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StPO III: Schöffe macht sich länger private Notizen, oder: Beschäftigung mit privaten Dingen ==> Rauswurf

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Und dann noch etwas aus der Hauptverhandlung, nämlich die Frage nach der Besorgnis der Befangenheit einer Schöffin.

Der Angeklagte hat in einem Berufungsverfahren eine Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das ist wie folgt begründet worden: Der Angeklagte und sein Verteidiger hätten beobachten können, wie die Schöffin ab 14:00 Uhr bei der Verlesung eines Extraktionsberichtes durch den Vorsitzenden sich in einem schwarzen DIN-A5 Notizbuch Notizen auf den letzten Seiten gemacht habe. Das sei insoweit auffällig gewesen, als sie sich bisher Notizen zum Verfahren auf einem DIN A4 Papier gemacht habe. Ein solches DIN A4 Papier habe sich auch am Sitzungstag auf ihrem Tisch befunden. Die Schöffin habe sich Notizen in dem Buch untereinander gemacht, z.B. wie bei einer Einkaufsliste. Sie habe dabei mindestens 3 Seiten benutzt, weil sie mindestens einmal umgeblättert habe und dann auf den Folgeseiten links und rechts Notizen von oben bis unten gefertigt habe. All das habe sie gemacht, während der Vorsitzende die Chats vorgelesen habe. Sie habe daher dem Vorlesen und dem im Zusammenhang verlesenen Chat nicht folgen können. Sodann habe beobachtet werden können, dass sie das Zählen beginne. Sie habe auf der linken und rechten Seite die jeweiligen Aufzeichnungen gezählt. Dies habe sie wiederholt und sich weiterhin Notizen gemacht, die jedoch auch nie im Zusammenhang mit dem Vorgelesenen erfolgten, was deutlich aufgefallen sei. Daher sei offenkundig gewesen, dass sich die Schöffin nicht etwa Notizen des soeben vorgelesenen Chats gemacht habe. Um exakt 14.19 Uhr habe sie ihr Notizbuch geschlossen, weil sie offenkundig mit ihrer privaten Tätigkeit, die nicht im Zusammenhang mit dem Verfahren gestanden habe, fertig gewesen sei. Dies, obwohl der Vorsitzende noch lange nicht fertig gewesen sei, mit dem Verlesen. Auf Nachfrage der Verteidigung habe die Schöffin pp. sodann – was zutreffend ist bestätigt, dass diese Notizen nichts mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten.

Die Schöffin hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme hierzu ausgeführt, dass es stimme, dass sie während der Verhandlung Kritzeleien gemacht habe, die nicht unmittelbar mit dem Verfahren in Verbindung gestanden hätten. Diese hätten jedoch nicht der Ablenkung sondern vielmehr dazu gedient, ihre Konzentration zu bewahren. Das Kritzeln sei für sie eine bewährte Technik, die sie regelmäßig nutze – auch während ihres Studiums – um bei längeren Vorträgen konzentriert zu bleiben und nicht gedanklich abzuschweifen. Trotz des Kritzelns habe sie die Verlesung des Chats durch den Vorsitzenden Richter aufmerksam verfolgt.

Das LG Dortmund hat im LG Dortmund, Beschl. v. 08.11.2024 – 45 Ns 131/22 – dem Antrag statt gegeben:

„Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters oder einer Schöffin ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der Richter oder die Schöffin ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgebend ist dabei der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten (vgl. zum Ganzen: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO-Kom., 66. Aufl. § 24 Rn. 8 und 8a).

Der unterzeichnende Vorsitzende hat selbst beim Verlesen des Chats nicht mitbekommen, inwieweit die Schöffin pp. sich Notizen oder Ähnliches gemacht hat. Jedoch hat sich die Tätigkeit der Schöffin nach dem letztlich unbestritten gebliebenen Vortrag der Verteidigung über einen Zeitraum von 19 Minuten hingezogen und die Schöffin habe erkennbar dabei zwischendurch auch Punkte ihrer Notizen abgezählt. Das lässt es aus der Sicht eines verständigen Angeklagten in der Tat nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass die Schöffin pp. über einen nicht nur kurzen Zeitraum der Beweisaufnahme mit verfahrensfremden Angelegenheiten beschäftigt war, zumal sie auf anschließende Nachfrage des Verteidigers, ob die Notizen etwas mit dem Verfahren zu tun gehabt hätten, auch umgehend mit „Nein“ geantwortet hat. In Anbetracht der Länge des Vorgangs lässt das für einen verständigen Betrachter auch durchaus den Eindruck der Befangenheit zu. Hieran ändert in Anbetracht der dezidierten Ablaufschilderung in dem Befangenheitsantrag sodann auch die dienstliche Erklärung der Schöffin, dass diese Kritzeleien letztlich nur ihrer Konzentrationshilfe gedient hätten, nichts mehr.“

Also zurück auf Start, gehe nicht über Los …. 🙂

StPO II: Freiwillige Herausgabe vor der Durchsuchung, oder: Dann braucht man keine Durchsuchung mehr

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Im zweiten Posting dann noch eine Entscheidung zur Durchsuchung und sie kommt ebenfalls aus Sachsen. Es handelt sich um den LG Dresden, Beschl. v. 23.10.2024 – 2 Qs 13/24.

Nach dem Sachverhalt führt die StA gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Er soll in den frühen Morgenstunden des 16.03.2024 gegen 02:50 Uhr der Beschuldigte durch das Eintreten der Tür in die Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin eingedrungen sein und ihr im dortigen Schlafzimmer mehrmals mit der Faust und dem Ellenbogen in das Gesicht von pp. geschlagen haben. Anschließend soll er mit Gewalt für etwa zehn Minuten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durchgeführt haben.

Der Beschuldigte wurde am 16.03.2024 vorläufig festgenommen und das Amtsgericht Dresden ordnete mit Beschluss vom 16.03.2024 die Untersuchungshaft gegen ihn an. Im Rahmen des Termins zur Haftbefehlseröffnung vor dem AG am 16.03.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Beschuldigten zum Auffinden von dessen Mobiltelefon, seiner Schuhe, von Betäubungsmitteln und von Unterlagen über die Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. Der Beschuldigte erklärte daraufhin, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei pp. aufzufinden seien und er sein Mobiltelefon und seine Schuhe mit Widerspruch übergeben würde, um den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zu vermeiden.

Das Amtsgericht Dresden ordnete daraufhin mit Beschluss vom 16.03.2024 (dennoch) die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons des Beschuldigten, seiner zur Tatzeit getragenen Bekleidung sowie von Unterlagen über die persönliche Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. an. Im Hinblick auf die ebenfalls beantragte Durchsuchung der Wohnung nach Betäubungsmitteln sah das Amtsgericht den erforderlichen Anfangsverdacht für nicht gegeben.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein und widersprach zugleich der Verwertung der aufzufindenden Beweismittel. Die Durchsuchungsanordnung vom 16.03.2024 wurde noch am selben Tag vollzogen. Der beschuldigte begehrt nunmehr die Feststellung, dass die Durchsuchung rechtswidrig erfolgt sei. Mit Erfolg:

„1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der hier gegenständlichen, prozessual überholten Durchsuchungsmaßnahme ist wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs gegeben (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2023 – 2 BvR 370/13, BeckOK StPO/Cirener, § 296, Rn. 12 ff.).

2. Die Beschwerde des Beschuldigten hat auch in der Sache Erfolg.

a) Gegenüber der durch Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 angeordneten Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten standen den Ermittlungsbehörden gleichermaßen geeignete, aber grundrechtsschonendere Maßnahmen zur Verfügung, weshalb die angeordnete Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß und der Beschluss mithin rechtswidrig war.

Bei der Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO muss aufgrund des damit für den Betroffenen einhergehenden intensiven Grundrechtseingriffs dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung getragen werden (BVerfG NJW 1966, 1603 (1607)). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet daher, nahe liegende gleichermaßen geeignete grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen der Maßnahme nach § 102 StPO vorzuziehen (BVerfG NStZ-RR 2006, 110). Eine Durchsuchungsmaßnahme muss aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher unterbleiben, wenn der Betroffene die im Beschluss konkret benannten Gegenstände freiwillig und vollständig herauszugeben bereit ist (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 102, Rn. 31). Gleichermaßen unterbleiben muss eine Durchsuchungsmaßnahme, wenn durch weniger einschneidende Maßnahmen, wie die Vernehmung von Zeugen oder die Beiziehung von Akten, der Durchsuchungszweck erreicht werden kann (BVerfG BeckRS 2005, 32877; BVerfG NJW 2009, 281 (282); OLG Dresden BeckRS 2008, 7878).

Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten erklärt, dass er bereit sei, sein Mobiltelefon und die am Tattag getragene Kleidung freiwillig herauszugeben. Diese im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 konkret genannten Gegenstände hätten somit durch freiwillige Übergabe von dem Beschuldigten erlangt werden können, ohne dass es einer polizeilichen Wohnungsdurchsuchung bedurft hätte. Sachliche Erwägungen, weshalb diese weniger einschneidende Maßnahme zurückgestellt wurde, sind nicht erkennbar. Die angeordnete Maßnahme war daher im Hinblick auf die Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons und der am Tattag getragenen Kleidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar.

Gleichermaßen unvereinbar mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz war die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten im Hinblick auf die Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und der Zeugin pp. Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten diesbezüglich erklärt, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei der Zeugin pp. aufzufinden seien. In Anbetracht dieser Aussage wäre es zunächst angezeigt gewesen, den konkreten Verbleib der Unterlagen durch Einvernahme der Zeugin pp. zu erforschen bzw. die freiwillige Herausgabe zu erwirken. Weiterhin bestand von Seiten der Ermittlungsbehörde, die hier insbesondere ein Interesse am Auffinden von Unterlagen zu familienrechtlichen Streitigkeiten hatte, die Möglichkeit der Aktenanforderung beim zuständigen Familiengericht. Die Ermittlungsbehörden wären daher angehalten gewesen, sich zu bemühen, zunächst durch weniger einschneidende Maßnahmen an die relevanten Unterlagen zu gelangen und die grundrechtsintensive Maßnahme der Wohnungs-durchsuchung zumindest zurückzustellen, insbesondere auch in Anbetracht des Um-standes, dass den Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und hinsichtlich des Tatverdachts der Vergewaltigung nur ein mittelbarer Beweiswert zukommt.

b) Der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist indes nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das allgemeine Willkürverbot rechtswidrig.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot liegt nicht bereits bei der zweifelsfrei fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts vor, sondern erfordert, dass eine zweifelsfrei einschlägige Norm nicht angewendet wurde oder deren Inhalt in erheblicher Weise missgedeutet wurde (BeckOK GG/Kischel, Art. 3, Rn. 84).

Wenngleich das Amtsgericht Dresden bei Auslegung und Anwendung des § 102 StPO die Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verkannt hat, wurde in Ermangelung eines Anfangsverdachts wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ein darauf gerichteter Durchsuchungsbeschluss ausdrücklich nicht erlassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Durchsuchungsbeschluss gleichwohl zur weiteren Erforschung eines etwaigen Betäubungsmitteldelikts erlassen wurde, sind nicht ersichtlich.“

Auslagen für Ausdruck des digitalen Datenträgers II?, oder: Ausnahmsweise ja zur Dokumentenpauschale

Heute morgen hatte ich den OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.09.2024 – Ws 649/24 – zum Ausdruck eines digitalen Datenträgers vorgestellt. Das OLG hatte den Anfall der Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG verneint. Hier habe ich nun den LG Köln, Beschl. v. 24.10.2024 – 104 Ks 76/23 -, derden Anfall der Dokumentenpauschale in Sonderfällen bejaht, und zwar:

„Der Rechtsanwältin steht nach RVG-VV-7000 die abgesetzte Dokumentenpauschale für Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte von 410,45 Euro zu, nämlich im Ermittlungsverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro und 926 Ausdrucke zu je 0,15 Euro sowie im Hauptverfahren 50 Ausdrucke zu je 0,50 Euro, 1.317 Ausdrucke zu je 0,15 Euro und 24 Farbausdrucke zu je 1,00 Euro. Hinzu kommt nach RVG-VV-7008 die anteilige Umsatzsteuer von 77,99 Euro. Daraus ergibt sich der erstattungsfähige Gesamtbetrag von 488,44 Euro.

Nach RVG-VV-7000 1a) fällt die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten für Kopien und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten nur an, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Dabei ist grundsätzlich ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10). Wird der Rechtsanwältin – wie hier – die komplette Verfahrensakte in digitalisierter Form zum weiteren Verbleib überlassen, sind Kosten für Ausdrucke daraus nach RVG-VV-7000 1a) vom Grundsatz her keine erforderlichen Auslagen im Sinne von §?46 Abs.?1 RVG (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.04.2018, 2 Ws 1/18, JurBüro 2018, 352). Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich, deren Voraussetzungen in der Kommentarliteratur umstritten sind (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage, RVG VV 7000, Rn. 10; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 62; Toussaint/Schmitt/Lang-Lendorff, 54. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 10; Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Ahlmann, 11. Aufl., RVG VV 7000, Rn. 8; HK-RVG/Ludwig Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 7000 Rn. 5; jeweils m.w.N.).

Auf die Einzelheiten dieses Meinungsstreits kommt es jedoch nicht an, weil der vorliegende Fall exemplarisch dafür ist, dass Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten waren: Die Akte bestand aus über 2.000 Blatt Hauptakten nebst Beweismittelheften und ganz überwiegend aus Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten; allein der Nebenkläger ist vor der Hauptverhandlung mehr als fünfmal, teilweise sehr umfangreich, vernommen worden; die Akte war äußerst unübersichtlich strukturiert; die erinnerungsführende Rechtsanwältin hat seit dem Ermittlungsverfahren wiederholt aktenkundige Aussagen von Zeugen und Beschuldigten synoptisch nebeneinander gestellt. Dazu war es erforderlich, Ausdrucke der zahlreichen aktenkundigen Aussagen von Zeugen und Beschuldigten ausgedruckt nebeneinanderzulegen und abzugleichen. Außerdem war es angesichts der Vielzahl wiederholter Vernehmungen für die Hauptverhandlung erforderlich, jeweils Ausdrucke aller aktenkundigen Aussagen eines Zeugen zu verwenden. Aus diesen Gründen des Einzelfalls war ausnahmsweise ein vollständiger Ausdruck der elektronischen Gerichtsakte zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache im Sinne von RVG-VV-7000 1a) geboten.

Ob die Ausdrucke aus der elektronischen Gerichtsakte daneben auch zur Unterrichtung des Auftraggebers notwendig waren (RVG-VV-7000 1c), kann dahinstehen.“

StPO III: Wirksames Einverständnis mit formloser Einziehung, oder: Einziehung beim sog. „Hawala-Banking“

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Und als dritte Entscheidung der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.10.2024 – 12 Qs 33/24 – , der zu den Grenzen der Wirksamkeit des Einverständnisses mit der formlosen Einziehung im laufenden Ermittlungsverfahren Stellung nimmt.

In dem Fall hatte die Polizei nach einer Überprüfung des Beschuldigten aufgrund telefonisch eingeholter staatsanwaltschaftlicher Anordnung beim Beschuldigten vorgefundenes Bargeld in Höhe von insgesamt 142.295 EUR und dessen Mobiltelefone sicher gestellt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth leitete dann gegen den Beschuldigten alsbald ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche ein.

Das AG hat die Beschlagnahme des Bargeldes gem. §§ 111b, 111j Abs. 1 Satz 1 StPO angeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig erhoben. Allerdings verweist die Staatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsverfügung darauf, dass sich der Beschuldigte unwiderruflich mit der formlosen Einziehung des Bargeldes einverstanden erklärt habe. Wäre diese Erklärung wirksam, könnte sich der Beschuldigte mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht mit Erfolg gegen die Beschlagnahme beschweren. Das ist jedoch nicht der Fall.

Richtig ist, dass ein Beschuldigter bereits im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung wirksam erklären kann, mit der formlosen Einziehung eines bei ihm sichergestellten Gegenstandes einverstanden zu sein. Diese Erklärung beinhaltet jedoch nicht den unwiderruflichen Verzicht auf Herausgabeansprüche (so noch BayObLG, Beschluss vom 08.07.1996 – 4 St RR 76/96, juris Rn. 8 ff.), sondern stellt lediglich eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung des Angeklagten – einen Antrag – an den Justizfiskus dar, diesem das Eigentum an dem sichergestellten Gegenstand zu übertragen, der vom Staat erst angenommen werden muss (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 15 ff.).

a) Hier ist schon kein wirksamer Antrag abgegeben worden. Es liegt ein vom Beschuldigten unterschriebenes Sicherstellungsprotokoll vor, das mehrere, von der Polizeibeamtin … am Computer vorgenommene Einträge und Ankreuzungen enthält. Der mit „Einverständnis des Betroffenen mit“ überschriebene Block besteht aus fünf Zeilen, in denen einzelne Maßnahmen aufgeführt sind und die jeweils mit anzukreuzenden Kästchen mit „ja“ und „nein“ abschließen. Bei der Maßnahme „Sicherstellung“ ist ein „nein“, bei der Maßnahme „unwiderrufliches Einverständnis des Betroffenen mit der formlosen Einziehung“ ist ein „ja“ angekreuzt. Diese beiden Ankreuzungen sind in sich widersprüchlich, weil danach der Beschuldigte einerseits zum Ausdruck gebracht haben soll, dagegen zu sein, dass die Polizei das Geld vorläufig an sich nimmt (Sicherstellung nein), andererseits aber dafür zu sein, das Eigentum an dem Geld aufzugeben (Einziehung ja). In sich widersprüchliche, perplexe Erklärungen sind nichtig (vgl. nur HK-BGB/Schulze, 12. Aufl., § 133 Rn. 14; Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl., § 133 Rn. 2).

Hielte man diesen Widerspruch im Wege der Auslegung gleichwohl für auflösbar, bliebe das Ergebnis gleich. Denn dann spräche alles dafür, die Bejahung der Einziehung als ein Versehen und damit nicht maßgeblich zu werten. In den weiteren polizeilichen Vermerken findet sich nämlich kein Widerhall eines Einziehungseinverständnisses und ein solcher wäre auch völlig lebensfremd. Nach Lage der Dinge und nach den zur Herkunft des Geldes vorgebrachten Erklärungen gäbe es für den Beschuldigten keinen nachvollziehbaren Grund, unmittelbar nach seiner Kontrolle einfach so auf 142.295 € zu verzichten. Beurteilte man, dies nur am Rande bemerkt, das polizeiliche Formular rein nach zivilrechtlichen Maßstäben, hielte die dortige Einziehungsregelung § 305c Abs. 1 BGB kaum stand.

Auf die vom Verteidiger namens des Beschuldigten erklärte Anfechtung seiner Willenserklärung (§§ 119, 123, 142 Abs. 1, § 143 BGB) kommt es aus Sicht der Kammer nach allem nicht mehr an.

b) Es fehlt auch eine Annahme vonseiten der Staatsanwaltschaft. In der Hauptverhandlung, in der sich der Angeklagte mit der formlosen Einziehung einverstanden erklärt, kann der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine korrespondierende Willenserklärung mit Wirkung für den Fiskus auch konkludent abgeben (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 23 ff.). Die dort geltenden Maßstäbe sind auf den hiesigen Fall aber nicht übertragbar. Eine Hauptverhandlung findet statt, nachdem das Ermittlungsverfahren durchgeführt, auf dessen Grundlage eine Anklage erhoben und vom Gericht zugelassen wurde. Dann ist nach übereinstimmender Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts eine tatsachenbasierte, überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben, die es rechtfertigt, mit dem Einverständnis des Angeklagten einen in dessen Eigentum stehenden (Vermögens)Gegenstand endgültig in die staatliche Sphäre zu überführen. Anders hier: Das Ermittlungsverfahren befindet sich an seinem Anfang, die Verdachtslage ist derzeit eher dünn und der Angeklagte ist mit der Weggabe der erheblichen Geldsumme nicht einverstanden. Hinzu kommt, dass es nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaft gehört, losgelöst von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen, Einnahmen zu generieren. Es wäre rechtsstaatlich mehr als befremdlich, würde man der Staatsanwaltschaft unterstellen – und ihr Verhalten entsprechend auslegen –, sie wolle, gleichgültig wie der Fall liegt, den Fiskus einfach nur auf Kosten derer bereichern, derer sie habhaft wird.

Dies vorweg geschickt ist festzustellen, dass eine ausdrückliche Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft der Akte nicht zu entnehmen ist. Der Hinweis in der Beschwerdevorlage ist im Lichte der vorstehenden Ausführungen nicht als Annahme auszulegen, auch deshalb nicht, weil er nicht gegenüber dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger abgegeben wurde (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insgesamt dürfte im Stadium des noch laufenden Ermittlungsverfahrens für die Bejahung einer konkludenten Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft, wenn überhaupt, nur in besonderen Konstellationen ein Anwendungsfall zu finden sein – bei Bargeld in erheblicher Höhe jedenfalls nicht.

2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg, die Beschlagnahme war aufzuheben.

Die Beschlagnahme gem. § 111b StPO darf angeordnet werden, um Gegenstände für eine etwaige spätere Einziehung zu sichern. Es handelt sich dabei um eine vorläufige Maßnahme im Ermittlungsverfahren, weshalb deren Anordnungsvoraussetzungen deutlich geringer sind als diejenigen im späteren gerichtlichen Einziehungsverfahren. Es reicht der Anfangsverdacht einer Straftat sowie eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des zu beschlagnahmenden Gegenstandes erfolgen wird (BGH, Beschluss vom 12.07.2007 – StB 5/07, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 111b Rn. 5, 6). An letzterem fehlt es.

a) Es besteht zwar der auf Tatsachen gestützte Anfangsverdacht einer Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO).

aa) Nach gegebenem Ermittlungsstand liegt ein von den Ermittlungsbehörden noch vertretbar bejahter (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.05.2022 – 12 Qs 24/22, juris Rn. 20) Anfangsverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte Geldgeschäfte in Form des sog. Hawala-Bankings betreibt und hierzu Bargeld von Kunden entgegennimmt und an sie auszahlt, was gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG strafbar wäre, weil der Beschuldigte offensichtlich über keine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG und keine Registrierung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 ZAG verfügt.

bb) Der Anfangsverdacht für die im angegriffenen Beschluss genannte Geldwäsche gem. § 261 StGB ist demgegenüber nicht begründet. Dafür, dass die möglicherweise vom Beschuldigten im Rahmen des Hawala-Banking eingesammelten Gelder ihrerseits aus rechtswidrigen Taten stammen, fehlen Anhaltspunkte. Die schlichte Behauptung leichtfertiger Geldwäsche (§ 261 Abs. 6 StGB) ohne eine tatsächliche Stütze hierfür wäre nicht tragfähig, weil das Hawala-Banking auch, und wohl überwiegend, legalen Zwecken dienen kann (vgl. Eggers/van Cleve, NZWiSt 2020, 426, 427). Rechtlich stünde, nimmt man den ZAG-Verstoß als hier mögliche Straftat an, zudem § 261 Abs. 7 StGB einer Strafbarkeit wegen Geldwäsche nach Lage des Falls entgegen.

b) Auf dieser Grundlage besteht allerdings keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des beschlagnahmten Geldes erfolgen kann.

aa) Sofern eine Strafbarkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG inmitten steht, sind die beim Beschuldigten sichergestellten mutmaßlichen Kundengelder des Hawala-Bankings als Tatobjekte i.S.d. § 74 Abs. 2 StGB zu werten (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 3 StR 403/20, juris Rn. 38). Bei diesen kommt die Einziehung nur dann in Betracht, wenn eine in § 74 Abs. 2 StGB genannte sondergesetzliche Ermächtigung besteht, was im Fall des ZAG-Verstoßes gerade nicht der Fall ist (vgl. BGH, aaO, Rn. 40).

Für eine tatsächliche Differenzierung dahingehend, dass es sich bei einem Teil des beschlagnahmten Geldes um Provisionen für den Beschuldigten handeln könnte, die nach §§ 73, 73c StGB als Taterträge eingezogen werden könnten (vgl. BGH, aaO, Rn. 34), fehlt es an Indizien.

bb) Eine Einziehung des Geldes als Beziehungsgegenstand (§ 261 Abs. 10 StGB) oder nach den §§ 73 ff., §§ 74 ff. StGB scheidet aus, sofern man die Geldwäsche als hier mögliche Straftat ansähe. Denn für die fehlt es derzeit an einem greifbaren Anfangsverdacht.

cc) Aus diesem Grund ist auch nicht damit zu rechnen, dass eine erweiterte selbständige Einziehung (§ 76a Abs. 4 StGB) in Betracht kommen könnte. Nach dieser Norm kann Vermögen von letztlich unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat und von einem subjektiven Verfahren eingezogen werden (vgl. Fischer, 71. Aufl., StGB, § 76a Rn. 9). Allerdings setzt die Vorschrift zumindest den Verdacht einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB voraus. Zu diesen zählt zwar die Geldwäsche (§ 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchstabe f StGB), nicht jedoch die Straftat nach dem ZAG.“

Wenn man auf dem Gehweg stolpert und fällt, oder: Verletzung der Verkehrssicherungspflicht?

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Im samstäglichen „Kessel Buntes“ heute dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen.

Ich starte mit dem LG Lübeck, Urt. v. 06.09.2024 – 10 O 240/23 – zur Verkehrssicherungspflicht bei einem Gehweg.

In dem Verfahren begehrt der Kläger von der Beklagten Schadensersatz wegen eines Unfalls auf einem Gehweg. Der Kläger hatte am Nachmittag des 25.09.2021 in Begleitung seiner Ehefrau den Gehweg der Holstenstraße in Lübeck benutzt. Der Kläger behauptet, er sei aus der Innenstadt kommend dort an einer mittig auf dem Gehweg herausstehenden Kante einer Gehwegplatte mit dem linken Fuß hängen geblieben und gestürzt. Die Gehwegplatte, an der er hängen geblieben sei, habe einen Niveauunterschied zwischen 1,00 und 2,5 cm zu den umliegenden Gehwegplatten aufgewiesen. Diese Schwelle habe er nicht wahrnehmen und erwarten können. Der Kläger meint, die beklagte Stadt habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Insbesondere seien an den Bereich um den Unfallort hohe Anforderungen bezüglich der Verkehrssicherungspflicht zu stellen, weil dieser Bereich als Haupteinfallstor zum Innenstadtbereich der Stadt Lübeck stark frequentiert sei. Die Beklagte hebt widersprüchliche Angaben des Klägers hinsichtlich seiner Laufrichtung hervor und meint, aus dem klägerischen Sachvortrag ergebe sich nicht, dass die streitgegenständliche Gehwegplatte für den Sturz des Klägers ursächlich gewesen sei. Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Dem Kläger ist es nicht gelungen, eine der Beklagten zurechenbare Verkehrssicherungspflichtverletzung darzulegen.

a) Jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der Dritten drohenden Gefahren geboten sind. Die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen richten sich nach der Art der jeweiligen Gefahrenquelle und den Umständen der Umgebung, in der sich die Gefahrenquelle befindet.

§ 10 Abs. 1 S. 2 StrWG-SH verlangt von dem Träger der Straßenbaulast, Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu unterhalten, wobei nach § 10 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StrWG-SH bei der Unterhaltung die Belange von älteren Menschen zu berücksichtigen sind. Daraus folgt, dass sich Straßen grundsätzlich nicht in einem einwandfreien Zustand befinden müssen und von ihnen mit Blick auf etwaige Unebenheiten eine Restgefahr ausgehen kann. Der Umfang der Sorge für die Verkehrssicherheit wird maßgeblich von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrswegs und seiner Bedeutung bestimmt (BGH vom 21.6.1979, Az. III ZR 58/78). Ein Verkehrssicherungspflichtiger hat in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (BGH vom 5.7.2012, Az. III ZR 240/11). Grundsätzlich muss der Straßenbenutzer sich den vorgefundenen Straßenverhältnissen anpassen (Reinert/Kümper, in: BeckOK BGB, 71. Ed. 1.8.2024, § 839 Rn. 70 mit Nachw.).

Weitergehende Sorgfaltsanforderungen folgen auch nicht daraus, dass § 10 Abs. 2 StrWG-SH anordnet, dass bei dem Bau und bei der Unterhaltung der Straßen die Belange von älteren Menschen zu berücksichtigen. Bei der Regelung handelt es sich um eine Orientierung für den Träger der Straßenbaulast und nicht um eine konkrete Qualitätsvorgabe mit Blick auf den Beschaffenheit von Gehwegen (so i.E. auch Röttger, SchlHA 2018, 82, 85).

b) Die von dem Kläger beschriebene Situation des Gehwegs stellt an der konkreten Stelle keinen Zustand dar, der dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis nicht genügt.

Dabei ist in Bezug auf die Frage, in welchem Umfang Fußgänger Unebenheiten und Niveauunterschiede auf Straßen, Plätzen und Gehwegen hinnehmen müssen, keine schematische Betrachtung unter Anwendung starrer Grenzen angezeigt, sondern es ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles zu prüfen, ob ein verkehrsunsicherer Zustand vorliegt (OLG Saarbrücken vom 26.11.2015, Az. 4 U 110/14; Röttger, SchlHA 2018, 82, 85 f.).

i) Dem klägerischen Vortrag lassen sich zu dem behaupteten Höhenunterschied der Gehwegplatten keine eindeutigen Angaben entnehmen.

Ursprünglich hat der Kläger vorgetragen, er sei aufgrund unebener Gehwegplatten ins Stolpern geraten. Zur näheren Darlegung hat er auf die Fotos in Anlagenkonvolut K 1 verwiesen (Bl. 5 d. A.). Aus diesem Vortrag hat sich kein konkreter Höhenunterschied ergeben. Im weiteren Verfahrensverlauf hat der Kläger vorgetragen, vor Ort seien Höhenunterschiede von 1,0 bis 1,5 cm festgestellt worden (Bl. 67, 105 f. d. A.). Zuletzt hat der Kläger unter Verweis auf die Fotografie in Anlage K 18 ausgeführt, er schätze einen Höhenunterschied von 2,0 bis 2,5 cm (Bl. 182 d. A.). Dieser Vortrag ist zu divergent und ungenau, als dass sich das Gericht auf dieser Grundlage eine Überzeugung von den Begebenheiten vor Ort verschaffen könnte.

ii) Selbst wenn man zugunsten des Klägers von einem Höhenunterschied der Gehwegplatten von bis zu 2,5 cm ausgeht, war mit Blick auf die Gesamtumstände kein pflichtwidriger Zustand des Gehwegs festzustellen.

(1) Die Rechtsprechung beurteilt die Pflichtwidrigkeit von Schäden an Gehwegen und unterschiedlicher Höhenniveaus im Fußgängerbereich mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls.

Für eine Fußgängerzone oder die nicht für den Kfz-Verkehr bestimmte Zuwegung zu einem Marktplatz wurde ein Niveauunterschied unter 2,00 bis 2,5 cm als erheblich angesehen (OLG Oldenburg vom 20.12.1985, Az. 6 U 72/85; OLG Hamm vom 16.10.2020, Az. 11 U 72/19), ebenso wie eine Asphaltkante von 3,00 cm, während mit absackenden Pflastersteinen eher zu rechnen ist (OLG Stuttgart vom 26.11.2020, Az. 2 U 437/19). Auf Gehwegen im Allgemeinen werden Niveauunterschiede von ca. 2 bis 3 cm regelmäßig akzeptiert (OLG Koblenz vom 26.7.2018, Az. 1 U 149/18; OLG Koblenz vom 23.6.2010, Az. 1 U 1526/09; OLG Frankfurt vom 10.2.2003, Az. 1 U 153/01). Entscheidend ist dabei jeweils, inwieweit Gehwegschäden für den Fußgängerverkehr mit Blick auf die örtlichen Begleitumstände erkennbar und ein Überqueren vermeidbar ist (vgl. auch BGH vom 5.7.2012, Az. III ZR 240/11). Eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflichtverletzung kann erst angenommen werden, wenn auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintritt und nicht rechtzeitig erkennbar ist (OLG Saarbrücken vom 26.11.2015, Az. 4 U 110/14).

(2) Ist ein Höhenunterschied von 2,5 cm auf einem Fußgängerweg damit im Ausgangspunkt noch hinnehmbar, oblag es der Klägerseite, weitergehende Anhaltspunkte vorzubringen, aus denen sich ein Überraschungsmoment oder ein anderer Umstand für den Kläger ergab, aufgrund dessen er den Niveauunterschied zwischen den Gehwegplatten bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte feststellen können.

Zwar hat die Klägerseite vorgetragen, bei der Holstenstraße handle es sich um das Haupteinfallstor vom Lübecker Bahnhof in die Altstadt. Die Straße sei hoch frequentiert (Bl. 70, 183 d. A.). Dies ist aus der eigenen Erfahrung des Gerichts grundsätzlich zutreffend. Daraus folgen aber nicht ohne Weiteres erhöhte Sorgfaltsanforderungen der Beklagten. Denn die Klägerseite hat daraus keine Ableitung für die Erkennbarkeit der Gehwegschäden gezogen. Sie hat insbesondere nicht vorgetragen, dass die Straße regelmäßig derart frequentiert ist, dass Fußgänger in einem gedrängten Verkehr den vor ihnen liegenden Gehweg nicht erkennen können (dahin OLG Schleswig vom 11.11.1999, Az. 11 U 136/98). Ein regelmäßig derart gedrängter Fußgängerverkehr ist auch dem Gericht nicht bekannt. Die Holstenstraße ist im unteren Bereich auch nicht durch eine Vielzahl ansprechender Schaufenster geprägt, die zu einer Ablenkung von Fußgängern führen würden.

Mit Ausnahme der Lichtverhältnisse (Bl. 5 d. A.) hat der Kläger keine konkreten Umstände vorgetragen, die aus seiner Perspektive dazu hätten führen können, dass der Höhenunterschied zwischen den Gehwegplatten nicht erkennbar gewesen wäre. Der Kläger hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass sich der gesamte Gehweg in einem schadhaften Zustand befunden habe, der ein Ausweichen vor etwaigen Gefahren unmöglich gemacht hätte (BGH vom 5.7.2012, Az. III ZR 240/11; Bl. 183 d. A.). Derartiges ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Lichtbildern (vgl. Anlagenkonvolut K 1, Anlagen K 13a, K 18).

c) Entgegen der klägerischen Ausführungen folgt allein aus dem Umstand, dass die Beklagte die streitgegenständliche Gehwegstelle nach dem behaupteten Unfallereignis instandgesetzt hat, nicht, dass sich die Stelle bis dahin in einem pflichtwidrigen Zustand befunden hat (OLG Koblenz vom 26.7.2018, Az. 1 U 149/18). Die Instandsetzung von Gehwegplatten ist gerade Teil der Wahrnehmung und Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten.“