wird.

  3. Der Geschädigte muss sich zur Verkürzung der Ausfallzeit grundsätzlich nicht mit einer Teilreparatur seines Kfz zufrieden geben.

  4. Dem Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung steht nicht entgegen, dass dem Geschädigten während der Ausfallzeit seines Kfz von einem Familienmitglied ein anderes Kfz zur Verfügung gestellt worden ist. Insofern handelt es ich um die freiwillige Leistung eines Dritten, die den Schädiger nicht entlastet.

Haftungsverteilung im Innenverhältnis, oder: Tätigkeit bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs

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Im Kessel Buntes dann heute zunächst das OLG Celle, Urt. v. 16.12.2020 – 14 U 77/19 – zur Frage des  Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG betreffend einen aussteigenden Beifahrer.

Dazu folgender Sachverhalt: Der Beklagte zu 1) fuhr nachts mit dem bei der Beklagten zu 3) Kfz-haftpflichtversicherten Taxi, dessen Halter der Beklagte zu 2) war, eine BAB . Der Beklagte zu 1) beförderte die britischen Soldaten T., C. und H. Die Fahrgäste waren erheblich alkoholisiert, bei T. wurde später eine BAK von 1,79 ‰ festgestellt. Der Beklagte zu 1) stoppte das Fahrzeug auf dem Seitenstreifen, weil sich der hinten links sitzende H. übergeben musste. Der Beifahrer T. stieg aus und begab sich zur linken hinteren Tür, die H. zwischenzeitlich geöffnet hatte, um seinem Kameraden zu helfen. Kurze Zeit später näherte sich auf der rechten von drei Fahrspuren ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Sattelzug, der vom Zeugen W. gesteuert wurde. Er kollidierte mit der geöffneten Türe des Beklagtenfahrzeugs und erfasste T., der dabei schwer verletzt wurde und später infolge der Unfallverletzungen verstarb.

Die Klägerin regulierte die Schäden des Verstorbenen, dessen Erben und des Vereinigten Königreichs unter Annahme einer Mithaftungsquote des Getöteten von 25 %. Nunmehr macht die Klägerin gegenüber den Beklagten Regressansprüche geltend und begehrt Erstattung von 50 % ihrer Aufwendungen. Die Beklagten sehen eine Mithaftung gegenüber dem Getöteten nicht, insbesondere da die Haftung nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen sei.

Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr dem Grunde nach stattgegeben, Zur Anwendung des § 8 StVG führt das OLG aus:

„dd) Die Haftung der Beklagten ist auch nicht nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen.

Diese Vorschrift schließt die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters aus, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs oder Anhängers tätig war. Erfasst werden Personen, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zum Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, auch wenn sie nur aus Gefälligkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind (König in: Hentschel/Dauer/König, a.a.O., § 8 StVG Rn. 3 f.). Der Sinn und Zweck des gesetzlichen Haftungsausschlusses besteht darin, dass der erhöhte Schutz des Gesetzes demjenigen nicht zuteilwerden soll, der sich durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt (u. a. Senat, Urteil vom 17. Februar 2000 – 14 U 32/99 –, Rn. 13 m. w. N, juris). Als Ausnahmevorschrift ist die Bestimmung des § 8 Nr. 2 StVG eng auszulegen BGH, Urteil vom 05. Oktober 2010 – VI ZR 286/09 –, Rn. 23, juris). Für die Anwendung des § 8 StVG kommt es nicht auf die Art der Tätigkeit zur Zeit eines Schadensfalles an, sofern sie nur der Förderung des Betriebes des Kfz dient. Doch setzt die Tätigkeit bei dem Betrieb eines Kfz im Allgemeinen eine gewisse Dauer voraus, wie sie beispielsweise der Fahrer im Verkehr ausübt. Fehlt es an einer Dauerbeziehung, wie es bei gelegentlichen Hilfeleistungen an dem Betriebe unbeteiligter Personen der Fall ist, so kann eine den Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG herbeiführende Tätigkeit nach Sinn und Zweck des Gesetzes nur angenommen werden, wenn sie in einer so nahen und unmittelbaren Beziehung zu den Triebkräften des Kfz steht, dass der Tätige nach der Art seiner Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kfz-Betriebs mehr ausgesetzt ist als die Allgemeinheit (BGH, a. a. O.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Getötete nicht bei dem Betrieb des Taxis tätig. Er fuhr als Beifahrer mit, wurde also lediglich befördert. Dies allein genügt nicht (vgl. auch König in: Hentschel/Dauer/König, a. a. O., Rn. 4 m. w. N.). Auch das Öffnen der Tür, Aussteigen und Hingehen zum Mitfahrer H., um diesem zu helfen, vermag die Annahme, der Getötete sei damit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden, bei lebensnaher Betrachtung unter Berücksichtigung der gebotenen engen Auslegung des § 8 Nr. 2 StVG (s.o.) nicht zu begründen. Denn mit diesem Verhalten wird der Betrieb des Kfz nicht gefördert oder sonst in irgendeiner Weise auf den Betrieb des Fahrzeugs eingewirkt. Eine unmittelbare Beziehung zu den Triebkräften des Kfz besteht nicht. Auch war der Getötete dadurch den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs nicht in maßgeblichem Umfang mehr ausgesetzt als zuvor als beförderter Beifahrer. Soweit das Oberlandesgericht München in einer Entscheidung aus dem Jahr 1966 annahm, der Insasse eines Kfz, der beim Aussteigen selbst die Tür öffnet, sei insoweit beim Betrieb des Kfz tätig; der Kraftdroschkenunternehmer hafte daher dem zahlenden Fahrgast nicht nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung, wenn dieser bei einem solchen Vorgang verletzt wird (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Juni 1966 – 10 U 866/66 –, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenfalls kritisch: König in: Hentschel/Dauer/König, a. a. O., Rn. 4).

ee) Der Verweis der Beklagten auf §§ 104, 106 SGB VII geht fehl. Der Beklagte zu 1) bzw. die Beklagten waren nicht Unternehmer im Sinne von §§ 104 Abs. 1, 136 Abs. 3 SGB VII. Der Unfall stellt keinen Versicherungsfall im Sinne von § 7 SGB VII – Arbeitsunfall oder Berufskrankheit – dar, was aber erforderlich wäre (vgl. (Hollo in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 104 SGB VII, Rn. 11, juris). Entgegen der auch in der Berufungserwiderung vertretenen Ansicht war der Geschädigte auch nicht gesetzlich unfallversichert, weil die Voraussetzungen des von den Beklagten angeführten § 2 Abs. 1 Nr. 13 a) Alt. 2 SGB VII nicht vorliegen. Gemäß dieser Vorschrift sind kraft Gesetzes versichert solche Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Die Beklagten vertreten die Ansicht, der Geschädigte habe den Zeugen H. vor gemeiner Gefahr schützen bzw. in Not Hilfe leisten wollen. Denn das Handeln des Geschädigten habe nur dazu gedient zu verhindern, dass der Zeuge H. aus dem Fahrzeug aussteige und auf die Autobahn torkele. Letzteres ist jedoch nicht erwiesen (dazu s.u. lit. ff) (3)) bzw. Spekulation. Dass ein sofortiges Einschreiten des Geschädigten objektiv erforderlich war, um den Zeugen H. zu schützen, ist nicht erwiesen. Der von den Beklagten angeführte Fall, den das Bundesozialgericht zu entscheiden hatte, ist nicht vergleichbar. Denn dort war eine Gefahrensituation gegeben, weil neben der Mittelleitplanke eine Stützradführungshülse lag, die bis an den Rand der Überholspur ragte; das Bundessozialgericht bejahte deshalb das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gefahr (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2012 – B 2 U 7/11 R –, juris).“

Unfallschadenregulierung, oder: Kosten der Reinigung nach einer Lackierung/einer Probefahrt

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Heute am Karsamstag „köchelt“ im „Kessel Buntes“ dann zuerst das AG Buxtehude, Urt. v. 11.03.2021 – 31 C 529/20.

Das AG hatte die Frage zu beantworten, ob die Reinigungskosten nach einer Lackierung und die Kosten für eine Probefahrt im Rahmen der Unfallschadenregulierung vom Schädiger zu erstatten sind. Das AG hat die Frage bejaht:

„Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung restlichen Schadensersatzes in Höhe der ausgeurteilten Summe aus § 7 Abs. 1 StVG. Die 100 %ige Haftung der Beklagten ist unstreitig.

Der Kläger kann als Geschädigter von der Beklagten den zur Schadensbeseitigung erforderlichen Herstellungsaufwand gemäß § 249 BGB ersetzt verlangen. Erforderlich im Sinne von § 249 BGB ist, was ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch aus Sicht des Geschädigten für erforderlich halten durfte. Vorliegend hat der Geschädigte den Reparaturauftrag gemäß dem Gutachten des Sachverständigenbüros pp. vom 22.07.2019 erteilt. In dem Gutachten sind ebenfalls Kosten für Reinigungsarbeiten nach der Lackierung sowie für eine Probefahrt enthalten. Entsprechend dem Gutachten hat die Werkstatt dann auch abgerechnet. Es bestand daher aus Sicht des Klägers als Geschädigten keine Zweifel an der Richtigkeit der Abrechnung. Soweit hier evtl. zu hoch abgerechnet wurde, trägt die Beklagte als Schädiger das sog. Werkstattrisiko, wobei aber vorliegend auch aus Sicht des Gerichtes keine Zweifel an der Erforderlichkeit der abgerechneten Positionen Reinigungsarbeiten und Probefahrt bestehen.“

Haft II: Unrechtmäßige Strafhaft, oder: Wie hoch ist die Entschädigung/das Schmerzensgeld/Tag?

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Die zweite Entscheidung des Tages behandelt die Frage der Entschädigung für unrechtmäßig erlittene Haft.

Ergangen ist der OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2020 – 11 W 67/20 – in einem PKH-Verfahren.

Der Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach § 839 BGB, Art.34 GG für eine zu Unrecht erlittene Strafvollstreckungshaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018.

Der Antragsteller wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des LG Hagen vom 21.03.2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht. Das Urteil wurde am Tag der Verkündung rechtskräftig. Vor Erlass des Strafurteils war der Antragsteller per Unterbringungsbefehl in der Zeit vom 12.10.2017 bis zum 21.03.2018 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Der Unterbringungsbefehl wurde am letzten Tag der Hauptverhandlung aufgehoben.

Am 25.10.2018 erließ die Staatsanwaltschaft Hagen einen Strafvollstreckungshaftbefehl aufgrund des Urteils vom 21.03.2018. Dabei blieb unberücksichtigt, dass die Zeit der Unterbringung auf die Strafhaft anzurechnen war, daher erging der Haftbefehl zu Unrecht. Am 13.11.2018 wurde der Antragsteller auf Grund des Haftbefehls festgenommen und in die JVA Hagen zur Verbüßung der Strafhaft überstellt. Am 27.11.2018 fiel die unrechtmäßige Inhaftierung des Antragstellers auf, er wurde am gleichen Tag entlassen.

Der Antragsteller macht wegen der rechtswidrigen Inhaftierung einen Schmerzensgeldanspruch gegen das Land NRW geltend. Vorgerichtlich zahlte das Land ein Schmerzensgeld von 600,00 € (= 40,00 €/Tag) und erstattete dem Antragsteller Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.

Der Antragsteller beantragt jetzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine u.a. auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen gerichtete Klage.

Das LG hat hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiese. Das OLG hat teilweise bewilligt,

„Die gem. §§ 127 Abs.2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die beabsichtigte Klage des Antragstellers hat Aussicht auf Erfolg, soweit er wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft über das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 600,00 € weitere 900,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 54,15 € verlangt.

1. Dass dem Antragsteller wegen der unrechtmäßig erlittenen Strafhaft in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 gegen das antragsgegnerische Land dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 839, 253 Abs.2 BGB, Art.34 GG zusteht, steht zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens außer Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Antragstellers zuzuerkennenden angemessenen Schmerzensgeldes.

Der Senat bemisst das angemessene Schmerzensgeld nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umständen für die 15 Tage unrechtmäßig erlittener Haft auf einen Betrag von insgesamt 1.500,00 €. Dieser Betrag erscheint erforderlich aber auch ausreichend, um das erlittene Unrecht auszugleichen und dem Antragsteller Genugtuung zu verschaffen.

Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die Dauer der erlittenen Haft, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Antragstellers während der Haft sowie das Maß der Pflichtwidrigkeit und des Verschuldens ausschlaggebend.

Im Ausgangspunkt sind die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das antragsgegnerische Land folgen der ständigen Rechtsprechung des Senats, der zur Bemessung des Schmerzensgeldes wegen einer unrechtmäßig erlittenen Haft – wie eine Reihe weiterer Oberlandesgerichte – regelmäßig auf die Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG abstellt (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.11.2001, Az.: 11 W 23/01, Tz.10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2011, 10 W 14/11, Tz. 29; OLG München, Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, Tz.62, alle zitiert nach juris; Senat, Urt. v. 15.08.2018, Az.: 11 U 138/17). Des Weiteren nimmt der Senat – wie auch das Landgericht – die Rechtsprechung des EGMR in den Blick, wonach durchgängig rund 500,00 € pro Monat für Fälle konventionswidriger Sicherungsverwahrung in Deutschland als angemessen gesehen werden (vgl. Urt. v. 19.04.2012, 61272/09; Urt. v. 19.01.2012, 21906/09; Urt. v. 24.11.2011, 48038/06; Urteile v. 13.01.2011, 17792/07; 20008/07; 27360/04; 42225/07; Urt. v. 17.12.2009, 19359/04). Die von anderen Oberlandesgerichten angenommenen Schmerzensgeldbeträge für eine rechtswidrig erlittene Haft haben sich bisher in einem Bereich zwischen 20,00 € u. 40,00 €/Tag bewegt. Der Senat hat bisher regelmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung einen Betrag von 40,00 €/Tag zu Grunde gelegt, da er es für erforderlich hält, die sich nach dem StrEG und der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Beträge angemessen zu erhöhen, um den Umständen Rechnung zu tragen, dass die Haft, anders als die nach dem StrEG zu entschädigenden Fälle, unrechtmäßig angeordnet worden ist, und, anders als die wegen eines Verstoßes gegen Art.5 Abs.1 EMRK zugesprochenen Entschädigungen, auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht.

Der Senat berücksichtigt bei der Bemessung des in Betracht kommenden angemessenen Schmerzensgeldes außerdem die zum 08.10.2020 in Kraft getretene Änderung des § 7 Abs.3 StrEG, wonach die Entschädigung für jeden angefangenen Tag einer (rechtmäßig) angeordneten Freiheitsentziehung nunmehr 75,00 € beträgt. Da die geänderte Vorschrift des § 7 Abs.3 StrEG nach dem Willen des Gesetzgebers ab dem Tag ihres Inkrafttretens maßgeblich ist (BT Drs 19/17035, S.7), orientiert sich der Senat bei der hier vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldbetrages an der nunmehr gültigen Fassung des StrEG. Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass der Betrag nach dem StrEG bei rechtswidriger und schuldhafter Anordnung der Haft angemessen zu erhöhen ist. Nach Abwägung der im vorliegenden Fall vorgetragenen Umstände des Einzelfalls bemisst der Senat das Schmerzensgeld für die in dem Zeitraum vom 13.11.2018 bis zum 27.11.2018 erlittene Haft mit einem Betrag von insgesamt 1.500,00 €, worauf das antragsgegnerische Land vorgerichtlich bereits 600,00 € gezahlt hat.

Konkrete Umstände, die abweichend von der Praxis des Senats die Zahlung eines deutlich von den Eckbeträgen des StrEG und der EMRK abweichenden Schmerzensgeldes erforderlich machen, hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht dargetan. Von daher besteht keine Veranlassung dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes zu bewilligen, allein damit über sein Begehren im Hauptsacheverfahren entschieden werden kann. Da die der Bemessung des Schmerzensgeldes zu Grunde liegenden Umstände unstreitig sind, bedarf es keiner weiteren Klärung durch ein Hauptsacheverfahren. Die Bestimmung der angemessenen Höhe des Schmerzensgeldes betrifft außerdem lediglich den vorliegenden Einzelfall, so dass im Hauptsacheverfahren keine grundsätzlichen Fragen zu klären sind. Auch die von dem Antragsteller angeführten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Koblenz, München und Karlsruhe rechtfertigen keinen anderen Ansatzpunkt für die Schmerzensgeldbemessung. Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit dem Beschluss vom 07.03.2018, 1 U 1025/17, die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, dass das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 400,00 € zum Ausgleich für eine unrechtmäßige Ingewahrsamnahme von 13 Stunden angemessen und ausreichend sei. Keineswegs ergibt sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass eine unrechtmäßige Freiheitsentziehung mindestens ein Schmerzensgeld von 400,00 €/Tag erforderlich erscheinen lässt. Soweit der Antragsteller zutreffend darauf hinweist, dass das Oberlandesgericht München wegen zu Unrecht verhängter Beugehaft mit Urteil vom 27.05.1993, Az.: 1 U 6228/92, ohne Rücksicht auf die Entschädigungsbeträge nach dem StrEG ein Schmerzensgeld von 1.500,00 DM wegen 4 Tage unrechtmäßig angeordneter Haft für angemessen gehalten hat, ist die Entscheidung durch die nachfolgende Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München überholt (vgl. Urt. v. 22.03.2013, Az.: 1 U 1488/13, veröffentlicht bei juris). Dem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12.11.2015, Az.: 9 U 78/11, lag schließlich ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem dortigen Verfahren ist dem Kläger für eine zweimonatige rechtswidrige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Schmerzensgeld von 25.000,00 € zugesprochen worden, wobei bei der Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Unterbringung mit einer Zwangsmedikation einhergegangen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O., Tz.56 – juris).“

Veranlassung zur Klage gegeben? oder: Verzug des Haftpflichtversicherers?

Im zweiten Posting des Tages geht es dann um den OLG Dresden, Beschl. v. 26.10.2020 – 4 W 640/20. Er nimmt Stellung zur Kostentragungspflicht hinsichtlich von Prozesskosten im Rahmen der Unfallschadenregulierung, und zwar auf der Grundlage folgenden Verfahrensablaufs:

Die Klägerin hat ursprünglich von den Beklagten Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 23.11.2019 verlangt. Mit Schreiben vom 02.12.2019 bat sie um Bestätigung der Einstandspflicht und bezifferte den von ihr „derzeit“ geltend gemachten Schaden auf 7.181,51 €. Am 04.12.2019 teilte die Beklagte zu 2) – die Haftpflichtversicherung – mit, sie habe noch Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte erbeten. Mit Schreiben vom 06.01.2019 bot der anwaltliche Vertreter der Klägerin an, die ihm bereits vorliegende Ermittlungsakte der Beklagten zu 2.) zu übermitteln und erklärte zugleich, er habe die Ansprüche seiner Mandantschaft ausdrücklich anzumahnen. Am 10.01.2020 erweiterte die Klägerin ihre Schadensersatzforderung um Zulassungs- und Mietwagenkosten auf nunmehr 9.953,14 €. Die mit der seit dem 23.1.2020 anhängigen Klage geltend gemachten Ansprüche hat die Beklagte zu 2) mit Zahlungseingang am 27.01.2020 beglichen. Am 20.02.2020 erklärte die Klägerin Klagerücknahme unter Verwahrung gegen die Kostenlast. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde vertritt die Klägerin die Auffassung, die in der Rechtsprechung den Versicherern allein zugebilligte Prüffrist von 4 bis 6 Wochen habe die Beklagte verstreichen lassen, da von der ersten Schadensgeltendmachung bis zur Klageeinreichung siebeneinhalb Wochen vergangen seien. Trotz der Bereitschaft zur Übersendung der Ermittlungsakte im Schreiben vom 06.01.2020 habe die Beklagte zu 2.) nicht auf ein weiteres Zuwarten durch die Klägerin vertrauen dürfen. Denn in demselben Schreiben sei ein ernsthaftes Zahlungsverlangen zum Ausdruck gebracht worden.

Das OLG folgt dem LG, und zwar mit folgenden Leitsätzen der Entscheidudng:

  1. Veranlassung zur Klage nach einem Verkehrsunfall gibt der Haftpflichtversicherer erst dann, wenn er sich im Zeitpunkt der Klageerhebung in Verzug befindet; hierfür bedarf es nicht nur einer Schadensaufstellung, sondern auch einer sich anschließenden Mahnung.

  2. Unabhängig hiervon ist dem Versicherer mit Zugang der Schadensmeldung eine angemessene Prüffrist zuzubilligen, die regelmäßig vier bis sechs Wochen beträgt, abhängig von den Umständen des Einzelfalls aber auch länger laufen kann.

  3. Bietet der Geschädigte dem Versicherer an, ihm Einsicht in eine bei ihm vorliegende Ermittlungsakte zu verschaffen, ist der Lauf der Prüffrist solange gehemmt, bis diese Akte dem Versicherer vorliegt.

Ach ja: RVG-Kommentar und OWi-Handbuch, jeweils 6. Auflage, sind da (vgl. dazu Endlich sind sie da, oder: Geschafft – RVG-Kommentar und OWi-Handbuch, jeweils 6. Auflage, da sind sie).