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Befangenheit III: Reicht Arzt-Patienten-Verhältnis?, oder: Reicht auch in „Nichtarzthaftungssachen“

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Die dritte Entscheidung stammt dann auch aus dem Zivilrecht, und zwar aus einem familiengerichtlichen Verfahren.

Gestritten wird im Unterhalt für ein aus einer außerehelichen Beziehung hervorgegangenes Kind. Der Antragsgegner ist Zahnarzt. Der Richter teilte am 11.11.2022 den Beteiligten mit, dass er selbst Patient beim Antragsgegner ist und forderte die Beteiligten zur Stellungnahme auf. Mit Schriftsatz vom 18.11.2022 erklärte die Antragstellervertreterin, dass sie beantrage, dass der Richter für befangen erklärt werde und die Zuständigkeit wechsle. Mit Vermerk vom 09.01.2023 leitete der Abteilungsrichter die Akte weiter zur Prüfung des Antrags „im Hinblick auf die bedenkliche Gemengelage im Hinblick auf das vertrauliche Arzt-Patient-Verhältnis“.

Das AG hat im AG Schwetzingen, Beschl. v. 23.01.2023 – 1 F 228/22 – die Besorgnis der Befangenheit bejaht:

„Auch inhaltlich ist die Ablehnung gerechtfertigt. Es liegt ein Grund vor, der im Sinne von § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG iVm § 42 Abs. 2 ZPO geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder sich selbst befangen fühlt. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03 –, Rn. 6, juris).

Das Arzt-Patient-Verhältnis zwischen dem Richter und dem Antragsgegner ist als eine persönliche und rechtliche Beziehung zu qualifizieren, welche im Ergebnis ausreichend ist, für einen objektiven Beobachter Anlass zu Zweifeln zu geben.

Die Rechtsprechung sieht die Besorgnis der Befangenheit beispielsweise in Arzthaftungsprozessen in der Regel als berechtigt, wenn der Richter selbst Patient des Arztes war oder ist (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 5 W 36/11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 13 W 22/19; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 – 5 U 1011/11). Der Grund hierfür wird darin gesehen, dass zwischen dem Arzt und seinem Patienten immer ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, nicht nur in Einzelfällen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 5 W 36/11 –, Rn. 6, juris). Dies sei nur bei einmaligen, lange zurückliegenden oder weniger bedeutenden Maßnahmen nicht der Fall (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 13 W 22/19, Rn. 15, juris). Außerdem sei es nicht abwegig, wenn ein Beteiligter befürchte, der Richter könne Angst haben, ein negativer Ausgang des Prozesses für den Arzt könnte seine zukünftige Behandlung beeinflussen (OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Februar 2012 – 5 U 1011/11 –, Rn. 3, juris).

All diese Überlegungen sind nicht nur im Arzthaftungsprozess von Bedeutung, sondern auch in sonstigen Rechtsstreitigkeiten, zumindest solchen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Für die Frage, ob zwischen dem Arzt und dem Richter ein besonderes Verhältnis besteht, ist es allenfalls am Rande erheblich, ob Gegenstand des Verfahrens die ärztliche Tätigkeit ist oder nicht. Die Tatsache, dass der Patient seine gesundheitlichen Belange dem Arzt anvertraut und sich mit diesen in die Hände des Arztes begibt, ist in jedem Fall gegeben. Ebenso ist die Befürchtung, der Richter könne Folgen für seine eigene Behandlung besorgen, im Unterhaltsverfahren nicht weniger berechtigt.

Daher kann auch außerhalb des Arzthaftungsprozesses davon ausgegangen werden, dass ein Arzt-Patienten-Verhältnis zwischen einem Verfahrensbeteiligten und dem Richter eine Besorgnis der Befangenheit regelmäßig begründet.

Aus den Umständen des Einzelfalles ergibt sich nichts anderes. Der Richter hat angegeben, dass er seit etlichen Jahren regelmäßig zu Untersuchungen und Zahnreinigung in die Praxis des Antragsgegners geht. Auch wurde über vertrauliche gesundheitliche Belange gesprochen. Es besteht also eindeutig ein Vertrauensverhältnis. Auch hat der Rechtstreit für den Antragsgegner erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Die Unterhaltspflicht für ein Kind belastet ihn in erheblichem Umfang von langer Dauer.“

Befangenheit II: Vorbefassung der Ehefrau des Richters, oder: Teilnahme am „einstimmigen Beschluss“

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 09.02.2023 – I ZR 142/22 – geht es auch um die Besorgnis der Befangenheit, und zwar um die bei Vorbefassung der Ehefrau des Richters.

Ergangen ist der Beschluss in einem Zivilverfahren, in dem sich die Parteien um eine Provision streiten. Die Klage hatte beim LG Erfolg. Die Berufung des Beklagten wurden vom OLG nach entsprechendem Hinweis einstimmig zurückgewiesen. Der Beklagte hat Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt. Dort ist aber einer der zuständigen Richter der Ehemann einer der Richterinnen, die an der OLG-Entscheidung beteiligt waren. Der BGH-Richter hat sich selbst abgelehnt. Die Parteien haben ihn ebenfalls wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der BGH ist dem gefolgt:

„II. Die Selbstablehnung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. L. und das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch der Klägerin sind begründet.

1. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der „böse Schein“, das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BVerfG, NJW 2012, 3228 [juris Rn. 13]). Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2016 – VII ZR 36/14, NJW 2016, 1022 [juris Rn. 9]; Beschluss vom 20. November 2017 – IX ZR 80/15, juris Rn. 3; Beschluss vom 21. Juni 2018 – I ZB 58/17, NJW 2019, 516 [juris Rn. 10]). Solche Zweifel können sich aus dem Verhalten des Richters innerhalb oder außerhalb des konkreten Rechtsstreits, aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu Prozessbeteiligten (vgl. BGH, NJW 2019, 516 [juris Rn. 10] mwN) oder – wie vorliegend – aus nahen persönlichen Beziehungen zwischen an derselben Sache beteiligten Richtern ergeben.

2. Nach diesen Maßstäben sind aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters am Bundesgerichtshof Dr. L. gerechtfertigt.

a) Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mitwirkung des Ehegatten eines Rechtsmittelrichters an der angefochtenen Entscheidung keinen generellen Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf dessen Beteiligung an der Entscheidung im Rechtsmittelverfahren dar (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2003 – II ZB 31/02, NJW 2004, 163 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 17. März 2008 – II ZR 313/06, NJW 2008, 1672; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. August 2015 – III ZR 170/14, MDR 2016, 49 [juris Rn. 3]). Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof damit begründet, dass eine solche generalisierende, allein auf die Tatsache des ehelichen Verhältnisses abstellende Betrachtung im Ergebnis auf dem Umweg über § 42 ZPO zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO führen würde, da sie faktisch einem Ausschluss kraft Gesetzes gleichkäme (BGH, NJW 2004, 163 [juris Rn. 7]). Die Vorschrift des § 41 ZPO zähle die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), sei die Vorschrift einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (BGH, NJW 2004, 163 [juris Rn. 6]). Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat im Schrifttum Kritik erfahren (Feiber, NJW 2004, 650 f.; M. Vollkommer, EWiR 2004, 205, 206; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn. 13a mwN).

b) Vorliegend muss nicht entschieden werden, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten werden kann. Jedenfalls liegt im Streitfall ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit von Richter am Bundesgerichtshof Dr. L. zu rechtfertigen.

aa) Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es den Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters begründen kann, wenn seine Ehefrau nicht lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt, sondern diese als Einzelrichterin allein verantwortet hat. Denn aus Sicht der ablehnenden Partei kann die Alleinverantwortung der Ehefrau des abgelehnten Richters für das angefochtene Urteil zu einer Solidarisierungsneigung des abgelehnten Richters führen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 – III ZB 61/19, NJW-RR 2020, 633 [juris Rn. 13]). Letztere ist nicht in gleichem Maße zu erwarten, wenn der Ehegatte des abgelehnten Richters lediglich als Mitglied eines Kollegialgerichts an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (vgl. BGH, NJW 2004, 163 [juris Rn. 8]; BGH, NJW-RR 2020, 633 [juris Rn. 13]; Fellner, MDR 2020, 777, 778).

bb) Im Streitfall hat die Ehefrau des Richters am Bundesgerichtshofs Dr. L. an einem die Berufung der Beklagten zurückweisenden Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mitgewirkt, der nach der gesetzlichen Regelung nur einstimmig gefasst werden kann. Sie hat damit nicht allein als – möglicherweise überstimmtes – Mitglied eines Kollegiums, sondern infolge der Einstimmigkeit des gefassten Beschlusses in nach außen erkennbarer Weise die Verantwortung für die angefochtene Entscheidung mit übernommen. Dieser Fall ist nicht anders zu beurteilen als der Fall, dass der Ehegatte des abgelehnten Richters die angefochtene Entscheidung als Einzelrichter getroffen hat. Ein solcher Sachverhalt begründet ebenfalls die Besorgnis, dass der abgelehnte Richter der Sache nicht unvoreingenommen gegenübersteht.

cc) Da nach § 42 Abs. 3 ZPO das Ablehnungsrecht in jedem Fall beiden Parteien zusteht, steht dem Erfolg des Ablehnungsgesuchs der Klägerin nicht entgegen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts zu ihren Gunsten ausgefallen ist. Die Klägerin hat dennoch Veranlassung, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters am Bundesgerichtshof Dr. L. zu hegen. Auch wenn es näher liegen mag, dass die in der Vorinstanz unterlegene Beklagte eine Solidarisierung des abgelehnten Richters mit seiner Ehefrau befürchtet (vgl. BGH, NJW-RR 2020, 633 [juris Rn. 13]), kann auch die Klägerin die nachvollziehbare Besorgnis hegen, dass der abgelehnte Richter in dem Bestreben, seine Unvoreingenommenheit in dieser Sache zu zeigen, geneigt sein könnte, dem Begehren der Beklagten näherzutreten.

c) Eine Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl. I S. 661) ist nicht veranlasst. Eine Abweichung gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist nicht gegeben, wenn die Rechtsauffassungen zwar nicht voll übereinstimmen, aber zum selben Ergebnis führen (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1999 – V ZB 1/99, BGHZ 141, 351 [juris Rn. 20] mwN). So liegt es hier.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt die Ehe zwischen einer an einem Revisionsgericht tätigen Richterin und einem Richter, der an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, „angesichts der Komplexität der Verfahren und der Intensität, mit der sich die für die Entscheidung zuständigen Richter mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzen“, einen Grund dar, die Besorgnis der Befangenheit der Richterin, deren Ehepartner an der vorinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat, zu rechtfertigen (BSG, Beschluss vom 18. März 2013 – B 14 AS 70/12 R, BeckRS 2013, 68558 Rn. 7). Nach dieser Rechtsprechung, die maßgeblich auf die Tätigkeit der abgelehnten Richterin oder des abgelehnten Richters an einem der obersten Gerichtshöfe des Bundes abstellt, wäre das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Bundesgerichtshof Dr. L. ebenfalls begründet.“

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Unverzügliche Glaubhaftmachung ist erforderlich

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Und auch die zweite Entscheidung hat heute eine beA-Problematik zum Gegenstand. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 15.12.2022 – III ZB 18/22 – zur Frage der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 und 3 ZPO Stellung genommen. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich hatte sie bisher übersehen. Aber man kann gerade im Hinblick auf § 130d ZPO als Anwalt nicht vorsichtig genug sein. Daher kann man auch jetzt noch über die Entscheidung berichten.

Nach dem Sachverhalt hatte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 6.904,17 EUR nebst Zinsen verurteilt. Gegen das der Beklagten am 20.11.2021 zugestellte Urteil hat diese am 19.12.2021 durch Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten des OLG form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 20.12.2022 ebenfalls durch Einwurf in den Briefkasten des OLG eingereicht. Der Klägerin ist sodann mit Vorsitzendenverfügung vom 09.02.2022 eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt worden. Nachdem die Klägerin unter dem 10.02.2022 um Mitteilung gebeten hatte, ob die Berufungsbegründung gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht worden sei, ist die Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 11.02.2022 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen darauf hingewiesen worden, bei Setzung der Berufungserwiderungsfrist sei nicht aufgefallen, dass die Berufungsbegründung entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (iSd § 130d Satz 2 und 3 ZPO) sei weder in der Berufungsbegründung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage sei die Berufung möglicherweise nicht formgerecht entsprechend § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat daraufhin mit Schriftsatz vom 24.02.2022 eidesstattlich versichert, dass am 20.01.2022 nach dem Aufspielen eines Updates die „beA Client Security“ nicht mehr habe gestartet werden können. Diese habe erneut aufgespielt werden müssen, um die Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu beseitigen. Die Berufungsbegründung sei daher zur Fristwahrung als Brief in den Nachtbriefkasten des OLG eingelegt worden. Mit Beschluss vom 02.03.2022 hat das OLG die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten, die keinen Erfolg hatte. Der BGh führt zu § 130d ZPO aus:

„….. Das Berufungsgericht hat den Zugang der Beklagten zur Berufungsinstanz jedoch nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Die Auslegung und Anwendung von § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Insbesondere hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff „unverzüglich“ zutreffend im Sinne der in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Legaldefinition als „ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war das Berufungsgericht nicht gehalten, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach ihrem Inkrafttreten während einer (weiteren) Übergangsfrist nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden.

aa) Die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, ist durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I 3786) eingeführt worden und gemäß Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten. § 130d Satz 1 ZPO sieht unter anderem eine Pflicht für alle Rechtsanwälte vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Die Einreichung in dieser Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27). Ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments – wie im vorliegenden Fall – aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich, darf der Nutzungspflichtige gemäß § 130d Satz 2 ZPO das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt in Papierform oder als Telefax, übermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist (BT-Drucks. aaO). Um Missbrauch auszuschließen, bestimmt § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO allerdings, dass der Nutzungsberechtigte die vorübergehende technische Unmöglichkeit unaufgefordert schon bei der Ersatzeinreichung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) danach glaubhaft zu machen hat, wobei die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. aaO S. 28; BeckOK ZPO/von Selle, § 130d Rn. 5 [46. Edition, Stand: 1. September 2022]; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 130d Rn. 3; siehe auch BGH, Beschluss vom 12. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 13 zu § 14b Abs. 1 Satz 3 FamFG).

bb) Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als Rechtsanwalt beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2022 bekannt sein. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre schuldhaft und müsste von der Beklagten im Wege der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO hingenommen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 15). Der (fahrlässige) Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Formerfordernisse für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels vermag ihn nicht zu entlasten und rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH aaO Rn. 16). Dazu zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr (§§ 130a, 130d ZPO).

cc) Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Vorschrift gerade im Hinblick auf die zum 1. Januar 2022 eingetretene Rechtsänderung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 130d ZPO, obwohl er erst am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 in die Zivilprozessordnung eingefügt worden ist. Im Hinblick auf das Merkmal „unverzüglich“ hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für den sichersten Weg entscheiden müssen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 280 Rn. 69). Dieser hätte darin bestanden, die Art der technischen Störung bereits bei der Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen. Dazu wäre er auch in der Lage gewesen, weil ihm die Probleme mit der Client Security des beA von Anfang an bekannt waren. Die mit Schriftsatz vom 24. Februar 2022 – fünf Wochen nach der Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung und lediglich als Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis – erfolgte Glaubhaftmachung war nicht mehr „unverzüglich“, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. aaO S. 28). Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen und ein wochenlanges Zuwarten regelmäßig als zu lang anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2022 aaO Rn. 17).

b) Das Berufungsgericht hat auch den Anspruch der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht verletzt. Der Umstand, dass das Gericht den Formmangel im Sinne des § 130d Satz 1 ZPO zunächst übersehen hatte, vermag daran nichts zu ändern. Denn das Berufungsgericht hat auf die Anfrage der Klägerin nach der Wahrung der elektronischen Form seinen Irrtum korrigiert und die Beklagte auf den Formmangel unter Einräumung einer angemessenen Stellungnahmefrist hingewiesen. Dass das Gericht sodann die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen hat, ist die zwingende Konsequenz aus der Nichteinhaltung der elektronischen Form und der verspäteten Glaubhaftmachung im Sinne des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO.

c) Aus den vorgenannten Gründen scheidet auch ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus. Eine Überraschungsentscheidung liegt offenkundig nicht vor.“

beA I: Qualifizierte elektronische Signatur auf Anlage, oder: „Bündelsignatur“ gibt es nicht

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Heute ist „Kessel-Buntes-Tag“ oder auch „beA-Samstag“. Denn ich stelle heute mal wieder zwei Entscheidungen zum beA vor. Beide kommen vom BGH. Die Flut von Rechtsprechung zum beA reißt nicht ab. Insbesondere auch der BGH veröffentlicht immer wieder Entscheidungen, in denen es um rechtzeitige Einlegung von Rechtsmitteln geht.

So auch in dem BGH, Beschl. v. 19.01.2023 – V ZB 28/22. Ergangen ist dieser Beschluss in einem Verfahren, in dem wechselseitig Ansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag geltend gemacht werden. Das LG hat mit dem am 14.12,2021 zugestellten Urteil der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Am 12. 01.2022 ist beim OLG Oldenburg über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eine Berufungsschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als PDF-Dokument eingegangen. Dieses Dokument war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen; vielmehr war (nur) die der Berufungsschrift als separates PDF-Dokument beigefügte Anlage, die das angefochtene Urteil enthielt, qualifiziert elektronisch signiert.

Das OLG hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten. Die war beim BGh nicht erfolgreich:

„1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht innerhalb der am 14. Januar 2022 abgelaufenen einmonatigen Berufungsfrist formgerecht Berufung eingelegt hat (§ 517, § 519 Abs. 1 ZPO), wirft keine die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die am 12. Januar 2022 als PDF-Dokument per EGVP eingegangene Berufungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 ZPO.

a) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Nur dann sind Echtheit und Integrität des Dokuments gewährleistet (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 11 mwN). Die sicheren Übermittlungswege ergeben sich aus § 130a Abs. 4 ZPO, wozu namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehört (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs. 1 ERVV).

b) Diesen Anforderungen wird die am 12. Januar 2022 beim Oberlandesgericht eingegangene Berufungsschrift des Beklagten nicht gerecht. Sie ist nicht entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder auf einem sicheren Übermittlungsweg (vgl. § 130a Abs. 4 ZPO) durch die verantwortende Person eingereicht worden. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten stattdessen vorgenommene qualifizierte elektronische Signatur der als PDF-Dokument beigefügten Anlage, die die Abschrift des angefochtenen Urteils enthält, reicht nicht aus.

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die qualifizierte elektronische Signatur der Berufungsschrift sei deshalb entbehrlich, weil es sich bei den an das Berufungsgericht über das EGVP übersandten Dateien (Berufungsschrift und Anlage) um eine „gewollte Einheit“ gehandelt habe und sich aus der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage ergebe, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Verantwortung für die Rechtsmittelschrift übernommen habe.

aa) Richtig ist allerdings, dass die qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung hat wie eine handschriftliche Unterschrift (Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257 S. 73; vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 9 mwN). Sie soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die einfache elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 11 mwN; zur Unterschrift vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZB 22/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 11 mwN). Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht.

bb) Zutreffend ist auch, dass das Fehlen der Unterschriftsleistung auf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift unschädlich ist, wenn aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Urteil vom 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZB 9/11, juris Rn. 6, 11). Das ist z.B. dann der Fall, wenn die nicht unterzeichnete Berufungsbegründung mit einem von dem Rechtsanwalt unterschriebenen Anschreiben fest verbunden ist („Paket“; vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f.), oder wenn die eingereichten beglaubigten Abschriften der nicht unterzeichneten oder nicht eingereichten Urschrift der Berufungsbegründung einen von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogenen Beglaubigungsvermerk enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1957 – VIII ZB 7/57, BGHZ 24, 179, 180 mwN; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Beschluss vom 26. März 2012 – II ZB 23/11, NJW 2012, 1738 Rn. 9).

cc) Um einen vergleichbaren Fall handelt es sich hier nicht. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils ersetzt nicht die qualifizierte elektronische Signatur der über das EGVP übersandten Berufungsschrift.

(1) Die qualifizierte elektronische Signatur der Anlage bietet keine Gewähr dafür, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Urheber der Berufungsschrift ist und er diese in den Rechtsverkehr bringen will. Zwar soll mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden (§ 519 Abs. 3 ZPO). Die Anlage zu der Berufungsschrift muss aber – anders als diese – nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie – wie hier – nicht über einen sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Anhand der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage lässt sich nicht feststellen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch ist mit derjenigen Person, die für den Inhalt des Schriftsatzes Verantwortung übernimmt, und ob die Berufungsschrift mit deren Wissen und Wollen abgesendet worden ist.

(2) Die Anlage und die Berufungsschrift können auch nicht als gewollte Einheit behandelt werden. Zu einer einem „Paket“ aus Anschreiben und Berufungsschrift vergleichbaren Verbindung der im EGVP-Verfahren übermittelten Dokumente kann es nicht kommen. Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Die im EGVP-Verfahren eingesetzte qualifizierte Container-Signatur – die hier ohnehin nicht verwendet worden ist – genügt seit dem 1. Januar 2018 nicht mehr den Anforderungen des § 130a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 573/18, BGHZ 222, 105 Rn. 14 ff.).

2. Auch hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines dem Beklagten zurechenbaren Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) sind Zulassungsgründe nicht ersichtlich.

a) Die Fristversäumung war nicht unverschuldet im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO, weil der Beklagte sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der die zu signierenden Dateien verwechselt hat, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Der Prozessbevollmächtigte muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2022 – V ZB 58/21, MDR 2022, 907 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – XII ZB 93/19, FamRZ 2019, 1880 Rn. 5; jeweils mwN). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder die Einreichung des einfach signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg vorzunehmen (§ 130a Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 15).

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„Quickie“ im Parkhaus auf der Motorhaube, oder: Wenn der „relevante Vorgang“ nur 9 Minuten dauerte

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Und dann die zweite Entscheidung des Tages. Das ist das LG Köln, Urt. v. 09.01.2023 – 21 O 302/22. Nun ja Verkehrsrecht? Man kann darüber streiten 🙂 . Einigen wir uns auf: Es handelt sich nicht um Verkehrsrecht i.e.S, sondern (nur) um Verkehrsrecht i.w.S. 🙂 🙂

Der Entscheidung liegt folgender „verkehrsrechtlicher“ Sachverhalt zugrunde: Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadenersatz für die Beschädigung seines Pkws. Das ist, während der Kläger diesen in dem Parkhaus der Beklagten eingestellt hatte, beschädigt worden. Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob die Beklagte während des Einstellzeitraums eine Verkehrssicherungspflicht (sic! 🙂 ) verletzt hat.

Der Kläger hatte sein Fahrzeug am 20.07.2021 gegen 18.00 Uhr in dem Parkhaus der Beklagten auf der zweiten Ebene rückwärts eingeparkt, um dann – bis zum nächsten Morgen – zur Arbeit zu gehen. In der Nacht kamen zwei unbekannte Personen in das Parkhaus der Beklagten und hatten Geschlechtsverkehr auf der Motorhaube des klägerischen Fahrzeuges. Im Anschluss verließen die beiden Personen das Parkhaus, ohne dass deren Identität beklagten- oder polizeiseitig festgestellt worden wäre.

Als der Kläger sodann am 21.07.2021 gegen 08.00 Uhr zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, bemerkte er, dass sein Wagen verschiedene Beschädigungen aufwies. Daraufhin nahm er Kontakt zum Wachpersonal des Parkhauses auf, welches ihm die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigte. In diesem Zuge erlangte der Kläger Kenntnis von den Handlungen der beiden Unbekannten. Deren Identität konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger macht nun gegenüber der Beklagten Schadensersatz geltend für Beschädigungen, die nach seiner Behauptung beim Verlassen des Wagens am 20.07.2021 um 18.00 Uhr nicht vorhanden waren und daher während der Parkzeit und durch die Handlungen der beiden Unbekannten entstanden seien. Der Kläger ist der Auffassung, dass es Aufgabe der Beklagten, bzw. ihrer Mitarbeiter, gewesen sei, die Videoaufzeichnungen durchgehend zu beobachten und derartige  Vorkommnisse zu unterbinden. Wenigstens sei zu erwarten gewesen, dass die Beklagte den Vorgang bemerken und die Polizei rufen würde, damit die Identität der Unbekannten festgestellt werden könnte.

Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Zahlungsanspruch i.H.v. 4.676,36 EUR.

1. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Fahrzeug-Einstellvertrag.

Dabei gehen die Nebenpflichten der Beklagten nicht so weit, dass sie die von ihr installierten Überwachungskameras ununterbrochen beobachten lassen müsste um etwaige Verstöße gegen die Sicherheit und Ordnung im Parkhaus lückenlos zu bemerken oder gar verhindern zu können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Kameras mehr zu repressiven als zu präventiven Zwecken eingesetzt werden; das heißt, für den Fall, dass ein Fahrzeughalter bei Rückkehr zu seinem Fahrzeug neue Beschädigungen feststellt, kann er auf die Beklagte zukommen, diese kann entsprechend bei den Aufnahmen nachforschen und ggf. bei der Aufklärung des Schadenfalls helfen. Im Normalfall wird dies auch erfolgreich sein, da beispielsweise bei „Parkremplern“ regelmäßig das Kennzeichen des Unfallgegners zu sehen und die Tat entsprechend dokumentiert sein dürfte.

Im vorliegenden Fall dürfte die eigentliche Beschädigungshandlung sich in zeitlich engen Grenzen gehalten haben. Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der „relevante Abschnitt“ von dem er die Bildschirmfotos angefertigt hat, die mit der Klageschrift eingereicht wurden, lediglich 9 Minuten lang ist. Bei einer solch kurzen Dauer stellt es nach Ansicht des Gerichts keine Verfehlung der Beklagten dar, dass diese Handlungen nicht bemerkt oder gar verhindert wurden. Insoweit ist es auch fraglich, wie das Personal der Beklagten die Täter ohne Eigengefährdung hätte stellen sollen oder ob die hypothetisch hinzugerufene Polizei schnell genug vor Ort gewesen wäre.

Soweit der Kläger bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung erstmals angegeben hat, dass das Geschehen um sein Auto herum mehrere Stunden angehalten haben soll, so war dieser Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Seine Berücksichtigung hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, da dann möglicherweise eine Beweisaufnahme notwendig geworden wäre. Bis zum Termin der mündlichen Verhandlung war in keiner Weise ersichtlich, dass es sich bei den streitgegenständlichen Vorgängen um eine mehrstündige Aktion gehandelt haben sollte. Das Gericht hatte auch schon mit der Terminsverfügung vom 08.11.2022 darauf hingewiesen, dass es der Klage keine Aussicht auf Erfolg beimisst, da es nicht davon ausgeht, dass die Beklagte die Kameras durchgehend beobachten lassen muss. Auch die Beklagte hatte in ihrer Klageerwiderung vom 02.11.2022 ausführlich thematisiert, dass es ihr gar nicht möglich gewesen wäre eine solche zeitlich eng umrissene Aktion zu entdecken und zu verhindern; insbesondere bestehe ihrerseits auch keine Pflicht, die Aufnahmen der Überwachungskameras lückenlos beobachten zu lassen. Es hätte daher aller Anlass bestanden die tatsächlichen Geschehensabläufe schon in der Klageschrift, spätestens aber mit den Reaktionen des Gerichts und der Beklagtenseite, zutreffend darzustellen, wenn klägerseits darauf abgestellt werden sollte, dass ein etwaiger Nachtdienst der Beklagten nur einmal in mehreren Stunden auf die Kameras hätte schauen müssen.

Für das Gericht bestand hingegen kein Anlass die Ermittlungsakte bei dem PP Köln zum Aktenzeichen 00000 beizuziehen, da der Sachverhalt dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht streitig zu sein schien und nicht ersichtlich war, welche weitergehenden Informationen sich aus der Ermittlungsakte ergeben sollten. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts sich den relevanten Sachverhalt durch Beiziehung von Ermittlungsakten und Sichtung von Beweismaterial selber zusammen zu suchen. Vielmehr hätte der Kläger diesen von Vorneherein schlüssig vortragen müssen.

Auf den entsprechenden Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat der Klägervertreter auch keinen Schriftsatznachlass mehr beantragt.

2. Ein klägerischer Anspruch ergibt sich auch nicht aus einem pflichtwidrigen Unterlassen der Beklagten im Kontext des Deliktsrechts. Insoweit kann wertungsmäßig nach oben verwiesen werden.“