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OWi I: Absehen vom Fahrverbot, aber erhöhte Geldbuße, oder: Beschwer des Betroffenen?

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Heute dann ein wenig OWi, und zwar zunächst mit einer Entscheidung u.a. zum Fahrverbot, und zwar der OLG Schleswig, Beschl. v. 19.06.2024 – I ORbs 60/24.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße von 600,00 € festgesetzt. Es hat im Rechtsfolgenausspruch von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen und stattdessen die Geldbuße verdreifacht.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, welche er mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Sie geht u.a. davon aus, dass es an einer Benachteiligung des Betroffenen durch die vom AG letztlich vorgenommene Festsetzung der Geldbuße fehle, da diese im Vergleich zum Fahrverbot das mildere Ahndungsmittel sei. Das hat das OLG anders gesehen:

„b) Auch im Rechtsfolgenausspruch ist der Betroffene nach Auffassung des Senates beschwert.

Zwar führt die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend aus, dass unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots eine (erhöhte) Geldbuße gegenüber einem Fahrverbot die mildere Sanktion ist und deshalb auch auf ein Rechtsmittel allein zugunsten eines Betroffenen bzw. bei Anwendung von § 301 StPO verhängt werden darf (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juli 2007 – 3 Ss OWi 360/07 –, juris). Dieser Rechtsgedanke beruht allerdings auf einer abstrakten Differenzierung zwischen Geldbuße und Fahrverbot als unterschiedliche Sanktionen. Dies ist zu unterscheiden von der Frage, ob die rechtsfehlerhafte Anwendung dieser Sanktionsmöglichkeiten den Betroffenen dann konkret beschwert, wenn von der härteren Sanktion gegen Erhöhung der milderen Sanktion abgesehen wird. Würde die Beschwer unter dem Gesichtspunkt verneint, dass „nur“ auf eine mildere Sanktion erkannt wurde und ließe man dabei außer Betracht, dass diese nachteilig erhöht wurde, wäre es dem Rechtsbeschwerdegericht stets verwehrt, den Rechtsfolgenausspruch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu überprüfen, wenn das Tatgericht von der härteren Sanktion des Fahrverbotes abgesehen hat. Damit wäre dem Rechtsbeschwerdegericht auch nicht mehr möglich nachzuprüfen, ob das Tatgericht die Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot erkannt und dessen Bedeutung im Rechtsfolgenausspruch beachtet hat. Das sieht auch die Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich nicht so, denn sie nimmt wirtschaftliche Erwägungen dahingehend vor, ob der Betroffene durch die Erhöhung der Geldbuße in der Gesamtschau beschwert ist und verneint dies im Ergebnis. Die diesbezüglichen Erwägungen sind jedoch hypothetisch und finden in den Urteilsgründen keine Stütze. Genau hieran zeigt sich aber, dass es dem Urteil umfassend an Feststellungen mangelt, die den Rechtsfolgenausspruch tragen könnten. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht kann nämlich eigene Erwägungen nicht anstelle des Tatrichters setzen. Dies folgt schon aus § 79 Abs. 6 OWiG, wonach eine eigene Entscheidung zwingend voraussetzt, dass die Feststellungen des Tatgerichts hierfür ausreichen.

Die Beschwer des Betroffenen liegt nach Auffassung des Senats schon darin, dass die Geldbuße signifikant erhöht, nämlich verdreifacht, worden ist. Denn hierin liegt eine wirtschaftliche Beschwer innerhalb der verhängten Sanktion, die den Betroffenen zu Unrecht benachteiligen kann. § 4 Abs. 4 BKatV regelt nämlich, dass bei einem Absehen vom Fahrverbot die Geldbuße angemessen (Hervorhebung durch den Senat) erhöht werden soll. Hierin kommt die Wechselwirkung beider Sanktionen zum Ausdruck, deren Beachtung für das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar sein muss. Gleiches gilt für die innerhalb des Ermessensspielraums des Tatrichters maßgeblich zu berücksichtigenden Umstände, so u.a. die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen soweit sie entscheidungsrelevant sind. Auch wenn die Zumessungserwägungen des Tatrichters nur einer eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob die tatrichterlichen Erwägungen ausreichend sind oder aber lückenhaft und in sich widersprüchlich. So liegt es hier. Mangels Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen kann der Senat nicht überprüfen, ob die Erhöhung der Geldbuße um das Dreifache angemessen im Sinne von § 4 Abs. 4 BKatV ist und der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot hinreichend Rechnung getragen wurde. Die Feststellung des Amtsgerichts „Die Verdreifachung der Regelgeldbuße erfolgte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände.“ stellt eine inhaltslose Floskel dar, weil das Urteil sich zu diesen „Gesamtumständen“ nicht verhält. Auch im Rechtsfolgenausspruch war das Urteil daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben.“

Unschön dann aber:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Durchgreifenden Bedenken dürfte der Schuldspruch auch im Hinblick auf die Annahme von Fahrlässigkeit begegnen. Zunächst genügen die tatsächlichen Feststellungen zu der Beschilderung nicht, soweit das Amtsgericht lediglich ausgeführt hat, die zulässige Geschwindigkeit sei „in diesem Bereich“ beschränkt. Auch verhält sich das Urteil nicht dazu, ob der Betroffene die Beschilderung wahrgenommen oder aber (nur) übersehen hat. Angesichts von fünf einschlägigen Vorerkenntnissen im FAER, davon allein drei im Jahr 2022, und der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 32 km/h (ein Drittel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) hatte das Amtsgericht allerdings erhebliche Veranlassung, eine vorsätzliche Tatbegehung durch den Betroffenen zu prüfen. Insoweit lässt das Urteil unter Ziffer II besorgen, dass sich der Tatrichter dieser Möglichkeit gar nicht bewusst war, weil Erwägungen hierzu vollständig fehlen.

Kann ein Fahrverbot aufgrund des insoweit geltenden Verschlechterungsverbots zwar nicht mehr angeordnet werden, so ist es dem Amtsgericht allerdings noch möglich, hinsichtlich der Schuldform neue Feststellungen zu treffen und die sich hierzu aufdrängenden Erwägungen anzustellen. Das Verschlechterungsverbot gilt für die Verurteilung wegen einer nachteiligen Schuldform nicht (KG, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 3 ORbs 5/23122 Ss 138/22 -, bei BeckRS), so dass ggf. die Regelbuße nach § 3 Abs. 4a BKatV zwingend zu verdoppeln wäre.“

OWi II: Rechtliches Gehör wegen Abwesenheit verletzt?, oder: Begründung der Verfahrensrüge

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Und als zweite OWi-Verfahrens-Entscheidung dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.04.2024 – 1 ORbs 324/23 – zur Begründung der Verfahrensrüge in einem „Quasi-Entbindungsfall2.

Wegen der etwas verwickelten Sachverhalts verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen und zurückgewiesen. Zur Begründung führt es (umfangreich) aus:

„a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht in der für eine Verfahrensrüge erhobenen Form gerügt worden und – dessen ungeachtet – auch nicht gegeben.

aa) Soweit der Betroffene die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) erhoben hat, handelt es sich um eine Verfahrensrüge, die jedoch nicht den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt. Da das Rechtsbeschwerdegericht nicht von sich aus die Ordnungsgemäßheit des gesamten Verfahrens prüfen kann, muss der Beschwerdeführer die den konkrete geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben; hierzu gehören auch die Tatsachen, die dem behaupteten Verfahrensfehler die Grundlage entziehen (sog. Negativtatsachen; vgl. statt vieler: BGH StV 2004, 30; BGH NJW 2016, 419; BGH NStZ-RR 2008, 85).

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene geltend gemacht, zum anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen zu sein; zugleich behauptet der Betroffene in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 25. Juli 2023, vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden zu sein.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 31. August 2023 die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Begründung beantragt, dass der Betroffene nicht (erneut) von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung durch das Gericht entbunden worden war, kann dies der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da es insoweit an einem entsprechenden Sachvortrag durch den Beschwerdeführer fehlt. Es fehlt an Angaben dazu, ob und ggf. in welchem Umfang der Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung am 17. Mai 2023 gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden worden war. Hierzu hätte es eines konkreten Vortrags insbesondere deswegen bedurft, weil der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf den Vorlagebeschluss des Kammergerichts vom 28. Februar 2022 (3 Ws (B) 31/22, abgedruckt in: DAR 2023, 94) am 10. Oktober 2023 grundlegend entschieden hat, dass die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortwirkt, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut beantragt und erlassen werden muss (4 StR 94/22, abgedruckt in: NJW 2024, 776 f. = DAR 2024, 165 ff. = NZV 2024, 180 ff.). Um entscheiden zu können, ob das Bußgeldgericht die Hauptverhandlung zu Recht in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt hatte, hätte es eines entsprechenden Vortrags gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG insbesondere dahingehend bedurft, ob eine Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung durch das Gericht für einen konkreten Hauptverhandlungstermin ausgesprochen worden war oder sich generell auf die Hauptverhandlung in der vorliegenden Bußgeldsache bezogen hat. Hierzu verhält sich weder die Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vom 27. Juli 2023 noch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 31. August 2023.

bb) Die Abwesenheit der Verteidigerin von der Hauptverhandlung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht begründen, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein entsprechender Sachvortrag den an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 zu stellenden Anforderungen genügt.

Eine Verletzung des Anspruches des Betroffenen auf rechtliches Gehör kann selbst bei Ablehnung eines auf die Verhinderung des Verteidigers gestützten Terminaufhebungs- oder Terminverlegungsantrages nicht liegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2012, 2 RBs 253/12; BayObLG, Beschluss vom 31. Mai 1994, 2 ObOWi 194/94, jew. zitiert nach juris, jew. m.w.N.). Die Verhinderung seines Verteidigers nimmt dem Betroffenen nicht die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht rechtliches Gehör zu verschaffen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet nur das rechtliche Gehör als solches, nicht rechtliches Gehör gerade durch Vermittlung eines Rechtsanwalts (vgl. bereits BVerfG NJW 1984, 862; OLG Hamm a.a.O.; BayObLG a.a.O.; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Düsseldorf VRS 95, 104). Mithin hätte der Betroffene mit seinen Einwendungen gehört werden können, was erst Recht gilt, wenn diese – wie hier – bereits schriftsätzlich vorgetragen worden sind (vgl. auch BGHSt 28, 44, 46; BayObLG NZV 1992, 43; OLG Düsseldorf VRS 82, 209; OLG Köln VRS 83, 367; OLG Dresden DAR 2004, 102; siehe auch BVerfGE 85, 386,404).

cc) Soweit die Verteidigung die Verletzung rechtlichen Gehörs damit zu begründen sucht, dass das Bußgeldgericht „den in der Hauptverhandlung am 23. November 2023 aufgekommenen Zweifeln an einer konkreten Geschwindigkeitsmessung nicht nachgekommen“ sei, genügen die Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG. Dies betrifft sowohl die inhaltlichen Darlegungen zu den konkreten Zweifeln wie auch die Negativtatsache, dass ausweislich der Bußgeldakte eine Abschrift des Schreibens des Staatsbetriebs für das Mess- und Eichwesen des Freistaates Sachsen vom 5. Dezember 2022 sowohl dem Betroffenen als auch dessen Verteidigerin am 18. Dezember 2022 zugeleitet worden war.

b) Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. ….

OWi I: Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides, oder: „völlig sprunghaft und ohne roten Faden“

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Und dann heute mal wieder ein paar OWi-Entscheidungen.

Ich starte mit dem AG Menden, Beschl. v. 26.06.2023 – 8 OWi 45/23 – zur Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides. Das AG hat das Bußgeldverfahren eingestellt und führt aus:

„Mängel des Bußgeldbescheides sind im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich unbeachtlich, wenn der Bescheid nicht unwirksam ist. Unwirksam ist der Bußgeldbescheid nur bei schwerwiegenden Mängeln, liegen solche vor, ist das Verfahren mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung gemäß §§ 36 Abs. 1 OWiG, 206a, 260 StPO einzustellen. Die tatsächliche und rechtliche Bezeichnung der Tat gemäß § 66 Abs. 1 Ziff. 3 OWiG soll die Beschuldigung eindeutig kennzeichnen. Wesentlich für die Bezeichnung ist deshalb, dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine Verteidigung richten muss. Es kommt darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Betroffene zu der angegebenen Zeit und in dem angegebenen Raum weitere gleichartige Ordnungswidrigkeiten verübt hat und eine Verwechselungsgefahr besteht. Gemessen hieran ist der Bußgeldbescheid ausreichend, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Tatidentität bestehen kann, also feststeht, welchen Sachverhalt er erfasst und ahnden soll (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 144/22).

Denn ob die im Bußgeldbescheid bezeichnete prozessuale Tat hinreichend genau bezeichnet ist, hängt davon ab, ob der Bußgeldbescheid seine diesbezügliche Aufgabe erfüllt, den Gegenstand des (gerichtlichen) Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abzugrenzen sowie den Betroffenen ohne Akteneinsicht und Einholung von Rechtsrat in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben wird (vgl. KG, Beschluss vom 31.01.2019 – 3 Ws (B) 42/19122 Ss 19/19).

II.

Vorliegend weist der Bußgeldbescheid derartige schwerwiegende Mängel auf.

Der Bußgeldbescheid benennt insgesamt vier Taten, welche sich um 22:10 Uhr in 1. Balve und 2. um 22:20 Uhr in Menden ereignet haben sollen, wobei 1. und 2. auf der B515 1. Hönnetalstraße und 2. Bessemerweg stattgefunden haben sollen.

Nachfolgend sind die einzelnen Taten tabellarisch dargestellt, insoweit wird auf den Bußgeldbescheid verwiesen.

Allein auf Grundlage des Bußgeldbescheides ist es schon dem Gericht ohne vorherigen intensives Aktenstudium nicht möglich gewesen, den einzelnen benannten Taten den jeweiligen Tatort zuzuordnen. Die Aufzählung ist völlig sprunghaft und ohne roten Faden, so dass schon nicht ersichtlich ist, welche der vorgenannten – lückenhaften – Tatorte, welchem Tatgeschehen zugeordnet werden soll. Abgesehen davon finet sich die vorbezeichnete Nummerierung in der tabellarischen Auflistung schlicht nicht wieder, vielmehr werden in der Bezeichnung der jeweiligen Taten – wahrscheinlich wegen der angenommenen Tateinheit – sämtliche Taten unter Ziffer 1 aufgeführt, so dass anhand der Ziffern keine konkrete Zuordnung möglich ist. Darüber hinaus ist jedoch noch zu beachten, dass die in der Tabelle genannten Taten nicht dem zuvor bezeichneten chronologischen Ablauf folgen, sondern – vermutlich – dem Schweregrad nach dem Bußgeldkatalog, was die Zuordnung von Tatzeit und Tatort noch unmöglicher macht.

Zudem ist zu beachten, dass allein in der Schilderung des Zeugen Michel von mehreren Überholmanövern die Rede ist bei einer Fahrtstrecke, die über mehrere Kilometer geht und über mehrere Lichtzeichenanlagen und Sperrflächen verfügt. Auch hieraus ergibt sich, dass ohne Zuhilfenahme des weiteren Akteninhaltes eine Zuordnung der Verstöße nicht möglich ist.

1. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ergebenden und den gesetzlichen Anforderungen an die strafprozessuale Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 S. 1 StPO) und den Strafbefehl (409 Abs. 1 S. 1 StPO) nachgebildeten Anforderungen an den Bußgeldbescheid als wirksame Verfahrensgrundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung dürfen nicht überspannt werden dürfen. Entscheidend ist allerdings, dass der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides, also namentlich aus den Angaben zum Begehungsort und zur Tatzeit erkennen kann, wegen welchem konkreten Fehlverhalten er zur Verantwortung gezogen werden soll und insoweit eine Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausgeschlossen ist. Deshalb genügt zur Bezeichnung der „Tat“ im Sinne von § 66 Abs. Nr. 3 OWiG etwa die schlichte Angabe der abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll. Denn nur dann ist ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet. Der Umfang der Tatschilderung wird allerdings auch hier maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbietet sich eine ausführliche Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 – 3 Ss OWi 896/08).

Diese Voraussetzungen erfüllt der hiesige Bußgeldbescheid – wie oben ausgeführt – schon nicht.

2. Die durch die unzulängliche Fassung des konkreten Tatgeschehens entstehenden Zweifel an der Tatidentität sind auch nicht unschädlich. Dies kann der Fall sein, wenn sowohl für den Betroffenen als auch für Dritte nicht offenbleibt, welcher Lebenssachverhalt durch den Bußgeldbescheid geahndet werden soll BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 66 Rn. 29). Dies gilt beispielweise, wenn die, die Ordnungswidrigkeit beobachtenden Polizeibeamten den Betroffenen in unmittelbarer zeitlicher und/oder örtlicher Nähe mit der konkreten Bezeichnung des Fehlverhaltens konfrontieren.

Dies war jedoch hier gerade nicht der Fall, da der Zeuge pp. dem Betroffenen nur ganz allgemein auf sein Fahrverhalten angesprochen hat, ohne die konkreten Verstöße zu individualisieren.

3. Der vorbezeichnete Verstoß wird auch nicht durch Ergänzung der weiteren Akteninhalte „geheilt“. Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen”. Der Bußgeldbescheid erwächst, sofern er nicht angefochten wird, in Rechtskraft. Er muss daher auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen, d.h. die Gefahr einer Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausschien (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.09.2021 – 4 RBs 277/21).“

Bei einer so schönen Entscheidungsbegründung darf es hier auch mal etwas mehr Text sein. Und die Kosten- und Auslagenentscheidung ist auch richtig. Da muss die Staatskasse ran.

Ich nehme dann mal <<Werbemodus an>> diese Entscheidung auf „Burhoff (Hrsg.) Handuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024″ zu verweisen. Die Neuauflage liegt inzwischen vor und kann hier bestellt werden. In dem Buch sind die Fragen des Bußgeldbescheides eingehend erörtert. <<Werbemodus aus>>.

 

„Einsatz“ des Baseballschlägers im Straßenverkehr, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis

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Und im zweiten Posting gibt es dann mal wieder etwas zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar den VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.05.2024 – 14 L 783/24. Die Verwaltungsbehörde hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen die Klage mit Antrag, die aufschiebende Wirkung wieder herzustellen, den das VG abgelehnt hat. Der Betroffene hatte das wegen „erhöhten Agressionspotential“ angeforderte Gutachten nicht vorgelegt. Das VG hat den Antrag abgelehnt:

“ ….. Die materiellen Voraussetzungen für die Gutachtenanordnung lagen ebenfalls vor. Nach § 11 Abs. 3 Ziffer 6 FeV kann zur Klärung von Eignungszweifeln ein medizinisch-psychologisches Gutachten angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen.

Dabei können Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial etwa bei hoher Angriffslust und Streitsüchtigkeit oder bei impulsivem Durchsetzen eigener Interessen unter schwerwiegender Verletzung der Interessen anderer bestehen, wobei Anhaltspunkte für diese Eigenschaften ausreichen und deren Vorhandensein nicht festgestellt sein muss,

vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., 2023, § 11 FeV, Rdnr. 35d; VG Ansbach, Urteil vom 29. Oktober 2012 – 10 K 12.00455 – juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. November 2016 – 14 L 3473/16 – juris.

Allerdings lässt hohe Aggressionsbereitschaft nur dann Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zu, wenn zu besorgen ist, dass der Betreffende in konflikthaften Verkehrssituationen emotional impulsiv handelt und dadurch das Risiko einer gefährdenden Verkehrssituation erhöht,

vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 5. Juli 2012 – 11 C 12.874 – juris.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der am 00. 00 0000 geborene Antragsteller ist strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ausweislich des rechtskräftigen Strafurteils des Landgerichts H. vom 00. 00 0000 (Az.: 00 KS-000 Js 00/00-00/00) ist der Antragsteller wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt worden. Das Urteil führt u.a. aus:

„Am 00. 00 0000 befuhr der Angeklagte gegen 06:15 Uhr pp. den linken Fahrstreifen der Autobahn A 59 in Fahrtrichtung N.. Vor ihm fuhr der im folgenden Getötete E. J., geboren am 00. 00 0000. J. war erheblich alkoholisiert – er wies eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,25 Promille auf – und fuhr Schlangenlinien. Als sich der Angeklagte mit seinem Fahrzeug unmittelbar hinter J. befand, bremste dieser plötzlich ohne ersichtlichen Grund stark ab, woraufhin der Angeklagte ebenfalls stark abbremsen musste, um eine Kollision zu vermeiden. Der Angeklagte betätigte die Lichthupe und überholte J., der schließlich die linke Spur geräumt hatte. Beim Überholvorgang zeigte J. noch dem Angeklagten den Mittelfinger, was der Angeklagte auch wahrnahm. Kurz darauf nahmen beide Fahrzeuge die Ausfahrt H.-X., wobei der Angeklagte nunmehr vor J. fuhr. Im Bereich der Abbiegespur in Richtung W., unmittelbar vor der Ampelanlage in der Autobahnausfahrt, kam der Angeklagte zum Stehen. J. hielt hinter ihm. Der Angeklagte stieg aus, nahm einen ca. 60-70 cm langen Baseballschläger aus Holz, der sich in seinem Fahrzeug befand, an sich und ging auf J., welcher sein Fahrzeug ebenfalls verlassen hatte, zu. Der Angeklagte … griff mit beiden Händen den Baseballschläger, holte seitlich zum Schlag aus und schlug in Körperverletzungsabsicht auf den Körper des J., den er auch traf, … J. kam zu Fall und lag rücklings auf dem Boden, … Zu diesem Zeitpunkt schlug der Angeklagte erneut in Verletzungsabsicht mit dem Baseballschläger zu.“ Nachdem ein weiteres Fahrzeug, besetzt mit drei Personen, angekommen und die Personen ausgestiegen waren, schrie der Antragsteller den Personen zu „Das Schwein ist besoffen“ , stieg in sein Fahrzeug und fuhr davon. Der Geschädigte J. erlitt aufgrund von Komplikationen im Krankenhaus ein Multiorganversagen, dass am 13. November 2020 zum Tod führte.

Diese Straftat gibt ausreichende Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial des Antragstellers. Entgegen der Ansicht des Antragstellers steht der der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt insofern im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung und dem Straßenverkehr, als der Antragsteller aufgrund des Verhaltens eines anderen motorisierten Verkehrsteilnehmers derartig aggressiv geworden ist, dass er diesen mit einem Baseballschläger zu Boden geschlagen und weiter auf den bereits auf dem Boden liegenden eingeschlagen hat. Nachdem er geschrien hat „Das Schwein ist besoffen“ hat der Antragsteller den Geschädigten überdies auf dem Boden liegen lassen und ist davongefahren. Aufgrund der Art, Schwere und Umstände dieser Tat besteht die Gefahr, dass der Antragsteller im motorisierten Straßenverkehr in Konfliktsituationen und beim Zusammentreffen mit alkoholisierten Kraftfahrern die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer nicht respektieren wird und auch dort eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen will. Zwar geht aus dem Urteil des Landgerichts auch hervor, dass die Tat vor dem Hintergrund gesehen werden müsse, dass der Antragsteller durch den alkoholisierten Kraftfahrer an den Tod seines Bruders erinnert wurde, der im Jahr 2017 durch einen alkoholisierten Kraftfahrer ums Leben kam. Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass dies für den Antragsteller einen gravierenden Schicksalsschlag bedeutete, so ist es dennoch vor dem Hintergrund des Gefahrenabwehrrechts nicht zu verantworten, dass der Antragsteller den – möglicherweise nicht verarbeiteten Tod des Bruders – in aggressiver Weise in vergleichbaren Verkehrssituationen an anderen Verkehrsteilnehmern auslässt. Ob der Antragsteller den Tod des Bruders nun in einer Weise verarbeitet hat, dass er in zukünftigen Situationen nicht in ähnlicher Weise aggressiv wird, hätte durch das angeordnete Gutachten geklärt werden müssen.

Das in § 11 Abs. 3 FeV eingeräumte Ermessen hat die Antragsgegnerin angesichts der geschilderten Verurteilung richtigerweise dahingehend ausgeübt, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Ein Untätigbleiben wäre bei der aufgrund der vom Antragsteller möglicherweise ausgehenden erheblichen Gefährdung des Straßenverkehrs nämlich unverantwortlich gewesen.

Die Antragsgegnerin ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Gutachtenaufforderung und die auf die Nichtbeibringung eines solchen Gutachtens gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis nicht die Bestimmung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG entgegensteht. Nach dieser Bestimmung kann die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren, in dem sie einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, nicht zum Nachteil des Betroffenen vom Inhalt des Strafurteils abweichen, als sich dieses auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung u.a. der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.

Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine innere Rechtfertigung darin, dass auch die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafrichter übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde. Während die Behörde allerdings die Kraftfahreignung aufgrund einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers zu beurteilen hat, darf der Strafrichter nur eine Würdigung der Persönlichkeit vornehmen, soweit sie in der jeweiligen Straftat zum Ausdruck gekommen ist. Deshalb ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung auch nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Verwaltungsbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat. Dabei gilt die in § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG angeordnete Bindungswirkung nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren unter Einschluss der vorbereitenden Maßnahmen, so dass in derartigen Fällen die Behörde schon die Beibringung eines Gutachtens nicht anordnen darf.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2012 – 16 B 711/12 -, juris. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 – 7 C 46.87 -, BVerwGE 80, 43; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3. Mai 2010 – 10 S 256/10 -, VRS 119, 164 = Blutalkohol 47, 310 = juris, Rn. 3 m.w.N.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Antragsgegnerin hier gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG nicht gehindert, die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Eignungsgutachtens anzuordnen und auf die Nichtvorlage gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV mit der Entziehung der Fahrerlaubnis zu reagieren.

Allein die Tatsache, dass ein Strafgericht – wie vorliegend – anstelle einer in Betracht kommenden Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhängt, ist regelmäßig nicht schon für sich genommen Ausdruck einer stillschweigenden Prüfung (und Bejahung) der Fahreignung, so dass nicht bereits deswegen eine Bindungswirkung entsteht,

vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., 2023, § 3 FeV, Rdnr. 59; Bay VGH, Beschluss vom 7. August 2008 – 11 CS 08.1854 – juris; OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2015 – 16 B 55/15 – juris.

Aus den Urteilsgründen lässt sich hier eine eindeutige Feststellung zur Fahreignung des Antragstellers nicht erkennen. Das Urteil des Landgerichts H. führt dazu wörtlich aus:

„Daneben hielt die Kammer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 StGB die Verhängung eines Fahrverbots für erforderlich, um allen Strafzwecken zu genügen. Unter Berücksichtigung des gesamten Tatbildes, der Täterpersönlichkeit und des Umstandes, dass das hier verhängte Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 StGB der Vermeidung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe dienen sollte, war nach Auffassung der Kammer ein Fahrverbot von fünf Monaten angemessen“.

Daraus wird deutlich, dass das Strafgericht nicht deshalb von einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB abgesehen hat, weil es den Antragsteller als fahrgeeignet angesehen hat, sondern ausschließlich aus anderen Gründen, nämlich, weil dies der Vermeidung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe dienen sollte. Eine Bindungswirkung an das strafgerichtliche Urteil kann bei einer solchen offenen Formulierung jedenfalls nicht angenommen werden. Denn Grundlage für die Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde an der eigenständigen Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers gehindert ist, sollen nicht Mutmaßungen sein, sondern eindeutige Feststellungen im Urteil, an denen es indessen fehlt….“

Fahrtenbuch und Feststellung des Fahrzeugsführers, oder: Warten bis zum Schluss hilft nicht

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Im Kessel Buntes köcheln heute zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen.

Die erste kommt vom BVerwG. Das hat im BVerwG, Beschl. v. 07.05.2024 – 3 B 6.23 – zum Fahrtenbich (§ 31a StVZO) Stellung genommen. Die Klägerin, eine GmbH, wendet sich in dem Verfahren gegen eine Fahrtenbuchauflage. Mit ihrem Fahrzeug wurde am 23.06.2017 innerhalb einer geschlossenen Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 27 km/h überschritten. Auf ihre Befragung teilte sie am Freitag, 22.09.2017, um 17.34 Uhr den Namen der Fahrzeugführerin mit. Der Beklagte stellte das Verfahren ein und ordnete mit Verfügung vom 14.11.2017 das Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von neun Monaten an.

Auf die Klage der GmbH hat das VG den Bescheid aufgehoben. Das OVG hat dieses Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Dem Beklagten sei die Feststellung der Fahrzeugführerin trotz angemessener Bemühungen nicht rechtzeitig möglich gewesen. Der Tag der Mitteilung sei der Tag gewesen, an dem die Verjährungsfrist abgelaufen sei. Eine zielführende Bearbeitung an diesem Tag sei dem Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen. Die gegen das OVG-Urteil gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

“ ….. Die Klägerin meint, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob die Fahrzeugführerin rechtzeitig benannt wurde. Das Berufungsgericht habe sich mit der Thematik nicht auseinandergesetzt und lediglich darauf abgestellt, dass die Fahrzeugführerin so rechtzeitig bekannt gegeben werden müsse, dass die begangene Verkehrsordnungswidrigkeit mit Aussicht auf Erfolg geahndet werden könne. Die Inanspruchnahme von Fristen sei zulässig und könne ihr nicht entgegengehalten werden. Es liege in der Sphäre des Empfängers (rechtzeitig) zu handeln, was durch eine Mitwirkungsobliegenheit nicht aufgeweicht werden dürfe.

Eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Feststellung eines Fahrzeugführers – wie in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO vorausgesetzt – nicht möglich war, wenn die Behörde nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12 = juris Rn. 7; Beschlüsse vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 – juris Rn. 4 und vom 23. Dezember 1996 – 11 B 84.96 – juris Rn. 3). Die Feststellung des Fahrzeugführers zielt darauf, die Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften mit Aussicht auf Erfolg ahnden und auf dieser Grundlage die im Interesse der Verkehrssicherheit gebotenen Maßnahmen ergreifen zu können. Das erfordert, dass der verantwortliche Fahrzeugführer rechtzeitig vor Ablauf der maßgeblichen Verjährungsfrist – hier: von drei Monaten (§ 26 Abs. 3 StVG) – bekannt wird (BVerwG, Beschluss vom 1. März 1977 – 7 B 31.77 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 4 und Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12). Unbeschadet eines Rechts, die Auskunft oder das Zeugnis in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren zu verweigern, ist der Fahrzeughalter gehalten, an der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken, will er von einer Fahrtenbuchauflage verschont bleiben. In diesem Sinne ist der Fahrzeughalter zur Mitwirkung verpflichtet (BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1997 – 3 B 28.97 – juris Rn. 3 f. und vom 11. August 1999 – 3 B 96.99NZV 2000, 385). Konnte der Fahrzeugführer nicht rechtzeitig festgestellt werden, so kann eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden. Das gilt unabhängig davon, ob der Fahrzeughalter die Aussage verweigert (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1995 – 11 B 7.95 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 22) oder sich so spät erklärt hat, dass die Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Ahndung der Zuwiderhandlung vor Eintritt der Verjährung nicht mehr in zumutbarer Weise ergreifen konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1980 – 7 B 179.79 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 6).

Auf der Grundlage dieser gefestigten Rechtsprechung lässt die Beschwerde einen weiteren fallübergreifenden Klärungsbedarf nicht erkennen. Mit ihr ist geklärt, dass ein Fahrzeughalter – entgegen der Vorstellung der Klägerin – jedenfalls nicht ohne das Risiko der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit der Auskunft des Fahrzeugführers zuwarten kann, bis die Verjährungsfrist fast abgelaufen ist. …“