Archiv der Kategorie: BGH

Verfahrensrüge I: Rechtlicher Hinweis unterlassen, oder: Urteilsabsetzungsfrist

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Heute dann ein bisschen Rechtsprechung zur Revision, und zwar zunächst:

Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe den Angeklagten in der Hauptverhandlung entgegen § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht auf die mögliche und letztlich im Urteil angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hingewiesen, bleibt ohne Erfolg. Die Rüge ist bereits unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Die Revision ist nicht ihrer Pflicht nachgekommen, alle Tatsachen vorzutragen, die für eine Prüfung, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, nötig gewesen wären. Der Beschwerdeführer teilt nicht mit, dass der Vorsitzende am zweiten Tag der Hauptverhandlung einen protokollierten Verständigungsvorschlag unterbreitet und in dessen Rahmen erklärt hat, die „Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung könne ausdrücklich nicht Bestandteil der Verständigung sein.“

Der Vortrag dieser Erklärung des Vorsitzenden wäre aber erforderlich gewesen, damit der Senat überprüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensverstoß auf der Grundlage des Revisionsvortrags vorliegt. Denn die protokollierte Erklärung des Vorsitzenden könnte den Anforderungen des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO genügen; das Fehlen des Wortes „Hinweis“ bei der an den Angeklagten gerichteten Erklärung steht dem nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 15. September 2022 – 4 StR 307/22, NStZ-RR 2022, 383, 384).“

In der Revisionsbegründung sind alle Tatsachen vollständig vorzutragen, welche für die Prüfung erforderlich sind, ob das Urteil innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden ist. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Überschreitung der Frist durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren und unabwendbaren Umstand bedingt war (§ 275 Abs. S. 4 StPO), muss die Revision auch diese besonderen Umstände mit Tatsachen unterlegt darlegen. Eine Verfahrensrüge ist deshalb unzulässig, wenn es die Revisionsbegründung versäumt, über einen entsprechenden Vermerk des Tatrichters zu informieren.

 

 

 

 

 

StPO II: Verzögerung 6 Jahre, 11 Monate, 2 Wochen, oder: Für ein Verfahrenshindernis nicht langsam genug

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Und dann habe ich hier den BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – 2 StR 100/23 – zur Frage der Verfahrensverzögerung und wie man damit umgeht.

Im sog. Rechtsgang ist der Angeklagte durch Urteil vom 19.06.2014 – bei Teileinstellung im Übrigen – wegen Urkundenfälschung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, von der es drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH dieses Urteil mit Beschluss vom 28. Juli 2015 teilweise u.a. im Ausspruch über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Das LG hat dann zweiten Rechtsgang mit Urteil vom 06.12.2017 erneut verurteilt und angeordnet, dass von der erstgenannten Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate, eine Woche und drei Tage als vollstreckt gelten.

Dagegen die Revision, mit der u.a. ein Verfahrenshindernis aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung geltend gemacht wird. Das liegt nach Auffassung des BGH nicht vor.

„1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein Verfahrenshindernis begründet durch Umstände, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Diese müssen so schwer wiegen, dass von ihnen die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f.; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109).

Ein Anwendungsfall wird innerhalb dieser Rechtsprechung in der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gesehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159). So verletzt eine erhebliche Verzögerung eines Strafverfahrens den Betroffenen in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herrührenden Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und zugleich die in Artikel 6 Abs. 1 MRK niedergelegte Gewährleistung, die eine Sachentscheidung innerhalb angemessener Dauer sichern soll (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 376/03, NStZ 2004, 639, 640 mwN).

Allerdings führt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis, sondern ist durch die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung und ggf. durch eine Kompensation in Anwendung der sog. Vollstreckungslösung ausreichend berücksichtigt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f.; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109; Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146; vgl. auch EGMR, Urteile vom 13. November 2008 – 10597/03, StV 2009, 519, 521 Rn. 68; vom 20. Juni 2019 – 497/17, NJW 2020, 1047, 1048 Rn. 55). Lediglich in außergewöhnlichen Sonderfällen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, kann eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ein Verfahrenshindernis begründen, das den Abbruch des Verfahrens rechtfertigen kann (vgl. BGH, Urteile vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 109 mwN; vom 6. September 2016 – 1 StR 104/15, wistra 2017, 193, 195 Rn. 30).

2. Ein solch außergewöhnlicher Sonderfall ist vorliegend zu verneinen. Zwar ist festzustellen, dass das Verfahren überlang und insgesamt sechs Jahre, elf Monate und zwei Wochen rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Es genügt jedoch, einen Ausgleich durch eine Kompensationsentscheidung zu gewähren.

a) Dem liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensablauf zugrunde:

aa) Bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung liegen nach den durch die Revision nicht beanstandeten Feststellungen und Wertungen des Landgerichts durch die Justizbehörden verursachte Verfahrensverzögerungen von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen vor.

Hiernach begannen die Ermittlungen betreffend die aus den Jahren 2004 und 2005 stammenden Taten im Jahr 2007. Im Ermittlungsverfahren fand zwischen dem 28. März 2008 und dem 1. August 2008 über einen Zeitraum von vier Monaten keine Verfahrensförderung statt.

Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft am 20. Oktober 2009 ließ das Landgericht die Anklage mit Beschluss vom 7. April 2011 zu und eröffnete das Hauptverfahren. Die Hauptverhandlung begann am 3. November 2011. Mit Urteil vom 19. Juni 2014 wurde der Angeklagte wegen Urkundenfälschung in 24 Fällen verurteilt. Mit Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 StR 38/15 (NStZ 2016, 430) hob der Senat das Urteil wie ausgeführt auf.

In der Folge gingen die Akten am 23. Oktober 2015 bei der Staatsanwaltschaft und am 29. Oktober 2015 erneut bei dem Landgericht ein. Der Neubeginn der Hauptverhandlung war für den 5. Juli 2017 vorgesehen. Tatsächlich begann sie aufgrund eines Befangenheitsantrags der Verteidigung vom 4. Juli 2017 erst am 18. Oktober 2017. Die Hauptverhandlung endete mit dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 6. Dezember 2017.

bb) Daneben stellt der Senat nach Auswertung des Akteninhalts von Amts wegen eine weitere Verfahrensverzögerung von vier Jahren und sieben Monaten nach Erlass der angefochtenen Entscheidung fest.

(1) Zwar ist eine sich nicht aus den Urteilsgründen ergebende Verletzung des Beschleunigungsgebots im Revisionsverfahren grundsätzlich nur auf eine Verfahrensrüge hin zu prüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 – 3 StR 99/19, juris Rn. 24). Allerdings ist für Verzögerungen nach Urteilserlass ein Eingreifen des Revisionsgerichts von Amts wegen geboten, wenn der Angeklagte diese Gesetzesverletzung nicht form- und fristgerecht rügen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2000 – 3 StR 502/00, NStZ 2001, 52; vom 20. Juni 2007 – 2 StR 493/06, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 32; KK-StPO/Lohse/Jakobs, 9. Aufl., MRK, Art. 6 Rn. 38; MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 514; offengelassen durch BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 – 3 StR 506/22, juris Rn. 6).

(2) Davon ausgehend ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eine weitere Verzögerung von vier Jahren und sieben Monaten festzustellen, die auf die erheblich verzögerte Versendung der Verfahrensakten durch die Staatsanwaltschaft an das Revisionsgericht zurückzuführen ist. Die dort vollständig am 9. Juli 2018 eingegangenen Verfahrensakten wurden erst am 8. März 2023 – soweit die Übersendungsverfügung das Datum 8. März 2022 trägt, handelt es sich um ein offenkundiges Schreibversehen – weitergeleitet, weil sie in der Zwischenzeit „außer Kontrolle“ geraten waren. Sie erreichten am 16. März 2023 den Generalbundesanwalt und gingen am 24. April 2023 beim Senat ein. Unter Berücksichtigung einer angemessenen Bearbeitungszeit (vgl. auch § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) und eingedenk des Umstandes, dass Rechtsmittelsachen stets als Eilsachen zu behandeln sind (Nr. 153 RiStBV), ergibt sich hieraus eine rechtsstaatswidrige Verzögerung von vier Jahren und sieben Monaten.

b) Dieser Verfahrensablauf begründet eine unangemessene Verfahrensdauer einschließlich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen von insgesamt sechs Jahren, elf Monaten und zwei Wochen. Es ist jedoch ausreichend, dies durch eine Kompensationsentscheidung auszugleichen.

aa) Die Verfahrensdauer ist für sich genommen unangemessen lang. Seit Bekanntgabe der Vorwürfe an den Angeklagten am 17. März 2008 sind fünfzehn Jahre und elf Monate vergangen.

Zwar darf bei dieser Betrachtung nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Gesamtverfahrensdauer auch maßgeblich durch die über zweieinhalb Jahre andauernde Hauptverhandlung bis zum Verfahrensabschluss im ersten Rechtsgang bedingt ist und die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens ein weiteres Jahr und vier Monate erforderte.

Gleichwohl übertrifft die Verfahrensdauer die gesetzliche Verfolgungsverjährung von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) mittlerweile um das Doppelte, was auch angesichts rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten des gesamten Tatkomplexes – so wurde dem Angeklagten mit Anklage vom 20. Oktober 2009 Steuerhinterziehung in fünfundzwanzig Fällen sowie Urkundenfälschung in sechsundneunzig Fällen zur Last gelegt – unangemessen ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 3254, 3255). Auch das Höchstmaß des Regelstrafrahmens von fünf Jahren (§ 267 Abs. 1 StGB; vgl. hierzu OLG Rostock StV 2011, 220, 222) ist in diesem Umfang überschritten. Hinzu treten die dargelegten nicht zu rechtfertigenden Verfahrensverzögerungen durch Justizorgane von nunmehr insgesamt sechs Jahren, elf Monaten und zwei Wochen.

bb) Ein Verfahrenshindernis geht damit jedoch nicht einher.

(1) Dies gilt zunächst für den durch das Landgericht ermittelten Zeitraum, wonach bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung durch Justizorgane verschuldete Verfahrensverzögerungen von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen gegeben sind.

Gemessen an den durch das Landgericht festgestellten Belastungen des Angeklagten im Zeitraum vom 26. April 2012 bis Dezember 2012 waren diese im Rahmen der Sachentscheidung zu berücksichtigen und das Landgericht hatte hierfür – wie rechtsfehlerfrei geschehen – eine Kompensationsentscheidung zu treffen.

(2) Nichts Anderes gilt auch bei Berücksichtigung der gesamten Verfahrensdauer einschließlich aller durch die Justizorgane verschuldeten Verfahrensverzögerungen, insbesondere der besonders ins Gewicht fallenden unterlassenen Weiterleitung der Akten an das Revisionsgericht durch die Staatsanwaltschaft.

Insoweit gewinnt zunächst Bedeutung, dass die getroffenen Feststellungen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung tragen und das Verfahren nunmehr durch die Senatsentscheidung seinen Abschluss findet (vgl. bei einer fast fünfjährigen, willkürlich unterlassenen Aktenübersendung an das Revisionsgericht BGH, Urteil vom 9. Dezember 1987 – 3 StR 104/87, BGHSt 35, 137, 140 f.), die Akten dem Revisionsgericht auch nicht willkürlich vorenthalten wurden, sondern „außer Kontrolle“ geraten waren (vgl. BGH aaO).

Zudem ist weder ersichtlich noch von der Revision konkret vorgetragen, dass der Angeklagte durch das Verfahren besonderen Belastungen ausgesetzt war, die über die allgemeine Dauer des Verfahrens hinausgegangen wären und allein durch eine Einstellung ausgeglichen werden könnten. So befand er sich in dem hiesigen Verfahren zu keinem Zeitpunkt in Untersuchungshaft (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2023 – 3 StR 506/22, juris Rn. 7).

Des Weiteren stand für ihn bereits im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Senatsentscheidung vom 28. Juli 2015 rechtskräftig fest, dass er sich in dreizehn (von nunmehr achtzehn) Fällen der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat und er hierfür unter anderem eine Freiheitsstrafe von drei Monaten als Einzelstrafe, im Übrigen Geldstrafen von 60 bzw. 90 Tagessätzen verwirkt hatte. Dass darüber hinaus die weiteren Fälle eine Strafbarkeit begründeten, war einerseits aufgrund des Aufhebungsgrundes der nicht ausschließbar fehlerhaften konkurrenzrechtlichen Bewertung in diesen Fällen, andererseits aufgrund des Umstandes, dass nur die Feststellungen zum Gebrauchmachen und nicht des Herstellens der falschen Urkunden aufgehoben wurden, ebenfalls erkennbar. Für den Angeklagten war mithin ersichtlich, dass er trotz der Aufhebung nicht mit einem Teilfreispruch, sondern vielmehr mit einem weiteren Schuldspruch und der Verhängung weiterer Einzelstrafen zu rechnen hatte. Dabei hatte er als alleiniger Revisionsführer stets Gewissheit darüber, dass eine Strafverschärfung ausgeschlossen war (§ 358 Abs. 2 StPO).

In einer Gesamtschau der überlangen Verfahrensdauer einschließlich der durch die Justiz verschuldeten Verzögerungen sowie des Umstands, dass sich die Taten nur im Bereich mittlerer Kriminalität bewegten, andererseits aber der geringen und allgemein bleibenden Belastungssituation des Angeklagten, genügt eine weitere Kompensationsentscheidung.“

Na ja, zumindest etwas, ansonsten: Ohne Worte.

Und dazu heißt es dann:

„b) Schließlich hält auch die Höhe der Kompensation für die festgestellte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat nach dem sog. Vollstreckungsmodell (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) zur Entschädigung für die bis Urteilserlass eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen angeordnet, dass fünf Monate – soweit laut Urteilstenor insgesamt sechs Monate, eine Woche und drei Tage als vollstreckt gelten, ist in diesen Zeitraum ein für vollstreckt erklärter Teil in Höhe von einem Monat, einer Woche und drei Tagen aus einer einbezogenen Vorverurteilung eingeflossen – der verhängten ersten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Dies hält sich im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Bewertungsspielraums und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zum Maßstab BGH, Urteile vom 23. Oktober 2013 – 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21; vom 12. Februar 2014 – 2 StR 308/13, NStZ 2014, 599; Beschlüsse vom 1. Juni 2015 – 4 StR 21/15, NStZ 2015, 540; vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16, wistra 2017, 108, 110; vom 1. Dezember 2020 – 2 StR 384/20, StV 2021, 355 Rn. 8).

3. Daneben ist das Urteil um eine Kompensation für den nach Urteilserlass eingetretenen und aufgezeigten Konventionsverstoß zu ergänzen.

Diese ist aufgrund des erheblichen Umfangs der Verzögerung so zu bemessen, dass der nach Abzug der bereits durch das Landgericht ausgesprochenen Kompensation und nach Anrechnung (§ 51 Abs. 2 StGB) der bereits vollstreckten und in die Gesamtfreiheitsstrafen einbezogenen Vorstrafen – hierbei handelt es sich um eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie eine Gesamtgeldstrafe von 260 Tagessätzen, wobei von dieser wiederum 40 Tagessätze als vollstreckt gelten – verbleibende vollstreckungsfähige Strafrest der beiden Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gilt, so dass dem Angeklagten keine weiteren Freiheitsentziehungen drohen.

Dabei ist unbeachtlich, dass diese Art der Kompensation sich – vorbehaltlich der Berechnung durch die Vollstreckungsbehörde – maßgeblich auf die zweite Gesamtfreiheitsstrafe auswirken wird und einen Ausgleich nur bei Widerruf der Strafaussetzung gewähren würde (vgl. EGMR, Urteil vom 20. Juni 2019 – 497/17, NJW 2020, 1047, 1049 Rn. 58).“

Wortreich, aber nicht unbedingt überzeugend. Und sorry für den langen Text. Das liegt an der Länge der Verfahrensdauer 🙂 .

StPO I: Wirksamkeit der Revisionsrücknahme, oder: Prozessuale Handlungsfähigkeit?

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Und heute StPO- ein bisschen quer durch den Garten der StPO.

Ich beginne im Bereich „Revision“ mit einer Entscheidung des BGH, nämlich dem BGH, Beschl. v. 29.04.2024 – 5 StR 559/23 –, der sich noch einmal zur Rücknahme der Revision äußert.

Das LG hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtete sich die vom Beschuldigten fristgemäß eingelegte Revision. Mit Fax vom 19.05.2022 schrieb der Beschuldigte seinem Verteidiger: „Ich ziehe die Revision zurück! Bitte teilen Sie dies dem Gericht mit.“ Der Verteidiger nahm daraufhin mit dem LG am 23.05.2022 zugegangenem Schreiben vom 20.05.2022 „in Absprache mit meinem Mandanten“ die Revision zurück. Die Strafkammervorsitzende übersandte unter dem 24.05.2022 eine Kopie der Rücknahmeerklärung an den Beschuldigten. Am 27.06.2022 beschloss das LG die Kostenfolge nach § 473 Abs. 1 StPO.

Inzwischen hat der Verurteilte die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme bestritten. Der BGH hat die Wirksamkeit der Rücknahme festgestellt:

„1. Der Beschuldigte hat die Revision durch seinen Verteidiger wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Er war bei der entsprechenden Auftragserteilung seines ausdrücklich von ihm ermächtigten Verteidigers (§ 302 Abs. 2 StPO) verhandlungsfähig. Zwar stand der Beschuldigte unter Betreuung. Es bedurfte ausweislich des vom Verteidiger vorgelegten Betreuerausweises aber für die Wirksamkeit von Willenserklärungen gegenüber Behörden nicht der Einwilligung des Betreuers. Der Beschuldigte war zudem prozessual handlungsfähig.

a) Die prozessuale Handlungsfähigkeit setzt voraus, dass ein Angeklagter oder Beschuldigter bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage ist, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Sicherungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegen – allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2022 – 3 StR 29/22; vom 8. Oktober 2019 – 1 StR 327/19; vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 jeweils mwN).

b) Nach diesen Maßstäben liegen keine Anhaltspunkte vor, die Zweifel daran begründen könnten, der Beschuldigte sei sich zum Zeitpunkt der Rechtsmittelrücknahme nicht der Bedeutung und Tragweite der Erklärung bewusst gewesen. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts und der beim Verteidiger zu den Umständen der Rücknahme eingeholten Stellungnahme fest.

Zwar folgt aus den Urteilsgründen, dass der psychiatrische Sachverständige beim Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert hat und sich offensichtlich wahnhaft geprägte Gedankengänge auch noch in den Einlassungen des Beschuldigten in der Hauptverhandlung offenbart haben. Dies ist für die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung jedoch nicht von maßgeblicher Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487, 488 mwN). Vielmehr zeigt schon das Schreiben vom 25. März 2022, mit dem er zunächst selbst die Revision einlegte und in dem er die „Gesamtanfechtung“ des Urteils und Verletzung seines Notwehrrechts nach § 32 StGB anführte, ebenso wie sein Aufforderungsschreiben an seinen Verteidiger vom 19. Mai 2022, dem Gericht die Rücknahme mitzuteilen, dass der Beschuldigte über Förmlichkeiten informiert war und entsprechend handelte. Der Verteidiger hat zudem in seiner Stellungnahme erklärt, es habe keinen Hinweis auf eine vorgelegene Geschäftsunfähigkeit des Beschuldigten gegeben. Dass dieser bei Abfassen seines Schreibens vom 19. Mai 2022 infolge der schizophrenen Erkrankung in seiner Willensentschließung und Willensbetätigung beschränkt war, ist danach nicht ersichtlich.“

Die vom BGH angesprochenen Fragen muss man im Auge haben 🙂 .

Coronaschutz, Werkstattrisiko und Überwachung, oder: 33 EUR sind für Coronaschutzmaßnahmen genug

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Und dann eine Nachlese zu Coronaschutzmaßnahmen mit dem BGH, Urt. v. BGH, Urt. v. 23.o4.2024 – VI ZR 348/21.

Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall sein Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren und hat die dafür angefallene Rechnung nach eigenen Angaben vollständig bezahlt. Das SV-Gutachten wie auch die Reparaturrechnung wiesen als ein Teil der Reparaturkosten sog. Corona-Schutzmaßnahmen in Höhe von 157,99 EUR brutto aus, über die Erstattungsfähigkeit die Parteien gestritten haben.

Das LG hat in der I. Instanz die Höhe der als erforderlich anzusetzenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,16 EUR bemessen und ein Ausfall- bzw. Überwachungsverschulden des Geschädigten bei der Beauftragung einer Werkstatt mit deutlich darüber liegenden Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen von 157 EUR bejaht. Dabei ist es davon ausgegangen, dass das Desinfizieren von Kontaktflächen innerhalb und außerhalb des Fahrzeuges keine besonderen Fähigkeiten voraussetzen würde und von Aushilfskräften erledigt werden könnte. Deshalb wurde für die Bestimmung der dabei anfallenden Aufwendungen der niedrigste Arbeitslohn in der betroffenen Fachwerkstatt angesetzt und als Zeiteinheit lediglich einen einzigen Arbeitswert (1 AW) bemessen. Diesem hinzu kam für den Materialeinsatz 1,16 EUR brutto für Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe, woraus sich der Betrag in Höhe von  33,16 EUR ergeben hat.

Diese Höhe der als erstattungsfähig anzusetzenden Aufwendungen für Corona-Schutzmaßnahmen hat der BGH im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens bei der Bestimmung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO ausdrücklich gebilligt und zugleich darauf hingewiesen, dass in dem vorliegenden Fall zwar die Grundsätze des Werkstattrisikos eingreifen würden, in diesem Einzelfall aber dem Geschädigten sowohl ein Ausfall- als auch ein Überwachungsverschulden wegen der viel zu hoch angesetzten Desinfektionskosten durch die Werkstatt treffen würde.

Dazu passen etwa folgende Leitsätze:

1. Die Grundsätze des Werkstattrisikos können zu Gunsten des Geschädigten auch bei einer Reparatur eingreifen, wenn es um die Durchführung von Corona-Schutzmaßnahmen geht, die grundsätzlich eine erstattungsfähige zurechenbare Schadenspoistion darstellen.

2. Der Geschädigte muss dessen ungeachtet den Nachweis führen, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist und bei der Beauftragung- und Überwachung des Reparaturbetriebes den Interessen des Schädigers an der Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat.

3. Deshalb trifft den Geschädigten die Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt geforderten bzw. später berechneten Preise, wobei insbesondere bei Kosten des alltäglichen Lebens wie etwa bei Corona-Schutzmaßnahmen während der Pandemie ohne weiteres vom Geschädigten selber gut beurteilt werden können.

4. Ein solches Auswahl- bzw. Überwachungsverschulden ist zu bejahen und der in Rechnung gestellte Betrag für Corona-Schutzmaßnahmen nicht als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB anzusehen, wenn für diese Tätigkeit 157,99 EUR abgerechnet werden.

5. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter im Rahmen seines Ermessens bei einer Schadenschätzung nach § 287 ZPO Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen mit 33,18 EUR als erforderlich erachtet.  

StPO III: Mal wieder etwas zum letzten Wort vom BGH, oder: Gewährung von genügend Vorbereitungszeit

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Und dann noch die angekündigte Entscheidung des BGH zum letzten Wort. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 6 StR 545/23 – mit der Problemati: Genügend Vorbereitungszeit für das letzte Wort?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Rüge rügt der Angeklagte eine Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Dem Angeklagten war mit der Anklageschrift versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Adhäsionsklägers H. und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil einer weiteren Geschädigten vorgeworfen worden. Der Strafkammervorsitzende terminierte die Hauptverhandlung auf drei Sitzungstage.

Am 2. Sitzungstag erteilte der Vorsitzende um 14:47 Uhr einen rechtlichen Hinweis; demzufolge sollte hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Adhäsionsklägers auch eine Verurteilung wegen „tateinheitlichen versuchten Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 4 und 5 StGB  – sonstiger niedriger Beweggrund bzw. Heimtücke – in Betracht kommen. Die Vorschrift wurde verlesen, ein Haftbefehl verkündet und der Angeklagte um 14:56 Uhr im Saal verhaftet. Im Haftbefehl wurde der Tatvorwurf zu Fall 1 der Anklageschrift dahin konkretisiert, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Messerstiche in Richtung des Oberkörpers des sich „keines Angriffs versehenen und deshalb wehrlosen“ Adhäsionsklägers geführt habe. Ein vom Verteidiger daraufhin gestellter Aussetzungsantrag, gestützt auf die wegen des verschärften Tatvorwurfs notwendige Vorbereitungszeit, wurde zurückgewiesen und auch die hilfsweise begehrte Unterbrechung für die Dauer von einer Woche abgelehnt. Es seien keine neuen Tatsachen oder tatsächlichen Verhältnisse in der Hauptverhandlung aufgetreten, die der Angeklagte nicht bereits der Anklageschrift oder dem Eröffnungsbeschluss habe entnehmen können. Die Hauptverhandlung wurde um 15:16 Uhr bis zum nächsten Sitzungstag unterbrochen.

Am Morgen des folgenden Tages wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Nach weiteren Beweiserhebungen, insbesondere Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, wurde die Beweisaufnahme „im allseitigen Einverständnis“ geschlossen. Der Verteidiger beantragte um 14:15 Uhr zur Vorbereitung auf den Schlussvortrag eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einem weiteren, noch abzustimmenden Sitzungstag. Er sehe sich eingedenk des Verfahrensablaufs, namentlich des gerichtlichen Hinweises, der Verhaftung seines Mandanten im Sitzungssaal und der bis 14:10 Uhr durchgeführten Beweisaufnahme nicht in der Lage, sachgerecht zu plädieren. Den Antrag wies der Vorsitzende unter Hinweis auf die Gründe der abgelehnten Aussetzung vom vorangegangenen Sitzungstag zurück. Es seien „netto drei Stunden“ verhandelt worden, sodass keine Gründe ersichtlich seien, die einen Schlussvortrag nicht zuließen. Diese Anordnung wurde von der Kammer sodann bestätigt. Nach den Schlussvorträgen wurde das angefochtene Urteil verkündet.

Und es kommt, was m.E. kommen musste: Der BGH hat aufgehoben:

„2. Die Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 1 StPO ist begründet. Auf die ebenfalls beanstandeten mehrfachen Verletzungen des § 265 Abs. 1 StPO kommt es deshalb ebenso wie auf die sachlich-rechtlichen Beanstandungen nicht an.

a) Der Angeklagte erhält durch § 258 Abs. 1 StPO das Recht, nach Beendigung der Beweisaufnahme und vor der endgültigen Entscheidung des Gerichts zum gesamten Sachverhalt und zu allen Rechtsfragen des Verfahrens Stellung zu nehmen. Die Vorschrift dient damit unmittelbar der Gewährleistung des durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 54, 140, 141 f.; Remmert in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 103. EL, Art. 103 Abs. 1 Rn. 66). Zur Ausübung dessen kann der Angeklagte sich – wie in § 258 Abs. 3 StPO vorausgesetzt – eines Verteidigers bedienen (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 5). Dieses Recht erschöpft sich aufgrund seiner überragenden Bedeutung nicht in der bloßen Möglichkeit zur Äußerung; vielmehr muss den Verfahrensbeteiligten eine wirksame Ausübung ermöglicht werden (vgl. BeckOK-StPO/Eschelbach, 50. Ed., § 258 Rn. 14; MüKo-StPO/Niehaus, 2. Aufl., § 258 Rn. 7). Das Gericht ist daher dazu verpflichtet, angemessene Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfahrensbeteiligten einen Schlussvortrag in der Weise halten können, wie sie ihn für sachdienlich erachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, BGHR StPO § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 1; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437).

Dabei steht es indes nicht im Belieben der Verfahrensbeteiligten, ob und in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit zu gewähren ist. Was dazu erforderlich ist, bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Danach kann es je nach Umfang und Dauer der Hauptverhandlung sowie dem konkreten Prozessverlauf notwendig sein, zur Ausarbeitung der Schlussvorträge eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO; vom 11. Mai 2005 – 2 StR 150/05, NStZ 2005, 650; vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, NStZ 2023, 437; LR/Esser, StPO, 27. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 887 mwN). Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese zu gewähren ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Vorbereitungszeit verlangen. Für die Beurteilung der Angemessenheit derselben kann neben der Komplexität und dem Umfang der Sach- und Rechtslage insbesondere auch relevant sein, dass die Verfahrensbeteiligten bereits zuvor auf den anstehenden Schluss der Beweisaufnahme hingewiesen wurden oder aus anderen Gründen damit rechnen mussten, ihre Plädoyers halten zu müssen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 1989 – 5 StR 120/88, aaO); in diesem Fall können sie die Zeit zwischen den Hauptverhandlungsterminen bereits zur Vorbereitung ihrer Vorträge und gegebenenfalls erforderlichen Besprechung und Abstimmung mit dem Mandanten nutzen, sodass die Notwendigkeit einer (weiteren) Unterbrechung ganz entfallen oder jedenfalls ihre Dauer kürzer zu bemessen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 StR 80/22, aaO).

b) Die vollständige Versagung einer Vorbereitungszeit erweist sich hier als rechtsfehlerhaft.

Zwar konnten die Verfahrensbeteiligten ursprünglich davon ausgehen, dass am letzten von drei terminierten Hauptverhandlungstagen die Beweisaufnahme geschlossen wird und die Schlussvorträge zu halten sind. Da aber entgegen der Ladungsverfügung (§ 214 Abs. 1 StPO) am letzten Sitzungstag ab 9:30 Uhr unter anderem mehrere Zeugen und zwei Sachverständige vernommen wurden, durfte die Strafkammer von den Verfahrensbeteiligten nicht bereits wegen der ursprünglichen Terminierung verlangen, unmittelbar nach dem Schluss der Beweisaufnahme den Verfahrensstoff sachgerecht aufbereitet zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 – 5 StR 236/20, NStZ 2021, 56). Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass der Angeklagte erst am Ende des zweiten von drei Sitzungstagen auf den gravierend verschärften Tatvorwurf des versuchten Mordes hingewiesen und zeitgleich im Saal verhaftet worden war.

Unvertretbar aber war die Versagung jedweder Unterbrechung jedenfalls in der Zusammenschau mit der Bedeutung der Aussage des am letzten Sitzungstag vernommenen Zeugen B. . Dessen Angaben waren nicht allein für den Tötungsvorsatz bedeutsam; besondere Relevanz kam ihnen ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 17) und der Anklageschrift (S. 22) für das Tötungsmotiv zu. Damit bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zu dem Hinweis auf eine Verurteilung des Angeklagten wegen des höchststrafwürdigen Tötungsverbrechens eines versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen (§ 211 Abs. 2 StGB), der trotz der seit der Anklageerhebung unveränderten Sachlage erst tags zuvor erteilt worden war.

c) Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Inhalt eines sachgerecht vorbereiteten Schlussvortrags ein für den Angeklagten günstigeres Ergebnis bewirkt hätte.“