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Verkehrsrecht I: Begriff des Unfalls bei der Unfallflucht, oder: Verkehrstypische Gefahr realisiert?

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Heute dann drei Entscheidungen mit „verkehrsrechtlichem Einschlag“.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 20.06.2024 – 4 StR 15/24 -, das in zweifacher Hinsicht interessant ist. Ich stelle es heute wegen des verkehrsrechtlichen Aspekts vor. Und zwar geht es u.a. noch einmal um den Begriff des Unfalls in § 142 StGB.

Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen versuchten Totschlags in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich begangenen Fällen sowie in Tateinheit mit Sachbeschädigung in fünf tateinheitlich begangenen Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung bestimmt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen sowie – unter Aufhebung des Teil-Freispruchs – wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.

Das LG hatte u.a. folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Zu Beginn des Jahres 2022 erfuhren der Angeklagte und das soziale Umfeld seiner Familie von dem außerehelichen Verhältnis seiner Mutter zu dem späteren Geschädigten I. Wegen der damit aus Sicht des Angeklagten verbundenen Herabwürdigung seines Vaters sah er hierin eine Kränkung der Familienehre. Zudem kam es infolge der außerehelichen Beziehung zu fast täglichen Streitigkeiten der Eltern, die den Angeklagten sehr belasteten. Ende 2022 teilte er dem Geschädigten, dem er die alleinige Verantwortung für das Liebesverhältnis mit seiner Mutter zuwies, mit, dass dieser keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen solle, anderenfalls würde es „schlimm“ für ihn werden.

Am Abend des 2. Januar 2023 war der Angeklagte mit dem auf seinen Vater zugelassenen Pkw Fiat Stilo in A. unterwegs. Als er sich auf dem Heimweg befand und soeben die D.    straße passierte, bemerkte sein Beifahrer, der ebenfalls um die Affäre wusste, den späteren Geschädigten. Dieser lief auf dem linksseitigen Gehweg in Begleitung der späteren Geschädigten H. – dabei miteinander scherzend – in Fahrtrichtung des Angeklagten. Auf die Frage seines Beifahrers, ob er gesehen habe, wer da sei, hielt der Angeklagte augenblicklich an und setzte das Fahrzeug zurück. Dabei erkannte er zwischen den am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugen den Geschädigten. Dieser nahm den rückwärtsfahrenden Pkw wahr und ging davon aus, dass der Fahrer auf der Suche nach einem Parkplatz sei. Vor dem Beginn eines abgesenkten Bordsteins bremste der Angeklagte sein Fahrzeug erneut ab, legte den ersten Gang ein und trat das Gaspedal vollständig durch. Er fuhr in einer S-Kurve über den abgesenkten Bordstein auf den dort 4,1 Meter bis 4,7 Meter breiten Gehweg. Spätestens jetzt erkannte er im Scheinwerferlicht auch die neben dem Geschädigten auf der linken, der Hauswand zugewandten Seite des Bürgersteiges gehende Geschädigte H. Obgleich sein Beifahrer ihm noch zurief, er solle es nicht tun, fuhr der Angeklagte mit weiterhin vollständig durchgedrücktem Gaspedal von hinten auf die Geschädigten zu. Hierbei heulte der Motor – wie dem Angeklagten bewusst war – deutlich wahrnehmbar auf. Trotz des nun auch von der Geschädigten H. vernommenen Motorengeräuschs drehte sich diese nicht um. Schließlich kollidierte der vom Angeklagten gesteuerte Pkw bei einer Geschwindigkeit von 38 km/h nach circa 21 Metern auf dem Bürgersteig ungebremst mit den Geschädigten. Dabei beabsichtigte er, den Liebhaber seiner Mutter mit dem Pkw zu treffen und ihn hierdurch erheblich zu verletzen. Dessen Tod sowie den Tod oder erhebliche Verletzungen dessen Begleiterin nahm der Angeklagte billigend in Kauf. Mit dem mittigen Frontbereich prallte er gegen den linken Unterschenkel des Geschädigten I. Das linke Drittel der Stoßstange stieß gegen die rechte Wade der Geschädigten H. Mit der rechten Fahrzeugseite touchierte der Pkw zugleich einen am Fahrbahnrand geparkten Pkw. Während die Geschädigte sich nach einem kollisionsbedingten Sturz in Richtung Hauswand rasch wieder aufrichten und schreiend dem Fahrzeug hinterherlaufen konnte, wurde der Geschädigte I. infolge des Anpralls rücklings auf die Motorhaube aufgeladen und seine Füße wurden bis auf das Fahrzeugdach geschleudert. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, so dass diese zerbarst. Nach einer Fahrstrecke von mindestens 13 Metern auf dem Fahrzeug des Angeklagten stürzte der Geschädigte auf die Motorhaube eines am Fahrbahnrand abgestellten Pkw und von dort auf den Gehweg. Der Angeklagte fuhr danach weiter und insgesamt circa 50 Meter auf dem Bürgersteig. Hierbei verursachte er Sachschäden an fünf Fahrzeugen in Höhe von insgesamt circa 12.000 €. Als er sein Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn zurücksetzte, nahm er im Rückspiegel noch den auf dem Gehweg liegenden Geschädigten wahr. Obwohl er um die potentiell tödlichen Verletzungen der beiden Geschädigten und die Fahrzeugschäden wusste, entfernte er sich von der Kollisionsstelle, ohne sich Gewissheit über deren Zustand und die Folgen seines Handelns zu verschaffen. Der Geschädigte I.  erlitt infolge des Zusammenstoßes Hautabschürfungen und -unterblutungen, einen Teilabriss der linken Ohrmuschel und eine Verletzung am linken Zeh, die sämtlich folgenlos ausheilten. Die Geschädigte H.     zog sich ein Hämatom an der Außenseite des rechten Unterschenkels zu.“

Das LG hat die Tat als versuchten Totschlag in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls, gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Sachbeschädigung in fünf rechtlich zusammentreffenden Fällen gewertet, darauf komme ich noch einmal zurück. Vom (tatmehrheitlichen) Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat die Jugendkammer den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es handele sich bei dem Kollisionsgeschehen nicht um einen Unfall im Straßenverkehr im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB. Das gesamte Schadensereignis stelle nicht die Auswirkung eines allgemeinen Verkehrsrisikos dar, sondern sei einer vom Angeklagten deliktisch geplanten Kollision seines Fahrzeugs mit dem Geschädigten I. geschuldet.

Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die – auch – insoweit Erfolg hatte:

„2. Auch der Teil-Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat keinen Bestand; insoweit hat die Jugendkammer zu Unrecht das Vorliegen eines Unfalls im Straßenverkehr verneint und deshalb den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB als nicht erfüllt angesehen.

a) Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängendes Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Der Kennzeichnung eines solchen Geschehens als Verkehrsunfall steht nicht entgegen, dass ein daran Beteiligter es vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden entstanden ist. Dann handelt es sich mindestens für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2001 – 4 StR 233/01, BGHSt 47, 158, 159 mwN und vom 27. Juli 1972 – 4 StR 287/72, BGHSt 24, 382, 383 mwN). Zudem setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ einen verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang in der Weise voraus, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen. Eine solche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich das Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Auswirkung einer deliktischen Planung, wie sie an beliebigen anderen Orten mit beliebigen anderen Mitteln auch durchführbar wäre, darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2001 – 4 StR 233/01 aaO mwN).

b) Danach liegt es nahe, dass sich jedenfalls in den Kollisionen mit den geparkten Fahrzeugen verkehrstypische Gefahren realisiert haben. Denn der Angeklagte hat den Pkw insoweit nicht mehr (ausschließlich) als Tatwaffe benutzt. Der in der Folge entstandene Sachschaden könnte als Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos verstanden werden und damit zum Begriff des Verkehrsunfalls gehören.“

Strafe III: Verfahrensverzögerung in der Revision, oder: LG bummelt, GBA arbeitet schnell

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas zur Verfahrensverzögerung und zur Berücksichtigung bei der Strafzumessung – oder auch nicht. Dazu der BGH im BGH, Beschl. v. 13.08.2024 – 5 StR 388/24:

„Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen besonders schwerer Vergewaltigung und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision führt lediglich zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Revisionsverfahrens und erweist sich im Übrigen als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Es ist im Revisionsverfahren zu einer Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) gekommen. Dem liegt Folgendes zugrunde: Gegen das nach sieben Hauptverhandlungstagen in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil vom 1. August 2023 hat der Beschwerdeführer mit am 2. August 2023 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt, den Antrag auf Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer gestellt und dies mit der Rüge einer Verletzung materiellen Rechts begründet. Nach Urteilszustellung am 17. Oktober 2023 und zweimaliger Sachstandsanfrage der Staatsanwaltschaft Berlin ist dieser die Revisionsbegründung erst am 25. Juni 2024 nach § 347 Abs. 1 Satz 1 StPO zugestellt worden. Eine Förderung des Revisionsverfahrens fand in der Zwischenzeit nicht statt. Der Beschwerdeführer befand sich – mit zweitägiger Unterbrechung wegen Erzwingungshaft – aufgrund des Haftbefehls der Kammer vom 1. August 2023 während der gesamten Dauer des Revisionsverfahrens in Untersuchungshaft.

Damit ist das Revisionsverfahren nach Ablauf der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht hinreichend gefördert worden, obwohl es sich um eine Haftsache handelte. Der Senat hat diese Verzögerung auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen, weil sie nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2023 – 5 StR 349/23 mwN). Rechtfertigende Gründe für die eingetretene Verzögerung sind aus den Akten nicht ersichtlich. Soweit über die Voraussetzungen einer möglichen Haftverschonung verhandelt wurde, hätte dies gegebenenfalls anhand zu fertigender Doppelakten geschehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2008 – 3 StR 376/07, NStZ-RR 2008, 208).

Zur Kompensation genügt hier deren Anerkennung durch eine entsprechende Feststellung, weil das Ausmaß der Verzögerung durch die ausgesprochen zügige Bearbeitung der Revisionssache beim Generalbundesanwalt deutlich gemildert worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2023 – 5 StR 349/23 mwN) und der Verteidiger des Angeklagten selbst um eine zweiwöchige Verfristung gebeten hatte, um die Frage einer möglichen Revisionsrücknahme zu klären.“

Strafe II: Belastendes Fehlen eines Milderungsgrundes, oder: So nicht

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Und die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 01.08.2024 – 4 StR 2/24 -, betrifft einen Klassiker im Rahmen der Strafzumessung, also einen Punkt, der immer wieder falsch gemacht wird, und zwar:

Das LG hat die Angeklagten jeweils wegen „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg hatte:

„2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat neben anderen Zumessungskriterien zu Lasten des Angeklagten B.   gewertet, dass er für den bewusstlos am Boden liegenden Nebenkläger keine Hilfe gerufen, sondern sich aus der Straßenbahn entfernt habe.

Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn sie lässt besorgen, dass die Kammer – rechtsfehlerhaft – das Fehlen eines möglichen Strafmilderungsgrundes zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 – 4 StR 45/20 Rn. 4). Das Herbeiholen ärztlicher Hilfe für das Opfer ist regelmäßig strafmildernd zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1994 – 3 StR 311/94 Rn. 2). Umgekehrt darf aber nicht ohne weiteres strafschärfend berücksichtigt werden, dass eine solche Bemühung unterblieben ist (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 806; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 40). Die Formulierung der Kammer lässt sich auch nicht, anders als der Generalbundesanwalt meint, als bloße Bekräftigung für die strafschärfende Berücksichtigung der konkret eingetretenen Lebensgefahr begreifen.

Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese fehlerhafte Erwägung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte, und hebt daher den Strafausspruch auf. Da der Rechtsfehler nur die rechtliche Bewertung der festgestellten Strafzumessungstatsachen betrifft, können die getroffenen Feststellungen zu den Strafaussprüchen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

b) Die Aufhebung im Strafausspruch war auf den Mitangeklagten C.   zu erstrecken (§ 357 StPO). Der Mitangeklagte C.   ist wegen derselben Tat wie der verbliebene Revident verurteilt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2024 – 2 StR 30/22 Rn. 31). Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung auch zu seinen Lasten gewertet, dass dieser für den bewusstlos am Boden liegenden Nebenkläger keine Hilfe gerufen, sondern sich aus der Straßenbahn entfernt habe, so dass auch eine Gleichartigkeit der Rechtsverletzung gegeben ist. Die Regelung der Revisionserstreckung gilt auch für einen Angeklagten, der zwar zunächst Revision eingelegt, diese aber zurückgenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – 1 StR 51/96, NJW 1996, 2663, 2665).“

Strafe I: Umfassendes Verwertungsverbot aus § 51 BZRG, oder: Ausnahmen nur in sehr eng begrenzten Fällen

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Und heute dann eine wenig StPO, und zwar drei BGH-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 10.04.2024 – 5 StR 96/24 -zum Verwertungsverbot von Vorstrafen. Der Angeklagte ist mit Urteil vom 26.06.2002 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH mit Urteil vom 07.05.2003 (5 StR 556/02) das Urteil im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Feststellungen hat der BGH aufrechterhalten. Das neue Tatgericht hat den Angeklagten – er war etwa zwanzig Jahre lang unbekannten Aufenthalts und hatte sich dem Strafverfahren entzogen – nunmehr auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs mit Urt. v. 3.11.2023 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bliebt ohne Erfolg:

„2. Soweit das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch durch Bezugnahme bei der Strafzumessung im engeren Sinne strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft war und die Warnfunktion der letzten Verurteilung vom 12. Juni 2001 ignorierte, erweist sich dies als rechtsfehlerhaft.

a) Bei Erlass des Urteils vom 26. Juni 2002 enthielt der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten drei Eintragungen. Zuletzt war er vom Amtsgericht Darmstadt am 12. Juni 2001 zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden, wobei die Bewährungszeit bis zum 31. Juli 2003 dauerte. Die Taten (jeweils Handeltreiben mit Heroin) beging er zwischen September und Ende Dezember 2001 (Tat 1) und am 14. Januar 2002 (Tat 2). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem neuen Tatgericht und dem Erlass des Urteils vom 3. November 2023 enthielt der Bundeszentralregisterauszug nach den Feststellungen keine Eintragungen mehr.

b) Der strafschärfenden Berücksichtigung von Vorstrafen und der Missachtung der Warnfunktion der letzten Verurteilung vom 12. Juni 2001 steht das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG jetzt entgegen, was der Senat auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1973 – 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100, 101 f.; Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 – 2 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 120; vom 29. Oktober 2015 – 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; vom 2. Februar 2023 – 4 StR 453/22 mwN).

aa) Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 BZRG begründet ein umfassendes Verwertungsverbot (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2021 – 4 StR 528/20, NStZ-RR 2021, 187, 188 f.; vom 28. August 2012 – 3 StR 309/12, NJW 2012, 3591; betreffend die von einer Vorverurteilung ausgehende Warnfunktion: BGH, Beschluss vom 12. Januar 1990 – 3 StR 407/89). Dies hat die Strafkammer nicht beachtet.

bb) Das Verwertungsverbot durfte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die im Ausgangsurteil vom 26. Juni 2002 getroffenen Feststellungen mit der Entscheidung des Senats vom 7. Mai 2003 bindend geworden sind. Insoweit gilt:

Hebt das Revisionsgericht ein Urteil auf, haben die Feststellungen aber Bestand, weil diese nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), ist das Tatgericht im weiteren Verfahren an diese Feststellungen gebunden. Es darf sie zwar noch ergänzen; die ergänzenden Feststellungen dürfen den bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen. Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben (vgl. zur innerprozessualen Bindungswirkung BGH, Beschlüsse vom 3. November 1998 – 4 StR 523/98, BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 1; vom 23. September 2009 – 5 StR 314/09; Urteile vom 12. Mai 2021 – 5 StR 4/21, NStZ 2021, 628 mwN; vom 14. Januar 1982 – 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340 f.; LR/Franke, 26. Aufl., § 353 Rn. 32 f.).

Aufgrund der nach dieser Maßgabe bindenden Feststellungen steht fest, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft war, die Taten während des Laufs der Bewährung beging und die Warnfunktion der letzten Verurteilung vom 12. Juni 2001 ignorierte. Die ergänzende Feststellung, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des neuen Tatgerichts alle Vorstrafen aus dem Bundeszentralregister getilgt waren, steht dazu nicht in Widerspruch. Sie bezieht sich auf einen späteren Zeitpunkt, mithin eine nach Erlass des Ausgangsurteils eingetretene Veränderung.

Trifft das neue Tatgericht zulässig solche ergänzenden, den bisherigen nicht widersprechenden Feststellungen, ist es an die sich hieran anknüpfenden Rechtsfolgen, wie hier das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, gebunden, so dass getilgte Vorstrafen und die von ihnen ausgehende Warnwirkung nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten strafschärfend verwertet werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1990 – 3 StR 407/89).

3. Die Strafe kann gleichwohl Bestand haben. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts, zu dem sich der Angeklagte nicht verhalten hat, hält der Senat sowohl die dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommenen Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Fall 1) und zwei Jahren und sechs Monaten (Fall 2) als auch die hieraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe für angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a StPO.“

StPO II: Nachbessern mangelhafter Verfahrensrügen?, oder: Wiedereinsetzungsantrag im Zweifel unzulässig

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Als zweite Entscheidung kommt hier der BGH, Beschl. v. 5 StR 218/24.

Der Verteidiger hatte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge gestellt. Der BGH hat den Antrag als unzulässig verworfen:

Das ist dem Verteidiger des Angeklagten am zugestellt worden. Mit der am beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung hat der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Nach Zustellung der Zuschrift des Generalbundesanwalts hat der Verteidiger des Angeklagten mit dem am beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Beifügung von Dokumenten zur Begründung der erhobenen Verfahrensrüge beantragt.

b) Der Antrag ist nicht zulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt allenfalls in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 4 StR 103/21, NStZ 2022, 250; vom 2 StR 267/20, NStZ 2021, 753 f.; vom 5 StR 505/19; vom 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316 f., jeweils mwN). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.

Der Verteidiger des Angeklagten hat die Revision frist- und formgerecht begründet und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt. Seine Wiedereinsetzung zielt allein auf Ausbesserung der in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigten Mängel seiner nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Begründung der Verfahrensrüge. Dies ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist allerdings unzulässig. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen.“