Archiv der Kategorie: Urteil

OWi I: Unzulässiges Befahren einer Rettungsgasse, oder: Erforderliche/ausreichende Urteilsfeststellungen

Bild von Sabine auf Pixabay

Ich stelle heute dann mal wieder OWi-Entscheidungen vor. In den Tag starte ich mit dem KG, Beschl. v. 15.03.2023 – 3 Orbs 43/23 – zu den erforderlichen Urteilsfeststellungen bei § 11 Abs. 2 StVO – Stichwort: „Rettungsgasse“. Dazu führt das KG in einem Zusatz aus:

2. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO. Zwar ist den Feststellungen nicht unmittelbar zu entnehmen, dass Fahrzeuge „mit Schrittgeschwindigkeit“ fuhren oder „sich die Fahrzeuge im Stillstand“ befanden (§ 11 Abs. 2 StVO). Jedoch beschreiben sie, dass sich eine „Rettungsgasse“ gebildet habe. Bei verständiger Würdigung ist dieser Terminus nicht anders zu verstehen, als dass die Fahrzeuge, wie es § 11 Abs. 2 StVO erfordert, standen oder langsam fuhren.

Die Bewertung des Rechtsmittels, der Betroffene habe nur „rechtsseitig überholt“ (RB S. 3), ist nicht mit der vom Amtsgericht für glaubhaft gehaltenen (UA S. 3) Bekundung des polizeilichen Zeugen in Einklang zu bringen, der Betroffene sei „mindestens die 500 Meter seines Sichtbereichs“ in der Gasse gefahren (UA S. 3).

Ohne dass es darauf ankommt, dürfte § 11 Abs. 2 StVO ohnehin die gegenüber § 5 Abs. 1 StVO (Verbot des Rechtsüberholens) speziellere Norm sein, so dass ein Überholen unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVO immer eine Verwirklichung dieser Norm bedeutet und die Regelvermutung des zugehörigen Rechtsfolgentatbestands der BKatV auslöst.“

StGB I: Klassiker „Tritt mit dem beschuhten Fuß“, oder: Es mangelte mal wieder an den Feststellungen

entnommen wikimedia.org
Urheber Anmab82

Und dann heute drei StGB-Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 02.02.2023 – 202 StRR 6/23. Die Entscheidung beinhaltet ein „Klassiker-Problem“. nämlich den Tritt mit dem beschuhten Fuß.

Das AG hat den u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die das LG als unbegründet verworfen hat. Dagegen dann jetzt noch die Revioson, die einen Teilerfolg hatte:

1. Während der Schuldspruch und der Strafausspruch zum Fall II. 2. b) der Gründe des Berufungsurteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweisen, hält die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2. a) der Gründe des Berufungsurteils) der sachlich-rechtlichen Nachprüfung aufgrund durchgreifender Darstellungsmängel nicht stand.

a) Zwar kann ein mit dem beschuhten Fuß geführter Tritt gegen den Kopf des Opfers eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB im Einzelfall rechtfertigen, allerdings muss sich die gesteigerte Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gerade aus dem Einsatz des Schuhs ergeben (vgl. nur BGH, Urt. v. 28.08.2019 – 5 StR 298/19, bei juris m.w.N.). Nach den Feststellungen der Berufungskammer sind diese Voraussetzungen aber schon deshalb nicht erfüllt, weil im Rahmen der Sachverhaltsschilderung lediglich ausgeführt wird, dass der Angeklagte nach vorangegangenen Faustschlägen gegen das dadurch zu Boden gegangene Opfer mit seinen „Sportschuhen“ zumindest einmal mit großer Wucht „in Richtung des Kopfes“ des Geschädigten getreten habe, um diesen zu verletzen. Dass der Kopf des Opfers durch diesen Tritt auch tatsächlich getroffen wurde, lässt sich den Feststellungen zum Tatgeschehen gerade nicht entnehmen. Zwar geht das Urteil im Rahmen der rechtlichen Würdigung davon aus, dass das Opfer gegen den Kopf getreten worden sei, löst den Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen indes nicht auf.

b) Aus den gleichen Gründen wird die Einschätzung des Berufungsgerichts, der Tritt stelle auch eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB dar, ebenfalls von den Feststellungen nicht getragen. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass selbst in dem Fall, dass der vom Angeklagten ausgeführte Tritt den Kopf des Opfers getroffen haben sollte, auch eine lebensgefährdende Behandlung im Sinne der genannten Strafvorschrift nicht belegt ist. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist hierfür erforderlich, dass die Einwirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen des Einzelfalls generell geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. nur BGH, Beschl. v. 14.09.2021 – 4 StR 21/21 = RS 140, 325 (2021) = VRS 140, Nr 66 = StV 2022, 24 = JZ 2022, 364 = BGHR StGB § 224 Abs 1 Nr 5 Lebensgefährdung 4 = BGHR StGB § 315b Abs 1 Nr 3 Eingriff 9; 01.06.2021 – 6 StR 113/21 = NStZ-RR 2021, 244 = StV 2022, 165; 10.02.2021 – 1 StR 478/20 = NStZ-RR 2021, 211 = StV 2022, 166). Tritte gegen den Kopf können eine das Leben gefährdende Behandlung nur unter der Voraussetzung darstellen, dass sie nach Art der konkreten Ausführung der Verletzungshandlungen zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (BGH, Urt. v. 22.01.2015 – 3 StR 301/14, bei juris m.w.N.). Die bloß theoretische Möglichkeit einer Lebensgefährdung, von der die Berufungskammer im Ergebnis ausgeht, genügt hierfür gerade nicht.“).

Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

© rcx – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

entnommen wikimedia.org
Urheber Munhuu94 – Own work

In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

Befangenheit I: Vorbefassung im Cum-Ex-Strafprozess, oder: Das Recht auf den gesetzlichen Richter

© eyetronic – Fotolia.com

Heute dann ein „Befangenheitstag“, und zwar mit drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit. Die vorgestellten Entscheidungen stammen zwar nicht alle aus einem Strafverfahren, aber die in den Entscheidungen angestellten Überlegungen können auch da von Bedeutung sein.

Zunächst verweise ich auf die „Cum-Ex-Entscheidung“ des BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 27.01.2023 – 2 BvR 1122/22 – über die Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Cum-Ex-Mitarbeiters entschieden, der gegen ein Urteil des LG Bonn und die Revisionsentscheidung des BGH Verfassungsbeschwerde eingelegt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt hatte. Der Verurteilte hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde gerügt, dass in seinem Verfahren zwei Richter zuvor an einem anderen Cum-Ex-Urteil gegen zwei Börsenhändler beteiligt waren, und sich die Urteilsgründe in dem Verfahren auch zu seiner Rolle als Haupttäter verhielten. Im dem war u.a. ausgefüht, der Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde habe gemeinschaftlich mit weiteren Personen vorsätzlich rechtswidrige Steuerstraftaten begangen, zu denen einer der beiden Börsenhändler Hilfe geleistet habe. An dme Urteil waren der Vorsitzende und der Berichterstatter beteiligt gewesen. Der Angeklagte hatte sie deshalb wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehtn. Das LG hatte das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und den Angeklagten verurteilt. Der BGH hatte die Revision verworfen.

Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte. Das BVerfG sieht das Recht auf den gesetzlichen Recht nicht verletzt. Es referiert u.a. die Rechtsprechung des EGMR zur sog. Vorbefassung und führt dann aus:

„2. Gemessen an diesen Maßstäben wurde dem Beschwerdeführer der gesetzliche Richter nicht im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen. Die angegriffenen Entscheidungen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Befangenheit wegen Vorbefassung (a), die weder verfassungsrechtlichen (b) noch konventionsrechtlichen (c) Bedenken begegnet. Soweit der Bundesgerichtshof – der Argumentation des Generalbundesanwalts folgend (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>) – im konkreten Fall die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs gegen den Vorsitzenden der Strafkammer revisionsrechtlich nicht beanstandet hat, scheidet ein den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzender Entzug des gesetzlichen Richters aus (d).

a) Eine Vortätigkeit des erkennenden Richters, die den Verfahrensgegenstand betrifft, zieht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder automatisch die Ausschließung des Richters von der Ausübung des Richteramts im weiteren Verfahren nach sich (aa) noch begründet sie zwangsläufig die Besorgnis der Befangenheit (bb).

aa) Nach der Konzeption des Strafverfahrensrechts ist der erkennende Richter wegen einer Vortätigkeit, die den Verfahrensgegenstand betrifft, nicht automatisch, sondern nur ausnahmsweise von der Mitwirkung im weiteren Verfahren ausgeschlossen. Dass einer der gesetzlichen Ausschlussgründe greift, macht der Beschwerdeführer hier weder geltend, noch ist eine solche Konstellation aus sich heraus ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer im Revisionsverfahren auf den Ausschlussgrund des § 22 Nr. 5 StPO abgestellt hat, verfolgt er diese Verfahrensbeanstandung mit der Verfassungsbeschwerde ausdrücklich nicht mehr weiter.

bb) Da die Ausschlussgründe in der Strafprozessordnung die Frage der Vorbefassung abschließend regeln, ist die Vorbefassung eines Richters in anderen Verfahrenskonstellationen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu begründen; es müssen besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (stRspr; vgl. BGH, Beschluss des 5. Strafsenats vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05 -, BGHSt 50, 216 <221 f.>; Urteil des 2. Strafsenats vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09 -, NStZ 2011, S. 44 <46 Rn. 23>; Beschluss des 3. Strafsenats vom 10. Januar 2012 – 3 StR 400/11 -, NStZ 2012, S. 519 <520 Rn. 19>; Urteil des 1. Strafsenats vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17 -, Rn. 56; Beschluss des 3. Strafsenats vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21 -, Rn. 48; Beschluss des 5. Strafsenats vom 7. Juni 2022 – 5 StR 460/21 -, NStZ-RR 2022, 288 <289>). Das gilt nicht nur bei Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, etwa bei der Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss oder an Haftentscheidungen, sondern auch bei der Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte desselben Lebenssachverhalts (vgl. BGH, Beschluss des 3. Strafsenats vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21 -, Rn. 48).

b) Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das deutsche Verfahrensrecht ist von der Auffassung beherrscht, ein Richter könne auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet habe (vgl. BVerfGE 30, 149 <153 f.>). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um aus der Vorbefassung eines Richters auf dessen fehlende Neutralität zu schließen. Nur wenn ein diese Umstände aufgreifendes Befangenheitsgesuch willkürlich zu Unrecht abgelehnt wird, ist dem Angeklagten der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen (vgl. BVerfGK 9, 282 <286>).

c) Diese Maßstäbe stehen im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <366 ff.>; 148, 296 <351 Rn. 128>; 149, 293 <328 Rn. 86>; 158, 1 <36 Rn. 70>), wenngleich eine schematische Parallelisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht verlangt ist (vgl. BVerfGE 128, 326 <366, 392 f.>; 156, 354 <397 Rn. 122>). Bei der Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention sind die Leitentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht denselben Streitgegenstand betreffen, denn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zu (vgl. BVerfGE 111, 307 <320>; 128, 326 <368>; 148, 296 <351 f. Rn. 129>). Die Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe gemäß Art. 1 Abs. 2 GG über den Einzelfall hinaus dient dazu, den Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland möglichst umfassend Geltung zu verschaffen, und kann darüber hinaus helfen, Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu vermeiden (vgl. BVerfGE 128, 326 <369>; 148, 296 <352 f. Rn. 130>).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verortet die Unparteilichkeit des zur Entscheidung berufenen Richters im Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und sieht sie als dessen unverzichtbarer Bestandteil an (stRspr; vgl. EGMR, Schwarzenberger v. Germany, Urteil vom 10. August 2006, Nr. 75737/01, § 38; Bezek v. Germany, Entscheidung vom 21. April 2015, Nr. 4211/12 und 5850/12, § 31; Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, §§ 42 ff., NJW 2021, S. 2947 <2948 ff.>). Er prüft nicht nur anhand subjektiver Kriterien ausgehend von der persönlichen Überzeugung und dem Verhalten eines bestimmten Richters in einer bestimmten Rechtssache, ob Unparteilichkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK gegeben ist. Er stellt auch auf objektive Kriterien ab und prüft, ob der Richter hinreichend Gewähr dafür geboten hat, dass alle berechtigten Zweifel insoweit auszuschließen sind (stRspr; vgl. EGMR, Schwarzenberger v. Germany, Urteil vom 10. August 2006, Nr. 75737/01, § 38; Kriegisch v. Germany, Entscheidung vom 23. November 2010, Nr. 21698/06, NJW 2011, S. 3633 <3634>; Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 44, NJW 2021, S. 2947 <2948>).

Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte genügt allein die Tatsache, dass ein Richter bereits über ähnliche, aber selbständige Tatvorwürfe entschieden oder in einem gesonderten Strafverfahren gegen einen Mitangeklagten verhandelt hat, nicht, um Zweifel an der Unparteilichkeit dieses Richters in einem nachfolgenden Fall zu begründen (stRspr; vgl. EGMR, Schwarzenberger v. Germany, Urteil vom 10. August 2006, Nr. 75737/01, § 42; Kriegisch v. Germany, Entscheidung vom 23. November 2010, Nr. 21698/06, NJW 2011, S. 3633 <3634>; Bezek v. Germany, Entscheidung vom 21. April 2015, Nr. 4211/12 und 5850/12, § 32 f.; Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 47, NJW 2021, S. 2947 <2948>; Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 49). Hat allerdings ein Gericht in einem früheren Urteil ohne rechtliche Notwendigkeit die Rolle des später Angeklagten derart detailliert beurteilt, dass das frühere Urteil so zu verstehen ist, das Gericht habe hinsichtlich des später Angeklagten alle für die Erfüllung eines Straftatbestands erforderlichen Kriterien als erfüllt angesehen, können nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte objektive Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gerichts bestehen (stRspr; vgl. EGMR, Kriegisch v. Germany, Entscheidung vom 23. November 2010, Nr. 21698/06, NJW 2011, S. 3633 <3634>; Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 48, NJW 2021, S. 2947 <2949>). Er hält solche Zweifel insbesondere dann für möglich, wenn ein innerstaatliches Gericht nicht nur die Tatsachen beschrieben hat, die einen später angeklagten Täter betreffen, sondern darüber hinaus dessen Verhalten, ohne dass dazu eine Notwendigkeit bestanden hätte, rechtlich bewertet hat (vgl. EGMR, Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 48, NJW 2021, S. 2947 <2949>).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt ferner an, dass es in komplexen Strafverfahren mit mehreren Beteiligten, die nicht in einem Verfahren gleichzeitig abgeurteilt werden können, für die Beurteilung der Schuld der abzuurteilenden Personen unerlässlich sein kann, dass das Strafgericht auf die Beteiligung Dritter Bezug nimmt, gegen die später womöglich ein gesondertes Verfahren geführt wird (vgl. EGMR, Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 47, NJW 2021, S. 2947 <2948>; Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; vgl. mit Blick auf Art. 6 Abs. 2 EMRK auch EGMR, Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64). Ausdrücklich hat er betont, dass Strafgerichte auch in solchen Konstellationen den für die Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Angeklagten maßgeblichen Sachverhalt so genau und präzise wie möglich feststellen müssen und entscheidende Tatsachen – einschließlich solcher mit Bezug auf die Beteiligung Dritter – nicht als reine Behauptungen oder Vermutungen darstellen dürfen (vgl. EGMR, Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64). Er bezieht in seine Prüfung auch ein, ob und inwieweit in dem ersten Verfahren die Schuld des Beschwerdeführers bewertet wurde (vgl. EGMR, Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 49, NJW 2021, S. 2947 <2949>). Die Besorgnis, der Richter sei nicht unvoreingenommen gewesen, hält er für unbegründet, wenn das später entscheidende Gericht aufgezeigt hat, dass es in dem zweiten Verfahren eine neue Beweiswürdigung vorgenommen hat, insbesondere, wenn sich aus dem Urteil in der späteren Rechtssache ergibt, dass die abschließende Bewertung auf Grundlage der in neuen Verfahren vorgelegten Beweismittel und gehörten Argumente vorgenommen wurde (vgl. EGMR, Kriegisch v. Germany, Entscheidung vom 23. November 2010, Nr. 21698/06, NJW 2011, S. 3633 <3634>; Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 50, NJW 2021, S. 2947 <2949>).

d) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers verworfen hat. Auch unter Berücksichtigung der Gewährleistungsgehalte des Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK scheidet ein den Beschwerdeführer in seinem Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzender Entzug des gesetzlichen Richters aus.

aa) Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist nichts dagegen zu erinnern, dass die zuständige Kammer der Auffassung war, in dem vorliegenden komplexen Strafverfahren die Beteiligten nicht in einem Verfahren gleichzeitig aburteilen zu können. Schon die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urteile zeigen auf, dass an Geschäften aus dem Cum-Ex-Komplex eine Vielzahl von Beschäftigten unterschiedlicher Banken in unterschiedlicher Zusammensetzung und in unterschiedlichen Fallkonstellationen beteiligt waren. Ein einziger Prozess, der sich gegen alle diese Personen richtete, hätte insbesondere Beteiligte mit untergeordneten Tatbeiträgen über Gebühr mit einem langen Strafverfahren belastet und wäre mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren gewesen. Der Einwand des Beschwerdeführers, das Gericht hätte für den ersten Prozess gegen Personen, deren Tatbeiträge als Beihilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB eingeordnet worden sind, prüfen müssen, ob abzuwarten sei, bis auch die Verfahren gegen die beteiligungsrechtlich als (Haupt-)Täter einzuordnenden Personen zur Anklage gelangt waren, greift daher schon deshalb nicht durch.

bb) Die Argumentation des Generalbundesanwalts, dessen begründetem Verwerfungsantrag das Revisionsgericht gefolgt ist (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>), es sei unerlässlich gewesen, die Tatbeiträge des Beschwerdeführers im früheren ersten Cum-Ex-Prozess festzustellen und rechtlich zu würdigen, begegnet vor dem Hintergrund der Gewährleistungen der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen oder konventionsrechtlichen Bedenken.

(1) Mit dem Landgericht ist zum Ausgangspunkt zu nehmen, dass die Angeklagten des früheren Verfahrens unter anderem wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt und verurteilt wurden. In diesem Verfahren gegen die Börsenhändler konnte auf Feststellungen zum Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat und damit zum Tatbeitrag des Beschwerdeführers nicht verzichtet werden. Vielmehr musste das Tatgericht seiner Pflicht nachkommen, den für die Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der damals Angeklagten maßgeblichen Sachverhalt so genau und präzise wie möglich festzustellen und entscheidende Tatsachen – auch solche mit Bezug auf die Beteiligung Dritter – nicht als reine Behauptungen oder Vermutungen darzustellen (vgl. EGMR, Mucha v. Slovakia, Urteil vom 25. November 2021, Nr. 63703/19, § 58; Karaman v. Germany, Urteil vom 27. Februar 2014, Nr. 17103/10, § 64).

(2) Bei der Feststellung, dass einer der früheren Angeklagten dem Beschwerdeführer zu dessen vorsätzlicher und rechtswidriger Steuerhinterziehung Hilfe geleistet hat, hat sich das Landgericht – konventionsrechtliche Anforderungen beachtend (vgl. EGMR, Meng v. Germany, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 49, NJW 2021, S. 2947 <2949>) – der Aussage enthalten, ob der Beschwerdeführer schuldhaft gehandelt hat. Es hat berücksichtigt, dass schuldhaftes Handeln des (Haupt-)Täters – anders als ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Handeln – gemäß dem in § 27 Abs. 1 StGB verankerten Grundsatz der limitierten Akzessorietät der Teilnahme keine Voraussetzung für eine Strafbarkeit des Gehilfen ist.

(3) Der Hinweis des Beschwerdeführers darauf, wie häufig sein Name in dem vorangegangenen Strafurteil aus dem Cum-Ex-Komplex genannt worden ist, ist bereits angesichts der Länge des betreffenden Urteils nicht aussagekräftig. Soweit der Beschwerdeführer auf Stellen verweist, in denen das Gericht nach seiner Auffassung im früheren Urteil zu seiner Schuld ausgeführt hat, ist dies den aufgelisteten Passagen nicht zu entnehmen, da sich das Gericht dort zwar mit der – im Verfahren gegen die Gehilfen zwingend festzustellenden – inneren Tatseite des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat, nicht aber mit dessen Schuld.

(4) Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers hätte auf die Aufklärung seiner Rolle im Cum-Ex-Komplex in dem vorangegangenen Strafverfahren auch nicht deshalb verzichtet werden können, weil außer ihm ein weiterer Tatbeteiligter die entsprechenden Steuererklärungen unterzeichnet und daher ebenfalls eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat begangen hat. Dem steht bereits entgegen, dass auf diese Weise jeder Haupttäter die Darstellung seiner Tatbeiträge mit Verweis auf weitere Täter für verzichtbar erklären könnte, so dass das Gericht im Ergebnis überhaupt kein Täterhandeln mehr beschreiben dürfte. Dies geriete mit dem Umstand in Konflikt, dass für das Gehilfenhandeln festzustellen ist, welche vorsätzliche und rechtswidrige Tat eines Haupttäters gefördert worden ist.

(5) Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Vorbefassung der erkennenden Richter lässt sich ferner nicht daraus ableiten, dass das Landgericht im Urteil gegen die Börsenhändler die vorsätzliche rechtswidrige Haupttat nicht allgemeiner umschrieben und die Person des Haupttäters offengelassen hat. Zwar erkennt der Beschwerdeführer im Ansatz zutreffend, dass die Verurteilung eines Gehilfen grundsätzlich auch dann möglich ist, wenn die Identität des Haupttäters unbekannt bleibt. Bei dem hier zu beurteilenden Verfahren war aber gerade die Identität der Haupttäter, insbesondere deren berufliche Stellung und ihre Kenntnisse im Steuerrecht, maßgeblich für die – im Verfahren gegen die Gehilfen zwingend vorzunehmende – Bewertung der inneren Tatseite der Haupttäter.

(6) Auch die aus Sicht des Beschwerdeführers zurückhaltende Bewertung der Rolle eines möglichen weiteren Haupttäters in den Gründen des ihn betreffenden Urteils lässt nicht darauf schließen, dass die Ausführungen des Gerichts zum Handeln des Beschwerdeführers im Urteil gegen die als Teilnehmer verurteilten Börsenhändler über das erforderliche Maß hinausgegangen sind. Nach den Feststellungen des Landgerichts verwirklichte der Beschwerdeführer alle Merkmale der Steuerhinterziehung eigenhändig als Täter, indem er die entsprechenden Steuererklärungen unterzeichnete. Auf die Handlungen möglicher Mittäter kam es daher in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an.

cc) Der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rüge, der Hinweis des Vorsitzenden auf seine Erinnerung an die Vernehmung eines Zeugen im früheren Verfahren begründe besondere Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung rechtfertigten, ist ebenfalls der Erfolg zu versagen. Der Beschwerdeführer verkennt den anzuwendenden Prüfungsmaßstab, wenn er im Ergebnis eine Neubewertung der für und gegen eine Befangenheit sprechenden Umstände erreichen möchte. Prüfungsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts ist nicht die Befangenheit eines Richters als solche, sondern – unter Anlegung des Willkürmaßstabs (vgl. oben Rn. 25) – die Frage, ob die angegriffenen Entscheidungen über einen Befangenheitsantrag des Beschwerdeführers und die Überprüfung dieser Entscheidung durch das Revisionsgericht im Einklang mit den Gewährleistungen der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK stehen.“

Ich denke, wir werden dazu noch etwas vom EGMR hören.