Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Einziehung I: Einziehung des Wertes von Taterträgen, oder: Urteilsgründe

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Ich setze die Berichterstattung dann heute fort mit Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB).  Die Fragen spielen ja in der Rechtsprechung seit der Änderung des Rechts der Vermögensabschöpfung eine nicht unerhebliche Rolle. Gefühlt mindestens jede zweite Entscheidung des BGH macht dazu ja auch Ausführungen.

Ich starte hier dann mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.05.20201 Ss 23/20, den mir der Kollege Rahmlow aus Duisburg geschickt hat.

Das AG hat den Angeklagten wegen Betruges in vier Fällen schuldig gesprochen und deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben ordnete das AG die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 2.351,14 € an. Der Angeklagte hat nur gegen die Anordnung der Einziehung des Wertes der Taterträge Sprungrevision eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg:

„Die wirksam (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 651/17, Rn. 39 f., zitiert nach juris; OLG Braunschweig, 1 Ss 37/20, unveröffentlicht) auf die Einziehungsanordnung beschränkte Sprungrevision hat – zumindest vorläufig – Erfolg. Der Ausspruch über die Einziehung des Wertes der Taterträge kann keinen Bestand haben. Die diesbezügliche Entscheidung des Amtsgerichts leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 28. April 2020 ausgeführt:

„Das Gericht hat in den Urteilsgründen die Überlegungen darzulegen, die ihm die Überzeugung verschafft haben, dass der für die Anwendung des sachlichen Rechts (hier §§ 73 ff. StGB) zugrunde gelegte Sachverhalt zutrifft (Kuckein in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 267 Rn. 36; Anm.: d. Senates: nunmehr: Kuckein/Bartel in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 267 Rn. 35). Daran fehlt es. Das Amtsgericht hat rechtsfehlerhaft die Einziehung des Wertes des Taterlangten gemäß § 73c StGB angeordnet, ohne näher darzulegen, warum eine Einziehung des originär Taterlangten gemäß § 73 Abs. 1 StGB nicht in Betracht gekommen sei. Gemäß § 73 c S. 1 StGB wird die Einziehung eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht nur angeordnet, wenn die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist. Die Einziehung des Wertes des Taterlangten gemäß § 73c S. 1 StGB ist gegenüber der Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär. Das Amtsgericht hat seine Einziehungsentscheidung im Ergebnis damit begründet, dass offen bleiben könne, ob die betrügerische erlangten Gegenstände noch bei dem Angeklagten vorhanden seien, da sich gerade hieraus der Betrugsschaden ergebe. Dabei verkennt das Gericht aber, dass es bei der Frage einer Einziehungsanordnung nach den §§ 73 ff. StGB nicht auf den verursachten Schaden ankommt, sondern darauf, was der Täter durch oder für die Tat erlangt hat. Dass eine Einziehung gemäß § 73c S. 1 StGB gegenüber der „Originaleinziehung“ nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär ist und insofern Feststellungen zu dem Verbleib bzw. der Beschaffenheit des Taterlangten zu treffen sind, ergibt sich zudem aus der Regelung in § 73 c S. 2 StGB, wonach die Wertersatzeinziehung neben der Einziehung nach den §§ 73, 73 a, 73b StGB anzuordnen ist, wenn der Wert des Gegenstandes zur Zeit der Entscheidung hinter dem Wert des Erlangten im Zeitpunkt des Erlangens zurückbleibt (Fischer, StGB, 67. Aufl., § 73 c Rn. 8 m.w.N.). Eine Einziehung des Wertes des Erlangten kann der nur angeordnet werden, wenn das originär Erlangte nicht mehr vorhanden ist oder im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlangung im Wert gemindert ist. Demzufolge hätte das Tatgericht Feststellungen dazu treffen müssen, inwieweit eine Einziehung der tatsächlich erlangten Gegenstände ausgeschlossen gewesen sei, beispielsweise, da der Angeklagte diese bereits vernichtet oder an Dritte weitergegeben habe. Entsprechende Feststellungen sind rechtsfehlerhaft unterblieben. Sofern sich darüber hinaus die betrügerisch erlangten Gegenstände noch im Besitz des Angeklagten befinden sollten – wozu das Tatgericht ebenfalls keine Feststellungen getroffen hat – wären zudem Feststellungen zu deren Beschaffenheit und eines etwaigen Wertverlustes zu treffen gewesen. Es hätte daher einer eingehenden und nachvollziehbaren Darlegung bedurft, warum das Gericht von einer Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB abgesehen und stattdessen die Wertersatzeinziehung angeordnet hat Die Feststellungen des angefochtenen Urteils schweigen zu diesem Thema jedoch gänzlich und genügen daher den oben dargelegten Anforderungen nicht.“

Diesen in jeder Hinsicht zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.“

JGG II: Erwachsenen-/Jugendrecht, oder: Urteilsgründe

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 02.04.2020 – 1 StR 28/20 – geht es auch um die Anwendung von Jugend- bzw. Erwachsenenrecht. Und das gepaart mit einem Dauerbrenner, nämlich der Frage nach dem Umfang der Urteilsgründe, wenn die Verurteilung auf einem Sachverständigengutachten beruht. Das LG ist bei seiner Verurteilung vom Erwachsenenrecht ausgegangen. Dem BGH reicht die Begründung nicht aus:

„1. Der Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Verurteilung des Angeklagten I. hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn das Land- gericht hat nicht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dieser Angeklagte im Tatzeitraum von Februar 2018 bis August 2018 bereits Erwachsener und nicht mehr Heranwachsender war.

a) Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, grundsätzlich dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Ergebnisse nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 – 3 StR 433/19 Rn. 20; Beschlüsse vom 19. Dezember 2019 – 4 StR 496/19 Rn. 4; vom 22. Mai 2019 – 1 StR 79/19 Rn. 5 und vom 24. Januar 2019 – 1 StR 564/18 Rn. 7). Nur wenn dem Gutachten ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrundeliegt, wie dies etwa bei daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln der Fall ist, genügt das Mitteilen des erzielten Ergebnisses (BGH aaO).

b) Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Es hat lediglich das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens mitgeteilt, wonach der Angeklagte bei Begehung der Taten „wahrscheinlich über 25,03 Jahre gewesen sei“ (UA S. 40). Weder die Anknüpfungstatsachen hierfür noch die angewandte wissenschaftliche Methode (denkbar etwa eine körperliche Untersuchung, Röntgenaufnahme des Gebisses oder der linken Hand sowie Untersuchung der Schlüsselbeine) werden dargestellt. Vielmehr wird eine zusätzliche Unklarheit dadurch geschaffen, dass „statistisch“ zum Untersuchungszeitpunkt am 15. April 2019 „ein Alter von 21,6 Jahren“ nicht auszuschließen sei. Ist aber der Heranwachsendenstatus eines Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat nicht sicher auszuschließen, so ist nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen, dass er bei Begehung der Tat noch Heranwachsender war (BGH, Urteile vom 23. Mai 2002 – 3 StR 58/02 Rn. 8, BGHSt 47, 311, 313 und vom 23. Februar 1954 – 1 StR 723/53, BGHSt 5, 366, 370).“

JGG I: Erwachsenen-/Jugendrecht, oder: Reife- und Entwicklungsdefizite?

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In die 41. KW. starte ich mit zwei Entscheidungen, in denen es um die Anwendung des JGG bzw. des Jugendrechts geht.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 13.02.2020 – 1 StR 613/19 – zur Frage der Anwendung von Erwachsenen- bzw. Jugendstrafrecht. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit versuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der BGH hebt auf die Revision hin den Rechtsfolgenausspruch auf, da die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts nicht ausreichend begründet worden ist:

„1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten M. gelangt ist, der zur Tatzeit 18 Jahre und sieben Monate alt und damit Heranwachsender war, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Urteilsfeststellungen durchlief der im April 2000 in Ma. geborene Angeklagte, der im Haushalt seiner Eltern mit einer jüngeren Schwester aufwuchs, neun Jahre die Schule und besuchte anschließend eine „medizinische Schule“, die er aufgrund fehlenden Interesses ohne Schulabschluss abbrach. Eine reguläre Ausbildung hat er nicht begonnen. „Zuletzt“ arbeitete der Angeklagte als Automechaniker in einer Werkstatt in Ma. und verdiente umgerechnet 350 Euro monatlich. Seit 2017 ist er mit einer minderjährigen Cousine verlobt, die mit ihrer Familie in Deutschland lebt. Der Angeklagte reiste im Sommer 2018 und sodann ab Oktober 2018 im Rahmen eines geplanten dreimonatigen Aufenthalts nach Deutschland und wohnte im Haushalt der Familie seiner Verlobten. Die Hochzeit war für Sommer 2019 geplant. „Zuletzt“ arbeitete der Angeklagte aushilfsweise und ohne Entlohnung für einen Monat in einem vom Angeklagten F. betriebenen Imbiss. Den Ange- klagten F. sieht der Angeklagte M. innerhalb der „Großfamilie“ als „Quasi-Onkel“ und Respektsperson an. Schulden hat der Angeklagte M. nicht; er besitzt aber auch kein nennenswertes Vermögen.

b) Das Landgericht verneinte – entgegen den nicht mitgeteilten Ausführungen der Jugendgerichtshilfe – die Voraussetzungen für die Anwendung von Jugendstrafrecht (§ 105 Abs. 1 JGG). Die zusammen mit dem Angeklagten F. begangene Brandlegung in dessen Imbissräumen, um eine Auszahlung von Versicherungsleistungen zu erlangen, stelle zum einen keine jugendtypische Tat dar. Zum anderen lägen beim Angeklagten M. keine Reife- und Entwicklungsdefizite vor, weil er vor seinem mehrwöchigen Aufenthalt in Deutschland, den er alleine und ohne seine Eltern bestritten habe, in Ma. einer geregelten Arbeit mit einem dort durchschnittlichen Arbeitsverdienst nachgegangen sei. Er verfüge mit seiner beabsichtigten Heirat auch über gefestigte Zukunftspläne, die für ein „überlegtes Handeln ohne Reifeverzögerungen“ sprechen würden.

2. Die Begründung, mit der das Landgericht Reife- und Entwicklungsdefizite beim Angeklagten verneint, ist nicht ohne Rechtsfehler.

a) Für die Frage, ob der heranwachsende Täter zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, kommt es maßgebend darauf an, ob er sich noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befand und in ihm noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang wirksam waren (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 – 1 StR 610/13 Rn. 12 mwN). Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung der sozialen Lebensbedingungen zu beurteilen. Dem Tatrichter steht insoweit ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Seine Bewertungen müssen allerdings mit Tatsachen unterlegt und nachvollziehbar sein; sie dürfen keine wesentlichen Gesichtspunkte außer Betracht lassen. Daran fehlt es hier.

b) Die Jugendkammer stellt bei ihrer Bewertung der Persönlichkeit und der sozialen Lebensbedingungen des Angeklagten wesentliche Gesichtspunkte nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung ein. Unberücksichtigt bleibt, dass er weder eine abgeschlossene Schulausbildung erlangt noch einen Beruf erlernt hat. Auch wenn er „zuletzt“ als Automechaniker in seiner Heimat ein auskömmliches Einkommen erzielt haben mag, so stellt sich diese Tätigkeit mit Blick darauf, dass er sich im Sommer 2018 und ab Oktober 2018 in Deutschland aufgehalten hat, nicht mehr als „geregelte“ Arbeit dar. Vor der Tatbegehung lebte er ohne eigenen Haushalt im Familienverband seiner Verlobten. Er ging in Deutschland einer nicht entlohnten Aushilfstätigkeit nach. Allein die beabsichtigte Hochzeit mit seiner noch minderjährigen Cousine vermag „gefestigte Zukunftspläne“ nicht zu belegen. Aus diesen Gründen ist es eher naheliegend, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten noch nicht abgeschlossen war und Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind.“

Strafzumessung III: Geringerer Schuldumfang, gleich hohe Strafe, oder: Urteilsgründe

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Im letzten Posting komme ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 14.07.2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) zurück. Über den hatte ich ja schon gestern wegen der Vom KG entschiedenen materiellen Frage zur Beleidigung berichtet.

In dem Beschluss hat das KG dann aber auch noch einmal zur Strafzumessung im Berufungsverfahren Stellung genommen. Stichwort: Verringerung des Schuldumfangs aber gleich hohe Strafe. Das KG führt dazu aus:

„3. Jedoch begegnet die Strafzumessung nach den insoweit geltenden Rechtsgrundsätzen (vgl. Senat aaO) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Strafkammer hat – insoweit rechtsfehlerfrei – zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser unbestraft ist und die Tat bereits eineinhalb Jahre zurückliegt.

b) Sie hat ferner ausgeführt, zu Gunsten des Angeklagten spreche, dass er infolge des hier verfahrensgegenständlichen Fehlverhaltens nicht in den Polizeidienst übernommen wurde und sich nun beruflich umorientieren muss. Die festgesetzte Tagessatzanzahl lässt hingegen besorgen, dass die Strafkammer diese Aspekte tatsächlich nicht (ausreichend) berücksichtigt hat. Es handelt es sich hierbei um besonders gewichtige Strafmilderungsgründe. Der Angeklagte hat infolge der Tat nicht nur seinen Arbeitsplatz verloren, sondern kann darüber hinaus in seinem erlernten Beruf gar nicht mehr arbeiten. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass diese besonders gewichtigen Strafmilderungsgründe erst im September 2019, somit nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, eingetreten sind. Anhaltpunkte dafür, dass bereits das Amtsgericht Tiergarten den Eintritt dieser gravierenden negativen Folgen erwartet und vorgreiflich in die Strafzumessung hat einfließen lassen, bestehen nicht. Strafschärfende Aspekte, die das erhebliche Gewicht dieser neu hinzugekommenen Milderungsgründe relativieren, hat die Strafkammer nicht benannt. Gleichwohl hat die Strafkammer dieselbe Tagessatzanzahl festgesetzt und auf die veränderte Lebenssituation des nun von Sozialleistungen lebenden Angeklagten nur mit einer Reduzierung der Tagessatzhöhe reagiert.

Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation erklärungsbedürftig. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 1997 – [3] 1 Ss 124/97 [52/97] – [juris] m.w.N.; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N.). Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (vgl. BGH aaO; OLG München aaO). Eine Begründung der Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ist allenfalls in Ausnahmefällen entbehrlich, in denen eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 2 [6] Ss 110/16 – AK 41/16 [juris] m.w.N.; OLG Bamberg aaO m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.

c) Weiter heißt es in den Urteilsgründen: „Im Übrigen hat die Strafkammer insbesondere das Tatbild gewürdigt.“ Diese Ausführung ist einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich. Ihr lässt sich noch nicht einmal entnehmen, ob das Tatbild zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt wurde. Der Senat verkennt nicht, dass es Fälle geben mag, in denen das Tatbild derart außergewöhnlich oder besonders ist, dass auch ohne weitere Erläuterungen erkennbar ist, welche Gesichtspunkte in die Strafzumessung eingeflossen sind. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor. Es erschließt sich nicht, welche Aspekte der hier verfahrensgegenständlichen Tat vom Regelbild derart abweichen, dass sie gesondert in die Strafzumessung eingeflossen sind. Strafschärfende Gesichtspunkte drängen sich nach den Feststellungen jedenfalls nicht auf. Der Senat kann nicht ausschließen, dass im Rahmen der Würdigung des Tatbildes einzelne Aspekte zum Nachteil des Angeklagten in die Strafzumessung eingeflossen sind, die nicht hätten strafschärfend berücksichtigt werden dürfen.

d) Insbesondere kann der Senat – auch im Hinblick darauf, dass die Strafkammer lange Ausführungen zum bedingten Vorsatz des Angeklagten gemacht hat – nicht ausschließen, dass strafschärfend bewertet wurde, dass die verfahrensgegenständliche Äußerung von zwei Personen gehört und dies vom Angeklagten auch billigend in Kauf genommen wurde. Vorbehaltlich ergänzender Feststellungen durch die neue Strafkammer ist derzeit davon auszugehen, dass der Vorsatz des Angeklagten darauf gerichtet war, seine Äußerung nur einer Person, nämlich dem Zeugen K – bei dem er aufgrund der zumindest guten Freundschaft davon ausgehen konnte, dass dieser die Bemerkung für sich behalten werde – zu Gehör zu bringen.“

Strafzumessung II: Bemessung der Tagessatzhöhe, oder: Gewinne in Kryptowährung

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Celle, Beschl. v. 05.06.2020 – 3 Ss 16/20 – „schlummert“ schon etwas länger in meinem Blogordner. Heute stelle ich ihn dann aber endlich vor.

Er behandelt die Bemessung der Tagessatzhöhe. Das LG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das BtMG zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 300 EUR verurteilt. Dagegen hat sich der Angeklagte mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und die Sachrüge gestützten Revision gewandt. Und die hatte Erfolg:.

„Die zulässig erhobene und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat zum Teil Erfolg.

1. Die revisionsrechtliche Überprüfung auf die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Ausspruch über die Höhe der Tagessätze mit den zugehörigen Feststellungen. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung einen (weitergehenden) Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben hat.

Die Festsetzung der Höhe der Tagessätze auf 300 EUR hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen ist, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Zwar hat das Tatgericht bei der Bemessung der Tagessatzhöhe einen weiten Beurteilungsspielraum (vgl. BGH NStZ 1993, 34). Weil es nicht möglich ist, in allen Fällen sämtliche Umstände, die für die Festsetzung des Nettoeinkommens von Bedeutung sein können, abschließend aufzuklären und ins Einzelne gehende Ermittlungen regelmäßig unverhältnismäßig wären, kommt der in § 40 Abs. 3 StGB geregelten Schätzung der Bemessungsgrundlagen besondere Bedeutung zu. Jedoch müssen die Grundlagen der Schätzung festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden (BVerfG, Beschluss vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15, wistra 2015, 388). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

b) Das Landgericht hat ausgeführt, dass es der Ermittlung des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Angeklagten die gesamten Einkünfte zugrunde gelegt hat, die dieser aus dem Handel mit Kryptowährungen bis einschließlich November 2019 erwirtschaftet hat. Gestützt auf die für glaubhaft erachtete Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte seinen Lebensunterhalt durch Investitionen in Kryptowährungen bestritt und dadurch von Mai bis einschließlich November 2019 „einen durchschnittlichen Gewinn von 25.000 Euro“ erzielte, während er zuvor von Januar bis einschließlich April 2019 keine Einkünfte erwirtschaftete. Diese im Jahre 2019 erzielten Gewinne waren „nach wie vor vorhanden und für den Angeklagten realisierbar“ (S. 4 UA). Er verwaltete sie „mittels eines sogenannten Wallets, einer elektronischen Geldbörse“. Aus den hiernach in elf Monaten insgesamt erwirtschafteten 175.000 Euro hat das Landgericht einen durchschnittlichen Gewinn von 15.900 Euro brutto pro Monat errechnet. Den monatlichen Nettogewinn hat es auf 9000 Euro geschätzt und auf dieser Grundlage eine Tagessatzhöhe von 300 Euro festgesetzt.

c) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten des Angeklagten im Handel mit Kryptowährungen tragen nicht die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte in dem relevanten Betrachtungszeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 9000 Euro erzielt hat. Davon wäre erst dann auszugehen, wenn der Angeklagte den Bestand an Kryptowährungen in staatliche Währung umgewandelt und etwa als Gutschrift auf ein Bankkonto übertragen hätte. Dem steht jedoch die Feststellung entgegen, dass die Gewinne „für den Angeklagten realisierbar“ waren und nach wie vor mittels seines Wallets verwaltet wurden. Das bedeutet, dass es sich nach wie vor um Kryptowährung handelte. Der auf einem Wallet verwaltete Bestand an Kryptowährung stellt indes kein Einkommen, sondern einen „realisierbaren Vermögenswert“ dar (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017 – 1 StR 412/16, NStZ 2018, 401). Als solcher kann er zwar auch bei der Festsetzung der Höhe der Tagessätze Berücksichtigung finden. Dabei müssen jedoch die Grundsätze zur Anwendung kommen, die für die Berücksichtigung von Vermögen bei der Ermittlung des Einkommens aufgestellt worden sind (vgl. dazu Fischer StGB 67. Aufl. § 40 Rn. 12). Da die Umwandlungskurse von Kryptowährungen in Geld bekanntermaßen starken Schwankungen unterliegen, kann der Wert dieses Vermögensvorteils ohne nähere Feststellungen zur Art der Kryptonwährung und den Kursen im Betrachtungszeitraum nicht beurteilt werden.

Da die Festsetzung der Tagessatzhöhe in aller Regel losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig überprüft werden kann (vgl. BGHSt 27, 70, 72; 34, 90, 92) und hier keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung bestehen, führt der festgestellte Mangel lediglich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer entsprechenden Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Festsetzung der Tagessatzhöhe. „