Straßenblockade/Nötigung des „Klimastraßenklebers, oder: Gewaltbegriff des § 240 StGB

Zum Wochenstart stelle ich heute zwei Entscheidungen des BayObLG zu Themen vor, die in der letzten Zeit die Rechtsprechung häufig(er) beschäftigt haben.

Hier ist zunächst der BayObLG, Beschl. v. 11.03.2025 – 203 StRR 1/25 – noch einmal zur Frage der Nötigung in einem „Klimakleberfall“. Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte beteiligte sich am 16. August 2022 um die Mittagszeit am Bahnhofsplatz in N. an einer politisch motivierten, von den Teilnehmern geplanten, gleichwohl unangekündigten Straßenblockade, indem sie sich gegen 11.58 Uhr gemeinsam mit den weiteren Teilnehmern dem gemeinsamen Tatplan folgend auf die zu diesem Zeitpunkt vom öffentlichen Verkehr genutzte Fahrbahn setzte, um für die Kraftfahrzeugführer ein unüberwindbares Hindernis zu bilden, wobei sich einzelne Mitaktivisten, wie von vorne herein in der Gruppe abgesprochen und von der Angeklagten mitgetragen, zu diesem Zweck zudem auf die Fahrbahn klebten. Eine Ausweichmöglichkeit für die betroffenen Fahrzeugführer bestand nicht. Das Ziel der Aktion war es, die Bevölkerung für den Klimawandel zu sensibilisieren. Den Aufforderungen der Polizei, die Fahrbahn für den Verkehr freizugeben, leisteten die Angeklagte und die weiteren Teilnehmer der Protestaktion keine Folge. Wie von der Angeklagten und den weiteren Teilnehmern beabsichtigt, hielten die in beide Richtungen fahrenden Fahrzeugführer vor den Protestierenden an mit der Folge, dass auch die ihnen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer für eine Zeitdauer zwischen 25 und 40 Minuten an ihrer Weiterfahrt gehindert wurden. Die Angeklagte wurde um 13.05 Uhr von Einsatzkräften von der Fahrbahn getragen. Um 15.04 Uhr wurde die Fahrbahn in beide Richtungen wieder für den Verkehr freigegeben.“

Das BayObLG hat gegen die Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 StGB) keine Einwände:

„3. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen Nötigung in 10 tateinheitlichen Fällen.

a) Indem sich die Angeklagte gemeinsam mit den weiteren Aktivisten absprachegemäß auf die Fahrbahn setzte und durch dieses Verhalten dem gemeinsam gefassten Tatplan gemäß die Fahrer der Fahrzeuge der ersten Reihe, die die Blockierer nicht überfahren wollten, willentlich zum Halten brachte, schuf sie mittels der stehenden Fahrzeuge der ersten Reihe jedenfalls für die diesen nachfolgenden 10 Fahrzeugführer eine physische Barriere (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 -, juris Rn. 33). Sie bewirkte, dass die Fortbewegung von mindestens 10 Personen ohne deren vor der von den Tätern begründeten Zwangslage gefassten Einverständnis (vgl. Sinn in MüKoStGB, 4. Aufl., § 240 Rn. 104) durch die Fahrzeuge, die in erster Reihe hielten, unüberwindbar blockiert und ihre Weiterfahrt für eine tatbestandserhebliche Zeitspanne von mindestens 25 Minuten (Urteil S. 7) verhindert wurde.

b) Ob sich die von der Blockadeaktion objektiv betroffenen Fahrzeugführer von der Aktion subjektiv belästigt fühlten oder nach dem erzwungenen Anhalten die Wartezeit für sich akzeptierten, ist für den Gewaltbegriff ohne Relevanz. Die Empfindungen des Opfers, wenn es sein Verhalten nicht an seinem Willen, sondern an dem des Täters ausrichtet, sind ohne Bedeutung. Eine Nötigung liegt auch dann vor, wenn die vor einer Blockade zum Halt gebrachten Personen das Geschehen belustigt oder – etwa wegen des Dienstausfalls – erfreut zur Kenntnis nehmen. Allein entscheidend ist, dass sie an ihrem ursprünglichen Vorhaben gewaltsam gehindert wurden (Altvater/Coen in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 240 StGB Rn. 105 m.w.N.). Die von der Revision unter Berufung auf diesen Aspekt vermisste Vernehmung der Geschädigten war daher nicht erforderlich.

c) Soweit die Revision bezüglich der von ihr angezweifelten Zeitangaben auf die verakteten Vernehmungsprotokolle der Geschädigten verweist, ist dieser Vortrag urteilsfremd. Eine diesbezügliche Verfahrensrüge hat die Angeklagte nicht zulässig erhoben.

d) Ob darüber hinaus das der Angeklagten über die Rechtsfigur der Mittäterschaft nach § 25 StGB zurechenbare Ankleben auf der Fahrbahn von Seiten anderer Blockierer eine über die bloße Anwesenheit hinausgehende Kraftentfaltung darstellt, die bereits von den Fahrzeugführern der ersten Reihe als körperlich wirkender Zwang empfunden wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Februar 2025 – 2 ORs 350 SRs 613/24 –, juris Rn. 10; im Ergebnis auch KG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 3 ORs 69/23 –, juris Rn. 9; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2015 – 2 Ss 9/15 –, juris Rn. 20 zum Anketten; BGH, Beschluss vom 23. April 2002 – 1 StR 100/02 –, juris zu einem Klettern auf die Motorhaube; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris Rn. 33 zum Umlegen und verschließen einer Kette; Altvater/Coen a.a.O. § 240 StGB Rn. 39 zum Festketten), so dass es auf die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht ankommen würde, kann der Senat hier nach der Verfahrensbeschränkung dahinstehen lassen.

e) Dass das Landgericht eine physische und psychische Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 Alt. 1 StGB nicht erörtert hat (für eine Strafbarkeit KG Berlin, Beschluss vom 14. November 2024 – 3 ORs 65/24 –, juris zum Ankleben an einen Reisebus; KG Berlin, Beschluss vom 16. August 2023 – 3 ORs 46/23 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 10. Juli 2024 – 3 ORs 30/24 –, juris), beschwert die Angeklagte nicht.

f) Die Prüfung des Eingreifens allgemeiner Rechtfertigungsgründe und der Verwerflichkeit genügt ebenfalls den Anforderungen der Rechtsprechung für den Fall politischer Protestaktionen (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2024 – 203 StRR 250/24-, juris; BayObLG, Beschluss vom 21. April 2023 – 205 StRR 63/23 –, juris Rn. 38 ff.; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris). Die Revision zeigt auch insoweit keinen Rechtsfehler auf.“

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