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KCanG I: BGH und das TB-Merkmal des „Anbaus“, oder: Tapferes AG Aschersleben zur nicht geringen Menge

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Heute gibt es hier dann ein paar Entscheidungen zum KCanG.

Zunächst kommen hier dann zwei zum sog. materiellen Recht, und zwar eine vom BGH und eine von einem AG.

Der BGH, Beschl. v. 31.7.2024 – 2 StR 204/24 – äußert sich zur Tathandlung des „Anbaus“ unter Geltung des KCanG, und zwar wie folgt:

Die in § 34 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG beschriebene Tathandlung des „Anbaus“ ist grundsätzlich wie im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes auszulegen. Demnach umfasst der Anbau von Cannabispflanzen in Form der Aufzucht sämtliche gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Bemühungen, um ein Wachstum der Pflanzen zu erreichen. Hierzu zählen etwa das Bewässern, Düngen und Belichten.

Und dann das AG Aschersleben, Urt. v. 24.09.2024 – 2 Ds 69/24 – zur „nicht geringen Menge“:

1. Die Auslegung der nicht geringe Menge in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG gebietet aufgrund der Gesetzesbegründung zum CanG eine vom vormaligen Grenzwert von 7,5 g THC abweichenden Grenzwert.

2. Die nicht geringe Menge in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG beträgt 37,5 g THC und orientiert sich an der fünffachen Menge der bei einer erlaubten Besitzmenge von 50 g und einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 15 % auftretenden Wirkstoffmenge THC.

Tapfer, tapfer das AG – es wird sich nur nichts (mehr) bewegen.

BVerfG II: Durchsuchung im KiPo-Verfahren, oder: Wenn die abgebildete Person „minderjährig“ wirkt

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Und im zweiten Posting dann ein BVerfG-Beschluss, der sich zu den Anforderungen an die Anordnung einer Durchsuchung in einem „KiPo-Verfahren“ äußert. Die Staatsanwaltschaft führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung und des Besitzes jugendpornographischer Inhalte. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war eine Meldung des National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) darüber, dass ein dem Beschwerdeführer zuzuordnendes Konto eines Messengerdienstes ein Video an mehrere andere Kontakte versandt habe. In dem 50-sekündigen Video ist eine männliche ejakulierende Person zu sehen. Nach Auffassung der Ermittlungsbehörden und der angegriffenen Entscheidungen ist die Person etwa 15 bis 17 Jahre alt.

Auf Grundlage dieses Videos erließ das AG einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnanschrift des Beschuldigten. Bei deren Durchführung stellten die Ermittlungsbehörden das Smartphone, den Laptop und das Tablet des Beschuldigten vorläufig sicher.

Dagegen dann die Rechtsmittel bei AG und LG, die keinen Erfolg haben. Beim BVerfG rügt der Beschuldigte dan u.a. eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Es fehle bereits ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht. Die im Video abgebildete Person sei geschlechtsreif. Ihre körperliche Entwicklung sei abgeschlossen und lasse nicht auf eine minderjährige Person schließen. Es sei unmöglich, einen Jugendlichen nur anhand von Bildmaterial von einem jungen Erwachsenen zu unterscheiden. Eine andere Betrachtung verbiete sich ohne weitere verdachtsbegründende Anknüpfungstatsachen, die hier nicht vorlägen.

Die Sache hatte beim BVerfG mit dem BVerfG, Beschl. v. 21.10.2024 – 1 BvR 2215/24 – keinen Erfolg:

„2. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der gerügten Grundrechte nicht gemäß den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG aufgezeigt. Das gilt insbesondere für die gerügte Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer zeigt nicht substantiiert auf, wieso die Annahme des Amts- und Landgerichts, es habe ein Anfangsverdacht für die vorgeworfene Straftat vorgelegen, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts darstellen soll. Denn der Beschwerdeführer geht von einem falschen verfassungsrechtlichen Maßstab für den erforderlichen Verdachtsgrad aus.

a) Das Gewicht des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 115, 166 <197 f.>; BVerfGK 2, 290 <295>; 5, 84 <88>). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen, sodass ihr Ergebnis nicht mehr verständlich ist und sich somit der Schluss auf Willkür aufdrängt (vgl. BVerfGE 59, 95 <97> m.w.N.; BVerfGK 18, 414 <418>). Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§ 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte der Beschwerdeführenden beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.>; 115, 166 <199>; BVerfGK 5, 25 <30 f.>).

b) Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht auf, dass die angegriffenen Beschlüsse diesem Anforderungen nicht gerecht würden. Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass Amts- und Landgericht die Annahme, dass sich der Beschwerdeführer im Besitz von zumindest jugendpornographischen Inhalten befunden und diese an mehrere Empfänger versandt hat, auf das versandte Video gestützt haben, weil auf sie die im Video abgebildete Person minderjährig wirkt. Das kann als zureichender tatsächlicher Anhaltspunkt für die Strafbarkeit des Besitzes und der Verbreitung auch von anderem jugend- oder kinderpornographischen Material genügen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, Rn. 22 und vom 15. August 2014 – 2 BvR 969/14 -, Rn. 40; dagegen aber wohl BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass die im Video abgebildete Person tatsächlich volljährig sein könnte, nicht den Anfangsverdacht entfallen. In einem – wie hier – frühen Stadium der Ermittlungen ist es verfassungsrechtlich ausreichend, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die in einem pornographischen Video abgebildete Person jünger als 18 Jahre alt ist; ein höherer Verdachtsgrad wie etwa eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit oder gar eine Schuldüberzeugung sind nicht erforderlich. Die Frage der Volljährigkeit ist letztlich eine Frage, die abschließend erst durch die weiteren Ermittlungen und das weitere Verfahren zu klären ist. Zwar können konkrete Anhaltspunkte für die Minderjährigkeit einer abgebildeten Person nicht in jedem Fall allein vorliegendem Bildmaterial entnommen werden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 und 2 BvR 886/19 -, Rn. 29). Vorliegend sind die Fachgerichte aber nachvollziehbar davon ausgegangen, dass das Video hinreichend aussagekräftig ist, um zur Einschätzung der Minderjährigkeit der abgebildeten Person zu gelangen; das Landgericht begründet dies insbesondere damit, dass das Gesicht der Person geradezu kindliche Züge aufweise.“

BVerfG I: Anforderungen an die Klageerzwingung, oder: Genug ist genug.

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Und auf geht es in die 51. KW, die letzte „volle“ Arbeitswoche vor Weihnachten und dem Jahreswechsel. Und ich starte hier mit zwei BVerfG-Entscheidungen in die Woche. Beide stammen vom BVerfG und beide betreffen StPO-Fragen.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.09.2024 – 2 BvR 350/21 -, der sich mal wieder zu den Darlegungsanforderungen an einen Klageerzwingungsantrag äußert. Das OLG Stuttgart hat die nach Auffassung des BVerG „überspannt“, also „darf“ man „nacharbeiten“.

„Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Dezember 2022 – 2 BvR 378/20 -, Rn. 81).

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO erfordert zwar die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten (vgl. BVerfGK 14, 211 <215> m.w.N.). Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist aber dann überschritten, wenn sich der Antragsteller mit rechtlich Irrelevantem auseinandersetzen oder die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen beziehungsweise Einlassungen des Beschuldigten auch in ihren irrelevanten Abschnitten oder gar zur Gänze wiedergeben soll, obwohl sich deren wesentlicher Inhalt aus der Antragsschrift ergibt (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 – 2 BvR 1107/16 -, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2015 – 2 BvR 912/15 -, Rn. 23).

b) Gemessen daran verstößt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Der Strafsenat hat die Darlegungsanforderungen überspannt, weil er den Antrag auf gerichtliche Entscheidung für unzulässig hielt, obwohl die Beschwerdeführerin den wesentlichen Inhalt der Beschuldigteneinlassung und der Einstellungsentscheidungen dargestellt und sich mit den rechtlich relevanten Umständen hinreichend befasst hat. Im Einzelnen:

….“

Versäumte Frist II: Schwierige Fristberechnung …, oder: … die darf man nicht dem Personal überlassen

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom VGH Baden-Württemberg. Der hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2024 – 9 S 1510/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen einer schwierigen Fristberechnung Stellung genommen.

Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt, die Berufung gegen ein VG-Urteil zuzulassen. Der VGH hat den Antrag als unzulässig angesehen. Die Klägerin habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO):

„2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023 – 8 B 26.23 -, juris Rn. 6). Die Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung ist im vorliegenden Fall nicht unverschuldet gewesen.

a) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden von „Hilfspersonen“ des bevollmächtigten Rechtsanwalts muss sich ein Beteiligter mangels einer Zurechnungsnorm dagegen regelmäßig nicht zurechnen lassen. Allerdings kann den Rechtsanwalt ein eigenes Verschulden treffen, wenn die Organisation seines Büros mangelhaft ist oder die „Hilfspersonen“ nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, überwacht oder angeleitet wurden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 31; Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 8).

Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Allerdings darf er grundsätzlich die Berechnung und Notierung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.06.2011 – 1 B 7.11 – juris Rn. 5, und vom 06.07.2007 – 8 B 51.07 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 32, und Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9).

Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Das gilt etwa für die Frist zur Begründung eines Zulassungsantrags im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung bereits in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses, der einen Antrag voraussetzt, dessen Stellung und Begründung wiederum gesonderten Fristen unterliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 bzw. 4 VwGO). Die Berechnung und Überwachung dieser Fristen bedürfen besonderer Sorgfalt und dürfen daher von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9, VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 – 4 S 2288/05 -, juris Rn. 5, und vom 07.08.2003 – 11 S 1201/03 -, juris Rn. 7; OVG SH, Beschluss vom 03.07.2024 – 5 LB 2/24 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7; OVG Hbg., Beschluss vom 26.10.2022 – 6 Bf 137/22 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 04.11.2008 – 4 LC 234/07 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28.01.2004 – 10 A 11759/03 -, juris Rn. 18; parallel zur Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, mittlerweile AsylG: Senatsbeschluss vom 12.06.2007 – A 9 S 315/07 -, juris Rn. 5; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 60 Rn. 45). Ein Rechtsanwalt muss durch eine entsprechende Kanzleiorganisation gewährleisten, dass die Überwachung solcher Fristen, die nicht als Routineangelegenheiten behandelt werden dürfen, letztlich eigenverantwortlich ihm obliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 21.11 -, juris Rn. 23; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 05.03.1982 – 8 C 159.81 -, juris Rn. 3: „dem Büro geläufige Fristberechnung“; ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – 1 A 1756/09 -, juris Rn. 56).

Die eine Wiedereinsetzung beantragenden Beteiligten müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 – 2 C 11.19 -, juris Rn. 7). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei den Betroffenen, die die Wiedereinsetzung begehren. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten oder dem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.09.2023 – 1 C 10.23 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23 -, juris Rn. 19).

b) Nach diesen Maßstäben macht die Klägerin keine Tatsachen glaubhaft, aus denen sich schlüssig ergibt, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muss, erklärt mit Schriftsatz vom 03.11.2023 sinngemäß, er habe sich zwischen dem 21.08.2023 und dem 29.08.2023 im Urlaub befunden. Sein Praktikant M. R., seit Juli 2023 Diplomjurist und außerdem Referendar, habe am 21.08.2023 als Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung irrigerweise den 21.11.2023 eingetragen. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, sei der Fehler am 02.11.2023 zufällig aufgefallen. Die Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristberechnung würden regelmäßig kontrolliert, dabei sei aber die Falschberechnung übersehen worden. Das Eintragen von Fristen sei eine „einfache technische Verrichtung“, die er seinem Praktikanten, der seit Beginn des Studiums in den Semesterferien in seiner Kanzlei mithelfe, überlassen dürfe. Habe er eine Weisung erteilt, könne er sich darauf verlassen, dass diese befolgt werde. Bei dem Praktikanten handele es sich um eine sorgsam ausgewählte Person, die ihre Zuverlässigkeit dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie seit mehreren Jahren „immer und wieder“ mitarbeite und mit „der Fristenproblematik vertraut“ sei. Ein Organisationsverschulden scheide aus, weil die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar abgestimmt worden seien. Dass sein Praktikant der allgemeinen Dienstanweisung hinsichtlich der korrekten Berechnung und Eintragung nicht entsprochen habe, sei ein einmaliges Versehen. Das Vorgetragene versichern der Bevollmächtigte der Klägerin wie auch sein Praktikant an Eides statt.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist verstoßen hat. Er legt nicht dar, dass sich die Abwicklung von Berufungszulassungsverfahren vor Oberverwaltungsgerichten in seiner Kanzlei als Routineangelegenheit darstellte bzw. es sich bei der Berechnung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Berufungszulassungsverfahren um eine in der Rechtsanwaltskanzlei geläufige Fristberechnung handelte und er daher berechtigt gewesen wäre, sich auf eine (ggf. stichprobenartige) Überprüfung der Tätigkeit seines Praktikanten zurückzuziehen. Eine entsprechende schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei ist auch sonst nicht erkennbar. Denn dem Briefkopf zufolge ist der Bevollmächtigte der Klägerin Fachanwalt für Steuerrecht mit den weiteren Schwerpunkten Bau- und Architektenrecht sowie Wirtschaftsrecht. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass die Berechnung der Fristen nach § 124a VwGO oder auch nur der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Routine seines Praktikanten gehörte. Das Vorbringen, sein Praktikant, der seit Juli 2023 Diplomjurist sei und seit Beginn dessen Studiums in den Semesterferien bzw. „immer und wieder“ in seiner Kanzlei mithelfe, sei sorgsam ausgewählt, mit „der Fristenproblematik vertraut“ und arbeite seit Jahren unbeanstandet, genügt hierfür ersichtlich nicht. Zwar kann sich ein Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005 – VI ZB 13/05 -, juris Rn. 6). Gleichwohl ist ein Wissen um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen nicht gleichzusetzen mit einer Routine in der Berechnung der Fristen des § 124a VwGO. Die vom Praktikanten angeblich irrigerweise angenommene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von drei Monaten dürfte eher gegen dessen Routine beim Berechnen entsprechender Fristen sprechen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wäre es die Obliegenheit des Bevollmächtigten gewesen, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO selbst zu berechnen bzw. rechtzeitig die Fristberechnung zu kontrollieren. Die pauschale Behauptung, er kontrolliere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristenberechnung regelmäßig, habe aber die Falschberechnung übersehen, vermag ihn nicht zu exkulpieren.“

Versäumte Frist I: Versendung durch Mitarbeiter, oder: Rechtsanwalt muss Versendung prüfen

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zweit Entscheidungen zur Fristversäumung und der Frage der Wiedereinsetzung. Beide Entscheidungen stammen nicht aus dem Straf- bzw. Bußgeldderfahren, aber die Ausführungen des BGH bzw. des VGH Baden-Württemberg haben ggf. auch in diesen Verfahren Bedeutung.

Hier kommt dann zunächst der BGH, Beschl. v. 31.07.2024 – XII ZB 573/23 – zur Prüfpflicht des Rechtsanwalts betreffend Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen. Gestritten wird um die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Beschwerdebegründungs-frist. Das AG hatte den Antragsgegner in einem Verfahren nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG (sonstige Familiensache) verpflichtet, an die Antragstellerin, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, einen Betrag von 293.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 25.7.2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 24.8.2023 beim AG Beschwerde eingelegt und diese am 02.10.2023 begründet. Das AG hat den mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatz am 4.10.2023 auf elektronischem Wege an das OLG weitergeleitet. Durch Beschluss vom selben Tag hat das OLG darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig zu verwerfen, weil eine Rechtsmittelbegründung nicht innerhalb der Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG eingegangen sei. Dieser Hinweis ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 06.10.2023 zugegangen.

Am 11.10.2023 hat der Antragsgegner beim OLG Wiedereinsetzung in die versäumte Be-schwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er unter Vorlage einer eidesstattli-chen Versicherung einer Mitarbeiterin seines Verfahrensbevollmächtigten u.a. ausgeführt, diese sei in der Kanzlei für die Fristenverwaltung zuständig. In den mehr als 20 Jahren ihrer Beschäftigung sei ihr bislang kein Fehler im Fristenkalender unterlaufen. Nach der Organisation des Büros werde zunächst eine Vorfrist von einer Woche eingetragen, wobei die Fristen sowohl in einem gesonderten Fristenkalender als auch digital in der Anwaltssoftware notiert würden. Neben der Vorfrist gebe es ferner die sogenannte Notfrist. Der Verfahrensbevollmächtigte kon-trolliere regelmäßig die Einhaltung der Fristen. Sämtliche Mitarbeiter seien bei Aufnahme ihrer Tätigkeit über die Regelungen für die Fristen-kontrolle und deren Bedeutung belehrt worden. Diese Belehrungen würden auch regelmäßig wiederholt, zuletzt am 04.08.2023. Der Verfahrensbevollmächtigte habe beim Diktat der Be-schwerdeschrift explizit erklärt, dass die Frist für die Beschwerdebegründung einen Monat betrage und diese allerspätestens am 25.09.2023 beim OLG, hilfsweise beim Familiengericht, ein-zugehen habe. Er habe ferner diktiert, dass ihm die Akte zur Vorfrist am 18.9.2023 vorgelegt werden solle, damit ausreichend Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibe. Tatsächlich habe Frau E. die Vorfrist aber versehentlich für den 18.10.2023 und die Notfrist für den 25.10.2023 eingetragen. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners sei dies nicht aufgefallen, da er auf die ordnungsgemäße Einhaltung und Beachtung der Fristen vertraut habe und aufgrund seiner Arbeitsbelastung eine Kontrolle nicht erfolgt sei. Erst durch den Hinweis des OLG vom 04.10.2023 habe er den Fehler bemerkt und nach seiner urlaubsbedingten Abwesenheit vom 03. bis zum 10.10.2023 den Wiedereinsetzungsantrag gestellt.

Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet zurück-gewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, die keinen Erfolg hatte.

Hier dann (nur) die Leitsätze des BGH, und zwar:

1.    Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 26.01.2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969). Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist.

2.    Reicht ein Beteiligter eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht am darauffolgenden Werktag umsetzt (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 20.04.2023 – I ZB 83/22, ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 26.01.2023 – I ZB 42/22, NJW 2023, 1969).

Fazit: Der Rechtsanwalt muss darauf achten, dass er eigenverantwortlich prüft und ggf. dazu dann auch (ausreichend) vortragen. Auch das war hier nicht geschehen.