Archiv der Kategorie: Zivilrecht

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Warum hatte der Anwalt keine aktive Chip-Karte?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung zum beA dann der OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.02.2023 – 12 ME 6/23 – zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Übermittlung. Dort war eine Beschwerde nur per Fax eingereicht worden. Das hat dem OVG nicht gereicht:

„….. Aus der Zusammenschau dieser Regelungen ergibt sich, dass anwaltliche Besc/hwerdeschriften gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – wie hier gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – grundsätzlich als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.

Diesem Erfordernis genügte die am 6. Januar 2023 bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg eingegangene Beschwerdeschrift des anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht. Denn sie ist per Telefax übermittelt worden, und ein Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 55a Abs. 3 und 4 VwGO (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 6).

Zwar bleibt in Abweichung von § 55d Satz 1 VwGO die anwaltliche Übermittlung (hier der Beschwerdeschrift) nach den allgemeinen Vorschriften – und damit auch per Telefax – zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich ist (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist dann aber bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) danach gemäß § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 294 ZPO glaubhaft zu machen (vgl. Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 130d Rn. 8).

Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor.

Der Antragsteller hat in der Beschwerdeschrift lediglich mitgeteilt und durch seinen Prozessbevollmächtigten anwaltlich versichern lassen, dass diesem eine Übersendung der Beschwerdeschrift „via beA“ technisch nicht möglich sei, da dessen „beA-Karte“ noch nicht habe aktiviert werden können. Weiterer Vortrag dazu fehlte zunächst. Erst auf Nachfrage des Senatsvorsitzenden hat er unter dem 19. Januar 2023 ergänzend vorgetragen und nach einem weiteren gerichtlichen Hinweis unter dem 27. Januar 2023 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Wegen der Einzelheiten dieses weiteren Vortrags wird auf die genannten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Der Vortrag des Antragstellers läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass sein Prozessbevollmächtigter aus dem elektronischen Anwaltspostfach die Beschwerdeschrift nicht zeitgerecht habe übermitteln können, da er, der Anwalt, in der Zeit vom 19. bis zum 31. Dezember 2022 arbeitsunfähig erkrankt und deshalb an einer Vornahme der Aktivierung der neuen Chipkarte gehindert gewesen sei, deren es für solche Übermittlungen ab dem 1. Januar 2023 bedurft hätte. Diese Chipkarte sei dem Anwalt zwar bereits im September 2022 übersandt worden. Der Bestätigungslink (für den Karteneingang), über dessen Zugangszeitpunkt er keine  Angaben machen könne, habe aber nicht mehr funktioniert, als ihn der Anwalt habe verwenden wollen. Letzterer habe sich deswegen bereits am 3. Januar 2023 über die Hotline an die Bundesnotarkammer gewandt. Erst am 11. Januar und 13. Januar 2023 seien dem Anwalt daraufhin aber ein neuer Bestätigungslink für den Erhalt der Chipkarte bzw. die PIN für deren Verwendung zugegangen. Hätte die Bundenotarkammer – anstatt zuvor die anwaltliche E-Mail-Adresse zu überprüfen – schneller positiv auf den Anruf reagiert, wäre bereits am 6. Januar 2023 eine Übermittlung der Beschwerdeschrift aus dem besonderen Anwaltspostfach (wieder) möglich gewesen.

Dieses Geschehen genügt aus den folgenden Gründen nicht den nach § 55d Satz 3 und Satz 4 Halbs. 1 VwGO zu stellenden Anforderungen:

Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument kann sich zwar auch aus Ursachen ergeben, die in der Sphäre des einreichenden Rechtsanwalts liegen. Es muss sich dann aber um einen „Ausfall der technischen Einrichtungen“ des Anwalts (vgl. Gesetzentwurf der BReg. für ein Gesetz zur Förderung des elektr. Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27, zu Nr. 4 [§ 130d ZPO]) – also eine bei wertender Betrachtung „technische“ Ursache – handeln. Denn § 55d Satz 3 VwGO entbindet professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (vgl. Gesetzentwurf, a. a. O., S. 28). Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument aus „technischen Gründen“ liegt folglich insbesondere dann nicht vor, wenn zwar die Technik einwandfrei funktioniert, sie aber dem Rechtsanwalt nicht zugänglich ist, weil dieser es versäumt hat, beizeiten die Zugangsvoraussetzungen zu ihr zu schaffen. Deshalb erfasst § 55d Satz 3 VwGO beispielsweise nicht die Fälle, dass ein Rechtsanwalt über keine Chipkarte verfügt, weil ihm bei seinem ersten Antrag auf Ausstellung derselben ein Fehler in der Schreibweise seines Vornamens unterlaufen war, sodass ihm die Karte nicht früh genug übersandt wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.3.2022 – 19 E 147/22 -, juris), oder dass sein spät gestellter signaturrechtlicher Antrag von der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer nicht mehr früh genug bearbeitet werden konnte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4.4.2022 – I-8 U 23/22 -, FamRZ 2022, 1219 f., hier zitiert nach juris). Anders als es in der Literatur teilweise vertreten wird (vgl. Gädeke, in: Ory/Weth, juris-PK-ERV, Bd. 3, 2. Aufl., § 55d VwGO, Rn. 31 [Stand: 15.12.2022]), dürfte die Lösung von Abgrenzungsfragen nicht in einer Großzügigkeit bei der Zuschreibung zu technischen Ursachen zu suchen sein. Denn den Prozessbeteiligten soll zwar erspart werden, die Ursachen technischer Störungen zu eruieren (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 3). Tritt aber klar zutage, dass typisch menschliches Versagen des professionellen Einreichers (wie etwa Vergesslichkeit oder Säumigkeit) das entscheidende, durch die Technik gleichsam nur in seiner Wirkung weitergegebene Hindernis für die zeitgerechte Übermittlung eines elektronischen Dokuments ist, liegt keine technische Störung vor. Das gilt namentlich dann, wenn gerade das Funktionieren von technischen Sicherungen gegen die unbefugte Nutzung eines besonderen Anwaltspostfachs dazu geführt hat, dass dieses Postfach seinem Inhaber im entscheidenden Moment nicht für eine aktive Nutzung zur Verfügung stand. Wer also seine Chipkarte nicht zeitgerecht beantragt, vorwerfbar den Aktivierungsvorgang verzögert, die Chipkarte unerreichbar verschlossen, verlegt oder verloren hat, ist nicht anders zu behandeln, als hätte er die technischen Einrichtungen seiner Anwaltskanzlei zur maßgeblichen Zeit deshalb nicht nutzen können, weil er sich aus deren Räumen ausgesperrt, den Türschlüssel verloren und nicht rechtzeitig einen (anderen) Schlüsselträger oder den Schlüsseldienst erreicht hätte. Auch dann liegen keine „technischen Gründe“ vor.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ließ sich aus dem Vortrag in der Beschwerdeschrift allenfalls ableiten, dass eine Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung der  Beschwerdeschrift aus „technischen Gründen“ für den 6. Januar 2023 nicht ausgeschlossen werden konnte, nicht aber, dass sie damals tatsächlich vorgelegen hat. Denn für „technische Gründe“ im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO reicht es keineswegs schon aus, dass ein Prozessbevollmächtigter – warum auch immer – über keine aktivierte Chipkarte verfügt, sondern kommt es maßgeblich darauf an, weshalb das nicht der Fall war. Darüber hat der Antragsteller jedoch weder am 6. Januar 2023 noch unverzüglich (vgl. dazu näher: BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – XII ZB 264/22 -, FGPrax 2022, 287 f., Rn. 17) danach – und das hätte geheißen jedenfalls deutlich vor dem 19. Januar 2023 – im Sinne des § 55d Satz 4 Halbsatz 1 VwGO genügenden Aufschluss gegeben. Schon deshalb schied eine Anwendung des § 55d Satz 3 VwGO hier aus.

Davon abgesehen ergibt sich weder aus dem bereits in der Beschwerdeschrift vorgetragenen Geschehen noch den späteren Ergänzungen eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO.

Sie wäre vielmehr auch bei einem frühzeitig umfassenderen Vortrag nicht in Betracht gekommen. Wie auf der Website der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer recherchiert werden kann, sind nämlich im Zuge des sogenannten „beA-Kartentauschs 2022“ die mit dem 31. Dezember 2022 ablaufenden Chipkarten zahlreicher Rechtsanwälte im letzten Quartal 2022 ausgewechselt worden. Hierzu wurden den Anwälten – ohne Antragserfordernis – postalisch eine neue Chipkarte übersandt sowie (per E-Mail) ein Bestätigungslink. Dieser Link war allerdings lediglich für 48 Stunden nutzbar. Erfolgte keine umgehende Bestätigung des Erhalts der Chipkarte durch den betroffenen Anwalt wurden daher bis zu drei „Erinnerungs-E-Mails“ an diesen versandt. Ohne wirksame Bestätigung des Erhalts der neuen Karte versandte die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer indessen keine PIN an den Karteninhaber. Insbesondere die seitens des Antragstellers mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 vorgelegten E-Mails vom 29. Dezember 2022 und 11. Januar 2023 rechtfertigen die Annahme, dass der seinem Prozessbevollmächtigten übersandte Bestätigungslink deshalb nicht mehr funktioniert hat, weil die 48-Stunden-Frist für seine Nutzung (längst) abgelaufen war, als der Anwalt erstmals versuchte, den Link zu verwenden. Da dem Rechtsanwalt die neue Chipkarte bereits im September 2022 zugegangen war, kann das auch nicht verwundern. Vielmehr hat er sich offenbar um die Aktivierung der neuen Chipkarte deshalb nicht beizeiten gekümmert, weil seine bisherige Chipkarte noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 funktionierte. Diese Ursache für den zeitlichen Verzug, mit dem er erst im Jahr 2023 seine PIN erhielt und daraufhin die neue Chipkarte aktivieren konnte, hat aber keine „technischen Gründe“…….“

Unfallregulierung/Anmietung eines Ersatzes, oder: Wirtschaftlichkeitsgebot/Bereicherungsverbot

© alfexe – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung des Tages, das OLG Zweibrücken, Urt. v. 25.01.2023 – 1 U 100/22 – befasst scih ebenfalls mit der Unfallschadenregulierung, und zwar hier mit den Kosten für einen Mietwagen. Gestritten wird um den Schadensersatz aus einem Unfall, für den der Beklagte unstreitig zu 100 % haftet. Das LG hatte der Klage nur teilweise stattgegeben. Das OLG spricht hingegen weiter teilweise zu. Hier sollen nur die Ausführungen des OLG zum Ersatz der Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges eingestellt werden. Dazu das OLG:

„2. Die Kosten der Anmietung von Ersatzfahrzeugen bis zum 29.07.2020 kann der Kläger nur in Höhe von 3.893,71 € ersetzt verlangen. Weitergehende Ansprüche bestehen nicht, da der Kläger insoweit gegen das aus § 254 Abs. 2 BGB folgende Gebot verstoßen hat, den Schaden möglichst gering zu halten.

a) Da der vom Kläger neu erworbene Pkw infolge des Unfalls nicht fahrbereit war, löste die Anmietung der diversen Ersatzwagen grundsätzlich ersatzfähige Unfallfolgekosten aus; diese Vermögenseinbußen (in Form herausgeforderter Aufwendungen) wären ohne den Unfall nicht entstanden. Ohne Erfolg bleibt insoweit der Berufungseinwand des Beklagten, dass Mietwagenkosten nicht zu erstatten seien, weil die zugehörigen Verträge nicht vorgelegt worden sind. Dass – nicht formbedürftige – Mietverträge abgeschlossen worden sind, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass entsprechende Rechnungen nach dem jeweiligem Ende der Nutzungszeit gestellt und bezahlt bzw. erfüllungshalber Abtretungen der zugehörigen Schadensersatzansprüche gegen die unfallgegnerische Versicherung vorgenommen wurden. Für die Schlüssigkeit der Klage genügte der Vortrag, dass während der Dauer der Reparatur in konkreten Zeiträumen (belegt durch die Rechnungen) Mietwagen kostenpflichtig genutzt worden sind.

b) Entgegen der Annahme des Beklagten ist ein Verstoß des Klägers gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung nicht schon darin zu erblicken, dass er über mehrere Wochen Ersatzfahrzeuge anmietet hatte. Dies ist vielmehr vom Beklagten zu verantworten und begrenzt das Schadensersatzbegehren des Klägers nicht.

(1) Die allgemeine Anerkennung der Gebrauchsmöglichkeit eines Pkw als Vermögensgut führt nicht dazu, dass jedwede Nutzungsbeeinträchtigung als Schaden im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auszugleichen wäre. Auch für den Nutzungsausfallschaden gelten die schadens-rechtlichen Grundsätze der subjektiven Schadensbetrachtung, des Wirtschaftlichkeitsgebotes und des Bereicherungsverbots (vgl. nur BGH. Urteil vom 10.03.2008, Az. VI ZR 211/08, Juris). Außerdem bedarf die Beantwortung der Frage, ob die entbehrte Nutzung einen durch den Unfall verursachten Vermögensschaden darstellt, einer wertenden, auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigende Abwägung im Einzelfall, soll die Regelung in § 253 Abs. 1 BGB nicht ausgehöhlt werden. Der Nutzungsausfall ist nicht notwendiger Teil des am Fahrzeug eingetretenen Schadens, sondern es handelt sich (nur) um einen typischen, aber nicht notwendigen Folgeschaden, der weder überhaupt noch der Höhe nach ohne Einzelfallprüfung feststeht.

Insoweit hat der Vorderrichter allerdings – für den Senat bindend (§ 529 ZPO) – festgestellt, dass der Kläger beabsichtigt hatte, den erst unmittelbar vor dem Unfall erhaltenen Opel künftig für seine Fahrten in den Urlaub, zum Wochenendgrundstück und zur Arbeitsstätte zu nutzen, und dass ihm diese Nutzungsmöglichkeit durch die unfallbedingte Beschädigung des Fahrzeugs — zunächst – genommen wurde. Der Beklagte hat zugestanden, dass eine Benutzung des Fahrzeugs nicht mehr möglich war. Dass bis Ende Juli dem Kläger ein weiteres (eigenes) Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe, wurde vom Beklagten nicht geltend gemacht.

(2) Darüber hinaus ist der Vorderrichter zutreffend davon ausgegangen, dass Mietwagenkosten nach herkömmlicher Rechtsprechung ggfl. auch über die im Schadensgutachten veranschlagte Reparatur- oder die Wiederbeschaffungsdauer hinaus zu ersetzen sind. Denn der Geschädigte ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Schaden aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder einen Kredit zur Schadenbeseitigung aufzunehmen (BGH, Urteil vom 16.11.2005, Az. IV ZR 120/04; BGH, Urteil vom 18.02.2002, Az. II ZR 355/00; jeweils Juris). Eine solche Verpflichtung kann im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich dann angenommen werden, wenn der Geschädigte über in mehrfacher Hinsicht ausreichende Mittel verfügt, möglicherweise auch dann, wenn er sich einen Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht (übermäßig, d.h. seine bisherige Lebensführung nennenswert einschränkend) belastet wird, wofür der Schädiger darlegungspflichtig ist (BGH, Urteil vom 16.11.2005, Az. IV ZR 120/04 Rn. 37, Juris). Hinreichender Vortrag des Beklagten hierzu fehlt jedoch. Dieser hat lediglich pauschal behauptet, dass Leistungsfähigkeit durch die Erbschaft Anfang 2020 gegeben gewesen sei. Dies hat der Kläger allerdings in Abrede gestellt; er habe „nur“ das Haus der Mutter erlangt, das erst für einen späteren Verkauf habe hergerichtet werden müssen. Einen Beweis für die Verfügbarkeit von liquiden (weiteren) Geldmitteln hat der Beklagte nicht angetreten. Angesichts der Höhe der kalkulierten Kosten geht der Senat auch bei einem berufstätigen Geschädigten nicht davon aus, dass dieser durch eine Vorfinanzierung des Betrages (so sie ihm überhaupt möglich wäre) nicht spürbar in seiner sonstigen Lebensführung beeinträchtigt worden wäre.

Der Geschädigte ist allerdings verpflichtet, den Schädiger unverzüglich darüber in Kenntnis zu setzen, dass er den Schaden nicht vorfinanzieren will oder kann (OLG München, Urteil vom 18.02.2010, Az. 24 U 725/09 Rn. 19; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.02.2007, Az. 1 U 53/07; jeweils Juris; Schäpe/Heberlein, in: Himmelreich/Halm/Staab, Handbuch der KFZ Schadensregulierung, 5. Aufl. 2021, Kap. 12, Rn. 377). Die Anzeigepflicht gibt dem Schädiger die Gelegenheit, durch Zahlung eines Vorschusses Gegenmaßnahmen gegen den drohenden weiteren Schaden zu ergreifen (OLG Brandenburg, Urteil vom 11.11.2010, Az. 12 U 33/10, Juris). Dieser Pflicht hat der Kläger genügt. Er hatte bereits im ersten (anwaltlichen) Schreiben an den Beklagten vom 16.06.2020, also zeitnah, darauf hingewiesen, dass er zur Vorfinanzierung der beabsichtigten Reparatur, ggfl. auch zu einer Ersatzbeschaffung, nicht in der Lage sei. Er hatte zwar nur um sofortige Bearbeitung gebeten, ohne auch einen Vorschuss zu verlangen. Da er dies jedoch mit dem Hinweis verbunden hatte, dass bis zum Geldeingang der Nutzungsaus-fallschaden bzw. Mietwagenkosten zu erstatten wären, war der Beklagte auch nach Auffassung des Senats ausreichend vor der Entstehung weiteren, nicht unerheblichen Schadens gewarnt.

Der Beklagte hätte durch Gewährung eines Vorschusses oder eines zinslosen Darlehens diese Folgeschäden effektiv begrenzen können. Sein Einwand, die späte Reparatur sei allein auf eine Entscheidung des Klägers als des „Herren des Restitutionsgeschehens“ zurückzuführen, geht daher fehl. Dieser musste nicht den (umfangreichen und hohe Kosten auslösenden) Reparaturauftrag aktivieren, solange die Zahlung der entstehenden Kosten nicht gesichert war. Die erforderliche Regulierungszusage kam indes erst im September 2020 im Rahmen der ersten Abrechnung des Unfallschadens. Insoweit ist die Überlegung des Vorderrichters nicht zu beanstanden, dass erst ab dem Eingang des Geldes bei der Werkstatt die kalkulierten 10 Arbeitstage als Begrenzung der notwendigen Ausfallzeit anzusetzen sind. Auch die Schätzungen des Vorderrichters zur Dauer der jeweiligen Gutschrift bzw. Weiterleitung des Geldes lassen keine Denkfehler erkennen.

c) Gleichwohl kann der Kläger nicht die tatsächlich aufgewendeten Mietwagenkosten in voller Höhe ersetzt verlangen.

(1) Der Vorderrichter hat insoweit zutreffend – und mit der Berufung insoweit auch nicht angefochten – festgestellt, dass zumindest der im Juli 2020 angemietete Sprinter keine gleichwertige, durch den Unfall bedingte Ersatzbeschaffung darstellte, da das angemietete deutlich größer als das verunfallte Fahrzeug war. Die hiermit verbundenen erhöhten Kosten sind nicht erstattungsfähig; der Kläger würde andernfalls mehr erhalten, als ihm ohne das Unfallereignis zur Verfügung gestanden hätte. Darauf, dass ihm bei der Fa. pp. die Anmietung eines adäquaten Fahrzeugs nicht möglich gewesen sei, kommt es nicht an; denn der Kläger wäre gehalten gewesen, im ihm zumutbaren Umfeld auch bei anderen Fahrzeugvermietern nach Ersatzfahrzeugen Ausschau zu halten.

Es ist daher im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen, welche Kosten die Anmietung eines vergleichbaren Pkw mit Anhängerkupplung verursacht hätte. Die vom Vorderrichter angestellte Berechnung bindet den Senat insoweit nicht, da sie im Detail nicht nachvollziehbar ist. Insbesondere bleibt offen, aus welcher Quelle der Vorderrichter den in Ansatz gebrachten Wochenmietpreis entnommen hat und warum die Mietpreise für einen der beiden zuvor angemieteten Pkw Kia berücksichtigt wurden. Der Senat ermittelt bei der Schätzung des ersatzfähigen Mietpreises für einen dem unfallgeschädigten Fahrzeug entsprechenden Pkw regelmäßig den Mittelwert zwischen der sog. Fraunhofer-Liste und der sog. Schwacke-Liste und setzt hiervon ersparte Eigenaufwendungen i.H.v. 10% ab. Aus den veröffentlichten Fraunhofer-Listen ergibt sich für einen Opel Insignia (Klasse I nach ACRISS) im Postleitzahlenbereich 66… eine durchschnittliche Wochenmiete von 290,93 € und Tagesmiete von 96,40 € bzw. nach Schwa-cke-Klassifizierung (Klasse 8) ein arithmetisch gemittelter Wochenmietpreis i.H.v. 836,67 € und ein Tagesmietpreis von 151,43 €. Nach Mittelung und Abzug der ersparten Aufwendungen ergibt sich hiernach ein Wochenpreis von 523,62 € und ein Tagespreis von 117,66 €. Da dem Kläger am 30.06.2020 noch der Pkw Kia zur Verfügung stand, können für diesen Tag nicht zu-sätzliche Mietwagenkosten angesetzt werden. Folglich sind 4 Wochen und 1 Tag zu berücksichtigen; dies ergibt einen zu ersetzenden Mietbetrag von 2.212,14 € inkl. MwSt.

Die zusätzlichen Kosten für eine Anhängerkupplung – deren Bedarf der Kläger nachvollziehbar dargelegt hat – sind vom Vorderrichter zu Recht hinzugesetzt worden (täglich 9,30 €, netto 279 € zzgl. MWSt. i.H.v. 16%, insgesamt 323,64 €). Dagegen sind ohne weitergehenden Vortrag zur Versicherungslage des Klägers vor dem Unfall die vom Vorderrichter zugeschlagenen Kosten für eine Haftungsreduktion ebenso wenig als erforderlich anzusehen wie die Kosten eines Navigationsgerätes, zumal in der heutigen Zeit nahezu jedermann ein Smartphone mit entsprechenden Apps zur Navigation besitzt. Auch die zusätzlichen Kosten für einen „Dieselwunsch“ sind ohne entsprechenden Vortrag zur Erforderlichkeit nicht erstattungsfähig.

(2) Hinsichtlich der beiden im Juni 2020 angemieteten Fahrzeuge ist der Vorderrichter zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte die beiden Rechnungen der Höhe nach nicht bestritten hat. In der Erwiderung auf die Klageerweiterung vom 23.11.2020 wurde insoweit nur gerügt, dass zum Bedarf des Klägers nicht hinreichend vorgetragen worden und zudem eine Abtretung erfolgt sei. Im weiteren Verfahren wurden sodann (nur) die fehlende Vorlage von Vertragsunterlagen, unzureichende Angaben zum Tarif und zur Laufleistung gerügt. Es wurden zudem die hohen Gesamtmietkosten (für knapp 2 Monate) als ersichtlich unwirtschaftlich und übersetzt moniert. Ein Bestreiten der Rechnungshöhe vermag der Senat hierin nicht zu erkennen; es wird nur die Frage der Ersatzfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht diskutiert. Da ohne eine Laufleistungsbegrenzung abgerechnet wurde, ist ohnehin der Mehrwert einer Angabe zu den gefahrenen Strecken nicht erkennbar. In den beiden Rechnungen der Fa. IM sind die gefahrenen Strecken im Übrigen ausgewiesen; es wird auch jeweils der Tarif als „Normaltarif“ und kein spezieller Unfallersatztarif genannt.

Sollte der Beklagte die Kosten für die beiden Mietwagen als überhöht rügen, ist darauf abzustellen, ob eine solche Überhöhung für den Kläger erkennbar war, was regelmäßig nicht der Fall ist. Einen diesbezüglichen konkreten Vortrag hätte der Beklagte halten und einen entsprechenden Nachweis führen müssen; beides hat er indes unterlassen. Der Berufungsangriff wegen der beiden ersten Mietwagenrechnungen bleibt daher ohne Erfolg. Zu erstatten sind dem Kläger 880,70 € und 1.384,01 € abzgl. gezahlter 906,78 €, mithin insgesamt 1.357,93 €.“

Unfallregulierung/Prüfung eines Totalschadens, oder: Täuschungsversuch über Vorschaden und Laufleistung

Bild von ElisaRiva auf Pixabay

Im „Kessel Buntes“ dann heute seit längerem mal wieder etwas zur Unfallschadenregulierung, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2022 – I 7 U 74/22-, den mit der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Nichts Besonderes, aber immerhin…..

Nach dem Sachverhalt verlangt der Kläger Schadensersatz nach einem von ihm behaupteten Verkehrsunfall. Er macht im Rahmen einer fiktiven Abrechnung eine Erstattung der Reparaturkosten zuzüglich merkantilen Minderwert geltend. Zusammen haben die Bruttoreparaturkosten mit dem Minderwert 6.104,00 EUR betragen und lagen damit unterhalb des Wiederbeschaffungswertes von 6.600,00 EUR, haben allerdings den Wiederbeschaffungsaufwand nach Abzug des Restwertes von 5.400,00 EUR überschritten. Von den Beklagten ist vor diesem Hintergrund eingewandt worden, dass es sich um einen Totalschaden handeln würde und der Wert des Fahrzeuges nicht bestimmt werden könnte, da die Klägerseite zu wertbestimmenden Vorschäden keine ausreichenden Angaben tätigen würde und auch die angegebene Kilometerleistung nicht zutreffen würde.

In der I. Instanz hatte der Kläger für wertbestimmende Vorschäden im Wesentlichen keine Angaben gemacht, sondern erst in der II. Instanz ein entsprechendes Gutachten zu einem Schaden aus dem Jahr 2016 vorgelegt. Aus diesem ergaben sich eine Vielzahl an Schadenspositionen im Bereich der Motorhaube, den Kotflügeln, Scheinwerfer und Stoßfängerabdeckung sowie den Schlossträgern und diversen weiteren Beschädigungen rund herum um das Fahrzeug. Konkrete Angaben, wie diese Schäden beseitigt worden sein sollen, erfolgten im Laufe des Verfahrens nicht. Im Übrigen ergab sich aus dem Gutachten aus dem Jahr 2016 eine annähernd gleichhohe Laufleistung wie zwei Jahre später bei dem weiteren Schadensgutachten aus dem Jahr 2018, wobei bei diesem Gutachten die Kilometerangabe lediglich auf den Angaben des Klägers beruhte und durch den Gutachter nicht verifiziert werden konnte. Zur zutreffenden Laufleistung erfolgten im Laufe des Prozesses auch keine weiteren Angaben durch die Klägerseite.

Vor diesem Hintergrund hat das LG die Klage abgewiesen. Das OLG Hamm will die dagegen eingelegte Berufung zurückweisen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung, im Übrigen bitte im verlinkten Volltext nachlesen:

    1. Übersteigen die Bruttoreparaturkosten zuzüglich Minderwert zwar den Wiederbeschaffungsaufwand, erreichen jedoch nicht den Wiederbeschaffungswert, erhält der Geschädigte im Rahmen einer fiktiven Abrechnung die Reparaturkosten nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass er das Kfz 6 Monate weiter benutzt.
    2. Bei dem ansonsten alleine zu erstattenden Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert ist der konkrete Fahrzeugschaden jedoch nicht bestimmbar, wenn es an ausreichenden Angaben zu wertbestimmenden Vorschäden und der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeuges als Grundlagen für die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes fehlt.
    3. Dies gilt erst Recht, wenn der Geschädigte als Anspruchsteller in der I. Instanz hierzu sogar unzutreffende Angaben getätigt hat.
    4. Wenn ein erstattungsfähiger Fahrzeugschaden nicht festgestellt werden kann, sind auch alle Folgeansprüche wie eine Unkostenpauschale, Gutachterkosten oder Rechtsanwaltskosten nicht zu erstatten.

Kollision Pkw und Bahn wegen offener Schranken, oder: Bahnbetreiber haftet i..d.R. allein

entnommen wikimedia.org
By Feuermond16 – Own work

Im zweiten Posting stellt ich das OLG Celle, Urt. v. 31.01.2023 – 14 U 133/22. In der – umfangreich begründeten – Entscheidung geht es um Schadensersatz nach einem Bahnunfall. Zugrunde liegt dem Urteil folgender Sachverhalt:

„Die am pp. 1952 geborene Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Schienenbahnunfall in Anspruch.

Am Freitag, den 02. August 2019, befuhr die Klägerin auf dem Weg zum Zahnarzt mit ihrem Pkw Opel Corsa, pp., in R.-E. die B. Straße Richtung Bpp. Gegen 10:42 Uhr erreichte sie den Bahnübergang in Höhe des Bahnkilometers pp. der Eisenbahnstrecke von H. O. nach R., Streckennummer pp.

Der Übergang führte über die eingleisige nicht elektrifizierte Bahnlinie. Dort galt in beiden Fahrtrichtungen eine Höchstgeschwindigkeit für Züge von 120 km/h. Der Bahnübergang war gesichert mit Andreaskreuz, Halbschranken auf beiden Seiten und einer Lichtzeichenanlage. Verbaut war eine sog. Bahnübergangssicherungsanlage (künftig auch: BÜSA) der Fa. S. und B. mit Einheits-Bahnübergangstechnik (EBÜT) aus den 1980-er Jahren. Diese BÜSA wurde nicht vom Fahrdienstleiter oder Schrankenwärter bedient, sondern durch Überfahren eines Einschaltkontaktes durch den Zug aktiviert. Der Kontakt war aus Richtung H. O. kommend am Bahnkilometer pp. angebracht. Wenn beim Überfahren dieses Kontaktes eine Störung auftrat, wurde diese nicht dem Triebwagenführer angezeigt, sondern lief bei dem zuständigen Fahrdienstleiter in R. auf, der dann den Zugführer über Funk verständigen musste.

Dort waren am 02. August 2019 gegen 10:42 Uhr aufgrund einer technischen Störung die Schranken offen, die Lichtanlage war außer Funktion. Zugleich funktionierte auch die Noteinschaltung nicht.

Die Bahnstrecke wurde zu dieser Zeit befahren in Richtung R. von der pp.Bahn (pp.), RB pp., Zugnummer pp., gesteuert von dem Zugführer und Zeugen K. B. Er näherte sich dem oben genannten Bahnübergang mit einer Geschwindigkeit von etwa 116 km/h. Dabei war dem Zugführer bis zu diesem Zeitpunkt der Ausfall der Schranken und der Signale nicht bekannt. Zuständiger Fahrdienstleiter für den Übergang war Herr R. P., der sich in seinem Kontrollraum in R. befand. Ca. 175 m vor dem Übergang löste der Zeuge B. eine Schnellbremsung aus, nachdem er die offenstehenden Schranken bemerkt hatte. Der RB pp. wurde daraufhin etwas langsamer, fuhr beim Erreichen des Übergangs aber immer noch 96 km/h schnell. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und ggfs. wann und wie lange der Zeuge B. zusätzlich das Makrofon, die Hupe des Zuges, betätigt hat.

Auf dem Bahnübergang kam es zur Kollision zwischen dem RB pp. und dem von der Klägerin gesteuerten Pkw Opel Corsa. Das Auto wurde vom Zug auf der Beifahrerseite erfasst und zunächst durch die Luft gegen zwei dort abgestellte DB-Fahrzeuge geschleudert, ehe es sich teilweise um die eigene Achse drehte und erheblich deformiert und beschädigt in umgekehrter Fahrtrichtung zwischen den DB-Fahrzeugen und dem Schrankenantrieb zum Stehen kam.

Zur Zeit des Unfalls befanden sich die beiden Mitarbeiter B. K. und M. W. der Beklagten zu 2) im Bereich des Bahnübergangs.

Die Klägerin wurde bei dem Zusammenstoß schwer verletzt. Sie musste von Feuerwehrleuten aus dem Fahrzeugwrack ihres Pkw befreit werden. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall ein Polytrauma mit gedecktem Schädelhirntrauma und multiple Kontusionsblutungen rechts frontal und temporal, weiter eine Rippenserienfraktur rechts, mit traumatischem Pneumohämatothorax rechts, eine ausgedehnte Rissquetschwunde am distalen Oberarm rechts, eine Radiusköpfchenfraktur mit Gelenkbeteiligung und knöcherner Absprengung am Olekranon rechts (Ellenbogenhöcker an der Spitze des Ellenbogens) und eine Milzkontusion. Die Olekranon-Fraktur wurde noch am Unfalltag operativ versorgt. Die Klägerin wurde vom 02. August 2019 bis 26. August 2019 im Krankenhaus M. stationär behandelt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war sie bis zum 17. September 2019 zu einer Rehabilitation in einer Klinik in Bad O. Danach konnte sie in ihre eigene Wohnung entlassen werden.

Die Beklagte zu 1) zahlte außergerichtlich auf das Schmerzensgeld 4.000,00 € an die Klägerin.“

Das LG hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 56.000,00 €, zur Zahlung weiterer 443,98 € sowie 2.561,83 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt, festgestellt, dass die Beklagten der Klägerin auch zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden verpflichtet sind und die Klage im Übrigen hinsichtlich des begehrten Haushaltsführungsschadens überwiegend abgewiesen. Dagegen die Berufungen der Beklagten und der Klägerin.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg, die der Klägerin war hingegen erfolgreich. Ich beschränke mich hier auf die (amtlichen) Leitsätze der Entscheidung, den Rest bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

  1. Bei einem Zusammenstoß von Kfz und Bahn infolge geöffneter Schranken haftet der Bahnbetreiber im Grundsatz alleine. Eine Mithaftung auf Seiten des beteiligten Pkws kommt nur dann in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kfz-Fahrer erkennbar gewesen ist.
  2. Die Beweislast für die optische und/oder akustische Erkennbarkeit eines herannahenden Schienenfahrzeugs für den Straßenverkehr einschließlich der Wahrnehmbarkeit akustischer Warnsignale, hier für ein rechtzeitiges Betätigen des Makrofons durch den Zugführer, liegt bei den beteiligten Eisenbahnunternehmen.
  3. Es liegt grundsätzlich ein erhebliches Organisationsverschulden des für die Bahnstrecke verantwortlichen Unternehmens der Deutschen Bahn vor, wenn es an einem Bahnübergang in weniger als einem Monat zu 15 Störungsfällen und schließlich zu einer Kollision zwischen Bahn und Pkw wegen der defekten Bahnübergangssicherungsanlage (BÜSA) deswegen kommt, weil bis zur Klärung der Ursache der Störungsserie keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen für den betroffenen Bahnübergang getroffen worden sind.
  4. Zur Erhöhung des Schmerzensgeldes aufgrund eines nicht nachvollziehbaren Regulierungsverhaltens (hier: Komplettverweigerung bei erheblicher Mitverantwortung für ein Unfallgeschehen trotz schwerer Verletzungen der Geschädigten).

Beim Elektroroller explodiert die ausgebaute Batterie, oder: Haftet der Halter?

Bild von Yo Bykes auf Pixabay

Und heute dann zwei zivilgerichtliche Entscheidungen.

Zunächst hier das zu BGH, Urt. v. 23.01.2023 – VI ZR 1234/20 – zur Haftun des Halters eines Elektrorollers, wenn dessen ausgebaute Batterie bei einer Inspektion während des Aufladens explodiert und eine Werkstatt in Brand setzt. Geklagt hatte hier der Gebäudeversicherer gegen die Haftpflichtversicherung des Elektrorollers. Der Halter hatte den zur Inspektion in die Werkstatt gebracht, die bei der Klägerin versichert war. Ein Mitarbeiter des Werkstattinhabers hatte die Batterie aus dem Rollen genommen, um sie aufzuladen. Dabei erhitzte sich diese so stark, dass er sie vom Stromnetz trennen musste und sie zur Abkühlung auf den Boden der Werkstatt legte. Kurz darauf explodierte dann der Akku und setzte das Gebäude in Brand.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision hatte dann beim BGH keinen Erfolg:

„1. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Batterie nicht im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Elektrorollers explodierte.

a) Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Dieses Haftungsmerkmal ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 7; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 7; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 7 mAnm Makowsky, JR 2021, 386; jeweils mwN).

b) Zwar ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Umstand, dass sich der Elektroroller und die Batterie zur Inspektion in einer Werkstatt befanden, für die Frage der Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG unerheblich. Denn dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. die nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 20. Oktober 2020 – VI ZR 319/18, VersR 2021, 597 Rn. 8 [schwer beschädigtes und nicht fahrbereites Fahrzeug in Lagerhalle]; – VI ZR 374/19, DAR 2021, 87 Rn. 8 ff. [in Werkstattgebäude zur Reparatur aufgebockter LKW]; – VI ZR 158/19, NJW 2021, 1157 Rn. 13 ff. [zur TÜV-Untersuchung in Werkstattgebäude abgestellter LKW]).

c) Allerdings ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt dazu auch keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Erhitzung und die nachfolgende Explosion der Batterie bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG standen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Batterie bereits aus dem Elektroroller ausgebaut und hatte zu diesem keine Verbindung mehr. Bei dieser Sachlage besteht kein Unterschied zu der Situation, in der eine zuvor nicht im Elektroroller befindliche Batterie dort eingebaut werden soll und zu diesem Zweck vorher aufgeladen wird. In diesen Fällen ist die Batterie nicht mehr bzw. noch nicht Teil der Betriebseinrichtung.

Weiter ist nicht festgestellt – und die Revision zeigt auch dazu keinen übergangenen Vortrag auf -, dass die Explosion der Batterie in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang stand (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. März 2019 – VI ZR 236/18, NJW 2019, 2227 Rn. 9). Allein der Umstand, dass sich die Batterie zuvor im Elektroroller befand und in diesem entladen wurde, begründet nicht den erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

2. Es bedarf daher keiner Klärung, ob die von der Revision angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts zur möglichen Verursachung des Brandes durch ein schadhaftes Ladegerät und zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Elektrorollers revisionsrechtlicher Prüfung standhalten würden.“