Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

U-Haft III: Kein Strafantrag, oder: Jetzt gibt es noch Entschädigung für erlittene U-Haft

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Bei der dritten „Haftentscheidung“ geht es ums Geld, und zwar um eine Entschädigung nach dem StrEG für vollzogene U-Haft.

Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 25.04.2017 – 3 StR 453/16. Ergangen ist er in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Wohnungseinbruchdiebstahls. In dem hatte der BGH mit BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 3 StR 453/16 – das gegen die Angeklagte ergangene Urteil wegen Fehlen des Strafantrags aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Ich hatte darüber unter Kein Strafantrag ==> Einstellung des Verfahrens, oder: Muss man auf dem Schirm haben – berichtet. Jetzt geht es noch um eine Entschädigung für die Angeklagte wegen erlittener Untersuchungshaft nach § 2 Abs. 1 StrEG gegeben. Der BGH hat sie gewährt. Ausschluss- oder Versagungsgründe bestehen nach seiner Auffassung nicht:

„a) Insbesondere ist die Entschädigung nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen.

Zwar liegt ein in Bezug auf die Untersuchungshaft grob fahrlässiges Verhalten der Angeklagten vor. Zum einen beging sie nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen als Mittäterin rechtswidrig und schuldhaft den dem Haftbefehl vom 10. März 2016 zugrundeliegenden Wohnungseinbruchdiebstahl (vgl. – zu grober Fahrlässigkeit durch Begehung des verfahrensge-genständlichen Delikts – BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1979 – 3 StR 396/79, BGHSt 29, 168, 171; vom 1. September 1998 – 4 StR 434/98, BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Fahrlässigkeit, grobe 6). Zum anderen forderte sie den Erlass des Haftbefehls dadurch leichtfertig heraus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 5 StrEG Rn. 11 mwN), dass sie nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verhalten zeigte, auf Grund dessen das Landgericht zu Recht davon ausging, sie wolle sich – nunmehr – dem Strafverfahren entziehen.

Jedoch ist die Entschädigung nur ausgeschlossen, soweit die Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahme auch verursacht hat. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der erforderliche Ursachenzusammenhang durch eine rechtsfehlerhafte Sachbehandlung seitens der Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte unterbrochen sein kann (s. auch BGH, Urteil vom 14. Februar 1995 – 1 StR 765/94, BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Ursächlichkeit 2; Beschluss vom 1. September 1998 – 4 StR 434/98, aaO). Eine derartige Unterbrechung tritt jedenfalls dann ein, wenn der Rechtsfehler zum Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Maßnahme bei sorgfältiger Prüfung ohne weiteres erkennbar war (zu diesem Prüfungsmaßstab s. KG, Beschluss vom 20. Juni 2011 – 4 Ws 48/11, NStZ-RR 2012, 30, 31; BeckOK StPO/Cornelius, § 5 StrEG Rn. 10 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 7).

So liegt es hier. Schon bei Haftbefehlserlass fehlte es – wie im Beschluss vom 21. Dezember 2016 unter II. 1. b) dargelegt – an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Strafantrages; zudem war es ausgeschlossen, einen solchen noch einzuholen. Beides hätte eine sorgfältige Prüfung zweifelsfrei ergeben. Das Landgericht hat indes bei der Beurteilung der Haftvoraussetzungen augenscheinlich übersehen, dass die Regelung des § 77 Abs. 2 StGB auf das Strafantragserfordernis nach § 247 StGB nicht anwendbar ist, und sich dementsprechend mit einem originären Antragsrecht der Strafantragsteller erst gar nicht befasst. Weitere Tatvorwürfe gegen die Angeklagte waren weder angeklagt noch Gegenstand des Haftbefehls.“

Das Bild vom „Geldregen“ passt nicht so ganz. Denn Reichtümer sind es ja nun nicht, die die Angeklagte erwarten kann.

U-Haft II: Urlaubsreise nach Thailand während „Hafturlaub“, oder: Nicht verboten

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Bei der zweiten Haftentscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Dresden, Beschl. v. 28.04.2017 – 2 Ws 117/17. Ergangen ist er im sog. Infinus-Verfahren, in dem es ja schon eine ganze Reihe Haftentscheidung des OLG Dresden gegeben hat. Über zwei habe ich ja auch schon berichtet, und zwar über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 – und  dazu: Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden und den dazu ergangenen VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – 7-IV-15, 8-IV-15 (vgl. Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II) sowie über den VerfGH Sachsen, Beschl. v. 21.04.2016 – VerfG Vf. 16-IV-16 (HS).

Jetzt ist es dann aber wohl Schluss. Denn das OLG Dresden hat im Beschl. v. 28.04.2017 die U-Haft gegen den Angeklagten, der sich seit dem 05.11.2013 in U-Haft befunden hat, aufgehoben. Bis dahin war er nur duch Beschluss vom 25. 04. 2016 außer Vollzug gesetzt. In dem Beschluss war der angewiesen worden, in einem bestimmten Gästehaus in Dresden Wohnsitz zu nehmen und sich jeweils sonntags bis spätestens 21:00 Uhr beim hierfür zuständigen Polizeirevier zu melden. Zudem war ein Kontaktverbot zur Ehefrau eines Mitangeklagten ausgesprochen worden. Der Angeklagte war diesen Weisungen nachgekommen. Insbesondere erschien er jeweils zu den anberaumten Hauptverhandlungsterminen. Am 07.07. 2016 stellte der Angeklagte dann den Antrag, die Meldeauflage für den Zeitraum vom 07.07.2016 bis zum 31.07.2016 auszusetzen. Die Hauptverhandlung sei für eine Sommerpause bis zum 01.08.2016 unterbrochen, weshalb die Begründung der Kammer für die Wohnsitz- und Meldeauflage (Vermeidung eines „Hauptverhandlungstourismus“) in dieser Zeit nicht greife. Am 08.07.1016 hat die Srafkammer diesem Antrag stattgegeben und hat die Meldeverpflichtung beim Polizeirevier in Dresden bis zum 30.07.2016 ausgesetzt. Statt dessen verpflichtete sie den Angeklagten, sich am 22.07.2016 bei der Polizeistation in pp. zu melden. Anschließend sollte die bisherige Regelung wieder gelten.

Vom 11.07.2016 bis zum 21.07.2016 unternahm der hierfür finanziell von Freunden und Familienangehörigen unterstützte Angeklagte ohne Wissen der Strafkammer eine Urlaubsflugreise nach Thailand. Am 21.07.2016 kehrte er nach Deutschland zurück und erfüllte am 22.07.2016 seine Meldeauflage bei dem Polizeirevier in pp. Nach der Sommerpause ab dem 01.08.2016 hielt er sich wieder an seiner Unterkunft in Dresden auf und nahm ordnungsgemäß an den jeweiligen Terminen der Hauptverhandlung teil. Den Weisungen und Auflagen im Rahmen der Außervollzugsetzung des Haftbefehls kam der Angeklagte ordnungsgemäß nach.

Im Dezember hat der Angeklagte dann den Antrag gestellt, den Haftbefehl aufzuheben. Den Antrag hat die Strafkammer abgelehnt. Statt dessen untersagte sie dem Angeklagten „klarstellend“, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne Genehmigung der Kammer zu verlassen. Zur Absicherung hatte der Angeklagte sowohl seinen Reisepass als auch seinen Personalausweis (gegen ein beglaubigtes Ersatzdokument) bei Gericht zu hinterlegen. Und dagegen richtet sich nun das Rechtsmittel des Angeklagten.

Das OLG folgt dem LG in seiner Argumentation nicht. Das war von weiterhin bestehender Fluchtgefahr ausgegangen:

„a) Der Senat teilt die Ansicht von Staatsanwaltschaft und Wirtschaftsstrafkammer nicht, wonach die bisher erteilten Weisungen im Rahmen der Außervollzugsetzung eine gleichwohl grundsätzlich anzunehmende Fluchtgefahr lediglich mindern konnten. Denn angesichts der bisherigen Fassung der Meldeauflage – zu erfüllen (nur) einmal wöchentlich jeweils sonntags bis 21:00 Uhr – war es dem Angeklagten grundsätzlich uneingeschränkt möglich, in der übrigen Zeit Vorbereitungen für sein Sich-Entziehen aus dem Strafverfahren vorzubereiten.

Das Gebot, einen bestimmten territorialen Bereich nicht ohne Zustimmung des Gerichts zu verlassen, war dem Angeklagten nicht auferlegt worden. Erst recht war es ihm durch die tatsächlich erfolgte Weisung nicht verboten, während die Zeitspanne das Gebiet Dresdens, Sachsens oder gar der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, solange er der Meldepflicht nachkommt. Die Begründung der Kammer, durch die Verpflichtung, in Dresden Wohnsitz zu nehmen, solle vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Probleme des Angeklagten einem „Hauptverhandlungstourismus“ (zwischen Dresden und pp. vorgebeugt werden, besagt diesbezüglich nichts. Es verbot nicht, gleichwohl nach C. (oder anderswo) zu fahren.

b) Daher lag in der Urlaubsreise des Angeklagten nach Thailand – zumal eine rechtzeitige Rückkehr erfolgt war – kein Verstoß gegen die gerichtliche Weisung. Insofern ist es unerheblich, dass diese Reise ohne eine vorherige Anmeldung gegenüber der Wirtschaftsstrafkammer durchgeführt worden war. Ein möglicher – aus dem Beschluss allerdings nicht erkennbarer – entgegenstehender Vorbehalt der Wirtschaftsstrafkammer ist ihrem Außervollzugsetzungsbeschluss nicht zu entnehmen. Deshalb stellen die „klarstellend“ gefassten Weisungen im hier angefochtenen Beschluss vom 17. Januar 2017 (Ausreiseverbot, Passhinterlegung) eine neue unzulässige – materielle Verschärfung der Lage des Angeklagten dar.

c) Aber auch die Tatsache, dass der Angeklagten diese Fernreise ins Ausland ohne vorherige Inkenntnissetzung der Strafkammer vorgenommen hat, rechtfertigt die weitere Aufrechterhaltung des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls nicht. Zum einen war der Angeklagte – schon formal gesehen – zu einer Anmeldung der Reise nicht verpflichtet. Auch ist er fristgerecht zur Erfüllung der anschließenden Meldeverpflichtung beim Polizeiposten in pp. zurückgekehrt. Zum anderen dürfen Beschränkungen, denen der Angeklagte durch Auflagen und Weisungen nach § 116 StPO ausgesetzt ist, nicht länger andauern, als es nach den Umständen erforderlich ist (Senat wistra 2014, 78 f.; vgl. auch OLG Köln StV 2005, 396 [397]). Mag die Haftverschonung vor dem Hintergrund eines drohenden Vollzugs von Untersuchungshaft zunächst auch als Rechtswohltat empfunden werden, so ändert dies doch gleichwohl nichts daran, dass der Fortbestand des Haftbefehls vor allem auch unter Berücksichtigung der freiheitsbeschränkenden Auflagen nach wie vor mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit verbunden ist. Es versteht sich deshalb von selbst, dass auch ein weniger einschneidendes Mittel, durch welches eine schwerwiegendere grundrechts-beschränkende Maßnahme ersetzt worden ist, in seinem Fortbestand auch weiterhin im Lichte des Freiheitsrechts und unter Beachtung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit stets von Neuem zu überprüfen ist (vgl. BVerfGE 53, 152 [160]). Eine Haftsache ist deshalb auch dann wie eine Haftsache zu behandeln, wenn der Haftbefehl nicht vollzogen wird, weil er außer Vollzug gesetzt ist (KG StV 1991, 473; KG StV 2003, 627 [628]; OLG Köln StV 2005, 396 [398]).“

Tja, das wird die Strafkammer nicht freuen, wenn ihr der OLG-Senat eine lange Nase zeigt und sagt: Wenn ihr die Beschränkung wolltet, dann hättet ihr sie auch in den Beschluss aufnehmen müssen. M.E. richtig/zutreffend.

U-Haft I: Hungerstreik, oder: Wer hungert, will fliehen.

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Heute möchte ich dann drei Entscheidungen vorstellen, die sich mit Haftfragen befassen. Ich eröffne mit dem BGH, Beschl. v. 30.03.2017 – AK 18/17.

Ergangen ist der Beschluss in einerm Verfahren wegen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. Es geht um die Anordnunng der Fortdauer der Untersuchungshaft. Der BGH bejaht den dringender Tatverdacht der Beteiligung des AAngeklagten als Mitglied an der Organisation „Jabhat al-Nusra“. So weit, so gut.

Und er macht (natürlich) Ausführungen zur Fluchtgefahr, die er dann wie folgt begründet:

2. Beim Angeklagten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Der Angeklagte hat für den Fall seiner Verurteilung mit einer empfindli-chen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Der Angeklagte hat im Inland keine gefestigten sozialen Bindungen, außer zu seinem ebenfalls hier lebenden Bruder. Der kurz nach seiner Einreise im September 2015 ge-stellte Asylantrag des Angeklagten wurde abgelehnt. Das Regierungspräsidium Stuttgart beabsichtigt seine Ausweisung, die derzeit – noch – daran scheitert, dass die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart ihr Einvernehmen verweigert hat, um die Durchführung des Strafverfahrens zu ermöglichen.

Hinzu kommt mittlerweile, dass der Angeklagte seit Mitte Januar 2017 zunächst die Nahrungs- und dann auch die Flüssigkeitsaufnahme mit dem erklärten Ziel verweigert, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, wodurch er sich dem weiteren Strafverfahren im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO entzieht. Mit der ab dem 16. März 2017 geplanten Hauptverhandlung hat nicht begonnen werden können, weil sich der Angeklagte in einen Zustand der Verhandlungs- und Vernehmungsunfähigkeit versetzt hat. Das zu prognostizie-rende Sich-Entziehen gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO kann auch darin begründet sein, dass sich der Beschuldigte, etwa durch einen sog. Hungerstreik, be-wusst in einen Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 22. Februar 2011 – 4 Ws 54/11, juris Rn. 7; vom 7. April 20155 Ws 114/15, 5 Ws 115/15, juris Rn. 17; BeckOK StPO/Krauß, § 112 Rn. 12).

Daneben liegt weiterhin, auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112Rn. 37 mwN), der Haftgrund der Schwerkriminalität vor.

Der Einwand des Verteidigers mit Schriftsatz vom 21. März 2017, dass möglichweise eine psychische Erkrankung des Angeklagten schon anfänglichGrund für den Hungerstreik gewesen sei, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Haftgründe. Zum einen ist dem bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht zu folgen. Aus den diversen ärztlichen Stellungnahmen und Kurzgutachtenergibt sich hierfür kein hinreichender Anhalt; vielmehr geht der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. E. bis zuletzt davon aus, dass der Angeklagte denEntschluss zum Hungerstreik eigenverantwortlich getroffen hat, nur derzeit auf
Grund einer pathologischen organisch-psychischen Störung nicht mehr imstande ist, zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme einen freien Willen zu bilden.Zum anderen verfängt der Einwand des Verteidigers auch in rechtlicher Hinsicht nicht; denn die Umstände, aus denen sich die Fluchtgefahr ergibt, müssen nicht verschuldet sein (Meyer-Goßner/Schmitt aaO, Rn. 17).

Für eine – bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche – Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116StPO) fehlt es an der erforderlichen Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.“

Also: Wer hungert, will fliehen.

5 Jahre U-Haft, oder: BGH – das ist doch noch beschleunigt

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Aus der „Abteilung U-Haft-Sachen“ weise ich dann zum Abschluss des Tages hin auf den BGH, Beschl. v. 23.02.2017 – StB 4/17, ergangen in einem beim OLG München anhängigen Verfahren. Der Angeklagte befindet sich seit dem 29.11.2011 in U-Haft. Der BGH hat seitdem immer wieder Fortdauer der U-Haft angeordnet und Beschwerden des Angeklagten gegen Haftfortdauerbeschlüsse des OLG verworfen. So dann jetzt auch wieder in dem Beschl. vom 23.02.2017, in dem er folgende Ausführungen zum „Beschleunigungsgebot“ macht:

3. Die Untersuchungshaft hat mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwi-schen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens – auch angesichts der nunmehr über fünf Jahre währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens – fortzudauern. Ihr weiterer Voll-zug steht angesichts der gegebenen Besonderheiten auch nicht außer Verhält-nis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

a) Dies gilt auch mit Blick auf das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit. …..

Das damit angesprochene Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgrei-fende Planung der Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, aaO).

Gemessen an diesen Anforderungen ist das Verfahren und insbesonde-re die Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Be-schleunigung geführt worden. Wie das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2016 im Einzelnen dargelegt hat, wird die Hauptverhandlung weiterhin in aller Regel an drei Verhandlungstagen pro Woche durchgeführt und betrifft nahezu durchgängig auch den Angeklagten. Auch die weiteren Einwände gegen die Verhandlungsführung (Ladung nur eines Zeugen pro Verhandlungstag, zu geringe Verhandlungszeit pro Sitzungstag) verfangen aus den Gründen des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 21. Dezember 2016, die der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel auch nicht angreift, nicht.

Im Übrigen verweist der Senat zum Umfang und zu den Schwierigkeiten des Verfahrens auf seine Beschwerdeentscheidung vom 5. Februar 2015 (StB 1/15, juris Rn. 8) und hält daran fest, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Beihilfehandlungen isolierter Betrachtung nicht zugänglich sind; ein gesondertes Urteil im Verfahren gegen den Angeklagten scheidet deshalb nach wie vor aus.

b) Wie der Senat zuletzt im Beschluss vom 14. Juli 2016 ausgeführt hat, stellt sich das aufzuklärende Tatgeschehen nicht nur nach der gesetzlichen Strafandrohung als eine erhebliche Straftat dar, sondern wiegt auch unter den konkret gegebenen Umständen schwer. Die im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartende und zu verbüßende Strafe wird deshalb bis auf Weiteres die Untersuchungshaft nicht nur unwesentlich übersteigen. Soweit der Beschwerdeführer meinen sollte, die Vollziehung von Untersuchungshaft über fünf Jahre hinaus stelle sich bei einem Gehilfen aus grundsätzlichen Erwägungen als unverhältnismäßig dar, könnte der Senat dem nicht folgen. Gerade die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert vielmehr eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.“

Mich würde interessieren, was das BVerfG dazu sagt….

Entschädigung II: Das Problem mit der überschießenden U-Haft

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Die zweite StrEG-Entscheidung, die ich heute vorstelle, ist der OLG Hamm, Beschl. v. 03.11.2016 – 5 Ws 318/16 (zur ersten hier: Entschädigung I: Rechtsanwalt nicht nötig?, oder: „Schäbiges“ Land NRW). Er behandelt ein Problem, mit dem wir es im Bereich der StrEG häufig(er) zu tun haben: Nämlich die Problematik der sog. überschießenden U-Haft. Was damit gemeint ist, zeigt der Verfahrensverlauf im Beschluss des OLG Hamm. Der Angeklagte hatte sich in der Zeit vom 23.07.2015 bis zum 26.01.2016 in Untersuchungshaft befunden. Vorwurf: Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; Haftgrund Fluchtgefahr. Verurteilt wird der Angeklagte dann (nur) wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verhängt. Im Übrigen wird er freigesprochen. Wird nun die erlittende U-Haft auf die Geldstrafe angerechnet, dann bleibt noch etwas „übrig“, was ggf. zu entschädigen ist – eben ein „überschießender“ Teil der U-Haft.

Das LG hatte in seiner Entscheidung die Verpflichtung der Staatskasse festgestellt, den Angeklagten für die von ihm erlittene Untersuchungshaft gem. §§ 2, 4 StrEG zu entschädigen. Dagegen dann (natürlich) die sofortige Beschwerde der StA, die vornehmlich eine Gesamtaufhebung der Entschädigungsentscheidung verlangt, zumindest aber hilfsweise festzustellen, dass der Angeklagte nur in dem Umfang zu entschädigen ist, in welchem eine Anrechnung der Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 StGB nicht erfolgt. Die GStA tritt natürlich bei. Das OLG meint dazu:

„Nach § 2 StrEG ist grundsätzlich aus der Staatskasse zu entschädigen, wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft einen Schaden erlitten hat, soweit er freigesprochen wird. Dies gilt auch bei einem teilweisen Freispruch (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 59. Aufl., StrEG Anh. 5, § 2 Rdnr. 1).

Dies gilt jedoch nur, soweit nicht die vorrangig zu berücksichtigende Regelung des§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB eingreift. Danach wird Untersuchungshaft, die ein Verurteilter aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, auf die verhängte Freiheits- oder Geldstrafe angerechnet. Die Anrechnung erfolgt von Amts wegen im Vollstreckungsverfahren, ein Ausspruch im Urteil ist nicht notwendig (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 51 Rdnr. 4). Es nicht erforderlich, dass die Strafe allein wegen der Tat oder zumindest auch wegen der Tat verhängt worden ist, derentwegen sich der Verurteilte in Untersuchungshaft befunden hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28. März 2000 in 4 Ws 62/00). Vielmehr ist es bei erlittener Untersuchungshaft nach dem Grundsatz der Verfahrensidentität ausreichend, wenn die Freiheitsentziehung aus Anlass einer Tat erfolgt ist, die Gegenstand des Verfahrens ist oder war. Das Verfahren muss sich während irgendeiner Phase auch auf eine Tat bezogen haben, die zumindest einer der Anlässe der Freiheitsentziehung war. So genügt insbesondere die gemeinsame Aburteilung, auch bei Freispruch oder Einstellung hinsichtlich der Tat, die zur Untersuchungshaft führte (vgl. Fischer, a.a.O., § 51 Rdnr. 6 m. w. N.; KG Berlin, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 2008 in 3 Ws 702/07, StV 2008, 365).

Die Voraussetzung der Verfahrensidentität ist vorliegend gegeben. Die Taten, aufgrund derer der Haftbefehl erlassen und der Angeklagte in Untersuchungshaft genommen worden ist, sind Gegenstand des gesamten Strafverfahrens gewesen und von der Strafkammer in ihrer Entscheidung vom 04. Februar 2016 abgeurteilt worden. Dabei ist neben Freisprechung im Übrigen lediglich noch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte tateinheitlich mit versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € erfolgt.

Die vom Angeklagten in der Zeit vom 23. Juli 2015 bis zum 26. Januar 2016 erlittene Untersuchungshaft ist nach der vorrangig zu beachtenden Bestimmung des § 51 Abs. 1 S. 1 StGB auf die verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen anzurechnen. Von der Möglichkeit der Anordnung des Unterbleibens der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 S. 2 StGB hat die Strafkammer keinen Gebrauch gemacht.

Im Rahmen der nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmenden Gesamtabwägung zwischen den vorläufigen Maßnahmen und der endgültigen Rechtsfolge entspricht es vorliegend der Billigkeit, für die überschießende Strafverfolgungsmaßnahme, also die nach der Anrechnung noch verbleibende vom Angeklagten erlittene Untersuchungshaft, eine Entschädigung zu gewähren. Die verhängte Geldstrafe ist deutlich geringer als die Dauer der Untersuchungshaft des Angeklagten. Sie beträgt mit 60 Tagessätzen lediglich ein knappes Drittel der Untersuchungshaft von 188 Tagen. Schon aufgrund dieses ersichtlichen Missverhältnisses ist es sachgerecht, für die nicht anrechenbaren 2/3 der erlittenen Untersuchungshaft eine Entschädigung zu leisten.

Eine Entschädigung des Angeklagten ist vorliegend weder nach § 5 StrEG ausgeschlossen noch nach § 6 StrEG zu versagen.

Insbesondere hat der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahme nicht grob fahrlässig i. S. d. § 5 Abs. 2 StrEG verursacht. Selbst wenn sich der Angeklagte wie von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, von Anfang an entsprechend den von der Strafkammer letztlich getroffenen Feststellungen geständig eingelassen und sich auch im Übrigen kooperativ verhalten hätte, wäre dennoch gegen ihn ein Haftbefehl erlassen und Untersuchungshaft angeordnet worden. Angesichts des sich für die ermittelnden Beamten nach den  Aussagen mehrerer Zeugen ergebenden Geschehensablaufs zur Vorfallszeit bestand gegen den Angeklagten der dringende Verdacht, dass er ein schweres Sexualdelikt begangen hatte. Diesen dringenden Tatverdacht hätte der Angeklagte zur damaligen Zeit im Rahmen einer Einlassung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht entkräften können. Entsprechendes gilt für den Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Angeklagte ist Asylbewerber. Ein fester Aufenthaltsort konnte nicht festgestellt werden. Er lebte getrennt von Ehefrau und Kind.“

Jetzt dürfte/sollte die Problematik der „überschießenden“ U-Haft an sich klar sein.

Btw: Wenn man liest: „Selbst wenn sich der Angeklagte wie von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung ausgeführt, von Anfang an entsprechend den von der Strafkammer letztlich getroffenen Feststellungen geständig eingelassen und sich auch im Übrigen kooperativ verhalten hätte,…“ ist man – gelinde gesagt – doch ein wenig verwundert, oder?