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OWi II: Urteil wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Und dann im zweiten Posting die zweite Entscheidung des OLG Oldenburg, und zwar der OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 ORbs 208/23 – zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Nichts Besonderes, aber: „In der Not frisst der Teufel Fliegen“.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 400 EUR verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„Die getroffenen Feststellungen tragen weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene mit einem Lkw, mithin einem Kraftfahrzeug der in § 3 Abs. 3 Nummer 2 a oder b StVO genannten Art, gefahren sei. Weiter heißt es in den Urteilsgründen, dass die für „Pkw“ zulässige Geschwindigkeit an der Messstelle 50 km/h betragen habe. In den angewendeten Vorschriften werden § 3 Abs. 3 StVO und Nummer 11.1.5 Bußgeldkatalog genannt.

Mag dem Messfoto, auf das durch den gewählten Klammerzusatz noch gerade zulässig verwiesen worden sein dürfte, noch zu entnehmen sein, dass es sich um einen Lkw mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t gehandelt hat, ist dem Urteil nicht zu entnehmen, weshalb die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 50 km/h gelegen haben soll. Da sich der Verstoß außerhalb geschlossener Ortschaften ereignet hat, ergeben sich aus § 3 Abs. 3 StVO, der in den angewendeten Vorschriften genannt worden ist, zulässige Höchstgeschwindigkeiten von 80 bzw. 60 km/h. Eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h wäre deshalb nur bei einer entsprechenden Anordnung durch ein Verkehrszeichen denkbar. Dass sich ein derartiges Verkehrszeichen vor der Messstelle befand, ergibt sich aber weder aus den Urteilsgründen, noch aus den angewendeten Vorschriften, da dort § 41 Abs. 2 StVO nicht genannt ist. Damit ist für den Senat, dem der Blick in die Akte verwehrt ist, nicht nachvollziehbar, welche zulässige Höchstgeschwindigkeit aus welchem Grund für den Betroffenen gegolten hat. Dass auch die Generalstaatsanwaltschaft insoweit Bedenken hatte, ergibt sich aus der betont vorsichtigen Formulierung auf Seite 5 der Zuschrift vom 04.12.2023.

Bereits der Schuldspruch konnte deshalb nicht aufrechterhalten werden. Ausgenommen von der Aufhebung konnten allerdings die Feststellungen zur Fahrereigenschaft sowie zur ermittelten Geschwindigkeit werden, da diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind.“

Und als freundlicher Service des OLG dann der Hinweis:

„Sollte das Amtsgericht in einer neuen Hauptverhandlung erneut zu einer Verurteilung und einer Erhöhung der Regelgeldbuße kommen, wobei auch eine wegen Vorsatzes verdoppelte Geldbuße eine Regelgeldbuße darstellt, dürften bei einer Geldbuße von mehr als 250 € Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen zu treffen sein.“

OWi I: Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages: oder: Nicht schlimm, die anderen machen es auch so

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Juchhu, ich habe drei OWi-Entscheidungen, die ich vorstellen kann 🙂 . Zwei Beschlüsse kommen vom OLG Oldenburg, einer kommt vom BayObLG.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.11.203 – 2 ORbs 188/23 – zur Frage der Verletzung des fairen Verfahrens durch die Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages. Das OLG sieht darin keine Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren. Begründet wird dies mit einer Aneinanderreihung von Zitaten aus OLG-Entscheidungem die das ebenso gesehen haben, was keine besondere Begründungskunst ist. Und natürlich mit dem Hinweis auf den BGH und den BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21, der auf die Vorlage des OLG Zweibrücken ergangen war. Ich habe bisher selten einen Beschluss gesehen, in dem so viel zitiert und verwiesen wird. Für mich wenig überzeugend und ich frage mich, warum das OLG nicht gleich – nur schreibt: Die anderen machen es auch so.

Allerdings hat das OLG dann den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, weil das AG insoweit mal wieder einen klassischen Fehler gemacht hat:

Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, wie der Betroffene sich insoweit eingelassen hat.

Die fehlende Mitteilung der Einlassung stellt dann einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Februar 2008,1 Ss 313/07 juris).

So ist es hier. Bereits aus den Protokollanlagen ergibt sich, dass die Frage der Auswirkung eines Fahrverbotes auf ein Beschäftigungsverhältnis des Betroffenen problematisiert worden ist. Gleichwohl findet sich in den Entscheidungsgründen zu einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen nichts.

Damit vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Anordnung des Fahrverbotes bzw. das Nichtabsehen von dessen Verhängung ausreichend begründet worden ist.

Wegen des engen Zusammenhanges zwischen Höhe der Geldbuße und Fahrverbot war der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.“

Na ja. Das mindert aber den im Übrigen „schlechten Eindruck“ nicht. 🙂

Corona I: Ausbleiben in Berufungs-HV „wegen Corona“, oder: Darlegung der genügenden Entschuldigung

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Heute zum Wochenstart mal wieder drei Entscheidungen aus der Katergorie „Corona/Covid-19“. Alle drei kommen vom BayObLG, zwei sind schon etwas älter.

Ich starte dann mit den schon etwas älteren Entscheidungen, und zwar hier mit dem BayObLG, Beschl. v. 28.06.2023 – 206 StRR 174/23 – zum Ausbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin wegen geltend gemachter coronabedingter Verhandlungsunfähigkeit

Das AH hatte den Angeklagten am 12.10.2022 wegen Beihilfe zum Betrug „in einem besonders schweren Fall“  verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das LG verworfen, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte im Verhandlungstermin am 14.02.2023 nicht erschienen sei, obwohl ihm die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens mit der Ladung mitgeteilt worden seien. Allein die Übersendung einer Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests genüge ohne weitere Informationen darüber, warum der Angeklagte am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert sei, denen das Gericht nachgehen könne, nicht.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die beim BayObLG keinen Erfolg hatte:

„Das Rechtsmittel ist unbegründet, weil das Fernbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2023 allein durch die kommentarlose Vorlage der Bescheinigung über einen positiven Antigentest auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2 Infektion nicht genügend entschuldigt war.

Insoweit kann auf die erschöpfenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30. Mai 2023 Bezug genommen werden. Ergänzend bemerkt der Senat auch im Hinblick auf seinen Beschluss vom 25. Oktober 2022, 206 StRR 286/22, BeckRS 2022, 30918, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die hier am 14. Februar 2023 stattfand, im Gegensatz zu dem mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 entschiedenen Fall, in dem am 28. Juni 2022 die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren stattgefunden hatte, die Quarantänepflicht nach der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 12. April 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 225 vom 12. April 2022) nicht mehr galt. Am 14. Februar 2022 galt die Allgemeinverfügung zu Schutzmaßnahmen bei positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Corona-Schutzmaßnahmen) gemäß Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 15. November 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 631 vom 15. November 2022), deren Gültigkeit durch Allgemeinverfügung vom 20. Januar 2023 bis zum 28. Februar 2023 verlängert worden ist (BayMBl. 2023 Nr. 46 vom 25. Januar 2023). In der Bekanntmachung vom 15. November 2022 war in Nr. 2.1 für positiv getestete Personen unverzüglich nach Kenntniserlangung vom positiven Testergebnis Maskenpflicht nach Nr. 3 außerhalb der eigenen Wohnung für mindestens fünf Tage nach dem Erstnachweis des Erregers angeordnet, aber keine Quarantänepflicht.

Die Feststellungen des Landgerichts belegen schlüssig, dass das Nichterscheinen des Angeklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwerfungsurteils nicht ausreichend entschuldigt war. Die Gründe lassen erkennen, dass der Angeklagte lediglich die Bescheinigung über einen positiven Antigentest übersandt hatte, ohne hierzu weitere Informationen zu erteilen (UA Seite 2). Die Gründe teilen zwar weder mit, wer das Testergebnis übersandt hat, noch wann dies geschehen war. Dies wirkt sich im Ergebnis jedoch nicht aus, denn aus der bloßen Mitteilung des positiven Testergebnisses ergibt sich – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – noch keine genügende Entschuldigung des Nichterscheinens im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO. Es ist nicht erkennbar, dass nach Art und konkreten Auswirkungen der Erkrankung eine Beteiligung des Angeklagten an der Hauptverhandlung unzumutbar gewesen sei.

Die rechtliche Prüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich auch darauf, ob das Berufungsgericht auf der Grundlage der festgestellten Umstände die Pflicht zu weiterer Sachaufklärung im Wege des Freibeweises gehabt hätte (BGH Beschluss vom 11. April 1979, 2 StR 306/78, NJW 1979, 2319, 2320; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000, 5 StRR 259/00, juris Rn. 9). Besondere, schon aus den Feststellungen selbst ersichtliche Anhaltspunkte für ein solches Defizit liegen nicht vor. Es ist in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass nur das Testergebnis mitgeteilt worden war, also weder ein ärztliches Attest vorlag noch sonst ein Arzt mitgeteilt war. Ein Rechtsfehler, der darin liegen könnte, dass eine Nachfrage des Vorsitzenden bei dem betreffenden Arzt unterblieben ist, um von diesem eine Erläuterung der Krankheitssymptome zu erhalten, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht ersehen.“

Zur Berufungsverwerfung hatte das BayObLG auch bereits im BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22 – Stellung genommen, der folgende Leitsätze hat:

1. Macht der Angeklagte geltend, er habe einen Selbsttest auf eine Infektion mit dem Corona-Virus durchgeführt, der ein positives Ergebnis erbracht habe, ist dies wegen der bei Richtigkeit der Behauptung nicht auszuschließenden Infektionsgefahren für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit regelmäßig auch dann als ausreichende Entschuldigung für sein Fernbleiben anzusehen, wenn er keine körperlichen Symptome aufweist, die seine Verhandlungsunfähigkeit begründen würden.
2. Bloße Zweifel an der Richtigkeit eines schlüssig vorgebrachten Entschuldigungsgrundes rechtfertigen die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht; ihnen hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachzugehen. Eine Mitwirkungspflicht obliegt dem Angeklagten insoweit nicht. Kommt er der Aufforderung des Gerichts zur Vorlage eines Testergebnisses einer Schnellteststelle nicht nach, ist dies allein zur Begründung einer Verwerfung des Rechtsmittels nicht geeignet. Ist das Gericht davon überzeugt, dass der das Fernbleiben in der Hauptverhandlung ausreichend begründende Entschuldigungsgrund nur vorgeschoben ist, sind die tragenden Gründen hierfür im Urteil nachvollziehbar darzulegen.

Strafzumessung III: Verhängung einer Geldstrafe, oder: Einkommen, Tagessatzhöhe, Zahlungserleichterung

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Und im Nachmittagsposting dann noch zwei Entscheidungen des BayObLG zur (Bemessung) der Geldstrafe. Von beiden Entscheidungen stelle ich aber nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Bei der Verhängung einer Geldstrafe ist deren möglicherweise entsozialisierende Wirkung zu berücksichtigen.
2. Verfügt der Angeklagte lediglich über Einkommen in der Nähe des Existenzminimums, hat das Gericht bei einer hohen Tagessatzanzahl schon bei der Bemessung der Höhe des einzelnen Tagessatzes in einem einheitlich ermessensähnlich ausgestalteten Strafzumessungsakt über Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) zu entscheiden.
3. Die Tagessatzhöhe ist in der Weise zu berechnen, dass dem Angeklagten der zur Sicherung seines Lebensbedarfs unerlässliche Betrag in Höhe von 75 % des Regelsatzes der Sozialhilfe (heute des Bürgergeldes) nach Abzug des auf die Geldstrafe zu zahlenden monatlichen Teilbetrages noch verbleibt.
4. Insoweit hängt die Tagessatzhöhe in derartigen Fällen auch von der Höhe und Dauer einer zu gewährenden Ratenzahlung ab, weil sich die verhängte Geldstrafe in der vom Gericht vorgesehenen Ratenzahlungsdauer in Raten bezahlen lassen muss, die dem Angeklagten den zur Sicherung seines Lebensbedarfs unerlässlichen Betrag belassen.

Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe einer Geldstrafe muss das Tatgericht auch in ausreichender Weise erkennen lassen, dass es sich möglicher entsozialisierender Wirkungen der Geldstrafe bewusst gewesen ist.

 

Strafzumessung II: Verhängung der Höchststrafe, oder: Rechtfertigung in den Urteilsgründen?

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Im zweiten Posting des Tages dann der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 05.09.2023 – 3 StR 217/23 -, in dem der BGH noch einmal zur Begründung der Verhängung der Höchststrafe Stellung genommen hat.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Die Verhängung der Höchststrafe hat der BGG beanstandet:

„2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht innerhalb des Strafrahmens des § 30a Abs. 1 BtMG mildernd das Geständnis des Angeklagten nebst „Aufklärungsbemühungen“, die Sicherstellung der Betäubungsmittel und die zeitweilige Beobachtung von Bandenmitgliedern durch die Ermittlungsbehörden gewertet. Zudem sei die Haftempfindlichkeit des Angeklagten aufgrund nur beschränkter Deutschkenntnisse und infolge einer Rheumaerkrankung leicht erhöht. Schärfend hat die Strafkammer demgegenüber die besonders große Menge der gehandelten harten Droge Heroin, das Gewicht der Tatbeiträge des Angeklagten, seine Stellung in der Bandenhierarchie, die professionelle, gefahrerhöhende Vorgehensweise der Gruppe sowie das Nachtatverhalten in Form der Bedrohung des deutschen Tatgehilfen berücksichtigt.

Trotz der Strafmilderungsgründe hat das Landgericht den Angeklagten mit der Höchststrafe belegt. Es hat dies, die Strafzumessungserwägungen abschließend, darauf zurückgeführt, dass den Strafschärfungsgründen, insbesondere der Überschreitung des „Heroin-Grenzwertes“ um „mehr als das 30.000-fache“ und den vom Angeklagten erbrachten wesentlichen Tatbeiträgen, ein besonders großes Übergewicht zukomme und sich die weitaus weniger gewichtigen mildernden Gesichtspunkte somit nicht auswirkten.

II.

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen; im Übrigen bleibt ihr der Erfolg versagt.

1. Die Strafzumessung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Ohne eingehendere Begründung erschließt sich nicht, weshalb die Strafkammer den Fall als derart außergewöhnlich eingestuft hat, dass sie ihn mit der höchsten Strafe geahndet hat, die für den Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgesehen ist.

a) Strafen, die sich der oberen Strafrahmengrenze nähern oder sie sogar erreichen, bedürfen einer Rechtfertigung in den Urteilsgründen, die das Abweichen vom Üblichen vor dem Hintergrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles verständlich macht (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. September 2010 – 4 StR 278/10, NStZ-RR 2011, 5; vom 11. November 2014 – 3 StR 455/14, juris Rn. 5; Urteil vom 20. Oktober 2021 – 1 StR 136/21, juris Rn. 8; ferner Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1445, alle mwN). Maßstab sind das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut und der Grad seiner schuldhaften Beeinträchtigung (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 1 StR 136/21, juris Rn. 12). Das Vorliegen einzelner Milderungsgründe schließt die Verhängung der Höchststrafe dabei keineswegs aus; diese bedarf aber – auch und gerade dann – sorgfältiger Begründung unter Berücksichtigung aller Umstände (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, juris Rn. 23; s. auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 2 StR 619/82, NStZ 1983, 268, 269; Beschlüsse vom 30. August 1983 – 5 StR 587/83, StV 1984, 152; vom 17. Juli 2007 – 5 StR 172/07, juris Rn. 8).

b) Eine solche Begründung, die diesen besonderen Sorgfaltsanforderungen genügt und damit das Höchstmaß der zeitigen Freiheitsstrafe rechtfertigt, lassen die Urteilsgründe vermissen.

Das Landgericht hat zunächst für sich genommen rechtsfehlerfrei strafschärfend gewertet, dass sich das urteilsgegenständliche Umsatzgeschäft auf eine besonders große Menge einer harten Droge bezog und der maßgebliche Grenzwert in einem äußerst hohen Maß überschritten ist. Bei Betäubungsmitteldelikten prägen Art und Menge des Rauschgifts den Unrechtsgehalt der Tat; sie sind deshalb nicht nur „bestimmende Umstände“ (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO), sondern regelmäßig vorrangig in die Abwägung einzustellen. Diese Gesichtspunkte sind allerdings nicht allein entscheidend und isoliert zu betrachten. Die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung nach den §§ 46 ff. StGB verlieren im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität nicht ihre Bedeutung. Danach ist auch bei Rauschgiftgeschäften die Strafe nach dem Maß der individuellen Schuld zuzumessen. Eine reine „Mengenrechtsprechung“ wäre mit diesen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 14. November 2019 – 3 StR 242/19, juris Rn. 6; vom 20. Oktober 2021 – 1 StR 136/21, juris Rn. 7, jeweils mwN).

Hier lassen die Darlegungen der Strafkammer besorgen, dass sich das Landgericht bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe auf die Obergrenze des Strafrahmens nahezu ausschließlich von dem äußerst hohen Maß der Grenzwertüberschreitung („mehr als 30.000-fache“) hat leiten lassen (zu dessen Gewichtung im Verhältnis zur Gefährlichkeit des Rauschgifts vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 – 1 StR 181/19, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 45 Rn. 7 ff.). Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Als Rechtfertigung für die Verhängung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe explizit genannt hat das Landgericht neben dem Faktor der Grenzwertüberschreitung allein das Gewicht der vom Angeklagten erbrachten Tatbeiträge. Eine solche maßgebende hohe Bedeutung dieser Tatanteile im Rahmen des abgeurteilten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird in den Urteilsgründen indes nicht nachvollziehbar dargetan (zum Bezugspunkt der Banden- als [typischerweise] organisierter Kriminalität vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2021 – 6 StR 329/21, juris Rn. 6). Innerhalb des verfahrensgegenständlichen Handelsgeschehens, das von Drogenankauf, -transport, -verkauf und Geldtransfer geprägt war, trug der Angeklagte zwar im Grundsatz die Verantwortung für die beiden erstgenannten Bereiche. Es war gleichwohl der niederländische Mittäter, der den Kontakt zu den drei deutschen Gehilfen herstellte und die Baufahrzeuge sowie die Gerätschaften für deren Umbau in die Halle nach G.   verbrachte. Ebenso wenig lässt die Stellung des Angeklagten in der Bandenhierarchie – er befand sich auf einer Stufe mit diesem einzigen Mittäter über derjenigen der Gehilfen – den Fall ohne Weiteres als überaus gravierend erscheinen; seine Gewinnbeteiligung betrug nur ein Viertel.

bb) Der verbleibende der beiden entscheidenden unrechts- und schulderhöhenden Gesichtspunkte, das durch die festgestellte Wirkstoffmenge bedingte Maß der Grenzwertüberschreitung, kann nicht unabhängig von der Sicherstellung des von dem Umsatzgeschäft erfassten Heroins gewertet werden.

Die vollständige Sicherstellung der tatbetroffenen Betäubungsmittel ist – ebenso wie das Geständnis (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 – 4 StR 502/13, wistra 2014, 180 Rn. 3; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 679 ff.) – ein „bestimmender“ Milderungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 8. Februar 2017 – 3 StR 483/16, StraFo 2017, 117). Denn das Betäubungsmittelgesetz bezweckt den Schutz der Volksgesundheit; die Gesundheitsgefahr realisiert sich aber nicht, falls die Betäubungsmittel nicht in den Verkehr gelangen. Der Erfolgsunwert und damit das Gewicht der Strafschärfungsgründe der besonders großen Menge und der besonders gefährlichen Droge werden dadurch regelmäßig relativiert.

Aus dem Urteil geht nicht hervor, dass sich die Strafkammer bei der Bestimmung des Höchstmaßes der zeitigen Freiheitsstrafe dieses Zusammenhangs bewusst war. Unter den gegebenen Umständen wäre dies im Rahmen der gebotenen sorgfältigen Begründung der verhängten Höchststrafe auch mit Blick auf die weiteren Milderungsgründe erforderlich gewesen.

cc) Nach allem begegnet die Wertung, dass ein „besonders großes Übergewicht der Strafschärfungsgründe“ vorliegt, das zur Bedeutungslosigkeit aller Milderungsgründe für das Ergebnis der Strafzumessung führt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.“