habe ich gedacht, als ich die bei „Mit Fug und Recht“ eingestellte und besprochene Entscheidung des OLG Brandenburg v. 24.03.2010 – (1) 53 Ss 42/10 (24/10) gelesen habe.
Immer wieder wird nämlich von Verteidigern übersehen, dass nur die Sachrüge dem Revisionsgericht den Blick in die Urteilsgründe erlaubt. Ist sie nicht erhoben, ist das nicht möglich und können die Urteilsgründe nicht ergänzend herangezogen werden, um zu prüfen, ob nicht ggf. eine Verfahrensrüge, bei der der Vortrag nicht so ganz ausreicht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) durch die Urteilsgründe und dort gewonnene Erkenntnisse ergänzt werden kann. Darauf wird von den Revisionsgerichten immer wieder hingewiesen.
Hier nur eine kleine Auswahl BGH, NStZ 1996, 145; StraFo 2008, 332; u.a. Beschl. v. 26.03.2008, 2 StR 61/08; OLG Brandenburg, StraFo 1997, 270 = NStZ 1997, 617; OLG Hamm, StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373; StRR 2008, 308; Rpfleger 2008, 531 = StRR 2008, 346.
Und die Begründung der Sachrüge macht ja nun wirklich nicht viel Arbeit. Den Satz: Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts, wird ja wohl noch jeder Verteidiger schreiben können. Er sollte es auf jeden Fall tun und ihn auf seine Revisionscheckliste nehmen. Schreibt er ihn nicht, ist es m.E. ein schwerer Verteidigerfehler.
Es gibt Fehler, die den Revisionsführern zu denken geben sollten, ob sie nicht zukünftig lieber andere Rechtsgebiete bearbeiten wollen.
„nicht den Revisionsführern“, sondern deren Verteidgern, die solche Beschlüsse vom Revisionsgericht erhalten. :-). Die Frage ist dann nur, welche Gebietem denn solche „Fallen“, die keine sind, lauern ja überall.
Und dann war da noch der vornehmlich im Zivilrecht tätige Rechtsanwalt, der wegen Arbeitsüberlastung in einer Strafsache eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragte…
das ist ein Künstler 🙂
Nachfrage zum Verständnis: Ich nehme an, dass das Problem in der Entscheidung des OLG Brandenburg war, dass der Revisionsführer mit der Verfahrensrüge lediglich die überlange Verfahrensdauer gerügt hat. Hätte er zugleich auch die Sachrüge erhoben, dann hätte das Revisionsgericht das gesamte Urteil noch einmal auf Darstellungsmängel oder Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts prüfen können. Für die im Ergebnis nicht durchgreifende Rüge der überlangen Verfahrensdauer hätte dies aber auch nichts gebracht, da bereits die Verfahrensrüge dazu führt, dass das Revisionsgericht die in der Revisionsbegründung zu den Verfahrensrügen behaupteten Tatsachen im Freibeweisverfahren aus dem gesamten Akteninhalt (insb. Protokoll und Urteil) zusammensuchen muss, oder???
Hallo, das Problem ist Folgendes: Wenn die Sachrüge nicht erhoben ist, stehen die Urteilsgründe nicht zur Verfügung mit der Folge, dass sich daraus ggf. ergebende zusätzliche Umstände, die für die Begründung der Verfahrensrüge von Bedeutung sind, dort aber nicht vorgetragen wurden, nicht zur Kenntnis genommen werden dürfen.
Beispiel:
Gerügt wird, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattge-funden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§ 338 Nr. 5 StPO), und zwar, dass ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinn des § 140 StPO vorgelegen habe. In der Revisionsbegründung teilt der Verteidiger lediglich mit, dass der Angeklagte die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt hat. Den Inhalt des Antrags sowie des ablehnenden Beschlusses und die Tatsa-chen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergeben könnte, werden nicht mitgeteilt.
Diese Begründung ist nicht ausreichend. Der Zurückweisung als unzulässig kann die Revision jetzt nur noch entgehen, wenn durch die gleichzeitig erhobe-ne Sachrüge, dem Revisionsgericht der Rückgriff auf das Urteil möglich ist und aus diesem sich dann ggf. ergibt, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen hat, also z.B. Gründe, um das Merkmal „Schwere der Tat“ oder „Verteidigungsunfähigkeit“ des Mandanten bejahen zu können. Beispiel aus der Rspr.: OLG Hamm StraFo 2001, 244 = NStZ-RR 2001, 373
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, worum es geht.
Ahah. Vielen Dank für die Erläuterung.
Die Sachrüge kann sozusagen einer unzureichend begründeten, aber eigentlich zu Recht erhobenen Verfahrensrüge doch noch zum Erfolg verhelfen, wenn sich aus dem Urteil weitere Umstände ergeben, die zusammen mit der Revisionsbegründung zur hinreichenden Begründung der Verfahrensrüge führen.
Bingo 🙂 Sie sollten Revisionsrichter oder Revisionsverteidiger werdern 🙂
@ 7, 8
werden sie lieber nicht revisionsverteidiger, das ist mühselig und frustrierend. 😉
kommt auf die Revisionsrichter an 😉
welche können sie denn empfehlen?
oder anders ausgedrückt, in welchem sprengel sollte der kollege ref.jur. seine zelte aufschlagen? wo gibt es die angenehmste kombination aus zuständigen olg- und bgh-senaten? 😉
und sollte man ref.jur. raten steuerstrafrechtliche revisionen überhaupt anzunehmen? oder wäre bereits die annahme einer solchen revision als eingehungsbetrug strafbar?
😉
schwere Fragen, schwere Fragen, die mich zum Schmunzeln bringen, die ich aber leider auch nicht beantworten kann/werde. Soll er es mit dem Satz halten: Ein Versuch macht klug 😉
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Hallo, „muss“ oder „kann“ das Revisionsgericht bei gleichzeitig erhobener (allgemeiner) Sachrüge die Urteilsgründe (und den Schuldspruch) bei der Prüfung der Verfahrensrüge berücksichtigen? Wenn es sie in diesem Fall ohnehin berücksichtigen muss: Erübrigt sich dann in der Praxis nicht beispielsweise bei einer auf eine Verfahrensrüge gestützten (Sprung-)Revision gegen ein kurz abgefasstes amtsgerichtliches Urteil (selbstverständlich bei ansonsten ordnungsgemäß dargelegter Verfahrensrüge)die Wiedergabe der Urteilsgründe (= reine Förmelei?)? Eine ausdrückliche Verweisung auf die Urteilsgründe in der Revionsbegründung ist laut Kommentierung bei Lutz Meyer-Goßner nicht einmal erforderlich.
Hallo, der BGH formuliert \sind\ heranzuziehen\. Ich habe es beim OLG auch nie erlebt, dass die Urteilsgründe mitvorgetragen wurden.
Es ist schon beeindruckend, wie die Juristen sich -kaltschnäuzig wie Apparatschiks- mit sich selbst beschäftigen können.
Muss man angesichts der Möglichkeit, dass Juristen fehlbar sein können, sich nicht endlich mal darüber austauschen, ob es gerecht ist, wenn eine Strafe vollstreckt wird, nicht weil eine Straftat zweifelsfrei feststeht, sondern weil ein Verteidiger, möglicherweise gar ein Pflichtverteidiger oder sogar ein vom Gericht ausgesuchter Geständnisbegleiter, seinen Job nicht oder nicht richtig gemacht hat.
Es wäre eine Freude, wenn sich wenigstens ab und zu mal ein Jurist outet, der wenigstens den Tellerrand gesehen zu haben meint.