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StPO II: Zulässige Beschlagnahme eines Briefes?, oder: Potenzielle Beweisbedeutung

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Und dann vom BGH der BGH, Beschl. v. 29.05.2024 – StB 24/24 -zur Beweisbedeutung in Zusammenhang mit der Beschlagnahme.

Gegen den Beschuldigten ist Anklage u.a. wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB erhoben worden. Das OLG hat einen Brief an den Angeklagten gemäß §§ 94, 96 StPO beschlagnahmt, weil das Schreiben als Beweismittel von Bedeutung sein könnte. Der Staatsschutzsenat hat angeordnet, dass eine beglaubigte Ablichtung zu den Akten genommen und das Original in den Postweg gegeben wird. Gegen den Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Die hatte keinen Erfolg:

„Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 Variante 6, § 306 Abs. 1 und 2 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine richterliche Beschlagnahme gemäß §§ 94, 98 StPO liegen vor. Dem Inhalt des Briefes kommt insgesamt eine potenzielle Beweisbedeutung zu.

1. Ein Gegenstand hat dann potenzielle Bedeutung als Beweismittel, wenn die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, ihn im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden (BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2018 – StB 13/18, StV 2021, 558 Rn. 6; vom 11. Januar 2024 – StB 75/23, NStZ-RR 2024, 82). Diese Voraussetzungen liegen aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung vor, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. In dem beschlagnahmten Brief identifizierte die Verfasserin den Angeklagten auf einem in einem Presseartikel veröffentlichten Bild als Teilnehmer eines Treffens mit weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Vereinigung am 9. September 2022 in der Nähe von K. Das Schreiben könnte somit als Indiz zu der Überzeugung beitragen, dass der Angeklagte bei dieser Zusammenkunft anwesend war. Der Brief hat auch im Übrigen Beweisbedeutung. Denn aus seinem Inhalt wird ersichtlich, dass die Verfasserin dem Angeklagten besonders nahesteht und es deshalb gerade ihr möglich ist, ihn zu identifizieren. Das aus dem Schreiben ersichtliche Näheverhältnis zwischen beiden ist daher ebenfalls relevant (zu den Unterschieden zwischen einem wissenschaftlichen Einzelvergleich anthropologisch-morphologischer Merkmale und einem laienhaften Wiedererkennen vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2005 – 1 StR 91/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 19 mwN; vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20 u.a., juris Rn. 89; Beschluss vom 19. Dezember 2023 – 3 StR 160/22, NStZ 2024, 312 Rn. 85).

2. Die Beschlagnahmeanordnung entspricht zudem unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Angeklagten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme ist mit Blick auf die weiteren in der Anklageschrift genannten Beweismittel zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich. Insbesondere stellt die Fertigung einer Ablichtung des Schreibens ein milderes Mittel als die Beschlagnahme des Originaldokuments dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281, 282; BGH, Beschluss vom 9. Januar 1989 – StB 49/88 u.a., BGHR StPO § 94 Verhältnismäßigkeit 1). Zudem steht der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. September 1991 – 2 BvR 279/90, NJW 1992, 551, 552). Entgegen dem Beschwerdevorbringen begründet ferner die unterbliebene Schwärzung der weiteren Passagen nicht die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche teilweise Unkenntlichmachung aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten sein kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 5. Dezember 1977 – 1 Ws 1309/77, NJW 1978, 601), kann hier dahinstehen. Denn das aus dem gesamten Inhalt des Briefes erkennbare Näheverhältnis zwischen der Verfasserin und dem Angeklagten hat, wie oben dargelegt, Beweisbedeutung.

Die Beschlagnahmeanordnung verletzt den Angeklagten überdies nicht in seinem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht auf Wahrung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 1973 – 2 BvR 701/72, BVerfGE 35, 35, 39 f.). Denn der Inhalt des Briefes geht nicht über allgemeine Zuneigungsbekundungen hinaus und berührt weder die Intimsphäre des Angeklagten noch der Verfasserin.“

StPO III: Umfang der Verständigungs-Mitteilungspflicht, oder: Allein Ergebnismitteilung reicht nicht

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 12.06.2024 – 6 StR 532/23 – zum „Dauerbrenner“ Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO.

Das LG hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung in 29 Fällen  verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten hate mit der Rüge einer Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO Erfolg:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Vorsitzende der Strafkammer erörterte bereits vor Beginn der Hauptverhandlung mit der zuständigen Dezernentin der Staatsanwaltschaft deren Straferwartung hinsichtlich des Angeklagten und fertigte darüber am 7. Februar 2022 einen Vermerk. Auf seine Anregung hin fanden im Anschluss an den ersten Sitzungstag Verständigungsgespräche mit dem Angeklagten und den Mitangeklagten statt, die er am 20. und 26. April 2022 dokumentierte. Der Angeklagte stimmte dem Verständigungsvorschlag vom 2. Mai 2022 nicht zu, der für ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und sechs Monaten vorsah. Nachdem das Verfahren gegen die Mitangeklagten abgetrennt worden war, unterbreitete die Verteidigung am 1. August 2022 für den Angeklagten einen Verständigungsvorschlag, der eine bewährungsfähige Strafe zum Inhalt hatte. Die Strafkammer und die Staatsanwaltschaft lehnten diesen außerhalb der Hauptverhandlung ab. In der Folge wurde diese wegen der Erkrankung einer Schöffin ausgesetzt. Die getrennten Verfahren wurden wieder zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

Am ersten Tag der neu angesetzten Hauptverhandlung, dem 6. Dezember 2022, legte der Vorsitzende hinsichtlich der bisherigen Verständigungsgespräche den Inhalt der Vermerke vom 7. Februar, 20. und 26. April 2022 sowie des Beschlusses vom 2. Mai 2022 dar. Er informierte jedoch zu keiner Zeit über die Verständigungsbemühungen des Angeklagten vom 1. August 2022 und die sich anschließende Kommunikation. Die Sitzung vom 6. Dezember 2022 wurde sodann wegen neuerlicher Verständigungsgespräche unterbrochen, an denen zunächst die Strafkammer, die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger, zuletzt auch die Angeklagten teilnahmen. In dem Verständigungsgespräch äußerte der Verteidiger des Angeklagten seine Vorstellungen hinsichtlich einer zur Bewährung aussetzungsfähigen Gesamtfreiheitsstrafe. Zudem regte er im Hinblick auf zahlreiche Fälle eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO gegen Zahlung von 20.000 Euro an. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft trat diesem Vorschlag ebenso entgegen wie die Strafkammer. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung verkündete der Vorsitzende einen Beschluss, mit dem den Mitangeklagten Verständigungsangebote unterbreitet wurden, die diese annahmen; Angaben zum Angeklagten enthielt der Beschluss nicht. Der Vorsitzende informierte den Angeklagten lediglich darüber, „dass eine aussetzungsfähige Gesamtstrafe derzeit für ihn nicht in Betracht“ komme. Im Protokoll heißt es hierzu: „Der Vorsitzende teilte den Verlauf und das Ergebnis des Verständigungsgesprächs mit. Der Vorsitzende verkündete einen Beschluss, der als Anlage 1 zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde.“

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist auch begründet.

a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende des Gerichts mitzuteilen, ob Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Die Mitteilungspflicht dient der Transparenz und Dokumentation des mit einer Verständigung verbundenen Geschehens. Um dem Transparenzgebot gerecht zu werden, ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört in der Regel, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob sie bei ihnen auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. August 2023 – 3 StR 93/23, NStZ 2024, 125; vom 15. Juli 2020 – 2 StR 526/19, Rn. 10, NStZ 2021, 506; vom 10. Januar 2017 – 3 StR 216/16, Rn.14, NStZ 2017, 363, 364). Die Mitteilungspflicht besteht auch dann, wenn eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO letztlich nicht zustande kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – 5 StR 115/20, Rn. 9, NStZ 2020, 751, 752).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht seine Informationspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO jedenfalls dadurch verletzt, dass dem Angeklagten nur das Ergebnis des ihn betreffenden, am 6. Dezember 2022 geführten Verständigungsgesprächs bekannt gegeben worden ist, nicht aber der von der Verteidigung unterbreitete Vorschlag und die Reaktionen seitens Staatsanwaltschaft und Gericht.

b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), zumal sich der Angeklagte nach dem gescheiterten Verständigungsgespräch teilgeständig eingelassen hat. Das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 StPO kann nach dem um normative Kriterien angereicherten verfassungsrechtlichen Beruhensbegriff im Einzelfall nur ausgeschlossen werden, wenn die Gesetzesverletzung sich nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann, mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzeswidrigen Absprache gerichtet waren (vgl. BVerfG, NJW 2013, 1058, Rn. 97 f.; BverfG, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 284/22; vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355; Niemöller, NStZ 2015, 489).

Danach kann offen bleiben, ob der Strafkammer ein (weiterer) durchgreifender Rechtsfehler dadurch unterlaufen ist, dass der Vorsitzende nach Neubeginn der Hauptverhandlung nicht über den in der vorangegangenen ausgesetzten Hauptverhandlung unterbreiteten Verständigungsvorschlag vom 1. August 2022 informiert hat (vgl. zur Mitteilungspflicht BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 1 StR 153/19, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 10).“

StPO II: Fehlerträchtige Entfernung aus der HV, oder: Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen

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Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Im zweiten Posting dann der BGH, Beschl. v. 15.05.2024 – 6 StR 111/24 – zu dem recht fehlerträchtigen § 247 StPO – also Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung.

Dazu war auch hier ein Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht worden, aber ohne Erfolg:

„1. Der Erörterung bedarf nur die auf einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO gestützte Verfahrensrüge.

a) Das Landgericht hatte den Angeklagten während der Vernehmung des Nebenklägers nach § 247 Satz 1 StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt. Anschließend wurde dem Angeklagten in Abwesenheit des Nebenklägers der Inhalt der Aussage mitgeteilt. Nach einer darauffolgenden Unterbrechung erklärte einer der beiden Verteidiger des Angeklagten, dass die Verteidigung keine Fragen mehr an den Nebenkläger habe. Sodann verließ der Angeklagte erneut den Sitzungssaal. In Abwesenheit des Angeklagten wurde der Nebenkläger im allseitigen Einvernehmen entlassen.

b) Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte unter Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO von der Verhandlung über die Entlassung des Nebenklägers ausgeschlossen gewesen sei.

2. Die Rüge ist unbegründet.

a) Zwar ist die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Die währenddessen fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 Satz 1 oder 2 StPO entfernten Angeklagten ist deshalb regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, Rn. 19 mwN). Dies gilt aber nicht, wenn der Angeklagte – nachdem er von dem Inhalt der Aussage des Zeugen unterrichtet worden ist – auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, aaO, Rn. 25; vom 19. August 1998 – 3 StR 290/98, Rn. 4; KK/Diemer, StPO, 9. Aufl., § 247 Rn. 7).

b) So liegt der Fall hier. Insoweit kann offenbleiben, ob von dem Inhalt des Protokolls nach Durchführung des Berichtigungsverfahrens auszugehen ist, wonach der Verteidiger des Angeklagten erklärte, dass die Verteidigung und der Angeklagte keine Fragen mehr an den Zeugen hätten. Bereits die ursprünglich protokollierte Erklärung des Verteidigers, „die Verteidigung“ habe keine Fragen mehr an den Zeugen, enthielt einen wirksamen Verzicht des Angeklagten.

Nach der von der Revision insoweit unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Vorsitzenden Richterin in ihrer im Rahmen des Protokollberichtigungsverfahrens abgegebenen dienstlichen Stellungnahme hatten die Verteidiger bereits in Abwesenheit des Angeklagten Gelegenheit, den Nebenkläger zu befragen; die im Anschluss an die Information des Angeklagten über den Vernehmungsinhalt angeordnete Unterbrechung diente ausschließlich dazu, den Verteidigern und dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, darüber zu beraten, ob dieser weitere Fragen an den Nebenkläger hatte. Die sich hieran anschließende Mitteilung, dass „die Verteidigung“ keine Fragen mehr an den Zeugen habe, kann daher nur dahin verstanden werden, dass sie auch im Namen des Angeklagten abgegeben wurde.

Der Verteidiger ist berechtigt, eine solche Erklärung mit Wirkung für den anwesenden Angeklagten abzugeben. Selbst in Fällen, in denen das Gesetz die Wirksamkeit einer seitens des Verteidigers im Namen des Angeklagten abgegebenen Prozesserklärung an dessen ausdrückliche Ermächtigung knüpft, ist anerkannt, dass sich die Ermächtigung auch aus dem konkludenten Verhalten des Angeklagten ergeben kann und hierfür regelmäßig genügt, dass er der in seiner Gegenwart abgegebenen Erklärung des Verteidigers nicht widerspricht (vgl. zu § 302 Abs. 2 StPO: BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 1/02, NStZ 2002, 496; vom 21. Juni 1967 – 2 StR 291/67, GA 1968, 86; RGSt 77, 368, 369; RG HRR 1930, Nr. 1572; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Oktober 2009 – 3 Ss 422/09, Rn. 8; zustimmend: KK/Paul, StPO, 9. Aufl., § 302 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 302 Rn. 28; ablehnend: LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 93; SK-StPO/Frisch, 6. Aufl., § 302 StPO, Rn. 71; MüKoStPO/Allgayer, StPO, 2. Aufl., § 302 Rn. 43; Radtke/Hohmann/Radtke, StPO, § 302 Rn. 52). Dies gilt erst recht, wenn das Gesetz – wie hier – keine besonderen Anforderungen an die Ermächtigung des Verteidigers stellt. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob das Protokollberichtigungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde.“

StPO I: Hinweispflicht nach Veränderung der Sachlage, oder: Hinweispflicht verletzt?

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Heute dann ein Bisschen zur StPO, und zwar dreimal vom BGH,.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 10.04.2024 – 5 StR 85/24 – zur Hinweispflicht nach § 265 StPO. Der Angeklagte hatte sich an einer körperlichen Auseinandersetzung beteiligt, bei der das Opfer durch Messerstiche getötet wurde. Im Vorfeld hatte sich der Zeuge B. mit dem Opfer zu einem Kampf verabredet und sich mit einem Küchenmesser bewaffnet. Der Angeklagte und andere Freunde begleiteten B. zum Treffpunkt. Während des Kampfes griff der Angeklagte das Opfer zuerst an, woraufhin B. das Opfer mit dem Messer verletzte, was letztlich zu dessen Tod führte.

Das LG Berlin verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 227 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte wurde als Mittäter angesehen, da er die Handlungen von B. unterstützte und billigte, insbesondere im Wissen um die Bewaffnung und die Todesdrohung von B.

Mit seiner Revision hat der Angeklagten eine Verletzung der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StPO gerügt, allerdings ohne Erfolg:

„Die Verfahrensbeanstandung, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StPO rügt, hat keinen Erfolg.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

a) Mit Anklageschrift vom 26. Juli 2022 war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, nach wechselseitigen Schlägen im Rahmen einer verabredeten körperlichen Auseinandersetzung, mit bedingtem Tötungsvorsatz den am Boden liegenden Geschädigten mindestens zweimal massiv mit einem Messer in den Oberkörper gestochen zu haben, wobei ein Stich das Herz traf und zum Tod führte. Nach dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergebe sich gegen den am Tatort ebenfalls anwesenden Zeugen B.    , obgleich er sich durch seinen Verteidiger dahingehend eingelassen habe, in Richtung des Geschädigten gestochen und diesen gegebenenfalls auch verletzt zu haben, kein dringender Tatverdacht. Nach den Angaben anderer Zeugen sei eine Einwirkungsmöglichkeit des Zeugen B.     auf den Geschädigten ausgeschlossen. Zudem lasse sich die aus dem Obduktionsgutachten ergebende Stichführung nur mit der Position des Angeklagten zum Geschädigten erklären. Dass am Griff des vermeintlichen Tatmessers eine Mischspur mit dominanten Anteilen des Zeugen B.     festgestellt werden konnte, ändere nichts an der Einschätzung, da auch Anteile der DNA des Angeklagten in der Spur enthalten gewesen seien.

Mit Beschluss vom 24. November 2022 hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet und zugleich den gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Januar 2022 aufgehoben, weil zwar ein hinreichender, jedoch kein dringender Tatverdacht bestehe. Denn nach dem Ergebnis der zur Anklage führenden Ermittlungen sei nicht auszuschließen, dass die Messerstiche durch den Zeugen B.     ausgeführt wurden, welcher sich zuvor mit dem Geschädigten gestritten, ihn zur Durchführung einer Schlägerei aufgefordert und dem er mit dem Tod gedroht habe. Zudem sei die DNA des Zeugen B.    , der einen Messereinsatz gegen den Geschädigten über seinen Rechtsanwalt eingeräumt hatte, am Griff der mutmaßlichen Tatwaffe gefunden worden.

Am 12. Hauptverhandlungstag, den 25. August 2023, erteilte der Vorsitzende dem Angeklagten folgenden rechtlichen Hinweis: „Der Angeklagte wird für den Fall, dass nicht festgestellt wird, dass er die zum Tode führenden Messerstiche ausgeführt hat, gem. § 265 StPO darauf hingewiesen, dass möglicherweise auch eine Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge, §§ 227, 25 Abs. 2 StGB, in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, §§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB, 25 Abs. 2 StGB, und mit Beteiligung an einer Schlägerei, § 231 StGB, in Betracht kommen kann.“

Am 14. Hauptverhandlungstag, den 14. September 2023, gab der Vorsitzende gemäß § 257b StPO bekannt, dass nach vorläufiger Bewertung der Beweisaufnahme die Strafkammer „nicht mit einer für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit feststellen [könne], dass der Angeklagte die beiden Messerstiche eigenhändig gegen das Tatopfer geführt hat.“ Weitere Hinweise sind nicht erteilt worden.

b) Der Beschwerdeführer, der den Tatvorwurf bestritten und sich sonst nicht zur Sache eingelassen hat, ist der Auffassung, dass der ihm und seinem Verteidiger erteilte Hinweis sprachlich irreführend und inhaltlich unzureichend gewesen sei. Die tatsächliche Abweichung im Tatbild zwischen Anklagevorwurf und Urteil hätte durch Substantiierung des Hinweises förmlich bekannt gegeben werden müssen.

2. Die gesetzliche Hinweispflicht ist nicht verletzt.

a) Nach § 265 Abs. 1 StPO hat das Gericht einen förmlichen Hinweis zu erteilen, wenn infolge einer anderen rechtlichen Beurteilung bei gleichbleibendem Sachverhalt oder wegen neuer Erkenntnisse in tatsächlicher Hinsicht eine Verurteilung wegen eines anderen als dem in der Anklage bezeichneten Strafgesetzes in Betracht kommt. Der Hinweis muss eindeutig sein und den Angeklagten und seinen Verteidiger in die Lage versetzen, die Verteidigung auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt einzurichten. Daher muss für den Angeklagten und den Verteidiger aus dem Hinweis allein oder in Verbindung mit der zugelassenen Anklage nicht nur erkennbar sein, auf welches Strafgesetz nach Auffassung des Gerichts eine Verurteilung möglicherweise gestützt werden kann, sondern auch, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale des Straftatbestandes als möglicherweise erfüllt ansieht. Der Hinweis muss geeignet sein, dem Angeklagten Klarheit über die tatsächliche Grundlage des abweichenden rechtlichen Gesichtspunktes zu verschaffen und ihn vor einer Überraschungsentscheidung zu bewahren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – 3 StR 443/20 mwN; vom 13. Juli 2018 – 1 StR 34/18, NStZ 2018, 673, 674 f.; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 265 Rn. 31; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 73).

b) Der am 12. Hauptverhandlungstag vom Vorsitzenden der Strafkammer erteilte und protokollierte Hinweis erfüllte die genannten Anforderungen. Dieser bezeichnete die aus Sicht der Strafkammer abweichend von der zugelassenen Anklage in Betracht kommenden Straftatbestände, nach denen der Angeklagte sich bei Vorliegen einer bestimmt bezeichneten Sachverhaltsvariante schuldig gemacht haben könnte. Damit ist der gesetzlichen Hinweispflicht Genüge getan worden.

aa) Im Einzelfall kann bei einem Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO auch die bloße Bezeichnung der neu in Betracht kommenden Gesetzesbestimmungen ausreichen; dies gilt insbesondere bei unveränderter Sachlage, aber auch, wenn die tatsächlichen Grundlagen des neu in Betracht gezogenen Straftatbestandes für den Angeklagten ohne Weiteres zweifelsfrei ersichtlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – 3 StR 443/20 mwN; Urteile vom 16. Oktober 1962 – 5 StR 276/62, BGHSt 18, 56, 57 f.; vom 3. November 1959 – 1 StR 425/59, BGHSt 13, 320, 324; BeckOK StPO/Eschelbach, 51. Ed., § 265 Rn. 18; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 265 Rn. 31; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 265 Rn. 15b; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 75). Letzteres ist hier der Fall gewesen.

bb) Die tatsächlichen Grundlagen der neu in Betracht gezogenen Straftatbestände waren für den (verteidigten) Angeklagten aufgrund des erteilten Hinweises zweifelsfrei ersichtlich. Die der geänderten rechtlichen Wertung der Strafkammer zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen ergaben sich aus der mit dem Eröffnungsbeschluss verbundenen Haftentscheidung. Diese zeigte einen alternativen Sachverhalt auf, wonach der Zeuge B.     die zum Tode führenden Messerstiche gegen den Geschädigten eigenhändig ausgeführt haben konnte. Hierdurch hat die Strafkammer die bereits in der Anklageschrift aufgeworfene Frage eines Messereinsatzes durch diesen Zeugen aufgegriffen und anders gewertet. Genau auf dieses Alternativgeschehen hat sich der rechtliche Hinweis am 12. Hauptverhandlungstag bezogen („für den Fall, dass nicht festgestellt wird, dass [der Angeklagte] die zum Tode führenden Messerstiche ausgeführt hat“). Durch die zusätzliche Erklärung des Vorsitzenden am 14. Hauptverhandlungstag über die – einen sachlichen Bezug zum erteilten Hinweis und der Haftentscheidung aufweisende – vorläufige Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist dem Angeklagten und seinem Verteidiger die für die Entscheidung des Landgerichts maßgebliche Tatsachenbasis nochmals verdeutlicht worden. Weitergehende Anforderungen ergaben sich gemessen am Sinn und Zweck des § 265 StPO, den Angeklagten vor Überraschungen zu bewahren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20, 26), nicht.

Durch den mit Gesetz vom 17. August 2017 geschaffenen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist der Umfang der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO nicht erweitert worden. Der Gesetzgeber hat insoweit an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht. Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze sollten kodifiziert, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht eingeführt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2024 – 6 StR 276/23, NJW 2024, 1595, 1597; vom 20. Mai 2021 – 3 StR 443/20; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 185/19, NStZ 2020, 97 f.; Urteil vom 9. Mai 2019 – 1 StR 688/18; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 265 Rn. 26; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 50).“

Strafe III: Besonders schwerer Fall der Vergewaltigung, oder: Sperrwirkung des Strafrahmens

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 14.05.2024 – 6 StR 502/23 zum Strafrahmen bei der besonders schwere Vergewaltigung.

Folgende Feststellungen des LG:

„Am Nachmittag des Tattages verwickelte der Angeklagte die im Wald spazierengehende 61-jährige Nebenklägerin in ein Gespräch. Plötzlich „packte“ er die ihm körperlich weit unterlegene Nebenklägerin von hinten, hielt sie mit beiden Armen fest und zog sie vom Hauptweg in einen Waldpfad. Dabei richtete er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm auf sie, um dadurch einen etwaigen Widerstand der Nebenklägerin gegen die von ihm beabsichtigten sexuellen Handlungen zu unterbinden. Die Nebenklägerin sagte, dass sie „das“ nicht wolle, was den Angeklagten aber nicht dazu veranlasste, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Er sagte, dass er ihr nichts tun werde und sie nur „anfassen“ wolle. Die Nebenklägerin redete weiter auf ihn ein und fragte ihn mehrmals, „warum er ihr nichts tun wolle, wenn er doch ein Messer habe“. Daraufhin warf der Angeklagte das Messer nicht weit vom Hauptweg entfernt ins Gebüsch. Dann drängte er sie weiter in den Wald hinein bis zu einer Lichtung an einem See. Dort zog er seine Hose aus und forderte die Nebenklägerin auf, sich ebenfalls zu entkleiden. Sie sagte mehrfach, dass sie das nicht wolle, erkannte jedoch, dass sie gegen den ihr körperlich überlegenen Angeklagten keine Chance hatte, und folgte aus Angst vor ihm seinen Anweisungen, ihre Bluse hochzuziehen, ihre Hose auszuziehen, ihre Unterhose herunterzuziehen und ihre Beine auseinanderzunehmen.

Der Angeklagte, dem der entgegenstehende Wille der Nebenklägerin bewusst war, berührte zunächst mit seinen Händen ihre nackten Brüste. Dann führte er „zwei oder drei Finger“ in ihre Scheide ein, bewegte diese etwa ein bis zwei Minuten lang hin und her und onanierte dabei vor ihr, ohne eine Erektion zu bekommen und zum Samenerguss zu gelangen.

Nach wenigen Minuten hörte er auf und ließ von der Nebenklägerin ab. Sie zogen sich wieder an, gingen gemeinsam zum Hauptweg zurück und weiter bis zu dem Parkplatz, auf dem die Nebenklägerin ihr Fahrzeug abgestellt hatte. Dabei unterhielten sie sich, und der Angeklagte erzählte ihr viel von sich. Unter anderem sagte er ihr, dass sein Leben „nicht so schön“ sei und er „sich am liebsten die Pistole an den Kopf halten“ würde. Aus Mitleid mit dem Angeklagten vereinbarte die Nebenklägerin ein Treffen mit ihm in einem Biergarten. Sie hatte zunächst nicht vor, zur Polizei zu gehen. Auf dem Heimweg entschied sie sich jedoch um und erstattete Strafanzeige.

Die Nebenklägerin erlitt durch das Verhalten des Angeklagten keine Schmerzen und keine körperlichen Verletzungen. Eine psychologische Behandlung war nicht notwendig. Aufgrund der Tat traut sie sich jedoch nicht mehr, allein wandern zu gehen.“

Das LG hat das Verhalten des vielfach – auch einschlägig – vorbestraften Angeklagten als besonders schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB) angesehen und das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB bejaht. Der Strafzumessung hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB zugrundegelegt, weil es keinen Anlass dafür gesehen hat, von der Regelwirkung abzusehen, und davon ausgegangen ist, dass der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB gegenüber dem milderen Strafrahmen des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB sowohl im Hinblick auf die Strafuntergrenze als auch hinsichtlich der Strafobergrenze eine Sperrwirkung entfalte.

Das hat der BGH nicht beanstandet. Nach seiner Auffasung entfaltet der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB umfassende Sperrwirkung gegenüber demjenigen des § 177 Abs. 9 Variante 3 StGB. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den umfangreich begründeten Beschluss des BGH. Die Entscheidung ist für BGHSt vorgesehen.