Pflichti II: Dauer der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Aussetzung der HV macht kein neues Verfahren

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Die zweite „Pflichti-Entscheidung kommt dann mit dem BGH, Beschl. v. 02.10.2025 – StB 49/25 – auch „von ganz oben.

Ergangen ist der Beschluss in einem beim OLG München anhängigen Verfahren. In dem sind am 30.09.2024 dem Angeklagten der vormalige Wahlverteidiger Rechtsanwalt H. und die von ihm benannte Rechtsanwältin S. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens hat das OLG am 16.01.2025 erstmals mit der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und Mitangeklagte begonnen. Am 17.04.2025 hat es aufgrund Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten das Verfahren gegen ihn abgetrennt und die Hauptverhandlung ausgesetzt. Mit Verfügung vom 05.08.2025 hat der Senatsvorsitzende neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.10.2025 und 35 Fortsetzungstermine bis zum 30.01.2026 bestimmt.

Mit Schriftsatz vom 12.08.2025 hat Rechtsanwältin R. die Verteidigung und Vertretung des Angeklagten angezeigt. Mit ihrem Schriftsatz vom 18.08.2025 hat der Angeklagte den Antrag gestellt, die Bestellung von Rechtsanwältin S. aufzuheben und Rechtsanwältin R. selbst als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Rechtsanwältin S. hat mit Schriftsatz vom 22.08.2025 mitgeteilt, sie habe zu keinem Zeitpunkt ein Einverständnis zu ihrer Entpflichtung erteilt.

Mit Beschluss vom 29.08.2025 hat das OLG den Antrag des Angeklagten abgelehnt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten. Diese hatte keinen Erfolg:

„Die gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 32a Abs. 3 Satz 2, § 311 Abs. 1 und 2 StPO) sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat den Antrag auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin S. unter gleichzeitiger Bestellung von Rechtsanwältin R. als Pflichtverteidigerin beanstandungsfrei abgelehnt.

1. Die Bestellung der Rechtsanwälte H. und S. ist – entgegen dem Beschwerdevorbringen – nicht mit der Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten oder der Aussetzung der Hauptverhandlung gegen ihn beendet.

Nach § 143 Abs. 1 StPO endet die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens. Da das Verfahren hier nicht abgeschlossen und insbesondere nicht durch Abtrennung oder Aussetzung beendet ist, wirkt die Bestellung der Pflichtverteidiger fort:

Die Staatsanwaltschaft kann einzelne Strafsachen gegen verschiedene Beschuldigte zu einem einheitlichen Ermittlungsverfahren verbinden und gemeinsam anklagen, wenn zwischen den Sachen ein Zusammenhang besteht (§ 3 StPO), etwa die Vorwürfe auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen (s. Meyer-Goßner, NStZ 2004, 353, 355, 358; LR/Claus/Erb/Nicknig, StPO, 28. Aufl., § 2 Rn. 5). Werden sie nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklage getrennt (vgl. § 4 Abs. 1 StPO als Regelung im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit), indem das Verfahren gegen einen Angeklagten aus dem Verbund abgetrennt wird, handelt es sich weiterhin um die nämliche gegen diesen Angeklagten – nunmehr prozessual selbständig – betriebene Sache (vgl. Rotsch/Sahan, JA 2005, 801, 804; HK-GS/Bosbach, StPO, 5. Aufl., § 4 Rn. 9; KK-StPO/Geilhorn, 9. Aufl., § 4 Rn. 13; LR/Claus/Erb/Nicknig aaO, § 4 Rn. 30; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 4 Rn. 11; SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl., § 2 Rn. 1, 19, § 4 Rn. 10), somit im Hinblick auf ihn um die Fortsetzung des vorausgegangenen Verfahrens. Mit der Aussetzung der Hauptverhandlung (nicht des Verfahrens) nach § 228 Abs. 1 Satz 1 StPO wird der Prozess in den Stand zurückversetzt, den er nach Zulassung der Anklage hatte, so dass die Hauptverhandlung neu beginnen muss (vgl. MüKoStPO/Arnoldi, 2. Aufl., § 228 Rn. 3, § 229 Rn. 36); die Aussetzung der Hauptverhandlung bewirkt hingegen kein neues Verfahren.

Der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt H. ist mithin gegenstandslos, weil dieser aus den dargelegten Gründen weiterhin Pflichtverteidiger des Angeklagten ist. Der Antrag kann mit der Beschwerde nicht erfolgreich weiterverfolgt werden.

2. Die Voraussetzungen eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a Abs. 2 Satz 1 StPO sind nicht erfüllt.

a) Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwältin S. aus in ihrer Person liegenden Gründen daran gehindert sein könnte, die Verteidigung ordnungsgemäß zu führen (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO), liegen nicht vor.

b) Für eine schwerwiegende und endgültige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und seiner gegenwärtigen Pflichtverteidigerin, die gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 StPO einen Pflichtverteidigerwechsel gebieten könnte (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 12. März 2024 − StB 16/24, NStZ-RR 2024, 155, 156 mwN), ist nichts ersichtlich. Solches ist von dem Beschwerdeführer auch nicht vorgetragen worden. Sein pauschales Vorbringen, es handele sich bei den Rechtsanwälten H. und R. um die Verteidiger seines Vertrauens und er wünsche eine Verteidigung durch Rechtsanwältin S. nicht (mehr), genügt insofern nicht.

3. Ein konsensualer Pflichtverteidigerwechsel (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2023 − StB 49/23, NStZ 2024, 310 Rn. 4 ff.) scheidet schon deshalb aus, weil es an einer diesbezüglichen Einverständniserklärung von Rechtsanwältin S. fehlt.“

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