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OWi II: Urteilsgründe beim Absehen vom Fahrverbot, oder: Augenblicksversagen, Härtefall, höhere Geldbuße

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Und im zweiten Posting dann eine weitere Entscheidung des OLG Brandenburg zurm Fahrverbot, und zwar der OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2024 – 2 ORbs 107/24 -, in dem das OLG zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung nimmt.

Gegen den Betroffenen ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 640 EUR verhängt worden. Von der Anordnung eines Fahrverbots hat das AG abgesehen, weil eine außergewöhnliche Härte vorliege. Der Betroffene und sein Verteidiger hätten in der Hauptverhandlung erklärt, dass der Betroffene die Geschwindigkeit aufgrund eines Augenblickversagens überschritten habe. Er habe mit seiner Familie im Fahrzeug gesessen und das geschwindigkeitsbegrenzende Schild schlicht übersehen. Auch seine Familie habe das Schild nicht wahrgenommen. Darüber hinaus sei er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Kundenberater im Außendienst für die gesamte Region O. auf seinen Pkw angewiesen. Bei seinem Tätigkeitsbereich handelt es sich um eine ländliche Region, die ein Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel nicht ermögliche. Weder aus dem familiären noch dem beruflichen Umfeld stehe jemand als Fahrer zur Verfügung. Er sei in seiner Filiale der einzige Außendienstmitarbeiter. Seine Ehefrau sei beruflich selbst „stark eingeschränkt“ und fahre außerdem wegen eines tödlichen Verkehrsunfalls des gemeinsamen Sohnes nur in notwendigen Situationen selbst Auto. Darüber hinaus fahre der Betroffene seine minderjährigen Kinder in ländlicher Region täglich zur Schule oder jedenfalls zum nächstgelegenen Bahnhof. Das Fahreignungsregister des Betroffenen weise keine Eintragungen auf, was den Schluss zulasse, dass er „üblicherweise ein ordentlicher und vorschriftsmäßiger Fahrzeugführer“ sei.

Dagegen (natürlich) die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die (ebenso natürlich) beim OLG Erfolg hatte. Dem OLG gefallen die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht:

„2. Die Entscheidung des Amtsgerichts, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach den Vorgaben des Verordnungsgebers ist grundsätzlich – soweit wie hier der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV erfüllt ist – das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es in diesen Fällen regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Das Tatgericht ist in diesen Fällen – auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung – gehalten, die Maßnahme anzuordnen und darf hiervon nur in besonderen Ausnahmefällen absehen, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich von dem normierten Regelfall abweicht, dass er als Ausnahme zu werten ist und auf ihn das Regelbeispiel gemäß dem Bußgeldkatalog nicht mehr zutrifft, oder wenn die Maßnahme für den Betroffenen eine außergewöhnliche Härte darstellt; dem tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum sind insoweit enge Grenzen gesetzt sind; das Absehen vom Fahrverbot muss auf einer eingehenden und nachvollziehbaren, auf Tatsachen gestützten Begründung beruhen (vgl. KG, Beschl. v. 15. Dezember 2020 – 3 Ws [B] 289 – 290/20 m.w.N.).

Diesen Begründungsanforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Dass das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass der Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen, auf lediglich einfache Fahrlässigkeit zurückzuführenden Unaufmerksamkeit beruhte, lässt sich den Urteilsgründen nicht in hinreichendem Maße entnehmen. Diese verweisen lediglich auf die nicht näher gewürdigte Einlassung des Betroffenen, er habe „das geschwindigkeitsbegrenzende Schild schlicht übersehen“.

b) Auch im Übrigen beschränken sich die Urteilsausführungen weitgehend auf eine nicht näher gewürdigte Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen zu vorliegenden Härtegründen. Von einem Fahrverbot darf insoweit nur abgesehen werden, wenn unter Anlegung strenger Maßstäbe das Fahrverbot eine Härte ganz ungewöhnlicher Art darstellt. Dass der Betroffene im Straßenverkehr noch nicht auffällig geworden ist, genügt hierfür nicht.

Eine „besondere Härte“ in diesem Sinne liegt entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht schon dann vor, wenn der Betroffene bei seiner beruflichen Tätigkeit und im privaten Bereich „in einem exorbitanten Maß auf seine Fahrerlaubnis angewiesen“ ist. Berufliche Nachteile, auch schwerwiegender Art, sind mit einem Fahrverbot nicht nur in Ausnahmefällen, sondern häufig verbunden. Der Umstand, beruflich besonders auf die Fahrerlaubnis angewiesen zu sein, muss für den Betroffenen ein besonderer Grund sein, sich verantwortungsbewusst zu verhalten (vgl. OLG Bamberg DAR 2010, 332). Nur wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, beispielsweise zum Verlust des Arbeitsplatzes oder dem Existenzverlust eines Selbstständigen, führen würde, kann von der Verhängung des Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden (std. Rspr. der Senate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, vgl. Senat, Beschluss vom 19. November 2008 – 2 Ss (OWi) 194 B/08 – m.w.N.). Es ist einem Betroffenen auch grundsätzlich zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken, wie z.B. durch Inanspruchnahme von – gegebenenfalls unbezahlten – Urlaub, die Anstellung eines bezahlten Fahrers oder die Hinzuziehung von Fahrdiensten. Die hierdurch auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffene hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits, zumal sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots eventuelle finanzielle Einbußen ohnehin regelmäßig in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen bewegen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 2 Ss OWiG 39/09, zit. nach Juris).

Insoweit fehlt es abgesehen von der nicht hinreichend gewürdigten Einlassung des Betroffenen an ausreichenden Feststellungen, die eine derartige besondere Härte für ihn, seine Familienangehörigen oder seinen Arbeitgeber begründen könnten. Die Urteilsgründe verhalten sich weder zu den finanziellen Verhältnissen des Betroffenen und den Möglichkeiten, die Zeit des Fahrverbotes jedenfalls teilweise durch Urlaub zu überbrücken, noch zur Berufstätigkeit der Ehefrau und dem genauen Schulweg der Kinder.

3. Da zwischen der Festsetzung der Geldbuße und dem Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes ein innerer Zusammenhang besteht, unterliegt das angefochtene Urteil, dessen Gegenstand wegen der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid allein die Rechtsfolgenentscheidung ist, insgesamt der Aufhebung.

Das Amtsgericht wird bei der erneut zu treffenden Entscheidung u.a. einen – dann kompensationslosen, eine Erhöhung der Geldbuße regelmäßig nicht rechtfertigenden – Wegfall des Fahrverbotes im Hinblick auf einen lediglich einfach fahrlässigen Pflichtenverstoß näher zu prüfen haben. Insoweit gilt, dass für die Anordnung eines Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers auch bei einer die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung dann kein Raum ist, wenn diese darauf beruht, dass der Betroffene infolge lediglich einfacher Fahrlässigkeit das die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste (vgl. BGHSt 43, 241ff.).

Einem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für die von ihm begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit; für die Bewertung seines Verschuldens ist es, solange er die ohne das Vorschriftszeichen geltende Höchstgeschwindigkeit einhält, unerheblich, ob er die durch das Vorschriftszeichen angeordnete Geschwindigkeit weniger oder mehr überschreitet. Das Maß der Pflichtverletzung hängt nur davon ab, wie sehr ihm das Übersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht; das erhebliche Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf das die Regelbeispielsfälle abstellen, lässt insofern keinen Schluss darauf zu, dass der Fahrzeugführer das Vorschriftszeichen wahrgenommen oder grob pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat (BGH, aaO.).

Mit Rücksicht darauf bedarf es zunächst einer näheren tatgerichtlichen Würdigung, ob die Einlassung des Betroffenen, er habe die – nach den Feststellungen beidseits der Fahrbahn auf 100 km/h angeordnete – Geschwindigkeitsbeschränkung nicht wahrgenommen, als glaubhaft zu bewerten ist. Gegebenenfalls ist sodann zu prüfen, ob diese Fehlleistung aufgrund der konkreten Umstände wie der Anordnung der Beschilderung und der Tatsituation (vgl. hierzu BGH, aaO.) die Annahme einer lediglich augenblicklichen Unaufmerksamkeit gebietet, die für sich genommen noch nicht als grob fahrlässig zu bewerten ist, sondern jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann.“

OWi I: Absehen vom Fahrverbot wegen langer Dauer, oder: Zweijahresfrist

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Und heute dann ein „OWi-Donnerstag“.

Ich starte mit einem Beschluss des OLG Brandenburg zum Fahrverbot: Das OLG hat im OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2024 – 1 ORbs 134/24 – zum Absehen vom Fahrverbot bei langer Verfahrensdauer Stellung genommen, und zwar:

„b) Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des angefochtenen Urteils hat Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht ergeben.

Insbesondere ist das Erkenntnis des Bußgeldgerichts, von der Verhängung des nach BKatV bei der hier vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung um 49 km/h indizierten Fahrverbots vermittels Kompensation durch eine Verdoppelung der Geldbuße abzusehen, von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Der Verhängung des Fahrverbots steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Ordnungswidrigkeit bereits 22,5 Monate vor der angefochtenen Entscheidung des Bußgeldgerichts begangen worden war. Das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 90; BVerfGE 27, 36, 42). Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verloren haben, wenn seit dem Verkehrsverstoß ein erheblicher Zeitraum vergangen ist (vgl. KG StraFo 2007, 518 m. w. N.). Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom nach der BKatV indizierten Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die dem Tatrichter einen Beurteilungsspielraum eröffnet.

Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist der Sinn des Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (vgl. OLG Hamm DAR 2012, 340; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168; OLG Bamberg DAR 2008, 651 m. w. N.; ständige Senatsrspr., vgl. statt vieler: Beschluss vom 05. Februar 2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 6/21; s. a. König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, zu § 25 StVG, Rz. 24 m. zahlr. N.). Hinsichtlich dieser Zweijahresfrist kommt es auf den Zeitraum zwischen Tatbegehung und letzter tatrichterliche Verhandlung an, da der Tatrichter den sich anschließenden Zeitraum zwischen seiner Entscheidung und deren Rechtskraft nicht berücksichtigen kann und das Rechtsbeschwerdegericht lediglich zu prüfen hat, ob das Urteil des Bußgeldgerichts auch den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere die Verhängung und Begründung des Fahrverbots, betreffend Rechtsfehler aufweist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011- 3 RBs 70/10;OLG Oldenburg, Beschluss vom 03. August 2011- 2 BsSs 172/11; jeweils zitiert nach juris).Selbst ein Zeitablauf von zwei Jahren zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil führt nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot. Er beinhaltet lediglich einen Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung dazu, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck noch erfüllen kann, geboten ist. Bei einem Zeitablauf von mehr als zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es nach Auffassung des Senats besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (vgl. OLG Düsseldorf MDR 2000, 829; s. zum Ganzen auch: König in: Hentschel/Dauer/König a. a. O.).

Im vorliegenden Fall war die Zweijahresfrist bei der Entscheidung des Amtsgerichts noch nicht abgelaufen. Die Kompensation seines Wegfalls durch eine Verdoppelung der Geldbuße ist deshalb nicht zu beanstanden.“

Nichts Neues, sondern nur ein Reminder. Zum Fahrverbot kann man übrigens eine Menge erfahren in <<Werbemodus ein> Burhoff (Hrsg), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024. Dort hat der Kollege Deutscher sehr schon – vielfach kopiert, aber nicht erreicht – ausgeführt. Bestellen kann man das Werk hier. <<Werbemodus aus>>

Ablehung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht, oder: Ablehnungsbeschluss ist nicht anfechtbar

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Und dann die Gebührenentscheidungen am Freitag.

Ich starte zum Warmwerden mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.04.2024 – 203 StObWs 150/24. Nicht direkt Gebühren, aber der Beschluss hat damit zu tun. Es geht um die Anfechtbarkeit der PKH-Entscheidung im Strafvollzugsverfahren. Da sagt das BayObLG: Nicht anfechtbar:

„Der Senat hat das Rechtsmittel aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung durch die Rechtsanwältin als Rechtsbeschwerde und hilfsweise als sofortige Beschwerde geprüft. Das Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer erweist sich als unzulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG wäre gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht eröffnet, da sich das Tatgericht – insoweit auch rechtsfehlerfrei – isoliert mit dem ihm zur Entscheidung unterbreiteten Begehren des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat.

2. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unzulässig. Nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung, der sich der Senat anschließt und die auch im Schrifttum Zustimmung erlangt hat, ist im Strafvollzugsverfahren ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnender Beschluss der Strafvollstreckungskammer ungeachtet des Verfahrenswerts nicht anfechtbar (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 Ws 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2020 – 2 Ws 38/20 –, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 Ws 627/19 Vollz –, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 5 Ws 20/18 Vollz -, juris Rn. 2 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 1 Ws 294/13-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 672/12-, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 2008 – 3 Vollz (Ws) 64/08 –, juris Rn. 8; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. September 2003 – 1 Ws 275/03, juris; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 120 StVollzG Rn. 21; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kapitel § 120 Rn. 12; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, §120 StVollzG, 25. Ed., § 120 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., P § 120 StVollzG Rn. 140; diff. nach Beschwerdewert wohl Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 7; diff. nach zulässig eingelegter Rechtsbeschwerde OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 – I Vollz [Ws] 3/12 – BeckRS 2012, 04285). Denn im Strafvollzugsverfahren ist gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine weitere Tatsacheninstanz eröffnet (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).“

StPO I: Subjektives Einziehungsverfahren eingestellt, oder: Gibt es ein Rechtsmittel?

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Der Oberbegriff ist heute: Einstellung. Zwei der drei vorgestellten Entscheidungen aus dem Bereich befassen sich mit der Einstellung von Einziehung(smaßnahmen), eine mit den Folgen einer Einstellung nach § 153a StPO.

Dem OLG Köln, Beschl. v. 12.07.2024 – 3 Ws 55/24 – liegt folgender Sachverhalt zurgunde: Die Staatsanwaltschaft hat unter dem 01.07.2022 Anklage gegen den Angeklagten u.a. wegen Steuerhinterziehung in 15 besonders schweren Fällen, erhoben. Die Hauptverhandlung hat am 18.09.2023 zu laufen begonnen. Nachdem zwischenzeitlich Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aufgetreten waren, hat die Staatsanwaltschaft in dem Hauptverhandlungstermin vom 14.06.2024 beantragt, das Verfahren aufgrund einer bestehenden dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten einzustellen. Dies hat sie verbunden mit dem Antrag, das subjektive Verfahren nach Anklageerhebung wegen Unmöglichkeit der weiteren Durchführung des subjektiven Verfahrens gemäß § 435 Abs. 2 StPO in das objektive Verfahren überzuleiten und im Wege des selbständigen Einziehungsverfahrens gemäß §§ 435, 436 Abs. 2, § 434 Abs. 3 StPO auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, dass gegen den Angeklagten die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 43.447.499,97 EUR angeordnet werde. Diesen Antrag hat das LG in der Hauptverhandlung vom 19.06.2024 durch Kammerbeschluss zurückgewiesen. Zum einen sei aufgrund des bisherigen Ermittlungsstandes die Anordnung einer späteren Einziehung entgegen § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, da noch weitere Ermittlungen – wie die Staatsanwaltschaft selbst in ihrem Antrag ausgeführt habe – anzustellen seien. Eine Überleitung vom subjektiven in das objektive Verfahren komme aber auch deshalb nicht in Betracht, weil der hierin liegende Zweck, Beweisergebnisse aus dem subjektiven Verfahren zu sichern und für das Einziehungsverfahren fruchtbar zu machen, nicht erzielt werden könne. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte der bisherigen Hauptverhandlung teilweise in verhandlungsunfähigem Zustand beigewohnt habe. Da das Ausmaß nicht quantifizierbar sei, müsse die bisherige Beweisaufnahme auch bei Fortführung des bisherigen Verfahrens als objektives wiederholt werden. Aus diesem Grunde komme auch nicht in Betracht, dass die Kammer die bislang fehlenden Ermittlungen – bezogen auf die Anordnung der (Wertersatz)Einziehung – selbst vornehme. Diese habe die Staatsanwaltschaft durchzuführen. In Bezug auf ein etwaiges im Anschluss beantragtes selbständiges Einziehungsverfahren werde dann zu prüfen sein, ob dessen Voraussetzungen vorlägen.

Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Das hatte keinen Erfolg:

„1. Die gegen den Beschluss vom 19.06.2024 gerichtete (sofortige) Beschwerde erweist sich gemäß § 305 Satz 1 StPO als unzulässig.

a) Nach § 305 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen und – wie hier – nicht dem Anwendungsbereich des Satzes 2 der Regelung unterfallen, nicht der Beschwerde. Diese Einschränkung des Beschwerderechts erfasst Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil stehen und ausschließlich seiner Vorbereitung dienen. Dies ist nicht nur bei Maßnahmen gegeben, die unmittelbar Grundlagen für die Entscheidung in der Sache selbst schaffen sollen; auch Anordnungen, die darauf abzielen, die Abwicklung des Verfahrens in sonstiger Weise zu fördern und es der abschließenden Sachentscheidung näher zu bringen, weisen einen inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung auf, der zum Ausschluss der Anfechtbarkeit führt (KG, Beschluss vom 10.05.2012 – 4 Ws 42/12, NStZ-RR 2013, 218, 219). Weitere Voraussetzung für den Ausschluss der Beschwerde ist zudem, dass sich die Bedeutung der vorbereitenden Entscheidung auf das Urteil beschränkt. Entfaltet sie hingegen eine über die Urteilsfindung hinausgehende prozessuale Bedeutung bzw. selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten, ist die Entscheidung anfechtbar (OLG Hamburg, Beschluss vom 07.04.2020 – 5 Ws 20-21/20, StV 2020, 458, 459; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.10.2018 – 1 Ws 479/18, BeckRS 2018, 28946; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 305 Rn. 1; MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl., § 305 Rn. 15).

b) Gemessen an diesen Maßstäben gilt:

aa) Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist – entsprechend dem vorangegangenen Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14.06.2024 – allein die Entscheidung, das subjektive Verfahren zeitnah abzuschließen und nicht (unmittelbar) als objektives Verfahren weiterzuführen bzw. fortzusetzen.

Hierin liegt nicht auch eine Entscheidung über die Nichteröffnung des objektiven Verfahrens im Sinne von § 435 Abs. 3 Satz 1, § 204 Abs. 1 StPO. Eine derartige Entscheidung ist lediglich dann zu treffen, wenn der Antrag auf Durchführung des objektiven Verfahrens außerhalb des subjektiven Verfahrens gestellt wird. Die von der Rechtsprechung anerkannte und vom Gesetzgeber gebilligte (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 91; vgl. auch bereits BR-Drucks. 418/16, S. 103) Möglichkeit, unmittelbar von Letzterem in das objektive Verfahren übergehen zu können (vgl. nur BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23,64, 66 f.; KK-StPO/Schmidt/Scheuß, 9. Aufl., § 435 Rn. 18) stellt insoweit eine gesetzlich nicht geregelte Ausnahme von dem in § 435 Abs. 3 Satz 1 StPO vorgesehen Regelverfahren dar, wonach es vor der Entscheidung über die Anordnung der Einziehung der Durchführung eines Zwischenverfahrens mit einer Eröffnungsentscheidung (§ 435 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. §§ 203 f. StPO) bedarf. Hinter dieser Rechtsprechung steht die Erwägung, die im subjektiven Verfahren bereits durchgeführte Beweisaufnahme im Sinne der Prozessökonomie nicht stets wiederholen zu müssen, sondern die Entscheidung im objektiven Verfahren hierauf aufbauen zu können (BGH, Urteil vom 23.07.1969 – 3 StR 326/68, BGHSt 23,64, 66). Die verfahrenstechnische Möglichkeit des nahtlosen Übergangs vom subjektiven in das objektive Verfahren mit einer entsprechenden Modifikation des Verfahrensgegenstandes entspricht insoweit der prozessualen Konstellation bei der Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 1 StPO), in deren Rahmen ebenfalls auf die Durchführung des Zwischenverfahrens (§§ 199 ff. StPO) verzichtet wird, der Verfahrensgegenstand gleichwohl durch die Einbeziehung der Nachtragsanklage erweitert und insoweit auf bereits erzielte Beweisergebnisse zurückgegriffen werden kann. Auch in diesem Fall stellt die gerichtliche Entscheidung über die (Nicht)Einbeziehung der Nachtragsanklage keine Entscheidung nach den §§ 203, 204 StPO dar. Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht die Einbeziehung deshalb ablehnt, weil es hinsichtlich der zur Nachtragsanklage gebrachten Tat keinen hinreichenden Tatverdacht erkennt. Die Wirkung des Nichteinbeziehungsbeschlusses erstreckt sich insoweit ausschließlich auf das bestehende Hauptverfahren. Da es sich nicht um einen Beschluss nach § 204 StPO, sondern nach § 266 Abs. 1 StPO handelt, entfaltet dieser auch nicht die Sperrwirkung des § 211 StPO (Meyer-Goßner, JR 1984, 53; MüKoStPO/Nourouzi, 2. Aufl., § 266 Rn. 23; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 266 Rn. 41; Radtke/Hohmann/Radtke, StPO, § 266 Rn. 34; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 266 Rn. 7, 24; iE ebenso Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 266 Rn. 21a; aA BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed., § 266 Rn. 31; Hilger, JR 1983, 442), sodass die Staatsanwaltschaft die betreffende Tat ungeachtet von dessen Vorgaben im Nachgang noch zur Anklage bringen kann. Bezogen auf den hier vorliegenden Antrag auf Übergang vom subjektiven in das objektive Verfahren folgt hieraus, dass für die Staatsanwaltschaft mithin die erneute Antragstellung nach § 435 StPO im Regelverfahren uneingeschränkt möglich bleibt.

bb) Die angefochtene Entscheidung hat darauf abgezielt, das gegen den Angeklagten geführte (subjektive) Verfahren einem zeitnahen Abschluss zuzuführen. Ebenso wie die § 305 Satz 1 StPO unterfallenden Entscheidungen über die Abtrennung oder Verbindung von Verfahrensteilen, die Aussetzung eines Verfahren zum Zwecke seiner Förderung in der Gesamtheit (vgl. hierzu etwa OLG Hamm, Beschluss vom 09.02.1999 – 2 Ws 46/99, StraFo 1999, 236, 237; OLG Köln, Beschluss vom 15.07.2005 – 2 Ws 223/05, BeckRS 2005, 152921 Rn. 8; OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.07.2008 – 1 Ws 107/08, BeckRS 2008, 23446; KG, Beschluss vom 10.05.2012 – 4 Ws 42/12, NStZ-RR 2013, 218, 219; KK-StPO/MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl., § 305 Rn. 17) oder auch die Entscheidung über die Nichteinbeziehung einer Nachtragsanklage (vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 266 Rn. 24) hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss demnach eine die weitere Verfahrensgestaltung betreffende Entscheidung getroffen, die auf Grundlage des Vorstehenden dem Prozessurteil vom 24.06.2024 sachlich und zeitlich vorgelagert gewesen ist….“

StPO III: Verfahrensrüge nach Berufungsverwerfung, oder: Corona-Selbsttest genügt ggf. nicht

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas aus Bayern, und zwar den BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 212/24.

Das LG hat die Berufung des vom AG wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilten Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO nach der Einholung einer ärztlichen Stellungnahme verworfen, weil er unentschuldigt trotz ordnungsgemäßer Ladung in dem Termin zur Hauptverhandlung am 12.12.2023 ausgeblieben war. Eine vom Verteidiger am Vormittag des Terminstages vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 11.12.2023, die auf fernmündlichen Angaben des Angeklagten beruhe und eine Mandelentzündung bescheinige, die schriftliche Mitteilung des Angeklagten vom 11.12.2023, wonach er an „39.8 Fieber Husten Gliederschmerzen Kopfschmerzen“ leide und corona positiv im Bett läge und ein vom Angeklagten stammendes Lichtbild, das zwei Covid-19-Testbehälter sowie Teststreifen mit jeweils zwei Strichen, den handschriftlich aufgebrachten Namen des Angeklagten und das Datum „11.12.2023“ zeigen würde, könnten den Angeklagten nicht entschuldigen, nachdem ein Telefonat des Vorsitzenden mit dem ausstellenden Arzt ergeben hätte, dass sich der Angeklagte lediglich telefonisch krank gemeldet und gegenüber dem Arzt von einer Coronaerkrankung nichts erwähnt hätte. Nach der Beurteilung des Arztes wäre es dem Angeklagten ausgehend von den geschilderten Symptomen aus medizinischer Sicht möglich gewesen, zum Termin anzureisen und an der Verhandlung teilzunehmen.

Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Da wir mit den Fragen immer wieder zu tun haben, stelle ich nur die Leitsätte vor; die Einzelheiten dann bitte in dem wie immer umfangreich begründeten Beschluss selbst nachlesen:

1. Will die Revision mit ihrer Rüge einer Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO im Falle einer Erkrankung des Angeklagten eine unrichtige Beurteilung der Entschuldigung geltend machen, hat sie die Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergeben soll, dass dem Angeklagten das Erscheinen unmöglich oder unzumutbar war und das Berufungsgericht von diesem Entschuldigungsgrund Kenntnis hatte. In der Revision genügt allein die Mitteilung einer ärztlichen Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit ohne belastbare Aussagen zum Krankheitszustand diesen Anforderungen nicht.

2. Der Vortrag der Revision, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Ergebnisse von Corona-Selbsttests vom Angeklagten herrührten, genügt nicht, um eine Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO hinreichend bestimmt zu behaupten. Die Revision muss Verfahrensverstöße als Tatsachen, nicht als bloße Möglichkeiten darstellen.

Na ja, hätte man m.E. auch anders sehen können. Mit Corona in die HV? Ich weiß nicht.