Hier dann – zwischendurch – mal wieder eine Sondermeldung, und zwar zum OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.05.2021 – 1 OWi 2 SsRs 19/21 -, den mir der Kollege Keilhauer aus Kaiserslautern gerade geschickt hat.
Folgender Sachverhalt: Das AG hat die Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h zu einer Geldbuße von 120 Euro verurteilt. Die Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit beruht auf einer Messung mit dem Gerät ES 3.0 der Firma ESO. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt,
Der Einzelrichter des Senats hat die Sache gem. § 80 Abs. 3 S. 1, Abs..1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Senat beabsichtigt, die durch den Einzelrichter zugelassene Rechtsbeschwerde als unbegründet umfänglich zu verwerfen. Er sieht sich hieran jedoch durch den Beschluss des OLG Jena v. 17.03.2021 — 1 OLG 331 SsBs 23/20 – gehindert. Er hat die Sache daher dem BGH vorgelegt:
„Der für die Vorlage einzig erheblichen Verfahrensrüge liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
Der Verteidiger hat nach der am 10. Juli .2020 bewirkten Zustellung des Bußgeldbescheides an die Betroffene Einspruch eingelegt und mit Schriftsatz‘ vom 16. Juli 2020 bei der Verwaltungsbehörde „komplette Akteneinsicht“ beantragt. Ferner hat er um Einsicht in „die Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie Statistikdatei und Caselist“ sowie weitere Urkunden gebeten (zum Begriff der Rohmessdaten s. Thiele, DAR .2020, 614, 615;. Burhoff/Niehaus in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Rn. 236). Zur Begründung hat er ausgeführt, aus einer Analyse der Messreihe könne sich ergeben, dass andere Messungen fehlerhaft sind oder technisch nicht nachvollzogen werden können, was Rückschlüsse auf die tatgegenständliche Messung zulasse. Dies gelte insbesondere für die Aspekte atypischer Fotopositionen, einer Divergenz zwischen der Anzahl der erfassten Messungen und der generierten Falldatensätze, der Annulierungsrate des Geräts, möglicher Bewegungen des Messgeräts während der Messung sowie einer, eventuellen Nutzung von Messpunkten außerhalb des Messbereichs. Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 lehnte die Verwaltungsbehörde mit Verweis auf die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens die Übersendung „weiterer Unterlagen“ ab. Mit Schriftsatz vom 10. August 2020 beantragte der Verteidiger die Einholung einer gerichtlichen Entscheidung und die Übersendung der Sache an das Amtsgericht. Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht durch Beschluss vom 26. August 2020 ab, weil ein Anspruch auf die Überlassung der Daten der gesamten Messreihe nicht bestehe und aus diesen auch keine Rückschlüsse auf die Messrichtigkeit des Geräts gezogen werden könnten. Der Verteidiger wiederholte nach Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht sein Begehren und erhob gegen den Beschluss vom 26:August 2020 sofortige Beschwerde, die bislang dem Landgericht noch nicht vorgelegt worden ist. In der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2021 beantragte der Verteidiger die Aussetzung des Verfahrens, die er mit der nach wie vor nicht erfolgten Einsicht in die begehrten Messunterlagen begründete. Nach Zurückweisung des Aussetzungsantrages widersprach der Verteidiger der Verwertung der Messdaten und des Messfotos. Das Amtsgericht verlas das Datenfeld des Messfotos und legte dieses ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe seiner Überzeugungsbildung zugrunde.
Die Rechtsbeschwerde sieht durch dieses prozessuale Geschehen das Gebot des fairen Verfahrens als verletzt an, weil das Amtsgericht das Recht der Betroffenen auf Einsicht in die begehrten -Unterlagen (gesamte Messreihe) rechtsfehlerhaft missachtet habe. Kern der Vorlage ist damit die Frage, ob es einen reversiblen Verfahrensfehler darstellt, wenn das Tatgericht im Bußgeldverfahren einen Antrag auf Beiziehung und Einsicht in nicht bei den Akten befindliche, tatsächlich aber vorhandene Unterlagen (hier: dritte Verkehrsteilnehmer betreffende Messdaten) abgelehnt hat, deren Relevanz für das Verteidigungsvorbringen nicht ersichtlich ist.“
Entscheiden soll der BGH daher folgende Frage:
„Liegt in der Verweigerung der Einsichtnahme in dritte Verkehrsteilnehmer betreffende Daten ( gesamte Messreihe ) auch dann ein Verstoß gegen, den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn eine Relevanz der betreffenden Daten für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des verfahrensgegenständlichen Messvorgangs und damit für die Verteidigung des Betroffenen nicht erkennbar ist?“
Damit geht es nun zum ersten Mal zum BGH. Mal sehen, was der aus der Sache macht. Und vielleicht gibt es ja den ein oder anderen – weiter führenden – Hinweis.