Archiv für den Monat: März 2024

StGB III: (Erst) Beisetzung einer leeren Schmuckurne, oder: Aschekapsel später ==> Störung der Totenruhe?

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Und als letzte Entscheidung dann der OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 ORs 258/23. Die Entscheidung hätte auch in einer Rubrik „Kurioses“ veröffentlicht werden können. Denn es handelt sich um einen zumindest nicht alltäglichen Fall, nämlich um die Frage der Störung der Totenruhe, wenn der Bestatter (zunächst) nur eine leere Schmuckurne beisetzt,

Folgender Sachverhalt:

„1, Nach den bezüglich der Verurteilung des Angeklagten getroffenen Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum als Mitgeschäftsführer in der Firma BB GmbH tätig. Die Zeugin CC, gegen die ebenfalls ein nach Zahlung einer Geldauflage eingestelltes Ermittlungsverfahren geführt worden ist, absolvierte dort eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft.

Am 18. März 2019 übernahm die Zeugin die Betreuung des Sterbefalles DD, der am TT. MM 2019 verstorben war, und führte das Trauergespräch mit den Hinterbliebenen. Diese wünschten eine Trauerandacht mit Sarg in der Friedhofskapelle, die Einäscherung des Verstorbenen und eine Urnenbeisetzung im Familienkreis auf dem EE Friedhof in Ort2. Als Termine wurden für die Trauerandacht der 27. März 2019 und für die Urnenbeisetzung der 15. April 2019, 11:00 Uhr vereinbart. Zudem wählten die Hinterbliebenen eine im Bestattungshaus vorrätige Schmuckurne aus, die von der Zeugin zunächst auf einem Bord im Sarglager abgestellt wurde. Nach Durchführung der Trauerfeier war die Kremierung des Leichnams durch die FF GmbH in Ort3 vorgesehen.

Etwa zwei Stunden vor dem geplanten Termin für die Urnenbeisetzung wurde der Zeugin durch einen Mitarbeiter des Krematoriums mitgeteilt, dass die Einäscherung noch nicht erfolgt sei, weil die dafür notwendige Sterbeurkunde – offenbar aufgrund einer technischen Störung beim Faxversand durch das Bestattungsunternehmen – noch nicht vorliege. Der Zeugin, der klar war, dass die Urnenbestattung an diesem Tag nicht würde stattfinden können und die deshalb beabsichtigte, die Angehörigen über die notwendige Verschiebung des Termins zu informieren, wandte sich deswegen an den Angeklagten. Dieser forderte die Zeugin auf, die Sache anders zu regeln. Die Urnenbeisetzung solle wie geplant stattfinden. Die Aschekapsel solle dann nachträglich in die Schmuckurne, die er zu diesem Zwecke nachts auf dem Friedhof ausgraben werde, eingesetzt werden. Auf die Frage der Zeugin, wie mit der leeren Schmuckurne zu verfahren sei, nahm der Angeklagte diese an sich. Kurze Zeit später kehrte er mit der verschlossenen, wie sich später herausstellte vorwiegend mit Sand gefüllten Schmuckurne zurück und übergab sie der Zeugin. Sodann begab sich die Zeugin zum EE Friedhof in Ort3 und führte dort mit den Angehörigen die Beisetzung der Schmuckurne durch.

Nachdem am 18. April 2019 die Aschekapsel zusammen mit einer Einäscherungsbescheinigung vom 16. April 2019 eingetroffen war, legte die Zeugin diese entgegen der Übung, wonach Schmuckurnen und Aschekapseln bis zur Beisetzung im Sarglager aufbewahrt wurden, in einen Schrank in ihrem Büro. Die Hinterbliebenen, die die Asche des Verstorbenen in der Grabstelle wähnten, wurden hiervon nicht in Kenntnis gesetzt. In der Folgezeit trat die Zeugin wegen des nachträglichen Einsetzens der Aschekapsel mehrfach an den Angeklagten heran, der die Zeugin indes hinhielt und untätig blieb.

Die Aschekapsel wurde erst Ende September 2019 nach dem Ausscheiden der Zeugin aus dem Betrieb aufgefunden. Nachdem die Zeugin sich gegenüber dem Mitgeschäftsführer GG offenbart und dieser die Polizei informiert hatte, wurde die Schmuckurne auf dem Friedhof ausgegraben und untersucht, wobei sich deren Befüllung mit vorwiegend Sand, daneben auch einer geringen Beimengung von Rückständen aus einer Kremation, ergab. Die im Schrank der Zeugin vorgefundene Aschekapsel wurde sodann am 29. November 2019 auf Kosten des Bestattungsunternehmens nachträglich beigesetzt.“

Das AG hatte den Angeklagten deswegen wegen Anstiftung zur Störung der Totenruhe und wegen Beihilfe zur Störung der Totenruhe verurteilt. Auf die hiergegen eingelegten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das LG den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Anstiftung zur Störung der Totenruhe zu einer reduzierten Geldstrafe verurteilt:

„3. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten zutreffend als Anstiftung zur Störung der Totenruhe gemäß §§ 168 Abs. 1 Alt. 1, 26 StGB gewertet.

Die Zeugin CC hat durch ihr Handeln, zu dem sie durch den Angeklagten bestimmt worden ist, unbefugt die Asche eines verstorbenen Menschen aus dem Gewahrsam des Berechtigten weggenommen.

a) Gewahrsam des Berechtigten im Sinne von § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB setzt nicht ungehinderte tatsächliche Herrschaft voraus (vgl. KG, Beschluss v. 20.11.1989, 4 Ws 80/89, bei juris Rz. 8). Vielmehr ist der Begriff des Gewahrsams durch die Konnotation mit dem „Berechtigten“ normativ gebunden (Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen-Stübinger, StGB, 5. Aufl., § 168 Rz. 8). Die Definition des Gewahrsams im Sinne von § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB kann daher nicht völlig mit dem (Sach-)Gewahrsam der §§ 242, 246 StGB gleichgesetzt werden. Gemeint ist in § 168 StGB die Obhut über die Leiche im Sinne eines Aufsichts- oder Bewachungsverhältnisses. Auch im Anwendungsbereich des § 168 StGB setzt dieser aber ein tatsächliches Obhutsverhältnis voraus, das über die bloße Berechtigung zur Totensorge hinausgeht und jedenfalls die faktische Möglichkeit eröffnet, über den Leichnam bzw. die anderen Tatobjekte – etwa die Asche des Verstorbenen – zu disponieren (vgl. LK-Radtke, StGB, 13. Aufl., § 168 Rz. 26; MüKo-Hörnle, StGB § 168 Rz. 13).

Hiervon ausgehend liegt jedenfalls Mitgewahrsam im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB vor, wenn der Leichnam in der Leichenhalle aufgebahrt ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 29.11.1974, 2 Ws 239/74, NJW 1975, 271). Gleiches gilt in Bezug auf die Leiche und die Asche des Verstorbenen auch bei einer Überführung in ein Krematorium (vgl. OLG Bamberg, Urteil v. 29.01.2008, 2 Ss 125/07, bei juris Rz. 42).

Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht zutreffend von dem Bestehen eines Mitgewahrsams der totensorgeberechtigten Angehörigen des Verstorbenen DD ausgegangen.

b) Die Strafkammer hat auch zu Recht eine Wegnahme im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB bejaht.

Die Wegnahme ist mit dem Bruch des Gewahrsams des Berechtigten vollendet, also sobald dessen tatsächliches Aufsichts- oder Bewachungsverhältnis aufgehoben wird. Auf eine Begründung eines neuen Gewahrsams kommt es nicht an (vgl. LK-Radtke, StGB, 13. Aufl., § 168 Rz. 34). Dabei setzte die Aufhebung des Gewahrsams ebenso wie bei § 242 StGB begrifflich jedoch ein Handeln gegen oder ohne Willen des zum Gewahrsam Berechtigten, der tatsächlich auch den Gewahrsam ausübt, voraus (vgl. LK-Radtke, a.a.O. Rz. 23). Da auch der Bruch von (zumindest gleichrangigem) Mitgewahrsam ausreicht, machen sich auch Angestellte des vom Totensorgeberechtigten beauftragten Bestattungsunternehmens strafbar, wenn sie den Leichnam bzw. die Asche oder Teile davon entfernen (MüKo-Hörnle, StGB, 4. Aufl., § 168 Rz. 17).

Dabei ist im Hinblick auf den normativen, maßgeblich auf den aus dem Obhutsverhältnis abgeleiteten Gewahrsamswillen abstellenden Gewahrsamsbegriff des § 168 StGB nicht maßgeblich, ob und wann die Asche des Verstorbenen tatsächlich – vorliegend etwa durch Verbringen der Asche in den Schrank im Büro der Zeugin – der faktischen Zugriffsmöglichkeit der Totensorgeberechtigten entzogen worden ist. Vielmehr ist entscheidend, wann diese einen entsprechenden Gewahrsamswillen aufgegeben und ob sie dies aus freien Stücken getan haben. Dabei gilt Entsprechendes wie für die Abgrenzung des in Bezug auf den Gewahrsamsbegriff engeren Diebstahlstatbestand zum Betrug. Hier ist anerkannt, dass die Annahme einer Vermögensverfügung in Gestalt einer Duldung nur dann in Betracht kommt, wenn auch die Verschaffung von Alleingewahrsam durch den Täter noch von einem freien, der Handlung des Täters zustimmenden Willen des durch Täuschung zur Einräumung von Mitgewahrsam veranlassten Opfers getragen wird. Findet der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen statt, liegt Wegnahme vor (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1986, 2 StR 537/86, bei juris Rz. 5).

Vorliegend hatten die Totensorgeberechtigten aber nach den Feststellungen überhaupt keine Kenntnis davon, dass mit der Beisetzung der von ihnen ausgewählten Schmuckurne nicht ihr bislang bestehender Mitgewahrsam am Körper des Verstorbenen – nunmehr zusammen mit der Friedhofsverwaltung (vgl. MüKo-Hörnle, StGB, 4. Aufl., § 168 Rz. 13; Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen-Stübinger, StGB, 5. Aufl., § 168 Rz. 9) – fortgesetzt werden sollte, sondern stattdessen der Leichnam des Verstorbenen sich noch im Krematorium befand und die Asche nach Durchführung der Kremierung zumindest vorübergehend in den Räumlichkeiten des Bestattungsinstituts verbleiben sollte. Ihr Gewahrsamswille bezog sich nunmehr allein auf den Inhalt der beigesetzten Schmuckurne. Eine freiwillige Aufgabe der den Gewahrsam im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB kennzeichnenden Dispositionsbefugnis in Bezug auf Leichnam und Asche des Verstorbenen und damit angesichts der gebotenen normativen Betrachtung des Mitgewahrsams im Sinne dieser Vorschrift (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 29.11.1974, 2 Ws 239/74, NJW 1975, 271) lag damit nicht vor.

c) Da die Zeugin CC als Auszubildende auf Anweisung des Angeklagten handelte, der als Geschäftsführer ihr gegenüber weisungsbefugt war, hat der Angeklagte sie auch im Sinne von § 26 StGB zu der Tat bestimmt.

d) Dass eine Vollendung der Tat bereits mit der Beisetzung der vermeintlich die Asche des Verstorbenen enthaltenden Schmuckurne und nicht – wie vom Landgericht angenommen – erst mit der nachfolgenden Aufbewahrung der Asche im Bestattungsunternehmen eingetreten ist, steht einer Aufrechterhaltung des Schuldspruchs nicht entgegen. Die prozessuale Tatidentität wird dadurch nicht berührt; dass der Angeklagte sich anders als geschehen verteidigt hätte, ist nicht erkennbar.“

StGB II: Ist erzwungener Oralverkehr Vergewaltigung?, oder: Entgegenstehenden Willen eindeutig geäußert?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, behandelt eine Frage in Zusammenhang mit dem Vergewaltigungstatbestand (§ 177 StGB). Ich hatte die Entscheidung, den KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23 – 161 Ss 133/23 -, schon einmal vorgestellt, und zwar wegen der Ausführungen des KG zur Einheitsjugendstrafe (vgl. Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe). 

Heute kommt der Beschluss also noch einmal, und zwar wegen der Ausführungen des KG zum materiellen Recht, nämlich zur Frage des Vorliegens einer Vergewaltigung. Konkret geht es darum, ob auch ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen kann. Das KG hat die Frage bejaht und sich eingehend mit der Porblematik auseinandergesetzt. Die Verteidigung war insoweit der Auffassung gewesen, ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter könne nicht unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen, da der Oralverkehr dessen aktives Handeln erfordere und damit stets dem natürlichen Willen des Opfers entspreche,

Dem hat sich das KG nicht angeschlossen. Ich stelle hier nur den Leitsatz des KG ein/vor. Den Rest bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

Auch ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter kann unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen. Es genügt für die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, dass eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers so nachhaltig ist, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden. Die Beweiswürdigung hat sich in diesen Fällen besonders sorgfältig mit dem gewichtigen Umstand auseinanderzusetzen.

StGB I: Ein wuchtiger Fausthieb in das obere Gesicht, oder: Eine das Leben gefährdende Behandlung

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Und heute dann drei StGB-Entscheidung.

Den Opener mache ich hier mit dem BGH, Urt. v. 25.01.2024 – 3 StR 157/23 -, das sich mal wieder zum Vorliegen eine gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bei einem wuchtigen Faustschlag auf den Kopf äußert.

Es geht darum, dass der Angeklagte dem Nebenkläger bei einem Streit einen derart wuchtigen Fausthieb in die rechte obere Gesichtshälfte versetzt hat, dass dieser sofort und auf der Stelle bewusstlos zusammenbrach. Durch den Faustschlag erlitt der Nebenkläger mehrfache Knochenbrüche im Gesicht. Wegen der Befürchtung einer Hirnblutung wurde er intensivmedizinisch versorgt. Zudem musste er wiederholt operiert werden. Er trug Dauerschäden am rechten Auge davon, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage ist, Abstände zutreffend einzuschätzen. Deshalb darf er in seinem – bislang ausgeübten – Beruf als Straßenbauer keine Maschinen mehr bedienen. Zudem leidet er unter Taubheitsgefühlen in der rechten Gesichtshälfte.

Das LG hat diese Tat (nur) als (vorsätzliche) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB  gewertet. Dagegen die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger, die Erfolg hatte. Der BGh führt in dem umfangreich begründeten Urteil, in dem er auch noch zu anderen Fragen Stellung genommen hat, zu diesem Angriff aus:

„Jedoch hat die Strafkammer hinsichtlich des wuchtigen Fausthiebes in die rechte obere Gesichtshälfte des Nebenklägers rechtsfehlerhaft lediglich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen „einfacher“ (vorsätzlicher) Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angenommen. Wie die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers zutreffend rügen, hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht tragfähig verneint.

aa) Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht, dass das Opfer tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die Einwirkung durch den Täter nach den Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist danach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im konkreten Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2022 – 2 StR 267/22, juris Rn. 9; vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19, NStZ 2021, 107 Rn. 6 mwN; Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 42; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 12). Um die gegenüber der „einfachen“ Körperverletzung höhere Strafandrohung begründen zu können, kommt es maßgebend auf die Gefährlichkeit der Tathandlung, nicht aber auf die eingetretenen Verletzungen an.

Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2022 – 2 StR 267/22, juris Rn. 9; vom 7. Oktober 2021 – 6 StR 393/21, juris; Urteile vom 22. Januar 2015 – 3 StR 301/14, juris Rn. 6; vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342; Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345, 346; vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 8; Urteil vom 6. Juni 2007 – 2 StR 105/07, juris Rn. 5; Beschluss vom 23. Juli 2004 – 2 StR 101/04, NStZ 2005, 156 Rn. 4; Urteile vom 8. März 1990 – 2 StR 615/89, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung; vom 23. Juni 1964 – 5 StR 182/64, BGHSt 19, 352; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 45). Dies gilt selbst für Schläge mit der bloßen Hand in das Gesicht oder gegen den Kopf, sofern Umstände in der Tatausführung oder individuelle Besonderheiten beim Opfer vorliegen, die das Gefahrenpotential der Handlung im Vergleich zu einer „einfachen” Körperverletzung deutlich erhöhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2022 – 2 StR 267/22, juris Rn. 11; vom 16. Januar 2013 – 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345, 346). Insbesondere gilt dies für kräftige Fausthiebe gegen den Kopf, namentlich gegen die Schläfenregion (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 38/13, NStZ-RR 2013, 342; Beschlüsse vom 20. Februar 2013 – 1 StR 585/12, BGHSt 58, 140 Rn. 18; vom 20. Juli 2010 – 5 StR 255/10, juris).

bb) Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt erkannt, dass Schläge mit der Faust gegen den Kopf im Einzelfall eine das Leben gefährdende Behandlung sein können. Zu Unrecht hat sie indes angenommen, die Beweisaufnahme habe hierfür keine Anhaltspunkte ergeben. Mit dieser Wertung hat das Landgericht das Ergebnis der Beweiserhebung nicht ausgeschöpft; in dieser Hinsicht ist die Würdigung der im Urteil dargelegten Beweisergebnisse lückenhaft. Die Urteilsgründe führen insofern lediglich an, zu einer zunächst befürchteten Hirnblutung beim Nebenkläger sei es nicht gekommen. Aus den Verletzungen lasse sich mithin ein erhöhtes Gefahrenpotential des Faustschlages nicht ableiten. Damit hat die Strafkammer den Blick zu Unrecht lediglich auf das Ausbleiben einer tatsächlich lebensbedrohlichen Hirnblutung gerichtet. Sie hat jedenfalls nicht hinreichend berücksichtigt, dass es für die rechtliche Einordnung einer Körperverletzungshandlung als eine das Leben gefährdende Behandlung nicht auf den eingetretenen Verletzungserfolg, sondern auf die grundsätzliche Geeignetheit der Tathandlung ankommt, im konkreten Fall lebensbedrohliche Verletzungen des Opfers zu bewirken. Deshalb hätte die Strafkammer in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Nebenkläger aufgrund eines einzigen Fausthiebes in das Gesicht – und zwar zumindest in Nähe der rechten Schläfe – sogleich bewusstlos wurde und auf der Stelle zu Boden fiel. Dies deutet auf einen mit außergewöhnlich großer Kraft geführten Schlag hin. Ausweislich der Feststellungen der durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen beratenen Strafkammer kann ein derart wuchtiger Fausthieb ohne Weiteres Hirnblutungen und damit eine akut lebensbedrohliche Verletzung bewirken, weshalb das Tatopfer wegen der konkreten Befürchtung einer solchen Tatfolge, also wegen der Besorgnis akuter Lebensgefahr, zunächst intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Strafkammer hat zudem die außerordentlich massiven weiteren Verletzungen des Nebenklägers nicht in den Blick genommen. Dieser erlitt durch den Faustschlag Brüche des Kiefers, des Jochbeins und des Nasenbeins. Er musste operiert werden, wobei ihm mehrere Metallplatten in den Kopf eingesetzt wurden. Über Monate konnte er keine feste Nahrung zu sich nehmen. Auch wenn diese schweren Verletzungen für sich genommen nicht lebensbedrohlich waren, so hätte doch ihre Indizwirkung für die Massivität der Einwirkung und damit deren generelle Eignung zur Lebensgefährdung berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommt, dass der Nebenkläger aufgrund des Fausthiebes und der dadurch verursachten sofortigen Bewusstlosigkeit ungeschützt – nach einer Zeugenaussage „wie ein Baumstamm“ – zu Boden fiel und auf das Straßenpflaster aufschlug. Insofern wäre zu erwägen gewesen, ob das Tatgeschehen das Risiko in sich barg, dass der Nebenkläger sturzbedingt konkret lebensbedrohliche Verletzungen hätte erleiden können.

cc) Eine Schuldspruchänderung durch den Senat dahin, dass der Angeklagte aufgrund der Tat zum Nachteil des Nebenklägers der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB schuldig ist, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Strafkammer keine Feststellungen zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Angeklagten und damit zum Vorsatz hinsichtlich des Qualifikationsmerkmals einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2023 – 4 StR 300/22, NStZ-RR 2023, 177; vom 20. Dezember 2022 – 2 StR 267/22, juris Rn. 15) getroffen hat.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Nach welchem Gebührenrahmen, LG oder SchwG, kann ich abrechnen?

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Am vergangenen Freitag hatte ich üner: Ich habe da mal eine Frage: Nach welchem Gebührenrahmen, LG oder SchwG, kann ich abrechnen?, berichtet.

Hier meine Antwort, die auch einige andere Kollegen gegeben hatten, nachdem der Sachverhalt „nachgebessert“ war:

„Die Frage verstehe ich nicht und auch die Antwort des Kollegen nicht, die Sie im Ohr haben.

Es kann doch nach dem Wortlaut der Nr. 4118 VV RVG nur darum gehen, ob beim Schwurgericht verhandelt worden ist oder bei einer Strafkammer nach den §§ 74a, 74c GVG. Angeklagt war nach §§ 223, 224 StGB. Dann ist doch im Zweifel zur normalen großen Strafkammer vorgelegt worden oder ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, den Sie ja nun sicherlich auch gelesen haben, etwas anderes? Wahrscheinlich nicht.

Die Frage des Sicherungsverfahrens spielt insoweit keine Rolle. Sie spielt nur dann eine Rolle, wenn das Schwurgericht ggf. im Sicherungsverfahren verhandelt hat, weil man dann fragen könnte, ob das dann die Nrn. 4118 ff. RVG ausschließt?. Die Frage stellen heißt aber, sie verneinen.

Mir erschließt sich nicht, woraus der Kollege, dessen „Antwort Sie im Ohr haben“, aus dem Umstand: „normales“ Sicherungsverfahren schließt, dass dann Gebühren nach den Nrn. 4118 ff. RVG entstehen.“

Urteil II: Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist, oder: Welche „Nachfrist“ in einer Haftsache?

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Und die zweite „Urteilsentscheidung“ behandelt auch einen Dauerbrenner, nämlich die Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 Abs. 1 S. 4 StPO). Allerdings geht es im dem OLG Celle, Beschl. v.  20.02.204 – 2 ORs 1/24 – um eine Abwandlung, nämlich um die Frage: Wie lange darf es nach Wegfall des eine Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist rechtfertigenden Umstandes dauern, bis das Urteil zur Akte gebracht ist.

Dazu führt das OLG aus:

“ ….. Die erhobene Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 7 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover.

1.Wird die Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist gerügt, muss in tatsächlicher Hinsicht vorgetragen werden, dass das unterschriebene Urteil nicht innerhalb der Frist zur Akte gelangt ist. Dabei sind alle Tatsachen darzulegen, die eine sichere Berechnung der sich aus § 275 Abs. 1 StPO ergebenden Frist ermöglichen. Das Datum des Urteilseingangs ist anzugeben (vgl. Senat, Beschluss vom 01.03.2023 – 2 ORs 10/23 -). Diesen Anforderungen wird die erhobene Verfahrensrüge gerecht.

…..

Die Verfahrensrüge stellt darauf ab, dass das Urteil bereits am 02.11.2023 hätte abgesetzt werden müssen und die dienstliche Erklärung keine Angaben dazu enthalte, was dem entgegengestanden habe. Zudem verweist sie auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen.

Der Senat hat im Freibeweisverfahren eine ergänzende dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden eingeholt. Diese Stellungnahme lag dem Senat am 14.02.2024 vor.

2. Die in zulässiger Weise erhobene Rüge der Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist (§ 338 Nr. 7, § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) greift durch.

Das Urteil wurde am 01.09.2023, dem 5. Hauptverhandlungstag, verkündet, so dass es gemäß § 275 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz StPO spätestens am 20.10.2023 zu den Akten zu bringen gewesen wäre. Am 01.10.2023 verunfallte der Vorsitzende. Er war deshalb bis einschließlich 30.10.2023 dienstunfähig erkrankt. Nach dem Feiertag am 31.10.2023 (Reformationstag) nahm er am 01.11.2023 seinen Dienst wieder auf. Am 07.11.2023 legte er das Urteil in Diktatform nieder. Am 16.11.2023 ging das vollständig geschriebene und vom Vorsitzenden unterzeichnete Urteil bei der Geschäftsstelle ein.

Nach § 275 Abs. 1 S. 4 StPO darf die Frist nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Unfall des Vorsitzenden am 01.10.2023 und seine daraus folgende Dienstunfähigkeit bis zum 30.10.2023 einschließlich stellen zwar einen solchen nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand dar, der mithin eine Fristüberschreitung gemäß § 275 Abs. 1 S. 4 StPO rechtfertigte. Jedoch hätte das Urteil nicht erst am 16.11.2023 zu den Akten gelangen dürfen.

Das Urteil ist nicht bereits am 07.11.2023 im Sinne von § 275 Abs. 1 S. 2 StPO zu den Akten gebracht worden. An diesem Tag hat der Vorsitzende das Urteil vielmehr nur „in Diktatform niedergelegt“. Das auf einen Tonträger diktierte Diktat genügt aber nicht. Vielmehr muss das zu den Akten gebrachte Urteil in Schriftform vorliegen und von allen Berufsrichtern unterzeichnet sein (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 275 Rn. 3 m. w. N.). Das war nach der vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 14.02.2024 erst am 16.11.2023 der Fall. Am Morgen dieses Tages hat er gegen 9:30 Uhr das von ihm unterschriebene Urteil persönlich auf die Geschäftsstelle gebracht.

Nach Wegfall des Hindernisses muss das Urteil mit größtmöglicher Beschleunigung zu den Akten gebracht werden (vgl. BGH NStZ, 1982, 519; StV 1995, 514). Nach dieser Rechtsprechung des BGH sind insoweit Verzögerungen von vier Arbeitstagen nicht  mehr zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall waren es von der Wiederaufnahme der Dienstgeschäfte des Vorsitzenden am 01.11.2023 bis zum Eingang des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle am 16.11.2023 zwölf Arbeitstage (16 Kalendertage). Im Hinblick darauf, dass auf der einen Seite die Hauptverhandlung fünf Tage in Anspruch nahm, der Angeklagte jede Tatbeteiligung bestritt, eine umfassende Beweiswürdigung unter Auswertung auch eines Sachverständigengutachtens vorzunehmen war und das fertige Urteil 19 Seiten füllt, auf der anderen Seite der Vorsitzende seiner dienstlichen Stellungnahme vom 14.02.2024 zufolge nur mit einem Arbeitskraftanteil von 0,5 eingesetzt ist, nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 01.11.2023 und Durchsicht sämtlicher aufgelaufener von insgesamt 37 in der Kammer anhängigen Sachen die vorrangig zu bearbeitenden Verfahren gesichtet und sodann unverzüglich mit der Bearbeitung der vorliegenden Sache begonnen, eine auf den 06.11.2023 terminierte Hauptverhandlung aufgehoben und zudem trotz seiner halben Stelle das Urteil am 07.11.2023 ganztägig zu Ende diktiert sowie unter „Eilt sehr! Haft!“ persönlich zur Geschäftsstelle gebracht hat, wo es um 16:53 Uhr zur weiteren Bearbeitung durch die Phonokanzlei ins Netz gestellt wurde, erscheinen die vom Vorsitzenden für das vollständige Diktieren des Urteils insgesamt benötigten fünf Arbeitstage (sieben Kalendertage) nicht als unangemessen lang.

Unangemessen lang war hingegen die Zeit von sieben weiteren Arbeitstagen (neun Kalendertagen) vom Eingang des Diktats auf der Geschäftsstelle am 07.11.2023 bis zum Eingang des unterschriebenen Urteils dort am 16.11.2023. Die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden vom 14.02.2024 führt dazu aus, dass die zuständige Justizangestellte der Phonokanzlei, die auf 5-Stunden-Basis täglich beschäftigt sei, sowohl für den Straf- als auch für den Zivilbereich zu schreiben habe und zusätzlich eine seit Oktober 2023 erkrankte Kollegin vertreten müsse, das Schreiben des Diktats nach ihrer Erinnerung entweder am 08.11.2023, eher aber am 09.11.2023 begonnen und ihm das geschriebene Diktat am 13.11.2023 zugeleitet habe. Er habe den Urteilsentwurf am Morgen des 14.11.2023 auf seinem Schreibtisch vorgefunden und neben der Sitzungsvorbereitung für die auf den 16.11.2023 angesetzte Hauptverhandlung mit Fortsetzungstermin am 20.11.2023 unverzüglich weiterbearbeitet.

Angesichts des Urteilsumfangs von 19 Seiten war sowohl die Verweildauer des Diktats von vier Arbeitstagen (sechs Kalendertagen) bei der Phonokanzlei, als auch die Verweildauer beim Vorsitzenden von drei weiteren Arbeitstagen zu lang. Da Strafsachen stets Zivilsachen vorgehen und nicht ersichtlich ist, dass die zuständige Kanzleikraft am 08.11.2023 Diktate in vorrangigen Strafsachen zu schreiben hatte, hätte sie die vorliegende, als solche gekennzeichnete Haftsache gleich am 08.11.2023 bearbeiten müssen und hätte das Schreiben des 19-seitigen Urteils auch gut im Rahmen ihrer fünfstündigen Arbeitszeit an diesem Tag bewältigen können, so dass der Entwurf dem Vorsitzenden bereits am nächsten Tag (09.11.2023) hätte wieder vorliegen können. Auch dieser hätte den Entwurf noch am Tag des Vorfindens auf seinem Schreibtisch (14.11.2023) sowie – im Hinblick auf seine halbe Stelle auch noch – am Folgetag (15.11.2023) korrekturlesen, fertigstellen, unterschreiben und zu den Akten bringen müssen, anstatt dies wegen der parallelen Vorbereitung auf eine nicht vorrangige neue Hauptverhandlung am 16.11.2023, die er vielmehr – wie zuvor schon die Sitzung vom 06.11.2023 – hätte aufheben müssen, um einen weiteren Tag (bis zum Morgen des 16.11.2023) zu verschieben. Dann wären es von der Wiederaufnahme der Dienstgeschäfte des Vorsitzenden bis zum Eingang des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle insgesamt nur acht statt zwölf Arbeitstage (zehn statt 16 Kalendertage) gewesen. Die Vorbereitung einer Nichthaftsache hat gegenüber der raschen Absetzung eines überfälligen Urteils zurückzutreten (KG StV 2016, 798).

Der Umstand, dass drei der insgesamt vier und damit der Großteil der zu viel benötigten Arbeitstage nicht vom Vorsitzenden selbst, sondern von der gleichzeitig mit Straf- und Zivilsachen sowie einer Krankheitsvertretung belasteten Teilzeitkraft der Phonokanzlei verursacht wurden, vermag nicht zu einer anderen Würdigung führen, weil es sich um Umstände handelt, die die Organisation des Gerichts betreffen, und solche Umstände in der Regel schon eine Fristüberschreitung nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 275 Rn. 14 m. w. N.), was dann erst recht für die Zeit nach Wegfall des Hindernisses gelten muss. Auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift lässt sich nichts Anderes ableiten. Die Urteilsabsetzungsfrist, die das Beschleunigungsgebot konkretisiert, soll verhüten, dass ein längeres Hinausschieben der Urteilsabfassung die Zuverlässigkeit der Erinnerung der erkennenden Richter beeinträchtigt und zu einer Darstellung der Sach- und Rechtslage in den Urteilsgründen führt, bei der nicht mehr gesichert ist, dass sie der das Urteil tragenden Ansicht der Richter bei der Beratung entspricht (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 275 Rn. 2 m. w. N.). Dieser Gesetzeszweck ist auch dann verletzt, wenn zwischen dem vollständigen Diktieren des Urteils und der abschließenden Unterschrift unangemessen viel Zeit verstreicht. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als zusätzlich das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu beachten war.

Die unangemessen lange Zeit zwischen dem Fertigstellen des Diktats und dem Eingang des Urteils auf der Geschäftsstelle von sieben Arbeitstagen kann im vorliegenden Fall schließlich auch nicht dadurch als kompensiert angesehen werden, dass der Vorsitzende etwa das Urteil mit überobligatorischer Beschleunigung vollständig diktiert hätte. Letzteres gilt zwar für den 07.11.2023 selbst, als der Vorsitzende das Urteil trotz seines Arbeitskraftanteils von nur 0,5 ganztägig zu Ende diktiert hat, genügt aber nicht, um die insgesamt vier zu viel benötigten Arbeitstage zu kompensieren.“