Eine neuere Entscheidung des LG Mannheim hatte sich (noch einmal) mit der Frage , ob und wann die zusätzliche Verfahrensgebühr in den Fällen des sog. „gezielten Schweigens“ entsteht. Inzwischen ist der Beschluss aber auf die Gegenvorstellung der Bezirksrevisorin mit Beschluss vom 31.10.2025 aufgehoben und die Beschwerde des Rechtsanwalts zurückgewiesen worden. ich stelle heute beide Beschlüsse vor.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Bandendiebstahls geführt. Mit Beschluss vom 22.5.2025 bestellte das AG dem in anderer Sache inhaftierten Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO i.V.m. § 142 StPO Rechtsanwalt A als Pflichtverteidiger und ordnete ihm für regelmäßige Besuche in der Justizvollzugsanstalt einen Dolmetscher für die arabische Sprache bei. Mit Schriftätzen vom 03.06.2025 und 10.06.2025 teilte der Pflichtverteidiger, dass sein Mandant umfassend von seinem Schweigerecht Gebrauch mache.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Beschuldigten mit Verfügung vom 22.08.2025 nach § 154 Abs. 1 StPO ein, da die Strafe, die wegen der angezeigten Tat verhängt werden könnte, neben einer rechtskräftigen Verurteilung durch das AG Stuttgart voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht falle.
Der Pflichtverteidiger beantragte die Festsetzung der ihm aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen. U.a. machte er eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG geltend. Der Rechtspfleger hat die Gebühr nicht festgesetzt. Die Erinnerung des Pflichtverteidigers hatte beim AG keinen Erfolg. Ausweislich eines Telefonvermerks hatte die zuständige Dezernentin der Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter mitgeteilt, dass die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschuldigten allein deshalb erfolgt sei, da gegen diesen durch das AG eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten ausgesprochen wurde und die Strafe, die wegen der angezeigten Tat verhängt werden könnte, daneben voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht falle. Die Einstellung habe nichts damit zu tun gehabt, dass der Beschuldigte sich entsprechend den Angaben seines Verteidigers nicht zur Sache habe einlassen wollen.
Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte Erfolg. Nach Auffassung des LG ist auch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4114 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VV RVG entstanden.
Hier dann die Leitsätze zu dem LG Mannheim, Beschl. v. 22.10.2025 – 4 Qs 61/25:
1. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens im Sinne des Nr. 4141 VV RVG genügt gebührenrechtlich jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung objektiv geeignet ist. Eine Kausalität wird nicht gefordert: Es genügt jede auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit, die die Einstellung in quantitativer und qualitativer Hinsicht fördert.
2. Die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, Verfahren nach ihrem Ermessen gemäß § 154 Abs. 1 StPO einzustellen, führt nicht stets dazu, die objektive Eignung der anwaltlichen Mitwirkung zur Förderung der Verfahrensbeendigung ohne Hauptverhandlung durch gezieltes Schweigen und damit die Zusatzgebühr nach Nr. 4141 VV RVG zu verneinen.
3. Ist von vornherein evident, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO einstellen wird, entfällt eine objektive Eignung der anwaltlichen Mitwirkung zur Förderung der Verfahrensbeendigung durch gezieltes Schweigen.
Anzumerken ist: Mit den Leitsätzen 1 und 2 gehe ich konform. Wenn aber das LG – so der Leitsatz 3 – darauf abstellt/hinweist, dass dann, wenn von vornherein evident, ist dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO einstellen wird, eine objektive Eignung der anwaltlichen Mitwirkung zur Förderung der Verfahrensbeendigung durch gezieltes Schweigen entfällt, muss man das kritisch sehen. Diese Einschränkung beruht zwar auf der Rechtsprechung des BGH im BGH, Urt. v. 20.1.2011 – IX ZR 123/10, AGS 2011, 128 = RVGreport 2011, 182 = NJW 2011, 1605). Das bedeutet aber nicht, dass das richtig ist. Ich habe aber schon in Zusammenhang mit dem Urteil darauf hingewiesen (vgl. die Anmerkung in RVGreport 2011, 182), dass durch eine solche Verknüpfung nämlich quasi durch die Hintertür darauf abgestellt wird, dass die Mitwirkung des Verteidigers „ursächlich“ für die Einstellung gewesen sein müsse. Das wird aber von der ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur abgelehnt (vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 Rn. 31; a.A. KG RVGprofessionell 2007, 79; AG Betzdorf JurBüro 2008, 589). Zu dieser Frage vermisst man in der Entscheidung des LG Ausführungen. Auch der BGH (a.a.O.) hatte dazu aber nicht Stellung genommen. Ich sehe die Ausnahme zudem auch deshalb kritisch, weil sie, was ja auch hier beim AG und dem Vertreter der Landeskasse angeregt worden ist, dazu führen wird, die „Ursächlichkeit“ zu verneinen, weil die Einstellung von vornherein „evident“ gewesen sein soll, das vom LG dazu angeführte Beispiel überzeugt m.E. nicht. Die Ansicht führt im Übrigen auch zu Mehrarbeit, da ja die Evidenz immer geprüft werden müsste, genau das Gegenteil soll aber mit der Nr. 4141 VV RVG erreicht werden.
Und dann der LG Mannheim, Beschl. v. 31.10.2025 – 4 Qs 61/25. Das ist die erwähnten Entscheidung auf die Gegenvorstellung der Staatskasse. Das LG hatte nämlich übersehen – ich übrigens auch 🙂 – , dass der Beschwerdewert gar nicht erreicht war, auch hatte die Bezirksrevisorin kein rechtliches Gehör. Insoweit gibt es folgende Leitsätze:
1. Sind Beschwerdeentscheidungen unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen und nicht mehr anfechtbar, hat der hierdurch Benachteiligte – der Rechtsanwalt oder die Staatskasse – die Möglichkeit, Gegenvorstellungen zu erheben.
2. Durch diesen gesetzlich nicht geregelten Rechtsbehelf kann das Gericht, gegen dessen Beschluss Gegenvorstellungen erhoben wurde, seine Entscheidung korrigieren.
3. Das Fehlen einer ausdrücklichen Zulassung im Sinne des §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG im Beschluss selbst ist grundsätzlich als Nichtzulassung zu verstehen. Eine nachträgliche Zulassung ist unstatthaft und daher unwirksam.
4. Aus einer – nicht im Beschluss selbst – erfolgten Rechtsmittelbelehrung „einfache Beschwerde“ kann grundsätzlich nicht auf eine konkludente Beschwerdezulassung geschlossen werden.

