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TOA III: Wiedergutmachungserfolg als Voraussetzung?, oder: Schweigen des Opfers

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Und dann noch das dritte Posting zum Täter-Opfer-Ausgleich, und zwar mit dem BayObLG, Urt. v. 17.03.20225 – 203 StRR 613/24.

Das AG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Das LG hat die Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie u.a. die Bejahung eines Täter-Opfer-Ausgleichs angreift. Ohne Erfolg.

Das AG hatte im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte hatte seit dem Jahr 2021 eine sexuelle Beziehung zur Geschädigten unterhalten und hielt sich des öfteren in ihrer Wohnung auf. Am 1. August 2022 legte er sich alkoholbedingt enthemmt zu der bereits neben ihrem 5 jährigen Sohn schlafenden Geschädigten ins Bett, zog ihr Nachthemd hoch, drang mit seinem Penis in die Scheide der Zeugin ein und vollzog mit mehreren Stoßbewegungen den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei wusste er, dass die Geschädigte fest schlief, nahm billigend in Kauf, dass diese den Geschlechtsverkehr nicht wollte, und nutzte ihren Zustand bewusst für die Ausführung des Aktes. Als die Geschädigte erwachte und ihn von sich wegstieß, ließ der Angeklagte von ihr ab, ohne dass es zu einem Samenerguss gekommen war.“

Das LG hat die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht. Das BayObLG hat das nicht beanstandet:

„b) Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB und die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens werden im Gesamtzusammenhang der Ausführungen noch hinreichend belegt.

aa) Ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46a StGB annimmt, hat es in wertender Betrachtung zu entscheiden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 StR 403/21 –, juris Rn. 4 m.w.N.). Dazu hat es hinreichende Feststellungen zu treffen, welche Schäden das Opfer durch die Tat erlitten hat und welche Folgen fortbestehen. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 16 m.w.N.). Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss (st. Rspr.; vgl. BGH a.a.O. Rn. 16 m.w.N.). Ein kommunikativer Prozess in diesem Sinne setzt voraus, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung” ist, um die friedensstiftende Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (BGH a.a.O. Rn. 16). Die Bemühungen des Täters müssen zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05 –, juris Rn. 9). Bloß einseitige Bemühungen des Täters ohne den Versuch einer Einbindung des Opfers sind nicht ausreichend (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 StR 89/15 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Der kommunikative Prozess setzt andererseits keine persönliche Begegnung oder Besprechung des Täters mit seinem Opfer voraus. Eine Verständigung über vermittelnde Dritte, etwa den Verteidiger und einen Bevollmächtigten kann genügen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2023 – 6 StR 275/23 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Bei Sexualdelikten und im Falle von traumatisierten Opfern kann eine Einschaltung von Dritten als opferschonendes Vorgehen ratsam sein (vgl. BGH a.a.O. Rn. 6).

bb) Ein „Wiedergutmachungserfolg“ ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – 1 StR 471/23 –, juris Rn. 19 m.w.N.; ausführlich Kinzig in Schönke/Schröder, 30. Aufl., StGB § 46a Rn. 2). Äußert sich das Opfer nicht zu einem vereinbarten Ausgleich oder Bemühungen des Täters, so kann auch daraus nicht in jedem Fall, insbesondere nicht im Rahmen von persönlichen Beziehungen, auf eine Zurückweisung durch das Opfer mit der Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. Vielmehr kommt es im Einzelfall darauf an, ob das Schweigen des Verletzten als eine solche inhaltliche Ablehnung zu beurteilen ist (detailliert BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris Rn. 14 ff.; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 1 StR 405/02 –, BGHSt 48, 134-147, juris Rn. 22). Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine vollständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance eingeräumt werden, in den Genuss der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Verweigerung der Mitwirkung durch das Opfer. Als einschränkendes Kriterium fordert die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21). Das bedeutet, dass das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muss, zu einem friedensstiftenden Ausgleich mit dem Verletzten zu gelangen; der Täter muss demnach in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer „zufriedenzustellen“ (BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02-, juris Rn. 24), ohne dass ihn vorrangig eine anderweitige Motivation antreibt.

cc) Gemessen daran durfte das Landgericht die Voraussetzungen von § 46a StGB bejahen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der von Anfang an geständige Angeklagte bei derGeschädigten in der ersten Instanz entschuldigt (Urteil S. 10, 15) und ihr ungeachtet einer schwierigen Beweislage (Urteil S. 15) von vorne herein eine Aussage erspart. Zudem hat er, obgleich in beschränkten finanziellen Verhältnissen lebend, sich ihr gegenüber „verpflichtet“, an sie eine Zahlung von 3500.- Euro als Entschädigung zu leisten (Urteil S. 17) und bereits einen Betrag von 1000.- Euro bezahlt (Urteil S 17, 18). Die Geschädigte ihrerseits hat bei ihrer gerichtlichen Einvernahme die erstinstanzlich ausgesprochene Freiheitsstrafe von zwei Jahren als gerechten Schuldausgleich beurteilt und ein darüber hinaus gehendes Strafverfolgungsinteresse verneint (Urteil S. 15). Der Senat kann daher den Urteilsgründen noch hinreichend entnehmen, dass das Landgericht die gebotene wertende Entscheidung getroffen hat und dass die Geschädigte die finanzielle Entschädigung angenommen und die Vereinbarung als friedensstiftende Konfliktregelung innerlich akzeptiert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. August 2017 – 3 StR 233/17-, juris; Maier in MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 46a Rn. 29).“

Entschuldigung/Wiedergutmachung über Verteidiger, oder: Reicht das für einen Täter-Opfer-Ausgleich?

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 12.01.2021 – 4 StR 139/20 -, betrifft das StGB, und zwar die Frage nach einem Täter-Opfer-Ausgleich und/oder die Strafzumessung (§§ 46 ff. StGB).

Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und Sachbeschädigung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils kann nicht bestehen bleiben, weil die Begründung, mit der das Landgericht dem Angeklagten eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB versagt hat, einer rechtlichen Prüfung nicht standhält.

1. Nach den Feststellungen zahlte der Angeklagte vor Beginn der Hauptverhandlung an die Prozessbevollmächtigte des Nebenklägers einen Betrag von 3.000 € und entschuldigte sich über seine Verteidigerin in schriftlicher Form beim Nebenkläger. Die Nebenklagevertreterin nahm den Geldbetrag und die Entschuldigung in schriftlicher Form für den Nebenkläger an.

Die Zahlung des Geldbetrages sowie die über die Verteidigerin erfolgte schriftliche Entschuldigung hat die Strafkammer bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne als Strafmilderungsgesichtspunkt gewertet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB hat sie dagegen als nicht erfüllt angesehen. Die geständige Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und die schriftliche Entschuldigung beim Nebenkläger seien lediglich über die Verteidigerin erfolgt. Die von der Verteidigung in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge, mit welchen Beleidigungen und Bedrohungen des Geschädigten gegenüber dem Angeklagten vor und nach der ausgeurteilten Tat unter Beweis gestellt werden sollten, hätten gerade nicht gezeigt, dass der Angeklagte die Opferrolle des Geschädigten vollständig akzeptiert habe. Darüber hinaus sei vor dem Hintergrund des im Plädoyer der Nebenklage für angemessen erachteten Geldbetrages für die Wiedergutmachung in Höhe von 30.000 bis 36.000 € nicht erkennbar, dass der Geschädigte den Täter-Opfer-Ausgleich „ernsthaft mitgetragen“ und diesen als friedensstiftende Konfliktregelung „innerlich akzeptiert“ habe.

2. Diesen Erwägungen zur Versagung des Strafmilderungsgrundes aus § 46a Nr. 1 StGB begegnen durchgreifende rechtliche Bedenken.

a) Nach der Regelung des § 46a Nr. 1 StGB kann das Gericht die Strafe gemäß § 49 Abs. 1 StGB mildern, wenn der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt und Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein muss. Der kommunikative Prozess setzt keinen persönlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer voraus, sondern kann auch durch Dritte vermittelt werden. Unverzichtbar ist nach dem Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs aber eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung, was grundsätzlich voraussetzt, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Daher sind regelmäßig tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Wiedergutmachungsbemühungen des Täters gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 15. Januar 2020 . 2 StR 412/19 Rn. 8; vom 9. Oktober 2019 . 2 StR 468/18, NJW 2020, 486 Rn. 7 f.; vom 24. August 2017 . 3 StR 233/17 Rn. 13 ff.; vom 12. Januar 2012 . 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439, 440; vom 7. Dezember 2005 . 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275, 276).

b) Von diesen Grundsätzen ausgehend erweist sich die Begründung, mit welcher das Landgericht eine Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB verneint hat, in rechtlicher Hinsicht als nicht tragfähig.

Da der Ausgleich zwischen Täter und Opfer auch durch dritte Personen vermittelt werden kann, steht die Tatsache, dass die Entschuldigung beim Opfer und das für einen Täter-Opfer-Ausgleich in aller Regel erforderliche Geständnis des Täters (vgl. Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl., § 46a Rn. 30 mwN) über die Verteidigerin erfolgten, der Annahme eines kommunikativen Prozesses im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB nicht entgegen. Davon abgesehen, dass Prozesserklärungen eines Verteidigers dem Angeklagten nicht ohne Weiteres als eigene Erklärungen zugerechnet werden können, ist mit den in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen schon deshalb keine unzutreffende Relativierung der Opferrolle des Geschädigten verbunden gewesen, weil der Geschädigte den Angeklagten nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sowohl vor als auch nach der ausgeurteilten Tat tatsächlich verbal bedrohte. Schließlich bleibt nach den Ausführungen in den Urteilsgründen unklar, wie sich der Nebenkläger zu den Ausgleichsbemühungen des Angeklagten gestellt hat. So zieht die Strafkammer aus dem von der Nebenklägervertreterin in ihrem Plädoyer in den Raum gestellten Geldbetrag für eine angemessene Wiedergutmachung den Schluss, dass nicht erkennbar sei, dass der Geschädigte den Täter-Opfer-Ausgleich ernsthaft mitgetragen und innerlich akzeptiert habe. Dies lässt sich indes mit der Feststellung, wonach die Nebenklagevertreterin die Zahlung von 3.000 € und die schriftliche Entschuldigung des Angeklagten für den Geschädigten annahm, nicht ohne weitere Darlegungen in Einklang bringen. Zu der Frage, ob die Zahlung von 3.000 € bei Anlegung eines objektivierenden Maßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 15. Januar 2020 . 2 StR 412/19 Rn. 12; vom 9. Oktober 2019 . 2 StR 468/18, aaO, Rn. 9) der Höhe nach als ausreichende Leistung anzusehen ist, die geeignet erscheint, die Folgen der Tat zumindest zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen, verhalten sich die Urteilsgründe nicht.“