Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

Noch einmal zur unzulässigen Abschalteinrichtung, oder: Kühlmittelsolltemperatur-Regelung

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Und dann habe ich noch etwas ganz anderes. Mal wieder unzulässige Abschalteinrichtung und dazu dann das OLG Hamm, Urt. v. 13.9.2023 – 30 U 81/21.

Das ist recht umfangreich. Daher stelle ich nur die Leitsätze ein. Den Rest dann bitte selbst lesen.

Die Leitsätze lauten:

1. Die Kühlmittelsolltemperatur-Regelung stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wegen derer den Fahrzeughersteller in der Regel zumindest eine Schadensersatzhaftung wegen fahrlässigen Verhaltens trifft.
2. Demgegenüber vermag sich dieser nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass entgegen der Annahme des BGH für eine Fahrlässigkeitshaftung im deutschen Recht kein Bedürfnis bestehe, da ausreichende andere Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.
3. Der Annahme der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung steht auch nicht entgegen, dass durch ihre Abschaltung zwar die ausgestoßene Stickoxidmenge erhöht, die anderer Emissionen jedoch verringert werde (sog. Trade off). Das europäische Emissionsrecht sieht eine solche Kompensationsmöglichkeit nicht vor. Diesbezüglich ist auch trotz der Vorlage dieser Frage an den Europäischen Gerichtshof durch das LG Duisburg (Beschl. v. 6.6.2023 – 1 O 55/19) eine Aussetzung des Verfahrens nicht geboten.
4. Eine vollständige Vorteilsausgleichung kommt auch bei einem Software-Update, das die unzulässige Abschalteinrichtung vollständig beseitigt, für gewöhnlich nicht in Betracht, sofern der Kläger einen nicht geringen Zeitraum seit dem Erwerb des Fahrzeugs der latenten Gefahr der Stilllegung desselben durch das Kraftfahrt-Bundesamt ausgesetzt war.

Winterliche Verkehrssicherungspflicht bei Glätte, oder: Woher stammte die Eisfläche?

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Urheber Simon A. Eugster

Im Kessel Buntes dann heute das LG Dessau-Roßlau, Urt. v. 11.08.2023 – 4 O 477/22 –, das sich – passend zur beginnenden Wintersaison – mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht befasst.

Geklagt worden ist von der Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung des Landes Sachsen-Anhalt, die aus übergegangenem Recht nach einem Unfallereignis am 09.02.2021 Schadensersatz geltend gemacht hat. Infolge eines Sturzes hatte sich der Bedienstete der Klägerin eine Fußgelenksverletzung links zugezogen, welche ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu einer Arbeits- bzw. Dienstunfähigkeit vom 10.02.2021 bis 16.04.2021 führte. Für die Zeit der Dienstunfähigkeit leistete die Klägerin an den Verletzten Herrn Zahlungen in Höhe von 16.849,72 EUR.

Behauptet wird, dass der Verletzte am 09.02.2021 gegen 19:00 Uhr auf dem linksseitigen Gehweg der E.-W.-Straße in D.-R. in Richtung Sportplatz J.-S.-Straße gelaufen sei. In Höhe der Hausnummer pp. sei er auf Glatteis mit dem linken Fuß ausgerutscht und gestürzt. Das Glatteis sei von einer dünnen Schneeschicht verdeckt und deshalb nicht erkennbar gewesen. Die Eisfläche habe sich auf Höhe einer auf den Gehweg einmündenden Dachentwässerung befunden und sich trichterförmig über die gesamte Breite des Gehweges erstreckt. Am Rande des Gehweges zur Straße hin habe sich hoch aufgetürmter Schnee befunden. Streumaterial sei im gesamten Bereich des Gehweges des Hausgrundstückes Nr. pp. zum Unfallzeitpunkt nicht vorhanden gewesen. Ausweislich eines Gutachtens des Deutschen Wetterdienstes vom hätten zum Unfallzeitpunkt an der Unfallstelle die meteorologischen Voraussetzungen für das Auftreten von Schnee- und Eisglätte vorgelegen. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei den in der Satzung über den Winterdienst in der Stadt D.-R.  geregelten Räum- und Streupflichten nicht nachgekommen. Das Dach des Hauses Nr. pp. sei aufgrund der vorhergehenden Schneefälle mit Schnee bedeckt gewesen. Durch die vom Dach ausgehende Wärme könne Schmelzwasser gebildet worden sein, das durch das Regenrinnenfallrohr auf den Gehweg geflossen und dort aufgrund der herrschenden Minustemperaturen gefroren sei. Insoweit hätte der Beklagte im Rahmen des Winterdienstes die Bildung einer Eisschicht in Ausübung gesteigerter Kontroll- und Beseitigungspflichtigen zu unterbinden gehabt. Auch könne sich der Beklagte nicht auf die Übertragung seiner Winterdienstpflichten berufen, weil die hierfür in § 4 Abs. 4 Winterdienstsatzung geregelten Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Der Beklagte ist dem entgegen getreten.

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen:

„Ein schadensersatzbegründender Verstoß gegen die dem Beklagten als Eigentümer des Grundstückes E.-W.-Straße # obliegende Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs.1 BGB in Verbindung mit der Winterdienstsatzung der Stadt-D. R. kann nicht festgestellt werden.

Die Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch die Verkehrseröffnung und setzt deutliche Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahrenlage voraus. Bei öffentlichen Wegen obliegt die Pflicht regelmäßig der Gemeinde im Zusammenhang mit der Wegebaupflicht. Anlieger haften nur, soweit die Pflicht auf sie übertragen wurde oder sie eine eigenständige Gefahrenquelle geschaffen haben. Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Maßgebend ist, was zur Sicherung des Verkehrs, dem die jeweilige Einrichtung dient, erforderlich und bezogen auf die einzelnen Maßnahmen dem Pflichtigen unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, etwa der Gefährlichkeit des Weges, dessen Art und Wichtigkeit, Stärke des Verkehrs, Art der Nutzer, und der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen zumutbar ist (Grüneberg, BGB, 82.A. 2023, § 823 Rn. 209 ff.). Im vorliegenden Falle ergibt sich der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht aus der Winterdienstsatzung der Stadt D.-R. (Anlage K 12, Bl. 29 d.A.). Danach war der Winterdienst im Unfallbereich E.-W.-Straße # gemäß § 4 Abs.1 für Gehwege auf die Eigentümer der anliegenden Grundstücke übertragen. Nach § 2 Abs. 1 der Winterdienstsatzung umfasst der Winterdienst die Räumung von Schnee und das Bestreuen der Gehwege bei Winterglätte. Dabei genügt es, auf Gehwegen einen ca. 1,5 m breiten Streifen freizuhalten. Bei Auftreten der Winterglätte sind für Gehwege abstumpfende Mittel zu verwenden. Nach § 2 Abs. 2 der Satzung ist der in der Zeit von 7:00 Uhr bis 20:00 Uhr gefallene Schnee und entstandene Glätte unverzüglich nach Beendigung des Schneefalls bzw. nach dem Entstehen der Glätte zu beseitigen. Nach 20:00 Uhr gefallener Schnee und entstandene Glätte sind werktags bis 7:00 Uhr zu beseitigen. Im vorliegenden Falle hat der Beklagte geltend gemacht, seine Winterdienst-Pflichten auf das Ehepaar K. übertragen zu haben. Eine wirksame Übertragung in diesem Sinne scheitert zunächst nicht an dem Umstand, dass nach § 4 Abs. 4 der Winterdienstsatzung ein Dritter die Winterdienstpflichten nur durch schriftliche Erklärung gegenüber der Stadt und mit deren Zustimmung übernehmen kann. Eine derartige Konstellation hätte lediglich zur Folge, dass der übernehmende Dritte dem Geschädigten unmittelbar haftet. Sofern – wie im vorliegenden Falle – die Verantwortlichkeit für den Winterdienst bei dem Beklagten verbleibt, hat er die Möglichkeit, die Ausübung des Dienstes auf Hilfspersonen zu übertragen. Eine derartige Übertragung bedarf klarer Absprachen, welche die zuverlässige Sicherung der Gefahrenquelle zum Gegenstand hat. Der Übertragende muss sich vergewissern, dass der Übernehmende bereit und in der Lage ist, die Pflichten zu erfüllen, welche nach Art und Umfang der Gefahrenquelle auftreten können. Die Verkehrssicherungspflicht des Abgebenden bzw. Delegierenden verengt sich in diesem Falle nunmehr auf Kontroll- und Überwachungspflichten (vgl. Grüneberg, BGB 82. Aufl. 2023 § 823 Rn. 50).

Nach Vernehmung des Zeugen G. K. ist zunächst davon auszugehen, dass das Unfallgeschehen am 09.02.2021 – wie von der Klägerin behauptet – stattgefunden hat…..

Gleichwohl kommt eine Haftung des Beklagten für das Schadensereignis im vorliegenden Falle nicht in Betracht, weil ein Verstoß gegen die oben beschriebenen Verkehrssicherungspflichten nicht festgestellt werden kann. Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht zudem fest, dass der Beklagte, die ihm obliegende Räum- und Streupflicht anforderungsgerecht übertragen und hinreichend überwacht hat…..“

Weiter dann bitte im verlinkten Volltext. Hier nur noch der Leitsatz, und zwar.

Wird ein Unfallgeschehen durch eine Eisfläche verursacht, welche von einer der Dachentwässerung dienenden Regenrinne stammt, liegt dann eine außergewöhnliche, nicht voraussehbare Gefahr vor, wenn die Bildung des Wassers nicht auf dem Einsetzen von Tauwetter sondern auf der individuellen Heizsituation des Hauses beruht. Ohne weitere, auf das entsprechende Risiko weisende Anhaltspunkte kommt eine Haftung wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht in Betracht.

Amphetaminkonsum oder Medikamenteneinnahme?, oder: Untersuchung der Blutprobe erforderlich

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Und dann hier noch der VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.09.2023 – 6 L 2377/23 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsums. Die Verwaltungsbehörde hat die Fahrerlaubnis entzogen und die sofortige Vollziehung angeordnet. Der Antrag des Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte keinen Erfolg. Das VG führt u.a. aus:

„Ob die Entziehung der Fahrerlaubnis auch materiell rechtmäßig ist, vermag das Gericht nach summarischer Prüfung nach Aktenlage nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zu beurteilen.

Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Maßgeblich für die Beurteilung der Kraftfahreignung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 -, juris, Rn. 16, und vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Oktober 2003 – 19 A 2549/99 -, juris, Rn. 12, sowie vom 6. Juli 2012 – 16 A 1928/11 -, n.v., S. 2 des Beschlussabdrucks.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt ein Fahrerlaubnisinhaber insbesondere dann als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 (zu den §§ 11, 13 und 14 FeV) vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV in Verbindung mit Nr. 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4 zur FeV ist die Eignung bzw. die bedingte Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs regelmäßig ausgeschlossen bei Einnahme von Betäubungsmitteln i.S.d. BtMG, ausgenommen Cannabis. Wegen ihres hohen Suchtpotenzials und der Schwierigkeit, ihre Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit einzuschätzen, rechtfertigt bereits ein einmaliger Konsum von sog. harten Drogen im Sinne des BtMG – zu denen Amphetamin zählt – im Regelfall die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar unabhängig davon, ob unter dem Einfluss des Betäubungsmittels auch ein Kraftfahrzeug geführt wurde.

Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 9/18 -, juris, Rn. 30; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. April 2014 – 16 B 89/14 – juris, Rn. 5, und vom 23. Juli 2015 – 16 B 656/15 -, juris, Rn. 5, jeweils m.w.N. zu der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung der Obergerichte anderer Bundesländer.

Entscheidend für die Verneinung der Kraftfahreignung ist demnach allein, ob feststeht, dass der Kläger jedenfalls einmal Amphetamin konsumiert hat, was einen willentlichen Konsum voraussetzt.

Laut des toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums der I. -I1. -Universität E. vom 00. Mai 2023 fiel die dem Antragsteller am 00. Februar 2023 entnommene Blutprobe positiv auf Amphetamin (338 ng/ml) aus. Die Gutachterin Univ.-Prof. Dr. X. -U. kommt in ihrer Beurteilung weiter zu dem Ergebnis, dass damit der Nachweis eines Konsums von Amphetamin (z.B. Pep) geführt wurde. Auch der am 00. Februar 2023 durchgeführte Drogenvortest verlief positiv auf Amphetamin/Metamphetamin.

Es ist angesichts der beschränkten Aufklärungsmöglichkeiten im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Aktenlage allerdings nicht hinreichend sicher, dass der Befund nicht – wie vom Antragsteller vorgetragen – auf einer bestimmungsgemäßen, nach ärztlicher Verordnung erfolgten Einnahme des Medikaments F. 00 mg Hartkapseln beruht. In einem solchen Fall würde sich die Frage der Kraftfahreignung nicht nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV, sondern nach Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV richten. Bei einer ordnungsgemäßen Dauerbehandlung mit einem betäubungsmittelhaltigen Arzneimittel i.S.v. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV entfällt die Kraftfahreignung „nur“ bei einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß. Das Vorliegen einer solchen Beeinträchtigung dürfte wiederum lediglich durch die Einholung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens aufzuklären sein.

Das Medikament F., das der Antragsteller nach eigenen Angaben zur Behandlung seiner XXX-Erkrankung einnimmt, enthält den Wirkstoff Lisdexamphetamin. Bei einer Einnahme kann es bei Tests auf Drogengebrauch – wie auch in der vom Antragsteller eingereichten ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie I2. vom 00. August 2023 attestiert – zu falsch positiven Ergebnissen kommen.

Vgl. auch die entsprechende Angabe im Beipackzettel des Medikaments F. Hartkapseln, abrufbar unter https://www.takeda-produkte.de/system/files/produkt-info/gebrauchsinformation-elvanse-20-mg30-mg40-mg50-mg60-mg70-mg-hartkapseln.pdf, S. 4.

Eine Analyse der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe mittels eines gaschromatographischen Untersuchungsverfahrens wurde bislang nicht durchgeführt. Nach der Beurteilung der Gutachterin Univ.-Prof. Dr. S. -U. im toxikologischen Gutachten vom 00. Mai 2023 sowie nach telefonischer Auskunft des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums der I. -I1. -Universität E. am 00. September 2023 gegenüber dem Antragsgegner (vgl. Bl. 31 VV) könnte bei einer solchen Untersuchung festgestellt werden, ob die im Blut des Antragstellers festgestellte Konzentration an Amphetamin auf der Einnahme des Medikaments F. oder (zusätzlich) auf einem sonstigen Amphetaminkonsum beruht.

Vgl. bezüglich der bei einer ADHS-Erkrankung ebenfalls eingesetzten Medikamente Ritalin und Medikinet dazu, dass bei einer gaschromatischen Untersuchung des Blutes eindeutig zwischen Amphetamin und dem in diesen Medikamenten enthaltenen Wirkstoff Methylphenidat unterschieden werden kann, nur OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2019 – 16 B 730/19 -, n.v., S. 2; VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. November 2019 – 6 L 2821/19 -, juris, Rn. 7 f. jeweils m.w.N.

Nach alledem vermag das Gericht ohne eine abschließende Klärung im Hauptsacheverfahren in Gestalt einer gaschromatographischen Untersuchung der dem Antragsteller am 00. Februar 2023 entnommen und laut des toxikologischen Gutachtens vom 00. Mai 2023 noch bis Mai 2025 beim V. E. lagernden Blutprobe nicht ausreichend zuverlässig zu beurteilen, ob der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entziehung kraftfahrungeeignet und ihm daher (zwingend) die Fahrerlaubnis zu entziehen war.

b) Lässt sich demnach die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung nicht hinreichend sicher abschätzen, kann das Gericht lediglich eine Interessenabwägung in Form einer Folgenabschätzung vornehmen. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt wird, die angefochtene Verfügung sich aber als rechtmäßig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung nicht wiederhergestellt wird, sich die Verfügung aber später als rechtswidrig erweist. Auf die betroffenen Grundrechte ist in besonderer Weise Bedacht zu nehmen.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, juris, Rn. 23 ff.

Diese Abwägung fällt zulasten des Antragstellers aus…..“

Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs, oder: Mitwirkungsobliegenheit eines Kaufmanns

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Und dann im „Kessel Buntes“ heute zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen.

Hier kommr dann zunächst das OVG Münster, Beschl. v. 06.10.2023 – 8 B 960/23 – zur Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs und zur Mitwirkungsobliegenheit eines Kaufmanns.

Das OVG Münster hat die Beschwerde gegen einen Beschluss des VG Köln zurückgewiesen und damit die Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs bestätigt. Der Beschluss hat folgende Leitsätze:

    1. Die Feststellung des verantwortlichen Fahrers ist i. S. d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO nicht möglich, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird. Eine solche Benachrichtigung begründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist.
    2. Die Mitwirkungsobliegenheit des Fahrzeughalters beschränkt sich auf Angaben dazu, wer das Fahrzeug an dem betreffenden Tag geführt hat oder jedenfalls, welcher Personenkreis zur Nutzung des Fahrzeugs berechtigt war. Dazu bedarf es nicht der Prüfung durch den Fahrzeughalter, ob der Verkehrsverstoß durch die vorliegenden Beweismittel hinreichend dokumentiert ist und, sofern der Fahrzeugführer diesen bestreiten sollte, in einem nachfolgenden Bußgeldverfahren nachweisbar sein würde.
    3. Ob eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO vorliegt, ist von der Verwaltungsbehörde und entsprechend dem Verwaltungsgericht in dem gegen die Fahrtenbuchanordnung gerichteten Verfahren zu prüfen. Wenn eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt wird, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung nur dann von Amts wegen überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.
    4. Gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren kann sich der Adressat der Fahrtenbuchanordnung nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.

OWi I: Das AG weiß es zweimal besser als das OLG (?), oder: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim AG Bochum

Smiley

Heute dann mal ein wenig OWi, aber mal etwas außergewöhnliche/besondere Entscheidungen bzw. Verfahren.

Ich beginne mit einer etwas – gelinde ausgedrückt – ungewöhnlichen Geschichte vom AG Bochum, also aus dem OLG-Bezirk Hamm, die mir der Kollege Steffen aus Hattingen mitgeteilt hat. Im Einzelnen:

Anhängig war beim AG Bochum eine Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes. Vorgeworfen wurde der Betroffenen ein einfacher Rotlichtverstoß. Der Verteidiger stellt einen Entbindungsantrag (§ 73 Abs. 2 OWiG) unter Hinweis darauf, dass die Betroffene ihre Fahrereigenschaft einräumt. Mitgeteilt wird außerdem, dass keine weiteren Angaben zur Sache gemacht werden, Angaben zur Person werden aber gemacht.

Der zuständigen Richter hat nicht entbunden. Dagegen wendet sich die Betroffene mit einem Befangenheitsantrag. Der wird mit dem AG Bochum, Beschl. v. 28.10.2022 – 32a OWi-842 Js 147/22 (153/22) und der Begründung abgelehnt, dass die Nichtentbindung weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden sei. Die Glaubhaftigkeit der Angabe der Betroffenen, Fahrzeugführerin gewesen zu sein, sowie die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks zur Bemessung einer angemessenen Geldbuße bei Vorliegen einer Regelgeldbuße im Bußgeldbescheid im Falle einer Verurteilung sei nur durch Anwesenheit der Betroffenen in der Hauptverhandlung zu erreichen und zu prüfen.

In der Hauptverhandlung erscheint die Betroffene nicht. Ihr Einspruch wird verworfen.

Dagegen dann das Rechtsbeschwerdezulassungsantrag, der mit dem  mit Rechtsbeschwerde war dann vor dem OLG Hamm erfolgreich. Das führt im OLG Hamm, Beschl. 08.03.2023 – III – 2 ORbs 22/23 – aus, was zu erwarten war:

„Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2008 — 3 Ss OWi 669/07 —, zitiert nach juris). Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag vorliegend stattgeben müssen. Dieser ist wirksam gestellt worden. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entbindung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt, sondern dieses ist verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn feststeht, dass von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Sachaufklärung nicht erwartet werden kann (zu vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 73 Rn. 24). Eine solche weitere Sachaufklärung war durch die Anwesenheit der Betroffenen nicht mehr zu erwarten. Diese hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass diese sich zu Unrecht selbst bezichtigte, zur Tatzeit gefahren zu sein, bestanden nicht. Zu ihrem Einkommen hatte die Betroffene Angaben gemacht. Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Man sollte ja meinen, dass es nach diesen wohl gesetzten Worten des OLG gut war, aber: Erstaunlicherweise wiederholte sich das „Spiel“: Neuer Haupverhandlungstermin, Entbindungsantrag, Ablehnung, Verhandlungstermin mit Verwerfung des Einspruchs.

Das Verwerfungsurteil geht dann wieder zum OLG Hamm, das, was nicht verwundert, im OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2023 – 2 ORbs 79/23, das (zweifelhafte) Vergnügen hat, zum zweiten Mal aufzuheben. Die Begründung gleicht der aus dem ersten Beschluss. Zusätzlich führt das OLG aus:

„Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Und nun? Nun, das OLG hat – was zu erwarten war – beim zweiten Mal an eine andere Abteilung des AG Bochum verwiesen. Inzwischen hat man von dort, weil zwischenzeitlich absolute Verjährung eingetreten ist, angeboten, das Verfahren nach § 47 OWiG einzustellen, allerdings ohne Erstattung der notwendigen Auslagen. Die Betroffene hat sich damit einverstanden erklärt.

Wenn man das sieht/liest, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und fragt sich, ob man da eigentlich nichts anderes zu tun hat, als das OLG zweimal mit einer aussichtslosen Sache zu beschäftigen. Die vom OLG zu erwartende Entscheidung lag jeweils auf der Hand. Beim ersten Mal kann man es ja vielleicht noch nachvollziehen, obwohl schon ungewöhnlich ist, dass ein Richter am AG diese eingefahrene Rechtsprechung der OLG zum Entbindungsantrag nicht kennen soll. Aber dann beim zweiten Mal? Da wird es dann schon ungewöhnlich. Natürlich haben die OLG-Entscheidungen keine Bindungswirkung, aber es ist schon „keck“ zweimal das OLG mit einer Sache zu befassen und sich dabei beim zweiten Mal über eine gegenteilige Entscheidung des OLG hinweg zu setzen. So nach dem Motto: Was schert mich, was das OLG dazu sagt. Offenbar hat man nichts anderes zu tun. Mir soll noch mal einer mit der Überlastung der Justiz kommen. Die scheint dann doch in manchen Fällen „hausgemacht“ zu sein.

Unfassbar das Ganze.