Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

Berufung I: Unpünktliches Erscheinen in Berufungs-HV, oder: Verspätungsmitteilung in der „Wartezeit“

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In die 19. KW starte ich dann heute mit zwei Entscheidungen das BayObLG aus dem Berufungsverfahren, also StPO.

Zunächst hier der BayObLG, Beschl. v. 11.01.2024 – 203 StRR 3/24 – zum Klassiker Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO – hier Verwerfung trotz Mitteilung der Verspätung innerhalb der sog. Wartezeit.

Das BayObLG hat die Verwerfungsentscheidung des LG aufgehoben, der Sachverhakt ergibt sich aus dem Beschluss:

„Die Revision ist zulässig und begründet. Sie dringt mit der zulässig erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge durch, das Landgericht Nürnberg-Fürth habe die Voraussetzungen für die Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu Unrecht angenommen.

1. Ist bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so hat das Gericht nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen. Die Möglichkeit der Verwerfung der Berufung ohne Verhandlung zur Sache beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiter verfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet. Sie dient dem Zweck, den Beschwerdeführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Es ist allerdings nicht der Sinn der Vorschrift, bloße Nachlässigkeit zu bestrafen, die einem zur Mitwirkung am Verfahren bereiten Angeklagten bei der Erfüllung seiner Pflicht zum pünktlichen Erscheinen unterlaufen ist (st. Rspr., vgl. bereits BayObLG, Beschluss vom 15. Juli 1988 – RReg 1 St 90/88 –, juris Rn. 5 und 8).

2. Daraus folgt, dass das Berufungsgericht nicht schon dann, wenn der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung nicht pünktlich erscheint, die Berufung ohne weiteres sofort verwerfen darf. Vielmehr ist der Tatrichter nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens und der hieraus abzuleitenden Fürsorgepflicht gehalten, regelmäßig mindestens 15 Minuten zuzuwarten, bevor er die Berufung wegen Ausbleibens des Angeklagten verwirft (st. Rspr., vgl. MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 22; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 329 Rn. 2, 13; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 1 St OLG Ss 160/09, BeckRS 2010,2715; BayObLG a.a.O.). Unter besonderen Umständen hat er jedoch auch über 15 Minuten hinaus zu warten (MüKoStPO/Quentin a.a.O. Rn. 22; Paul a.a.O. Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 13; BeckOK StPO/Eschelbach, 49. Ed. 1.10.2023, StPO § 329 Rn. 17; BayObLG a.a.O.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Gericht innerhalb der regelmäßigen Wartezeit mitgeteilt wird, dass sich der Angeklagte verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde (st. Rspr., vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. November 2021 – 1 Ws 425/21 –, juris; OLG Zweibrücken Beschluss vom 24. Oktober 2016 – 1 Ss 74/16, BeckRS 2016, 21235; KG Berlin, Beschluss vom 30. April 2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13) –, juris Rn. 4; OLG Jena Beschluss vom 18. September 2012 – 1 Ss 71/12, BeckRS 2013, 14470; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 7. März 2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11) –, juris; OLG München, Beschluss vom 5. Juli 2007 – 4St RR 122/07 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 1997 – 2 Ws 165/97 –, juris; BayObLG a.a.O.). Wie lange die Fürsorgepflicht ein Zuwarten gebietet, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der dem Tatrichter zugänglichen Informationen bestimmen.

3. Im vorliegenden Fall hat die Verteidigerin laut der Niederschrift der auf 10.30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung gegen 10.40 Uhr, also noch innerhalb der regelmäßigen Wartepflicht, nach telefonischer Rücksprache mit dem Angeklagten mitgeteilt, dass sich der Angeklagte in spätestens 10 Minuten bei Gericht einfinden würde. Gegen 10.52 Uhr hat die Verteidigerin nach erneuter telefonischer Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten mitgeteilt, dass sich dieser jetzt an der Maximilianstraße – und damit in unmittelbarer Gerichtsnähe – befände. Gleichwohl hat die Strafkammer um 11.00 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte unentschuldigt nicht erschienen sei und sodann das Verwerfungsurteil verkündet. Der Angeklagte ist nach dem Protokoll um 11.01 Uhr erschienen. Nach dem Vortrag der Revision war die Verkündung des Urteils zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

4. Angesichts dessen hat die Strafkammer ungeachtet eines den Angeklagten an der Verspätung treffenden Verschuldens die Grundsätze des fairen Verfahrens und insbesondere die richterliche Fürsorgepflicht verletzt. Nach den Auskünften der Verteidigerin war hinreichend verlässlich zu erwarten, dass der Angeklagte innerhalb kurzer Zeit im Verhandlungssaal erscheinen werde. Besondere Gründe, die ein weiteres Zuwarten hier nicht mehr gerechtfertigt hätten, hat die Strafkammer im Urteil nicht festgestellt….“

StPO III: Antragsberechtigung im Adhäsionsverfahren, oder: Gewillkürte Prozessstandschaft zulässig

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Und im dritten Posting dann die dritte BGH-Entscheidung, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 6 StR 495/23, in dem sich der BGH zur Antragsberechtigung im Adhäsionsverfahren äußert, und zwar wie folgt:

„2. Die Adhäsionsentscheidungen haben ebenfalls Bestand. Auch soweit der Angeklagte unter Ziffer 4 der Urteilsformel zur Zahlung von Schadensersatz an die b. GmbH verurteilt worden ist, liegt ein wirksamer Adhäsionsantrag und damit die für das Annexverfahren von Amts wegen zu prüfende notwendige Verfahrensvoraussetzung vor (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 1988 – 2 StR 244/88, NStZ 1988, 470).

a) Zwar hat die geschädigte Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend gemacht (§ 403 Satz 1 StPO); es liegt allerdings ein näher begründeter Antrag von a. GmbH vor, den Angeklagten zur Zahlung von Schadensersatz an ihre Tochtergesellschaft, die b. GmbH, zu verurteilen.

b) Anlass zu näherer Erörterung gibt insoweit allein die hier an § 403 Satz 2 StPO zu messende Antragsbefugnis.

aa) Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ist hiernach antragsbefugt, wer einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch geltend macht. Diese Ergänzung des § 403 StPO wurde eingefügt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2099, 2105); sie begründet – korrespondierend mit der bislang zum Entschädigungsrecht des Verletzten ergangenen Rechtsprechung (BT-Drucks. 19/27654, S. 106 f.) – eine Antragsbefugnis auch für Personen, die nicht unmittelbare oder mittelbare Verletzte der Tat oder deren Erben sind (vgl. § 403 Satz 1 StPO). Der Gesetzgeber hat die Antragsberechtigung insoweit von der – durch dasselbe Reformgesetz eingefügten – Legaldefinition des Verletztenbegriffs in § 373b StPO entkoppelt (vgl. BT-Drucks. aaO), um den Kreis der Berechtigten nicht auf die Verletzten nach § 373b StPO zu beschränken (vgl. KMR-StPO/Nepomuck, 118. Lfg., § 403 Rn. 1; LR/Wenske, 27. Aufl., § 403 Rn. 2; SSW-StPO/Schöch/Werner, 5. Aufl., § 403 Rn. 1).

Der Antragssteller nach § 403 Satz 2 StPO kann deshalb etwa als Rechtsnachfolger des Verletzten, namentlich im Wege des vertraglichen (vgl. § 398 BGB) oder gesetzlichen Forderungsübergangs (vgl. § 116 Abs. 1 SGB X), einen eigenen Anspruch oder – nach Ermächtigung durch den Verletzten – einen fremden Anspruch im eigenen Namen geltend machen (sogenannter gewillkürte Prozessstandschaft).

Dieses Normverständnis wird über den Gesetzeswortlaut hinaus durch die Regelungssystematik des Fünften Buches der Strafprozessordnung belegt (vgl. LR/Wenske, aaO; aA KMR-StPO/Nepomuck, aaO, Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 403 Rn. 4; SSW-StPO/Schöch/Werner, aaO, Rn. 3). Hiernach bestehen für Adhäsionskläger, die nicht Verletzte der Tat und damit prozessual nicht in gleicher Weise wie diese schutzwürdig sind, eigene, allerdings stark begrenzte Verfahrensrechte. So sind insbesondere die §§ 406d ff. StPO schon mangels Verletzteneigenschaft (§ 373b StPO) grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 108). Allein das Akteneinsichtsrecht ist für die nach § 403 Satz 2 StPO Antragsberechtigten zur Anspruchsdurchsetzung spezifisch geregelt (vgl. § 406e Abs. 4 StPO; LR/Wenske, aaO sowie § 406e Rn. 47). Dem steht auch die Gesetzesgenese nicht entgegen (aA BeckOK-StPO/Ferber, 49. Ed., § 403 Rn. 1). Der Gesetzgeber wollte mit § 403 Satz 2 StPO eine Antragsberechtigung für Personen sicherstellen, die nur mittelbar durch die Tat geschädigt sind (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 106). Hingegen ist den Gesetzesmaterialien – insbesondere im Lichte der vorgenannten gewichtigen normativen Gesichtspunkte – kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass er sich ausdrücklich gegen eine erweiterte Antragsbefugnis ausgesprochen hat.

bb) Das Antragsrecht ergibt sich hier aus dem Gesichtspunkt der Prozessstandschaft.

(1) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 1951 – GSZ 3/51, BGHZ 4, 153, 164 ff.; Urteile vom 4. Juni 1959 – VII ZR 217/58, BGHZ 30, 162, 166; vom 24. Oktober 1985 – VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 152; vom 10. Juni 2016 – V ZR 125/15, NJW 2017, 486). Das schutzwürdige Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; vom 5. Februar 2009 – III ZR 164/08, NJW 2009, 1213, 1215). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1992 – I ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242). Eine solche Prozessführungs-befugnis ist im Zivilprozess (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – I ZR 145/02, BGHZ 161, 161, 165; vom 2. Oktober 1987 – V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127), aber auch im Adhäsionsverfahren von Amts wegen zu prüfen.

(2) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Senat vermag der Antragsschrift noch tragfähige Ausführungen zum Verhältnis der Gesellschaften zueinander, insbesondere zum bestehenden wirtschaftlichen Interesse (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1994 – I ZR 99/92, NJW-RR 1995, 358, 361) und der erteilten Ermächtigung, zu entnehmen.“

StPO II: Urkundenverlesung nicht vom Richter, oder: Aber Staatsanwältin war/als Zeugin vom Hörensagen

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Und dann im zweiten Posting hier der BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – 4 StR 168/23.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Dagegen die Revieion, die unbegründet war.

„1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Der Rüge, das Landgericht habe gegen § 261 StPO in Verbindung mit § 249 Abs. 1, § 250 Satz 2, § 251 Abs. 1 und 4 StPO verstoßen, indem es den Inhalt einer Urkunde verwertet habe, obwohl diese nicht nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen worden sei, bleibt der Erfolg versagt.

aa) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Mittäter des Angeklagten, der gesondert verfolgte   G.  , hatte sich in dem gegen ihn geführten Verfahren eingelassen. In der hiesigen Hauptverhandlung verweigerte er als Zeuge gemäß § 55 StPO die Auskunft. Das Landgericht hörte daraufhin die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft aus dem Verfahren gegen   G.   als Zeugin. Nach deren Angaben hatte   G.   in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung im Rahmen einer schriftlichen Einlassung unter anderem zugegeben, dass bestimmte Encrochat-Namen benutzt wurden. Diese schriftliche Einlassung wurde ausweislich der Urteilsgründe „in die hiesige Hauptverhandlung eingeführt, indem die Zeugin u. a. das Dokument verlesen hat“ (UA 19). Das Protokoll der Hauptverhandlung weist aus, dass die Zeugin Angaben zur Sache machte und „dabei“ die schriftliche Einlassung des gesondert Verfolgten G. in dem gegen ihn geführten Verfahren verlas.

bb) Bei dieser Sachlage erweist sich die Rüge als unbegründet.

Zwar wurde die schriftliche Einlassung des anderweitig verfolgten Zeugen G. als Urkunde nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt. Denn die Verlesung einer Urkunde gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO hat durch den Vorsitzenden oder einen von ihm beauftragten beisitzenden Richter oder Ergänzungsrichter und nicht durch andere Prozessbeteiligte zu erfolgen. Eine Verlesung von Urkunden durch die Staatsanwältin ist daher rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2023 – 4 StR 298/22 Rn. 13 mwN). Auch war diese Urkunde weder Gegenstand eines Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO noch wurde sie der Zeugin ‒ nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Beschwerdeführers – vorgehalten.

Die Angaben in der schriftlichen Erklärung des gesondert verfolgten Zeugen   G.  waren aber ausweislich der Urteilsgründe und des Hauptverhandlungsprotokolls auch Gegenstand der Bekundungen der Staatsanwältin als Zeugin vom Hörensagen. Die Formulierung im Urteil, wonach die Zeugin die schriftliche Einlassung dabei „u.a.“ auch verlas, stellt dies ebenso wenig in Frage wie der entsprechende Protokollvermerk. Die Zeugin konnte als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung in dem gegen den Zeugen G. geführten Verfahren ohne weiteres aus eigener Wahrnehmung über den Inhalt der dort angebrachten schriftlichen Einlassung berichten. Damit ist auch der Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO) nicht verletzt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11 Rn. 1).“

Anschaffung von Festplatten im Umfangsverfahren, oder: Wer trägt die Anschaffungskosten?

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In sog. Umfangsverfahren fallen i.d.R. erhebliche Aktenbestände an, die dann digital gespeichert werden. Es stellt sich die Frage, wer die Kosten für die Anschaffung der dazu erforderlichen Speichermedien zu tragen hat.

Dazu hat das OLG Jena im OLG Jena, Beschl. v. 27.12.2023 – 3 St 2 BJs 4/21 – Stellung genommen. Die Rechtsanwälte/Pflichtverteidiger sind in einem beim Staatsschutzsenat des OLG Jena anhängigen Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a. tätig. Sie haben beantragt, festzustellen, dass die Kosten für die. Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind. Das OLG hat dem Antrag entsprochen und festgestellt, dass die Kosten für die Beschaffung einer externen Festplatte bzw. eines gleichwertigen Speichermediums zum Zwecke des Empfangs bzw. der Einsichtnahme der verfahrensgegenständlichen Audio-Dateien erforderliche Auslagen i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG sind:

„Die im Tenor genannten Auslagen sind zur sachgerechten Durchführung des Verfahrens seitens der Verteidigung erforderlich.

Es handelt sich bei den in Rede stehenden Anschaffungskosten auch aus Sicht des Senats nicht um Kosten, die bereits für den allgemeinen Bürobetrieb der Strafverteidiger angefallen sind. Aufwendungen für Computer und EDV-Anlagen zählen nur insoweit zu den allgemeinen Geschäftskosten, als sie für die Unterhaltung des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwalts im Allgemeinen entstehen (OLG Hamm, Beschluss v. 6.5.2015 — 2 Ws 40/15, BeckRS 2015, 12437). Das Datenvolumen der in Rede stehenden Beweismittel ist mit ca. zwei Terabyte so groß, dass es die für die Unterhaltung des Kanzleibetriebs im Allgemeinen entstehenden Aufwendungen für Speicherbedarf übersteigen wird (vgl. OLG Celle, a.a.O.) und dies zudem für eine erhebliche Dauer.

Hinzu tritt, dass der Senat auch bekannt gegeben hatte, dass entsprechende Datenträger aufgrund des damit verbundenen Beschaffungsaufwandes seitens des Thüringer Oberlandesgerichts nicht zur Verfügung gestellt werden können, diese aber bereits zum Transfer der Daten auf die Endgeräte der Verteidigung erforderlich wären.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Mir erschließt sich allerdings nicht, warum das OLG, worauf der Senat ausdrücklich hinweist, nicht in der Lage ist/sein soll/sein will, entsprechende Datenträger selbst zur Verfügung zu stellen. So groß ist der damit verbundene Beschaffungsaufwand ja nun nicht. Man hat den Eindruck, dass sich das OLG dahinter verstecken will.

Der Kollege Urbanzyk, der mir den Beschluss übersandt hat, hatte noch angemerkt, dass der Bezirksrevisor bereits darauf hingewiesen habe, dass die Festplatten nach „Abschluss des Verfahrens“ an das OLG herauszugeben seien. Dazu ist anzumerken: Gegen ein Herausgabeverlangen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, nur ist der für die Herausgabe ins Auge gefasste Zeitpunkt m.E. zu früh bzw. zu ungenau terminiert. Denn die Festplatten bzw. die dort gespeicherten Aktenbestandteile sind Teil der Handakten des Verteidigers, auf die er auch nach „Abschluss des Verfahrens“ – meint der Bezirksrevisor „Rechtskraft“ – schon aus Haftungsgründen Zugriff haben und behalten muss. M.E. wird eine Herausgabepflicht daher erst mit Ablauf der Sechs-Jahres-Frist des § 50 Abs. 1 BRAO bestehen. Aber wer hat Interesse an sechs Jahre alten Festplatten? Die Justiz offenbar schon.

StPO III: Vorenthalten/Veruntreuen von Arbeitsentgelt, oder: War der Prokurist faktischer Geschäftsführer?

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Und dann noch der LG Chemnitz, Beschl. v. 15.02.2024 – 4 Qs 424/23. Der Beschluss ist wegen der vielen Anonymisierungen etwas schwer zu lesen, es sollte aber gehen, um das Wesentliche zu erfassen.

Die Staatsanwaltschaft führte seit 2014 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Angeschuldigten und zwei weitere (später abgetrennte) Personen wegen des Tatverdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Betruges im großen Ausmaß. Am 08.05.2020 hat sie Anklage vor dem AG wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Betruges. erhoben. Das AG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen und teils aus rechtlichen Gründen (absolute Verjährung) abgelehnt.

Dagegen hat die StA sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte keinen Erfolg. Das LG führt u.a. aus:

„Soweit es die faktische Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten pp. betrifft, ist der Staatsanwaltschaft Recht zu geben, dass dies lediglich für die Firma pp. zu prüfen war und für die Firma pp. nur für den Zeitraum nach dem 21.03.2018. Denn vom 31.08.2015 bis zum 21.03.2018 war pp. als formeller Geschäftsführer der Firma pp. im Handelsregister eingetragen.

Soweit das Amtsgericht die Beweisbarkeit einer faktischen Geschäftsführung unter Zugrunde-legung der vorgelegten Beweismittel verneint, schließt sich die Kammer diesen Ausführungen an. Soweit eine formelle Geschäftsführung vorlag, führt dies aus den unten (Ziffern 2. und 3.) dargelegten Gründen zu keinem anderen Ergebnis. Gleiches gilt für die formelle Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten  im Zeitraum 03.06.2014 bis 11.06.2015 bei der Firma pp. Der Angeschuldigte pp. war Prokurist der Firma pp.. Gemäß § 49 Absatz I HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Ausnahmen bestehen lediglich für Grundstücksgeschäfte (Absatz 2) und für höchstpersönliche Pflichten (wie z.B. die Handelsregistereintragung). Eine Prokura umfasst insbesondere die arbeitsrechtliche Vertretung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern, z.B. Abschluss, Durchführung und Beendigung eines Arbeitsvertrages (vgl. MüKo 5. Aufl., Rn. 16 ff zu § 49 HGB). Insoweit sind die Aussagen der Zeuginnen pp und pp., dass der Angeschuldigte pp. die Arbeitsverträge mit ihnen abschloss und ihnen auch die Personalausweise der Arbeiter zur Ausfertigung von Arbeitsverträgen gab, kein Indiz für eine faktische Geschäftsführung. Dass der Angeschuldigte auch Vertretungshandlungen vornahm, die sich auf grundlegende Entscheidungen über die Organisation des Unternehmens bezogen, wie z.B. Änderung der Fertigungstechnik, Einführung neuer Produkte (vgl. MüKO, a.a.O), ist nicht belegt. Die Zeugin pp. hat auch ausgesagt, dass die Meldungen für die SOKA und die BG Bau durch ein Lohnbüro erfolgt seien.

Die in der Anklageschrift genannten Tätigkeiten des Angeschuldigten pp. sind sämtlich von einer üblichen Prokura umfasst. Dies gilt insbesondere auch für die Vertretung der Geschäfts-führer bei den jeweiligen Projekten (Auftragsakquise) und auf den jeweiligen Baustellen (Organisation der Arbeiter, Stundenzettel etc.). Dass dem Angeschuldigten für seine umfangreichen Tätigkeiten in dieser Stellung auch eine Kontovollmacht erteilt wurde, ist selbstverständlich und begründet gleichfalls keinen Verdachtsmoment. Das Kontoeröffnungsformular wurde von den beiden formellen Geschäftsführern unterzeichnet,pp. wurde eine Verfügungsberechtigung und eine Bankkarte erteilt (Sonderband Vermögensabschöpfung).

Ein Prokurist ist jedoch nicht automatisch faktischer Geschäftsführer. Die Feststellungen zu dem formellen Geschäftsführer pp. beschränken sich auf seinem damaligen Wohnsitz.

Aufgrund der modernen Telekommunikation ist ein Wohnsitz im Ausland aber nicht ausreichend, eine reine „Stroh-Geschäftsführung“ zu beweisen. Auch der Umstand, dass sich der Angeschuldigte pp. dem Zeugen gegenüber als „Chef‘ der Firma pp. ausgegeben hat und vom Zeugen pp. als „stellvertretender Chef“ bezeichnet wurde, ist für sich allein kein Beweis für eine faktische Geschäftsführertätigkeit, zumal es sich bei ersterem nicht um eine Äußerung im Rechtsverkehr gehandelt haben dürfte. Der Zeuge pp. hat insoweit auch ausgesagt, dass sich pp. zwar als „Chef‘ bezeichnet habe, er – der Zeuge – jedoch später herausgefunden habe, dass pp. nur die Arbeitnehmer gestellt und abkassiert sowie die Preise mit pp. und der pp. ausgehandelt habe.

…..“