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Als Nichtraucher mit zwei Rauchern in der Haftzelle; dafür gibt es 500 €

entnommen wikimedia.org Urheber ??? ??????

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Das LG Schwerin, Urt.v. 04.05.2015 – 4 O 165/15 – sorry, leider jetzt erst gefunden – wird auf ein geteiltes Echo treffen. Es geht um Schadensersatz für einen Nichtraucher. D.h.: Die Entscheidung wird Nichtraucher freuen, die Raucher werden nicht so begeistert sein. Um keinen zu verprellen, halte ich dann mal lieber den Mund und stelle die Entscheidung nur vor.

Das Urteil schließt ein Verfahren ab, das schon länger läuft. Der Kläger befand sich vor seiner strafrechtlichen Verurteilung in der Zeit vom 27.02.2010 bis zum 12.04.2011 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stralsund. Er hatte am Aufnahmetag und auch danach darauf hingewiesen, dass er Nichtraucher ist und aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mit Rauchern in eine Zelle gelegt werden wolle. Gleichwohl wurde er vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 in einem 3-Personen-Haftraum zusammen mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Bei den Mitgefangenen handelte es sich um starke Raucher, die auch während der Nacht mehrmals geraucht haben. Trotz Lüftung durch Öffnen des Fensters – soweit möglich – war ein ständiger Rauchgeruch vorhanden und der Kläger war nach der ersten Nacht wegen Beschwerden in ärztlicher Behandlung. Der Kläger hatte dann beim LG Stralsund einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Feststellung begehrt, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Die Sache ist dann bis zum BVerfG gegangen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11 und Nichtraucherschutz auch in der U-Haft). Letztlich hat dann das LG Stralsund hat mit Beschluss vom 17.12.2013 festgestellt, dass die Unterbringung des Klägers mit zwei rauchenden Gefangenen vom 27.02.2010 bis zum 03.03.2010 rechtswidrig gewesen ist.

Und dafür gibt es jetzt 500,– € Schadensersatz:

Zum Anspruchsgrund:

„- Das Vorliegen einer rechtswidrigen Verletzung von Amtspflichten ergibt sich bereits aus der Entscheidung des Landgerichts Stralsund mit Beschluss vom 17.12.2013 ( Anlage K 2), denn die Feststellung der Rechtswidrigkeit entfaltet für den Amtshaftungsprozess bindende Wirkung (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2006, AZ: III ZB 89/05; juris).

– Diese Amtspflichtverletzung ist auch als schuldhaft anzusehen, denn die vom beklagten Land vorgetragenen Umstände – die zudem vom Kläger bestritten worden sind – rechtfertigen die von den Bediensteten der Justizvollzugsanstalt getroffene Unterbringungsentscheidung nicht, auch nicht für einen Zeitraum von fünf Tagen. Das beklagte Land hat durch hinreichende Organisationsmaßnahmen, so u.a. durch eine ausreichende Anzahl von Hafträumen und ausreichendes Personal sicherzustellen, dass die – wie vom beklagten Land angeführt – besonderen Haftvorgaben und -bedingungen sowie Haftzwecke sowohl für die Vollzugshäftlinge als auch für die Untersuchungshäftlinge gewährleistet und durchgesetzt werden können, ohne dass damit eine Beeinträchtigung des Schutzes des Häftlings vor einer gesundheitlichen Gefährdung und eine nicht nur unerhebliche Belästigung durch das Rauchen von Mithäftlingen verbunden ist.“

Und zur Anspruchshöhe:

– Der Kläger ist unfreiwillig als Nichtraucher dem Rauch zweier stark rauchender Mithäftlinge auf engstem Raum – sowohl tagsüber als auch nachts – ausgesetzt gewesen, wobei es trotz Lüftung zu einer starken Rauchentwicklung im Haftraum gekommen ist. Der Kläger war damit für fünf Tage durch dieses unfreiwillige „Passivrauchen“ einer nicht ausschließbaren Gesundheitsgefährdung ausgesetzt.

– Es ist beim Kläger auch zum Auftreten von Kopfschmerzen gekommen. Allerdings ist – soweit der Kläger diese mit „stark“ angibt – eine über das mit Kopfschmerzen in der Regel verbundene allgemeine Unwohlsein hinausgehende Intensität sowie die Dauer und Form einer damit ggf. verbundenen starken Lebensbeeinträchtigung mangels Darlegung hinreichend konkreter und objektivierbarer Beschwerdeumstände nicht feststellbar.

– Den hierzu erfolgten Beweisangeboten des Kläger war insoweit auch nicht nachzugehen. Weder für die Beiziehung der Gefangenenakte noch für die Vernehmung der angebotenen Zeugen lagen hinreichende Anknüpfungstatsachen vor. Sie waren vielmehr auf Ausforschung gerichtet und daher unzulässig, zumal es auch nicht Aufgabe des Gerichts ist, sich aus einer Akte die maßgebenden Umstände herauszusuchen. Ebenfalls war auch der Kläger nicht als Partei zu vernehmen, da weder das beklagte Land dieser zugestimmt hat, noch die Voraussetzungen des § 448 ZPO vorlagen.

– Der Kläger befand sich wegen dieser Beschwerden nach der ersten Nacht in ärztlicher Behandlung. Weitere Behandlungen haben erkennbar nicht stattgefunden.

– Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass es zu weiteren erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen gekommen ist. Soweit der Kläger das Auftreten von „Atembeschwerden“ behauptet ist mangels hinreichend konkreter Angaben zu den tatsächlichen Beschwerdeumständen (Form, Intensität, Zeit, Dauer) nicht von einer damit verbundenen erheblichen Lebensbeeinträchtigung auszugehen……

– Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung erst durch ein langwieriges Verfahren über mehrere Instanzen erreichen konnte sowie dass dem Kläger gegenüber – erkennbar – zum damaligen Zeitpunkt für die getroffenen Unterbringungsentscheidung keinerlei Begründung/Erklärungen abgegeben worden sind.

– Einzubeziehen ist auch der Umstand, dass der Entscheidung der Bediensteten der Justizvollzugsanstalt – erkennbar – kein schikanöses Verhalten zugrunde gelegen hat. Das beklagte Land hat ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, aufgrund welcher besonderer Umstände es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Dies lässt die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zwar nicht entfallen, gleichwohl ist dies bei der Bemessung der Höhe einer möglichen Entschädigung zu berücksichtigen.

– Zu berücksichtigen ist zudem, dass es über die fünf Tage hinaus zu keinen weiteren körperlichen Beeinträchtigungen und insbesondere auch zu keinen dauerhaften Gesundheitsschäden gekommen ist.

– Auch handelt es sich bei den fünf Tagen, in denen der Kläger der erheblichen Rauchentwicklung durch die stark rauchenden Mitgefangenen ausgesetzt war, um einen relativ begrenzten Zeitraum.“

Kachelmann, oder: Wenn die Zivilisten wissen, wie es geht

© SZ-Designs - Fotolia.com

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So, und den heutigen Tag beschließe ich hier dann mit dem Kachelmann-Urteil des OLG Frankfurt, also dem OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2016 – 18 U 5/14, das die Kachelmann-Geschichte nun wohl abschließen dürfte. Mit dem Urteil wird die beklagte Ex-Geliebte des Wettermoderators Kachelmann verurteilt, Schadenersatz für Kosten zu leisten, die dem dadurch entstanden sind, dass er aufgrund eines von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwurfs in U-Haft genommen wurde. Später ist Kachelmann dann vom LG Mannheim aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden.

Kachelmann hat dann von seiner Ex-Geliebten Ausgleich eines Teils des Schadens verlangt, der ihm durch die U-Haft entstanden ist. Er hat geltend gemacht, dass er zur Verteidigung im Haftbeschwerdeverfahren mehrere Sachverständige habe beauftragen müssen, um die Glaubwürdigkeit seiner früheren Freunding sowie die von ihr vorgezeigten Verletzungen zu entkräften. Zuletzt hat er noch rund 6.300 e verlangt.

Das LG hatte die Klage abgewiesen. Dazu aus der PM zum Verfahren: „Zur Begründung führte es aus, zwar sei K. durch die Anzeigen der Beklagten in Untersuchungshaft genommen worden – die Beklagte habe ihn also der Freiheit beraubt, indem sie staatliche Organe zum amtlichen Eingreifen veranlasst habe. Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch wegen Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft sei jedoch, dass es sich um eine wahrheitswidrige Anzeige gehandelt habe. Der Beklagten könnte aber nicht vorgeworfen werden, dass sie K. vorsätzlich wahrheitswidrig einer Vergewaltigung bezichtigt habe mit dem Ziel, diesen seiner Freiheit zu berauben. Es sei möglich, dass die Beklagte durch „nicht-intentionale Verfälschungs- und Verzerrungseffekte“ subjektiv der festen Überzeugung gewesen sei, Opfer einer Vergewaltigung gewesen zu sein, obwohl dies objektiv nicht der Fall war.“

Das OLG hat zugesprochen.  Zur Begründung führt das OLG aus – ich zitiere aus der PM, da das Urteil mit 22 Seiten den Rahmen sprengt:

„Die Beklagte habe sich gegenüber K. schadenersatzpflichtig gemacht, weil sie wissentlich eine unwahre Strafanzeige erstattet und so – wie von ihr beabsichtigt – die Anordnung der Untersuchungshaft gegen K. herbeigeführt habe. Hierdurch habe sich die Beklagte der Freiheitsberaubung schuldig gemacht. Die erlittene Freiheitsentziehung beruhe zwar unmittelbar auf dem Haftbefehl; die Beklagte müsse sich jedoch das staatliche Handeln im Wege der mittelbaren Täterschaft zurechnen lassen, da sie die Ermittlungsbehörden durch die wahrheitswidrige Anzeige und falsche Aussagen vorsätzlich getäuscht habe. Die Überzeugung, dass die Beklagte K. vorsätzlich der Wahrheit zuwider der Vergewaltigung bezichtigt habe, gründe sich auf das Ergebnis der in der Berufung durchgeführten Beweisaufnahme. Hiernach habe sich die Behauptung K.s bestätigt, die Beklagte habe sich die festgestellten Verletzungen selbst zugefügt.

So spreche das Verletzungsbild in der Gesamtschau und unter Berücksichtigung der Schilderungen der Beklagten nach den Feststellungen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt am Main für eine Selbstbeibringung. Bedeutsam sei ferner, dass die Schilderungen der Beklagten zum angeblichen Vergewaltigungsgeschehen nicht mit den Verletzungen in Übereinstimmung zu bringen seien und ihre Aussagen für sich genommen erhebliche Plausibilitätsdefizite aufwiesen. Zudem habe die Beklagte im Ermittlungsverfahren unstreitig teilweise falsch ausgesagt.“

Die Beklagte habe auch mit direktem Vorsatz gehandelt. Aus den Gesamtumständen ergebe sich, dass es ihr gerade darauf angekommen sie, die Verhaftung des K. herbeizuführen.

Für ausgeschlossen hielt das OLG, dass bei der Beklagten eine „Autosuggestion“ vorlag, die dazu geführt habe, dass sie nur glaubte, vergewaltigt worden zu sein. Die entsprechende Annahme des Landgerichts sei nicht nur spekulativ, sondern nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, wonach sich die Beklagte die Verletzungen selbst zufügte, auch widerlegt.

M.E. lesenswert. Eine sehr schöne Beweiswürdigung des OLG.

Telefonieren in der U-Haft, oder: Keine Gespräche mehr mit „Mutti“

© Mac Dax - Fotolia.com

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Untersuchungshaftgefangene benötigen für Telefonate eine Telefonerlaubnis. Die wird vom Gericht „erteilt/ausgesprochen, wenn keine Bedenken gegen das Telefonat bestehen. Frage: Was ist, wenn sich nach Erteilung einer Telefonerlaubnis herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Zustimmung weggefallen sind. Nun, dann kann die erteilte Zustimmung widerrufen werden. So der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2016 – 1 Ws 434/16:

„c) Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat zu Recht seine Zustimmung zur Erteilung einer Erlaubnis für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Festnetznummer versagt und eine vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft Hildesheim – auf der Basis einer Zuständigkeitsübertragung nach § 134 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG – erteilte Zustimmung für Telefonate des Angeschuldigten mit seiner Mutter unter deren Mobiltelefonnummer widerrufen. Denn es sind neue Umstände zu Tage getreten, die befürchten lassen, dass der Angeschuldigte Telefongespräche unter Verwendung der Telefonanschlüsse seiner Mutter zu Verdunkelungshandlungen nutzen wird.

Die Lebensgefährtin des Angeschuldigten, die Zeugin S. V., die bei der mutmaßlichen Tat des Angeschuldigten zugegen war und damit als unmittelbare Tatzeugin in Betracht kommt, hat in einem Brief an dem Angeschuldigten verklausuliert vorgeschlagen, sie und der Angeschuldigte sollten sich nach außen hin als Verlobte gerieren. Sie hat damit implizit vorgeschlagen, der Angeschuldigte möge dazu beitragen, dass sie unter Berufung auf ein ihr zuzubilligendes Zeugnisverweigerungsrecht eine Aussage vor Gericht vermeiden und eine Unverwertbarkeit ihrer gegenüber der Polizei gemachten Angaben erreichen könne. Der Inhalt eines Briefes des Angeschuldigten an S. V. mit der Formulierung, „… aber es war nicht so und du warst dabei und hast es gesehen,“ belegt jedenfalls eine Einflussnahme auf die Zeugin und begründet den Verdacht einer versuchten Anstiftung zu einer Falschaussage. Damit besteht die tatsachenfundierte Besorgnis, dass die Zeugin V. und der Angeschuldigte Kontakte zu verdunkelnden Absprachen nutzen werden.

Zwar bezieht sich die erteilte Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter und soll sich auch die neu erstrebte weitere Telefonerlaubnis auf Gespräche des Angeschuldigten mit seiner Mutter erstrecken. Jedoch hat die Zeugin V. in einem weiteren Brief an den Angeschuldigten vom 12. August 2016 erklärt, sie werde das nächste Mal hoffentlich einen Anruf des Angeschuldigten mitbekommen, weil sie am nächsten Tag zu seiner Mutter gehen werde. Diese Angabe der Zeugin V. begründet – wie der Vorsitzende des Schwurgerichts zu Recht angenommen hat – die weitere Besorgnis, dass die Zeugin V. bei Telefonaten des Angeschuldigten mit seiner Mutter anwesend ist beziehungsweise selbst mit dem Angeschuldigten unter Nutzung von Telefonanschlüssen der Mutter des Angeschuldigten telefoniert. Damit besteht die Befürchtung, dass die Telefonerlaubnisse, um die es vorliegend geht, für Verdunkelungsabsprachen zwischen dem Angeschuldigten und der Zeugin V. genutzt werden. Dabei ist naheliegend, dass solche Gespräche in Kenntnis und mit Billigung der Mutter des Angeschuldigten geführt werden. Vor diesem Hintergrund sind ungeachtet des Umstandes, dass Kontakte zwischen dem Angeschuldigten und seiner Mutter unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Grundgesetz stehen, die Versagung und der Widerruf der Zustimmung zu Telefonerlaubnissen nicht nur rechtlich statthaft, sondern auch in der Sache geboten.

Durch eine akustische Gesprächsüberwachung könnte die begründete Befürchtung von Verdunkelungsaktivitäten nicht hinreichend abgewendet werden, weil bei einer akustischen Gesprächsüberwachung in der Regel erst im Anschluss an eine bereits erfolgte Absprache und damit erst zu spät reagiert werden könnte (vgl. insofern OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159).

Ohne Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang, dass der Haftbefehl nicht auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist; Maßnahmen zur Vermeidung von konkret zu befürchtenden Verdunkelungshandlungen können auch in einem solchen Fall ergriffen werden (OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 – 2 Ws 276/09, NStZ-RR 2010, 159; OLG Celle, Beschluss vom 24. März 2016 – 1 Ws 28/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 119 Rn. 5).“

 

Manche lernen es nie III, oder: Freilassung der Angeklagten wegen Überlastung der Justiz

© Elena Schweitzer - Fotolia.com

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Und dann hier noch „Manche lernen es nie III“. Es geht um den OLG Bremen, Beschl. v. 20.05.2016 – 1 HEs 2/16 -, der (mal wieder) die Problematik der Überlastung der Justiz und die sich daraus ergeben Folgen für die Fortdauer von U-Haft behandelt. Das OLG Bremen hat – ich lege jetzt mal die PM des OLG zugrunde – im Rahmen der sog. „Sechs-Monats-Prüfung“ zwei Haftbefehle aufgehoben, in denen den beiden Angeklagten u.a. gemeinschaftlicher Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, gemeinschaftliche Zuhälterei und Körperverletzung vorgeworfen wurde. Das AG Bremen hatte gegen beide Angeklagten am 28.10.2015 die Haftbefehle erlassen. Die Angeklagten wurden am 28.10.2015 bzw. am 02.11.2015 verhaftet und in U-Haft genommen. Haftgründe waren Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Eine erste Anklage ging beim LG Bremen am 11.01.2016 ein. Aufgrund notwendiger Nachermittlungen wurde die Akte an die Staatsanwaltschaft zurück gesandt. Die nach diesen Ermittlungen abgeänderte Anklage ging beim LG Bremen am 14.03.2016 ein. Vor einer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Fortdauer der Untersuchungshaft hat das LG Bremen die Akte dem OLG zur Haftprüfung vorgelegt und dabei mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ab dem 15.07.2016 zu verhandeln. Die Vorsitzende der Strafkammer hat darüber hinaus mitgeteilt, dass ein rechtzeitiger Beginn der Hauptverhandlung innerhalb von sechs Monaten nach der Verhaftung wegen des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache und wegen anderer bereits begonnener bzw. anberaumter Hauptverhandlungen nicht möglich sei.

Die GStA Bremen hatte in ihrer Stellungnahme beantragt, die Haftbefehle aufzuheben. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, dass bei der zuständigen Strafkammer keine kurzfristige Überlassung vorliege, die eine Fortdauer der U-Haft rechtfertigen könne, sondern dass sich aus verschiedenen Umständen ergebe, dass insgesamt bereits über einen längeren Zeitraum eine erhebliche Belastung der Strafkammern bestehe.

Das OLG hat die Haftbefehle aufgehoben. Zur Begründung hat es „ausgeführt, dass hier eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliege. Eine Überlastung des Landgerichts sei nur dann ein wichtiger Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft, wenn diese Überlastung nur kurzfristig und weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Vielmehr ergebe sich aus den durch den 1. Strafsenat eingeholten Kennzahlen und sonstigen Informationen, dass die Belastungssituation der Strafkammern des Landgerichts Bremen bereits seit einiger Zeit deutlich geworden sei. Auch wenn sich die Eingänge in den Strafkammern des Landgerichts Bremen unter dem Bundesdurchschnitt bewegten, seien die Bestände im Jahr 2014 um 38 % und im Jahr 2015 sogar um 63 % höher als im Bundesdurchschnitt. Auch die Verfahrensdauer liege deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Eine drohende strukturelle Überlastung habe sich deshalb spätestens seit Mitte 2015 abgezeichnet, ohne dass ihr durch wirkungsvolle Maßnahmen planvoll entgegengewirkt worden wäre. Da auch bei den Zivilkammern des Landgerichts eine hohe Belastung vorliege, sei es nicht möglich gewesen, die Strafkammern durch Richter aus den Zivilkammern zu verstärken. Diese Umstände dürften jedoch nicht zulasten der in Haft befindlichen Angeklagten gehen.“

Manche lernen es eben nie, und zwar hier nicht die Strafkammer, sondern die Justizverwaltung, die einfach nicht genug Personal zur Verfügung stellt. Dafür schafft der BMjV lieber immer neue Strafvorschriften, die nun auch nicht gerade dazu führen werden, dass die Belastung der Justiz zurückgeht.

Zu den Teilen 1 und 2 der „Miniserie“ geht es hier: Manche lernen es nie I, oder: Warum will die Zentrale Bußgeldstelle „angewiesen“ werden? und Manche lernen es nie II, oder: Vierfacher Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot, bemerkenswert.

NSU: Wohlleben „bleibt drin“, oder: Man hätte es besser gelassen

© cunaplus - Fotolia.com

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In den letzten Tagen gab es mal wieder einige Meldungen aus dem NSU-Verfahren. U.a. hatte LTO hier über (weiteren) Streit zwischen den Verteidgern von B. Zschäpe abr auch zwischen den Verteidigern und den Nebenklägervertretern berichtet. Wir hatten ja lange nichts mehr von dem Verfahren gehört, in meinen Augen ein (fast) vergessenes Verfahren, aber es lebt dann doch wohl noch.

Zu dem Verfahren gab es dann gestern eine Entscheidung des BGH, und zwar den BGH, Beschl. v.  14.07.2016 – StB 20/16. Es handelt sich um eine Haftfortdauerentscheidung betreffend den Angeklagten Wohlleben, der – wie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht anders zu erwarten „drin bleibt“. Der BGH hat seine (Haft)Beschwerde gegen eine Haftfortdauerentscheidung des OLG München aus Februar 2016 verworfen. Na ja, ganz schön lange hate man gebraucht. Lag ab er wohl nicht am BGH, das OLG hat erst im Juni die Nichtabhilfe beschlossen.

Der BGH nimmt in der Entscheidung noch einmal zur Frage der Beurteilung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung Stellung:

„a) Wie der Senat bereits im Beschluss vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3) dargelegt hat, unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise ist den Urteilsgründen vor-behalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfah-ren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.“

Und: Er meint, dass das OLG „hinreichend konkret dargelegt [hat], dass auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses der dringende Verdacht der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes fortbesteht.“  Das ist natürlich etwas, was man als Verteidiger gar nicht gerne liest, aber ein solches Präjudiz ist die große Gefahr bei solchen Rechtsmitteln. Man könnte auch sagen: Der BGH richtet es schon mal….

Und zur Strafzumessung – wenn es denn zur Verurteilung kommt – gibt es auch gleich einen Hinweis:

„Auch in Anbetracht der insgesamt zu erwartenden Verfahrensdauer steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartenden Strafe (vgl. hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 – Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, NJW 2015, 3773, 3775). Zwar wird sich der Angeklagte, soweit derzeit absehbar, zum Zeitpunkt des Urteils noch deutlich länger als die bislang vollzogenen vier Jahre und sieben Monate in Untersuchungshaft befinden. Das aufzuklärende Tatgeschehen stellt sich jedoch nicht nur nach der gesetzlichen Strafandrohung als eine er-hebliche Straftat dar, sondern wiegt auch unter den konkret gegebenen Um-ständen schwer. Die im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartende und zu verbüßende Strafe wird deshalb bis auf Weiteres die Untersuchungshaft nicht nur unwesentlich übersteigen. ….“

M.E. hätte man es besser gelassen.