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Bei der Durchsuchung beschlagnahmtes Bargeld, oder: Spätere Sicherstellung nach Polizeirecht zulässig?

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Und als zweites Posting dann etwas, das man gut in einer/der Rubrik: Wie ist es weiter gegangen?, einordnen könnte. Und zwar geht es um die „Fortsetzung“ eines Verfahrens, aus dem ich über den LG Mainz, Beschl. v. 09.08.2021 – 3 Qs 43/21 – berichtet hatte (Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten).

Ich erinnere: Es war im Zusammenhnag mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf illegalen Drogenhandel die Wohnung des Beschuldigten durchsucht und dabei eine größere Summe Bargeld, und zwar rund 35.000 EUR, beschlagnahmt worden. Das Geld wurde auf ein Konto bei der Landesoberkasse eingezahlt. Das LG hatte mit dem o.a. Beschluss die Durchsuchung als rechtswidrig angesehen., das Ermittlungsverfahren ist dann später eingestellt worden. Das beschlagnahmte Geld gab es aber nicht zurück, Es ist vielmehr eine sog. (Anschluss)Sicherstellung des Geldes nach Polizeirecht unter Anordnung des sofortigen Vollzugs ausgesprochen worden. Begründung: Es sei zu befürchten, dass das sichergestellte Bargeld für den Handel mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, z.B. von 1V-LSD, eingesetzt werde. Dadurch würde das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit gefährdet. Dies gelte vor allem deshalb, weil der Antragsteller erst kürzlich erneut polizeilich in Erscheinung getreten sei, indem er 1V-LSD zum Verkauf bei sich geführt habe und dieses Produkt auch auf seiner Webseite zum Verkauf anbiete. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gesundheitsgefährdungen überwiege das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der vorübergehenden Rückgabe seines Geldes.

Dagegen der Widerspruch des ehemaligen Beschuldigten und ein vorläufiger Rechtsschutzantrag. Darüber hat das VG Mainz nun im VG Mainz, Beschl. v. 26.11.2021 – 1 L 887/21.MZ – entschieden. Das VG hat dem Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sicherstellungsbescheid wieder hergestellt und die Herausgabe des Geldes angeordnet. Darüber hat das VG bereits in einer PM berichtet. Ich bin schon ein Stückchen weiter und kann über den Volltext zu der Entscheidung berichten, den mir der Kollege Dr. Sobota, Wiesbaden, geschickt hat.

Das VG geht – nach summarischer Prüfung – davon aus, dass der Sicherstellungsbescheid materiell rechtswidrig ist, da im Zeitpunkt der Anordnung nicht von einer gegenwärtigen Gefahr ausgegangen werden konnte, welche die Sicherstellung des Geldes rechtfertige.

„Die Gefahrenlage braucht nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begründet zu sein (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28), sondern kann sich auch aus der Verwendung der Sache ergeben (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O.; Nds.OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 36). Die Sicherstellung von Geld, das sich bereits in öffentlicher Verwahrung befindet, ist gemäß § 22 Nr. 1 POG (analog) deshalb grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannten Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass das Geld im Falle einer Rückgabe an den früheren Gewahrsamsinhaber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25). Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Gefahr der Begehung von Betäubungsmitteldelikten besteht und dadurch wichtige Rechtsgüter, wie die Gesundheit von Dritten, beeinträchtigt werden können (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018, a.a.O., Rn. 33). Nichts anderes gilt für die Sicherstellung von Buchgeld.

Maßgeblicher Zeitpunkt – nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 5 B 90/05 –, juris, Rn. 6) – sowohl für die Tatsachenfeststellung als auch für die Prognoseentscheidung ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 34; BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 – 10 B 17.83 –, juris, Rn. 25; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19; BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 43; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, Rn. 22).

Bei Erlass der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 lagen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine gegenwärtige Gefahr insoweit besteht, als der Antragsteller das zuvor beschlagnahmte Geld im Falle einer Herausgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar zum Handel mit neuen – verbotenen – psychoaktiven Stoffen verwenden wird, deren Konsum Gesundheitsbeeinträchtigungen herbeiführen kann.

Eine gegenwärtige Gefahr ist – nach allgemeiner Auffassung – eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. etwa BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009, a.a.O., Rn. 28; Kuhn, in: PdK RhPf K-30, Stand: August 2013, § 22 POG, Ziff. 6). Sie zeichnet sich damit durch einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit und die besondere zeitliche Nähe zu dem befürchteten Schadenseintritt aus. Die Gefahrenprognose muss daher eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009, a.a.O., Rn. 38). Es bedarf zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der gegenwärtigen Gefahr grundsätzlich der Prognose, das Geld werde bei Rückgabe in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten verwendet werden (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 22, 25). Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und Ähnliches reichen hierfür jedenfalls als Tatsachengrundlage nicht aus (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 24). Es muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151). Dabei sind nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151).

Ist anhand von hinreichenden Indizien davon auszugehen, dass das Geld offensichtlich aus Drogengeschäften stammt, kommt diesem Umstand bei der Prüfung der Frage, ob eine (gegenwärtige) Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ein erhebliches Gewicht zu (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 38). Denn es entspricht kriminalistischer Erfahrung, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird (Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013, a.a.O.; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 25).

Hier lagen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das Geld aus – illegalen – Drogengeschäften stammt und unmittelbar wieder dafür eingesetzt werden sollte. Der Antragsteller handelt – unbestritten durch den Antragsgegner – nur mit solchen psychoaktiven Stoffen, die noch nicht in der Anlage zum Neuepsychoaktive-Stoffe-Gesetz enthalten sind. Der Handel mit diesen Stoffen ist also derzeit nicht strafbar (siehe dazu auch den Beschluss des Landgerichts Mainz vom 9. August 2021, Az. 3 QS 43/21).

Zwar spricht es für eine gegenwärtige Gefahrenlage, dass ein bestimmtes szenetypisches „Muster“ zu erkennen ist, wonach immer wieder neue psychoaktive Stoffe auf den Markt gebracht werden, die sich geringfügig von den bereits mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verbotenen Stoffgruppen unterscheiden und damit von dem Verbot nicht mitumfasst sind, aber trotzdem eine vergleichbare Wirkung versprechen. In einer Art Wettlauf gegen die Zeit werden diese Stoffe für einen überschaubaren Zeitraum solange zum Verkauf angeboten, bis dieser Stoff ebenfalls in der Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz gelistet wird. Wegen der offenbar nur geringfügig abweichenden chemischen Zusammensetzung verweist der Antragsteller selbst auf seiner Webseite darauf, dass er zwar ausschließlich legale Produkte anbiete, diese aber in ihrer Wirkung mit – den zwischenzeitlich verbotenen – 1P-LSD und 1cPLSD vergleichbar sei („Da es ein Prodrug ist, teilt es viele ähnliche Eigenschaften des LSD selbst, aber auch mit 1PLSD, 1cPLSD und 1B-LSD.“, abzurufen unter: …).

Gleichwohl kann es grundsätzlich keine Vorwirkung des Neue-psychoaktive-StoffeGesetzes dahingehend geben, dass der Umgang mit Stoffen bzw. Stoffgruppen, die noch nicht in die Liste aufgenommen sind, zwar noch nicht verboten oder strafbewehrt wäre, aber gleichwohl ein Vorgehen der Polizeibehörden im Wege der Gefahrenabwehr erlaubt. Dies widerspräche grundsätzlich der Gesetzessystematik des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, das vorsieht, dass Stoffe/Stoffgruppen erst dann verboten sind, wenn sie in die anliegende Liste aufgenommen worden sind. Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz sind Teile der objektiven Rechtsordnung im Sinne der öffentlichen Sicherheit, deren Gefährdung eine Sicherstellungsmaßnahme rechtfertigen könnte. Solange ein Verstoß gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz nicht angenommen werden kann, ist auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (aus diesem Grunde) nicht zu befürchten.

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, der den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zugrunde lag (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 3 K 2803/19 –, juris; VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 1 S 1772/19 –, juris). In diesen Entscheidungen haben die beiden Gerichte jeweils vertreten, dass – ausnahmsweise aufgrund einer „besonderen Konstellation“ – eine Beschlagnahme eines noch nicht verbotenen, neuartigen, psychoaktiven Stoffes zulässig sei. Anders als im vorliegenden Fall hatte der Bundesrat nämlich im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bereits der Aufnahme des Stoffes in die Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz zugestimmt, sodass das Inkrafttreten der geänderten Anlage unmittelbar in wenigen Tagen bevorstand. Zudem lag den Polizeibehörden in dem Fall ein Gutachten des Landeskriminalamtes vor, das im Rahmen des vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellt worden war und eine starke Ähnlichkeit der chemischen Struktur des beschlagnahmten Stoffes mit dem bereits verbotenen LSD festgestellt hatte. Eine vergleichbare, konkrete Gefahrenlage ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen. Es bestehen lediglich Mutmaßungen, dass das sichergestellte Geld im Falle einer Rückgabe zur Verwendung von Geschäften im Zusammenhang mit neuen psychoaktiven Stoffen (konkret: 1V-LSD), die zwar noch nicht verboten sind, aber eine ähnliche Gefährlichkeit aufweisen könnten, eingesetzt wird. Dies reicht – auch zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, die ein ausdifferenziertes System zur Drogenregulierung vorsieht – nicht aus, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begründen. Ob eine Gefahrenabwehr ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, weil das vom Gesetzgeber tolerierte Stadium der Legalität bis zu einem Verbot durch Aufnahme in die Anlage erhebliche Gesundheitsgefahren für Dritte befürchten ließe, lässt sich aufgrund der nur allgemeinen Mutmaßungen über die Gefährlichkeit hier nicht hinreichend prognostizieren. Hierfür wäre es erforderlich gewesen, dass der Antragsgegner weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährlichkeit und Vergleichbarkeit des aktuell vom Antragsteller gehandelten 1V-LSD mit einem bereits verbotenen psychoaktiven Stoff durchgeführt hätte. Die Angaben zur Vergleichbarkeit der Stoffe in dem Online-Shop reichen insofern nicht aus.“

Polizeilicher Bodycameinsatz in einer Wohnung, oder: Hier „ungeeignet und unverhältnismäßig…“

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Die zweite Entscheidung, der AG Reutlingen, Beschl. v. 10.08.2021 – 5 UR II 4/21 L – ist schon etwas älter und hängt demgemäß daher auch schon länger in meinem Blogordner. Heute passt es dann – endlich. In dem Beschluss nimmt das AG zum Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung und zur Kontrolle dieses Einsatzes durch das zuständige AG Stellung.

Folgender Sachverhalt:

Unter Datum 04.05.2021 hat das das Polizeipräsidium Reutlingen, hier das Polizeirevier pp., um Zustimmung zur weiteren Verarbeitung von Bild- und Tonaufnahmen, die mittels des technischen Mittels Bodycam in der Wohnung des Betroffenen und der Frau pp. in der pp.Straße am pp. in pp. hergestellt wurden, nachgesucht.

Zur Begründung wird verwiesen auf zwei Vorkommnisberichte und Anfangsanzeigen wegen zweier Straftaten der fahrlässigen Körperverletzung und der Beleidigung. Ergänzend mitgeteilt wird am 29.07.2021, das technische Mittel Bodycam sei zum Einsatz gebracht worden, da das Verhalten des Betroffenen „aggressiv und unberechenbar“ gewesen sei. Auch sei der Betroffene als Gewalttäter polizeilich bekannt, wobei über Vorstrafen dem Gericht im Antrag nichts mitgeteilt wird. Einsatzgrund sei ein Fall von „Häuslicher Gewalt“ gewesen. Vor Ort sei der alkoholisierte Beschuldigte angetroffen worden. Der habe sich aggressiv vor den Beamten aufgebaut und sei dann zur Eigensicherung durch zwei Beamte mittels einfacher körperlicher Gewalt an der Wand fixiert und mit dienstlich gelieferten Handschließen geschlossen worden. Danach sei es zu Beleidigungen gekommen. Die Aufnahmen sollen nach dem Antrag künftig der Strafverfolgung dienen.

Das AG hat jede weitere Verarbeitung oder Verwendung der dem AG vorgelegten Aufnahmen gem. §§ 44 Abs. 5, Abs. 6, 132 PolGBW in Verbindung mit Art. 13 Abs. 5 GG untersagt. Das AG hat seine Entscheidung recht umfangreich begründet. Wegen der Einzelheiten ist das Selbtsleseverfahren angesagt.

Das AG stützt sich auf zwei Argumente, nämlich:

„Die Bild- und Tonaufzeichnung mittels des technischen Mittels Bodycam am 30.03.2021 in der Wohnung des Betroffenen war nicht rechtmäßig. Die Aufzeichnung war zur Abwehr einer dringenden – und noch unmittelbar bestehenden – Gefahr für Leib oder Leben einer Person ungeeignet und damit unverhältnismäßig.

Eine Leibes- und Lebensgefahr bestand zur Zeit der Erstellung der Aufnahmen (soweit die dem Amtsgericht Reutlingen vorgelegt sind) schon nicht mehr. Zu Beginn der Aufnahmen war der Betroffene augenscheinlich bereits fixiert und mit Handschließen auf dem Rücken geschlossen.

Strafbare Beleidigungen mögen die Öffentliche Sicherheit gefährden oder stören, rechtfertigen aber nicht den Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung. Sie sind keine Gefahr für Leib oder Leben, wie die Ermächtigungsgrundlage dies voraussetzt. Die Ehre hingegen wird über § 44 PolG-BW nicht geschützt, soweit die Störung in einer Wohnung zu befürchten ist oder eintrat.

……

b) Zum Zeitpunkt des Beginns der Erstellung der Aufnahmen war im durch das Amtsgericht Reutlingen zu prüfenden Einsatz die polizeiliche Gefahr bereits beseitigt. Die Lage war statisch. Der Betroffene war augenscheinlich wehrlos und keine Gefahr für die in § 44 PolG-BW genannten Schutzgüter mehr.

Im Übrigen nicht erkennbar ist, dass die Maßnahme dem Betroffenen offen angekündigt wurde, was einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Maßnahme betrifft, andererseits die tatsächliche Geeignetheit des Einsatzes des technischen Mittels weiter in Zweifel stellt……“

Rest bitte selbst lesen. Hat man ja nicht jeden Tag.

Ende im Streit um Erledigungspensum des Richters?, oder: Verfassungsbeschwerde jedenfalls unzulässig

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Im „Kessel Buntes“ stelle ich dann heute zwei Entscheidungen vor, die nun wirklich wenig miteinander zu tun haben. Die eine kommt vom BVerfG, die andere von einem AG.

Ich starte mit dem BVerfG, Beschl. v. 11.11.2021 – 2 BvR 1473/20. Das ist/war das Verfahren, in dem jahrelang um ein richterliche Ermahnung gestritten worden ist. Ermahnt worden ist ein Richter am OLG. Nach entsprechender Ankündigung und vorangegangenem Gespräch hatte die Präsidentin des zuständigen OLG im Januar 2012 (!) einen Bescheid erlassen, mit dem sie dem Richter im Rahmen der Dienstaufsicht die ordnungswidrige Art der Ausführung seiner Amtsgeschäfte gemäß § 26 Abs. 2 DRiG vorhielt und ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnte. Sie führte aus, dass der Richter das Durchschnittspensum seit Jahren „ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessender Toleranzbereiche“ unterschreite.

Der vom Richter gegen den Bescheid erhobene Widerspruch sowie der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Bescheids vor dem Dienstgericht blieben ebenso ohne Erfolg wie die anschließend eingelegte Berufung. Auf die Revision des Beschwerdeführers hat der BGH – Dienstgericht des Bundes – das Berufungsurteil aufgehogen und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Dienstgerichtshof zurück verwiesen. Der Vorhalt und das Anhalten zu einer unverzögerten Erledigung beeinträchtigten den Richter nach Auffassung des BGH zwar grundsätzlich nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Die Grenze zu einer solchen Beeinträchtigung werde erst überschritten, wenn ein Pensum abverlangt werde, welches sich allgemein, also auch von anderen Richtern, sachgerecht nicht mehr bewältigen lasse. Der Dienstgerichtshof hätte jedoch den Einwendungen des Richters zur Ermittlung der Durchschnittszahlen nachgehen müssen. Nach Einholung weiterer Stellungnahmen zu den erhobenen Zahlen hat der Dienstgerichtshof die Berufung dann im Mai 2019 erneut zurück gewiesen. Die dagegen gerichtete Revision beim BGH blieb erfolglos. Der Dienstgerichtshof habe den Prüfungsantrag nunmehr ohne Rechtsfehler für unbegründet erachtet. Dem Beschwerdeführer werde mit dem angefochtenen Bescheid nach der Auslegung des Dienstgerichtshofs keine bestimmte, sondern nur eine insgesamt höhere, sich mehr dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung abverlangt. Der Vorhalt beeinträchtige den Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der ergänzenden Feststellungen nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit.

Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, mit der insbesondere eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit von Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 GG gerügt worden ist.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig angesehen, sie sei nicht hinreichend substantiiert begründet. Dazu aus der PM des BVerfG:

„Dem Beschwerdevorbringen lässt sich eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.

a) Da der Beschwerdeführer die Regelung des § 26 Abs. 2 DRiG verfassungsrechtlich nicht in Zweifel zieht, hätte er sich näher mit ihrem Inhalt auseinandersetzen und darlegen müssen, welcher Anwendungsbereich noch bliebe, wenn, wie er meint, die „Sachgerechtigkeit“ der Erledigung allein durch die subjektive Überzeugung und persönliche Arbeitsweise des einzelnen Richters bestimmt wird. Er führt zwar aus, dass der Vorhalt einer „unzureichenden Arbeitsleistung“ nur insoweit zulässig sei, als damit keine Einflussnahme auf die richterliche Arbeit verbunden sei; dies könnte beispielsweise bei einer unzureichenden Arbeitszeit oder bei der willkürlichen Nichtbeachtung einer gesetzlichen Frist möglich sein. Diese Ausführungen setzen sich jedoch nicht mit dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 DRiG und der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Befugnis der Dienstaufsicht auseinander, nicht nur zu „ordnungsgemäßer“, sondern auch zu „unverzögerter“ Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen. Der Beschwerdeführer berücksichtigt auch nicht, dass das Abstellen auf ein an Durchschnittswerten orientiertes Verständnis von Sachgerechtigkeit unter Wahrung „großzügiger Toleranzbereiche“ die richterliche Unabhängigkeit möglicherweise eher schützt als einengt.

b) Ungeachtet dessen legt der Beschwerdeführer auch eine Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit durch die konkrete Anwendung des § 26 Abs. 2 DRiG in Gestalt der angegriffenen Entscheidungen nicht substantiiert dar.

Soweit er geltend macht, er sei von der Präsidentin durch Bescheid vom Januar 2012 zur Erzielung bestimmter Durchschnittszahlen aufgefordert worden, zeigt er nicht auf, dass auch die – anderslautende – Auslegung, die dieser Bescheid durch die späteren Entscheidungen der Dienstgerichte erfahren hat, unvertretbar sein könnte. So hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer mit dem Bescheid eine quantitativ unbefriedigende Arbeitsleistung vorgehalten und nicht nur ein statistischer Zahlenvergleich vorgenommen werde. Der Vorhalt verlange bei zutreffender Auslegung nur eine insgesamt höhere, sich dem Durchschnitt annähernde Arbeitsleistung. Mit dieser vom Dienstgericht des Bundes revisionsrechtlich nicht beanstandeten tatrichterlichen Würdigung setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Zudem hat der Dienstgerichtshof ausgeführt, der Vorhalt sei so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer selbst seine Arbeitsweise reflektieren könne auf etwaige Vorgehensweisen, die ihn unnötig viel Zeit kosteten, ohne dass sich dies auf die Prüfung der einzelnen Fälle oder allgemein die Qualität der Rechtsprechung auswirken könnte. Dies betreffe nicht die eigentliche Rechtsprechung oder Sorgfalt bei der Bearbeitung der Verfahren, sondern beispielsweise organisatorische Aspekte. Auch das Dienstgericht des Bundes hat festgestellt, dass die in dem Vorhalt enthaltene Aufforderung, die Arbeitsweise zu ändern, gerade nicht bedeute, in einem bestimmten Sinn zu entscheiden oder das Amt in einer bestimmten Richtung auszuüben.

Darüber hinaus lässt der Beschwerdeführer unberücksichtigt, dass er zuletzt vor den Dienstgerichten und auch im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wiederholt vorgetragen hat, er ziehe nicht in Zweifel, dass seine Kolleginnen und Kollegen am Oberlandesgericht ihre Entscheidungen im vorerwähnten Sinne sachgerecht und an das Gesetz gebunden träfen. Im Hinblick auf den Umstand, dass sich der vom Beschwerdeführer beanstandete Vorhalt an der Erledigungsleistung dieser Kolleginnen und Kollegen orientiert, gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, nachvollziehbar zu begründen, dass er selbst ? anders als seine Kolleginnen und Kollegen ? dem Vorhalt nur durch eine Änderung der Rechtsanwendung nachkommen könnte, die von ihm nur unter Verletzung seiner richterlichen Unabhängigkeit verlangt werden könnte…..“

Vielleicht ist ja jetzt Ruhe 🙂 .

Erstmaliger Verstoß eines Gelegenheitskonsumenten, oder: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis?

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Die zweite Entscheidung kommt vom VGH Baden-Württemberg. Das hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.09.2021 – VGH 13 S 2350/21 – zur Frage der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach nicht erfüllter Aufforderungen, ein ärztliches Gutachten beizubringen, Stellung genommen. Das VG hatte die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde gehalten. Der VGH gibt dem Antragsteller Recht:

„…..

Auch ist hier entgegen der von der Fahrerlaubnisbehörde verwendeten missverständlichen Formulierung durch die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht zu klären, ob der Antragsteller „tatsächlich zwischen dem gelegentlichen Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs (Verkehrsteilnahme am 02.03.2020) trennen“ konnte. Voraussetzung für die Verneinung der Fahreignung ist nach dem erstmaligen Verstoß eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Trennungsgebot vielmehr die Prognose, dass er auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Der Antragsgegner hätte sich daher bei der Ermessensausübung mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der konkrete anlassgebende Vorfall eine psychologische Exploration des Antragstellers zur Klärung der Frage notwendig macht, ob dieser das von der Fahrerlaubnisbehörde angenommene bisherige Konsummuster auf Grund eines stabilen Einstellungswandels aufgegeben hat, oder aber zukünftig gelegentlichen Cannabiskonsum von dem Fahren trennen kann. Im Übrigen dürfte die vom Antragsgegner aufgeworfene Fragestellung aus den vorstehend dargestellten Gründen auch in formeller Hinsicht Bedenken begegnen.

Vorliegend kann auch nicht angenommen werden, gerade die Funktion der medizinisch-psychologischen Begutachtung als Gefahrerforschungsmaßnahme, die in ihrer Eingriffsintensität für den Betroffenen hinter einer abschließenden Entscheidung wie der Entziehung der Fahrerlaubnis zurückbleibe, spreche dafür, die Anforderungen an die Ermessensbetätigung und die Begründung der maßgeblichen Erwägungen nicht zu hoch anzusetzen. Denn es ist für den Betroffenen durchaus mit nicht unbeträchtlichen Belastungen verbunden, wenn er sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterzieht. Abgesehen davon stehen die Beibringensaufforderung der Fahrerlaubnisbehörde, die Reaktion des Betroffenen hierauf und eine abschließende Entscheidung der Behörde auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV in engem Zusammenhang. Mit der Entscheidung des Betroffenen, ein von ihm gefordertes Fahreignungsgutachten nicht vorzulegen, ist auch bereits die Entscheidung über eine Entziehung der Fahrerlaubnis vorgezeichnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2016 a. a. O. Rn. 37).

Diese vorstehend aufgezeigten Mängel sind auch nicht deshalb unerheblich, weil die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen hätten. Dahingestellt bleiben kann, ob das gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eröffnete Ermessen im Regelfall dahingehend intendiert ist, dass die Fahrerlaubnisbehörde ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Aufklärung der Eignungszweifel anzuordnen hat. So geht etwa der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 08.11.2017 – 11 CS 17.1850 – juris Rn. 12) davon aus, dass bei einer Fahrt unter deutlicher Einwirkung von Cannabis vieles dafür spreche, dass der Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung eingeschränkt sei. Ausgehend hiervon wäre eine vertiefte Auseinandersetzung der Behörde mit den für und gegen eine Begutachtungsanordnung sprechenden Gründen bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten, die einmalig gegen das Trennungsgebot verstoßen haben, nur unter besonderen Umständen erforderlich. Auch wenn diesem Verständnis von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zu folgen sein sollte, war hier auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles eine ausdrückliche Ermessensbetätigung und die Darlegung der entsprechenden Erwägungen durch die Fahrerlaubnisbehörde erforderlich. Diese Notwendigkeit folgt bereits daraus, dass nach den Darlegungen in der Gutachtensanordnung die Zusatztatsache einer Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis ausweislich des in der Blutprobe festgestellten THC-Wertes von 0,9 ng/ml nicht mit der gebotenen Sicherheit angenommen werden kann……“

Den Rest im Volltext bitte selbst lesen. Ist auch hier mal wieder recht viel.

Fahrtenbuchauflage beim Geschwindigkeitsverstoß, oder: Rechtzeitige Anhörung des Fahrzeughalters

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Heute im „Kessel Buntes“ dann mal wieder zwei Entscheidungen aus dem Verkehrsverwaltungsrecht.

Zunächst der OVG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2021 – 4 Bs 140/20, der sich mit § 31a StVZO befasst, also Fahrtenbuchproblematik. Der Antragsteller des Verfahrens ist Halter eines Fahrzeugs, mit dem am 05.07.2020 ein Geschwindigkeitsverstoß begangen wurde. Das Frontfoto von dem Verstoß zeigt eine weibliche Person. Auf das Anhörungsschreiben mit Foto an seine aktuelle Meldeanschrift und eine Erinnerung hat der Antragsteller nicht reagiert. Auf eine Ladung als Zeuge erschien er nicht. Das Bußgeldverfahren wurde dann eingestellt, weil die Feststellung des Täters unmöglich war.

Die Verwaltungsbehörde legte dem Antragsteller die Führung eines Fahrtenbuches für sechs Monate auf und ordnete die die sofortige Vollziehung der Maßnahme an. Der Antragsteller hat vorläufigen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen. Das hat das VG abgelehnt. Die Beschwerde blieb beim OVG erfolglos.

Das OVG schreibt man wieder – wie die VG häufig viel. Daher hier nur die Leitsätze zu dem Beschluss:

  1. Die Behörde trägt die materielle Beweislast für die rechtzeitige Anhörung des Fahrzeughalters. Es obliegt ihr, den vollen Beweis über den Zugang eines Schriftstücks zu erbringen, da dessen Nichterhalt eine sog. negative Tatsache darstellt, die ihrerseits eines Beweises nicht zugänglich ist. Dies ergibt sich für ein Schreiben aus den allgemeinen Beweislastregelungen über den Zugang von Willenserklärungen.

  2. Der Zugang eines mit einfachem Brief bei der Post aufgegebenen Schriftstücks kann nicht im Wege der Beweiserleichterung des Prima-facie-Beweises nachge-wiesen werden.

  3. Das Gericht kann im Wege der Würdigung der Umstände des Einzelfalles nach § 108 Abs. 1 VwGO zu der Überzeugung gelangen, dass ein abgesandtes Schrift-stück den Adressaten erreicht hat.