Archiv der Kategorie: Strafrecht

Strafe II: Strafaussetzung beim „Bewährungsversager“, oder: Günstige Sozialprognose nicht ausgeschlossen

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Als zweite Entscheidung des Tages kommt hier der der OLG Rostock, Beschl. v. 23.07.2024 – 1 Ss 35/24 – zur günstigen Sozialprognose beim sog. Bewährungsversager.

Der Angeklagte ist vom AG Rostock wegen vorsätzlicher Körperverletzung  zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Dagegen die Berufung, die beim LG keinen Erfolg hatte. Das OLG hat dann aber auf die Revision die Entscheidung betreffend die Bewährung aufgehoben und zurückverwiesen:

„Allerdings ist die Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung rechtsfehlerhaft ergangen.

Die Begründung der Strafkammer genügt den rechtlichen Anforderungen des § 56 Abs. 1 StGB nicht in vollem Umfang.

Nach § 56 Abs. 1 StGB ist eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung selbst zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Grundlage der Prognose des Tatgerichts müssen dabei sämtliche Umstände sein, die Rückschlüsse auf die künftige Straflosigkeit des Angeklagten ohne Einwirkung des Strafvollzugs zulassen, insbesondere die in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich“ aufgeführten. Dabei ist für die günstige Prognose keine sichere Erwartung eines straffreien Lebens erforderlich. Es reicht schon die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit aus, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 22. März 2023 —1 Ss 40/22 —, Rn. 39 – 40, m.w.N.- juris).

Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat während laufender Bewährung, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Auch die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 -1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist jedoch bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH Beschl. v. 10.7.2014 — 3 StR 232/14, BeckRS 2014, 17004 Rn. 5, 6, beck-online). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass auch die aktuellen Lebensverhältnisse – hierbei insbesondere die Umstände, dass sich der Angeklagte nach dem Tod seiner Mutter um den Haushalt seines Vaters kümmert, in einem Arbeitsverhältnis steht und trotz der Vielzahl der begangenen Straßenverkehrsdelikte nunmehr offenbar wieder über einen Führerschein verfügt – in die Gesamtabwägung Eingang gefunden haben und es diese Umstände bei der getroffenen Prognoseentscheidung berücksichtigt hat. Zudem ist bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen, dass die letzte (nicht einschlägige) Tat des Angeklagten bereits mehr als 4,5 Jahre vor der gegenständlichen Tat begangen wurde und der Angeklagte innerhalb dieser Zeit nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch.

Der Senat konnte über die Strafaussetzung zur Bewährung nicht selbst entscheiden. Hierfür müssen die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Rechtsfolgenseite vollständig sein und ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Bewährung zweifelsfrei vorliegen, der Ermessenspielraum des Tatrichters mithin auf die Bewilligung der Strafaussetzung reduziert war (BGH NStZ-RR 2012, 357; StV 1996, 265 (266); 1992, 13; BeckRS 1993, 31105781; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 354, Rn. 26d). Zugleich muss es als ausgeschlossen erscheinen, dass bei einer Neuverhandlung Tatsachen festgestellt werden, die eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten (vgl. BeckOK StPO/Wiedner, 51. Ed. 1.1.2024, StPO § 354 Rn. 64 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch aufgrund des Zeitablaufs nicht gegeben.“

Strafe I: Besitz kinderpornographischer Inhalte, oder: Neufassung des § 184b StGB milderes Gesetz

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Heute dann drei Posting zu Strafzumessung, also auch zur Bewährung usw.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 6 StR 398/24. Das ist einer von inzwischen mehreren, die sich mit den Auswirkungen der Änderung des Strafrahmens bei § 184b Abs. 3 StGB befassen. Ich weise – als „Reminder“ – ausdrücklich hier nur auf diesen hin. Der BGh führt aus:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das Landgericht hat die Strafe dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung geltenden Strafrahmen des § 184b Abs. 3 StGB a.F. (in der Fassung vom ) entnommen, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsah. Dabei konnte es nicht berücksichtigen, dass § 184b Abs. 3 StGB durch das am in Kraft getretene „Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ vom (BGBl. I 2024 Nr. 213) als Vergehen mit erhöhter Mindeststrafe von drei Monaten neugefasst worden ist; die Strafrahmenobergrenze hat der Gesetzgeber unverändert gelassen. Die Neufassung erweist sich bei der gebotenen konkreten Betrachtung als das mildere Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB), was der Senat im Revisionsverfahren zu berücksichtigen hat (§ 354a StPO).

Da die Strafkammer die verhängte Strafe dem unteren Bereich des von ihr angewendeten Strafrahmens entnommen hat, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass sie bei Anwendung des nunmehr geltenden deutlich geringeren Strafrahmens eine niedrigere Strafe verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).“

StGB III: Ausreichende Feststellungen beim Diebstahl, oder: Wenn im Urteil nichts drin steht

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Und dann habe ich hier noch etwas vom BayObLG.

Das hat im  BayObLG, Beschl. v. 03.06.2024 – 203 StRR 172/24 – zu den erforderlichen Feststellungen beim Diebstahl (§ 242 StGB) Stellung genommen, und zwar wie folgt:

Beschränkt sich die Feststellung des erstinstanzlichen Tatrichters darauf, dass der Angeklagte am Tattag in den Geschäftsräumen eines Verbrauchermarkts Lebensmittel im Wert von 34.00 Euro entwendete, um diese ohne Bezahlung für sich zu behalten, erweist sich in der Revision die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen als unwirksam, sofern nicht das Berufungsgericht eigene weitere Feststellungen zum Tatablauf getroffen hat.

StGB II: Nothilfe als Notwehr zu Gunsten eines Dritten, oder: Maßgeblichkeit der konkreten Kampflage

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Als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v.  12.03.2024 – 203 StRR 73/24 – zu den Voraussetzungen der Nothilfe. Leider ohne Sachverhalt, so dass ich nicht mehr als die Leitsätze einstellen kann:

    1. Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten. Besteht eine zur Nothilfe berechtigende Sachlage, so ist die Nothilfehandlung eines Dritten gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das in der konkreten Situation zur Verfügung steht.

    2. Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer.

    3. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage. Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten, insbesondere durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen.

StGB I: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, oder: Verbreiten/Herstellen von KiPo

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Und heute dann mal wieder ein wenig aus dem StGB.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 16.05.2024 – 3 StR 112/23 -, das in etwa folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Das LG hat die beiden Angeklagten jeweils u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, teilweise in Tateinheit mit Herstellen pornografischer Schriften oder Inhalte, verurteilt. Beide hatten sich sexuell an mehreren Kindern vergangen und von den Tatgeschehen Foto- bzw. Videoaufnahmen angefertigt. Der jüngere Angeklagte hatte die Aufnahmen seiner Missbrauchstaten mindestens einer anderen Person zur Verfügung gestellt. In einigen Fällen beabsichtigte er eine Weitergabe der Aufnahmen bereits bei Vornahme der sexuellen Handlungen.

Anders als das LG sieht der BGH darin einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in pornografischer Absicht im Sinne von § 176c Abs. 2 StGB. Das LG habe seiner rechtlichen Beurteilung einen zu engen Verbreitungsbegriff des § 176c Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt, so der BGH. Es habe angenommen, eine Verbreitungsabsicht im Sinne des Qualifikationstatbestandes sei nur gegeben, wenn der Täter bereits bei dem sexuellen Missbrauch beabsichtige, hiervon einen kinderpornographischen Inhalt anzufertigen und diesen im Sinne von § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB zu verbreiten. Hierzu müsste er einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Das hatte das LG abgelehnt, da es hier nur um (mindestens) eine Person ging.

Die Entscheidung hat folgenden Leitsatz:

    1. Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176c Abs. 2 StGB ist nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen. Er erfasst vielmehr alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.
    2. Die bloße Absicht der Herstellung eines kinderpornographischen Inhalts (§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) genügt dagegen für eine Strafbarkeit nach § 176c Abs. 2 StGB nicht; vielmehr muss zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten.