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Polizeilicher Bodycameinsatz in einer Wohnung, oder: Hier „ungeeignet und unverhältnismäßig…“

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Bild von fsHH auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, der AG Reutlingen, Beschl. v. 10.08.2021 – 5 UR II 4/21 L – ist schon etwas älter und hängt demgemäß daher auch schon länger in meinem Blogordner. Heute passt es dann – endlich. In dem Beschluss nimmt das AG zum Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung und zur Kontrolle dieses Einsatzes durch das zuständige AG Stellung.

Folgender Sachverhalt:

Unter Datum 04.05.2021 hat das das Polizeipräsidium Reutlingen, hier das Polizeirevier pp., um Zustimmung zur weiteren Verarbeitung von Bild- und Tonaufnahmen, die mittels des technischen Mittels Bodycam in der Wohnung des Betroffenen und der Frau pp. in der pp.Straße am pp. in pp. hergestellt wurden, nachgesucht.

Zur Begründung wird verwiesen auf zwei Vorkommnisberichte und Anfangsanzeigen wegen zweier Straftaten der fahrlässigen Körperverletzung und der Beleidigung. Ergänzend mitgeteilt wird am 29.07.2021, das technische Mittel Bodycam sei zum Einsatz gebracht worden, da das Verhalten des Betroffenen „aggressiv und unberechenbar“ gewesen sei. Auch sei der Betroffene als Gewalttäter polizeilich bekannt, wobei über Vorstrafen dem Gericht im Antrag nichts mitgeteilt wird. Einsatzgrund sei ein Fall von „Häuslicher Gewalt“ gewesen. Vor Ort sei der alkoholisierte Beschuldigte angetroffen worden. Der habe sich aggressiv vor den Beamten aufgebaut und sei dann zur Eigensicherung durch zwei Beamte mittels einfacher körperlicher Gewalt an der Wand fixiert und mit dienstlich gelieferten Handschließen geschlossen worden. Danach sei es zu Beleidigungen gekommen. Die Aufnahmen sollen nach dem Antrag künftig der Strafverfolgung dienen.

Das AG hat jede weitere Verarbeitung oder Verwendung der dem AG vorgelegten Aufnahmen gem. §§ 44 Abs. 5, Abs. 6, 132 PolGBW in Verbindung mit Art. 13 Abs. 5 GG untersagt. Das AG hat seine Entscheidung recht umfangreich begründet. Wegen der Einzelheiten ist das Selbtsleseverfahren angesagt.

Das AG stützt sich auf zwei Argumente, nämlich:

„Die Bild- und Tonaufzeichnung mittels des technischen Mittels Bodycam am 30.03.2021 in der Wohnung des Betroffenen war nicht rechtmäßig. Die Aufzeichnung war zur Abwehr einer dringenden – und noch unmittelbar bestehenden – Gefahr für Leib oder Leben einer Person ungeeignet und damit unverhältnismäßig.

Eine Leibes- und Lebensgefahr bestand zur Zeit der Erstellung der Aufnahmen (soweit die dem Amtsgericht Reutlingen vorgelegt sind) schon nicht mehr. Zu Beginn der Aufnahmen war der Betroffene augenscheinlich bereits fixiert und mit Handschließen auf dem Rücken geschlossen.

Strafbare Beleidigungen mögen die Öffentliche Sicherheit gefährden oder stören, rechtfertigen aber nicht den Einsatz des technischen Mittels Bodycam in einer Wohnung. Sie sind keine Gefahr für Leib oder Leben, wie die Ermächtigungsgrundlage dies voraussetzt. Die Ehre hingegen wird über § 44 PolG-BW nicht geschützt, soweit die Störung in einer Wohnung zu befürchten ist oder eintrat.

……

b) Zum Zeitpunkt des Beginns der Erstellung der Aufnahmen war im durch das Amtsgericht Reutlingen zu prüfenden Einsatz die polizeiliche Gefahr bereits beseitigt. Die Lage war statisch. Der Betroffene war augenscheinlich wehrlos und keine Gefahr für die in § 44 PolG-BW genannten Schutzgüter mehr.

Im Übrigen nicht erkennbar ist, dass die Maßnahme dem Betroffenen offen angekündigt wurde, was einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Maßnahme betrifft, andererseits die tatsächliche Geeignetheit des Einsatzes des technischen Mittels weiter in Zweifel stellt……“

Rest bitte selbst lesen. Hat man ja nicht jeden Tag.