FE-Entziehung I: Inhalt der Begutachtungsanordnung, oder: „Hinweise“ auf gelegentlichen Cannabiskonsum

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Und zum Wochenschluss heute dann mal wieder zwei Entscheidungen in Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.

Ich starte mit dem OVG Münster, Beschl. v. 04.05.2023 – 16 B 1271/22 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit bei gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme.  Gestritten wird um die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Fahrerlaubnisbehörde hatte aus der Nichtbeibringung eines angeforderten Gutachtens auf die Ungeeignetheit des Inhabers der FE geschlossen. Der hatte u.a. auch geltend gemacht, dass die Gutachtenanforderungen nicht rechtmäßig, weil nicht ausreichend begründet, war. Ohne Erfolg:

„Die mit Bescheid vom 27. September 2022 erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers erweist sich als offensichtlich rechtmäßig. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Für diese Entscheidung, die nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde steht, muss die Fahrungeeignetheit des Betroffenen feststehen. Dieses Erfordernis war im maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entziehungsentscheidung, dem Zeitpunkt ihres Erlasses,

vgl.  BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2008 – 3 C 26.07 -, juris, Rn. 16, vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 -, juris, Rn. 11, und vom 7. April 2022 – 3 C 9.21 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 16 B 1496/20 -, juris, Rn. 3,

gegeben. Die Beschwerdebegründung weist zu Recht darauf hin, dass der Antragsgegner wegen der Nichtbeibringung des unter dem 16. Mai 2022 angeforderten Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3, § 2 Abs. 8 StVG kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, die Beibringung eines Gutachtens u. a. einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anordnen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Schluss auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist zulässig, wenn die Anordnung der Untersuchung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig, war.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2005 – 3 C 21.04 -, juris, Rn. 20 ff. m. w. N., und vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 16 ff.; zu § 15b Abs. 2 StVZO a. F. siehe BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 -, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2021 – 16 B 22/21 -, juris, Rn. 5 m. w. N.; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 11 FeV Rn. 55.

Diesen Anforderungen genügt die Begutachtungsanordnung vom 16. Mai 2022. Sie wahrt die an sie zu stellenden formellen Anforderungen; insbesondere bestehen – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken an der hierin mitgeteilten und für das alsdann zu erstellende Gutachten maßgeblichen Fragestellung.

Da eine Gutachtenanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 -, juris, Rn. 8, und Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 -, juris, Rn. 17 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2013 – 16 E 1257/12 -, juris, Rn. 4 f. m. w. N., vom 10. September 2014 – 16 B 912/14 -, juris, Rn. 6 f. m. w. N., und vom 9. November 2020 – 16 B 1697/19 -, juris, Rn. 8.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die erste Frage der Gutachtenanordnung vom 16. Mai 2022 („Kann der zu Untersuchende trotz der Hinweise auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabis ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen?“) gehe über das erforderliche Maß hinaus, da mit Blick auf diese Frage unklar bleibe, warum der Antragsgegner einerseits von einem gelegentlichen Cannabiskonsum des Antragstellers ausgehe, in der Frage hingegen lediglich diesbezügliche „Hinweise“ erwähne, teilt der Senat nicht.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 16 B 672/20 -, juris, Rn. 10.

Dass der Antragsgegner in der Gutachtenfrage den Begriff „Hinweise“ verwendete, mag eine unnötige Ungenauigkeit in der Formulierung der Frage darstellen, führt jedoch nicht bereits zur Rechtswidrigkeit der Begutachtungsanordnung. Denn diese ist nicht allein anhand der Fragestellung, sondern in der Zusammenschau mit den hierin verlautbarten Gründen für die Begutachtung zu beurteilen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2020 – 16 B 1697/19 -, juris, Rn. 7.

Aus diesen ergibt sich – worauf der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung zutreffend hinweist – sowohl für den Antragsteller als auch für die die angeordnete medizinisch-psychologische Untersuchung durchführenden Gutachter eindeutig, dass ein gelegentlicher Cannabiskonsum des Antragstellers aus Sicht der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners feststeht („Es wird auch im vorliegenden Fall von einem gelegentlichen Konsum ausgegangen.“).

Das von dem Verwaltungsgericht und nachfolgend auch dem Antragsteller unterstellte Risiko, dass sich die Gutachter veranlasst fühlen könnten, das Konsummuster des Antragstellers zu überprüfen, sieht der Senat nicht. Nach dem Vorstehenden ist der Begründung der Anordnung vom 16. Mai 2022, die den Umfang der Begutachtung bestimmt und begrenzt, ausdrücklich zu entnehmen, dass von einem gelegentlichen Konsum von Cannabis durch den Antragsteller ausgegangen wurde. Eine Aufweichung der Grenze zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV, wie sie der Antragsteller rügt, ist dergestalt nicht erkennbar.

Der Einwand des Antragstellers, die Fragestellung sei unverhältnismäßig, soweit auch nach einem sicheren Führen von Kraftfahrzeugen gefragt werde, greift nicht durch. Bei der Beurteilung der (auch hier abzuklärenden) Fahreignung wird davon ausgegangen, dass ein Betroffener ein Kraftfahrzeug nur dann nicht sicher führen kann, wenn aufgrund des individuellen körperlich-geistigen (psychischen) Zustandes beim Führen eines Kraftfahrzeugs eine Verkehrsgefährdung zu erwarten ist.

Vgl. Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 in der Fassung vom 17. Februar 2021, S. 7.

Anknüpfungspunkt für die Zweifel am sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs sind vorliegend der gelegentliche Cannabiskonsum und die Verkehrsteilnahme des Antragstellers am 7. Oktober 2021. Hierdurch bestanden Bedenken an seiner Fahreignung, so dass seine Fähigkeit bzw. Bereitschaft, den gelegentlichen Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV), zu überprüfen waren. Die hierauf explizit abstellende zweite Frage der Begutachtungsanordnung ist insoweit eine Präzisierung der ersten Frage („Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird [Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme]?“, Hervorhebung durch den Senat). Beide Fragen sind miteinander verknüpft, was indes in den von dem Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Oldenburg (Beschluss vom 26. Februar 2020 – 7 B 392/20 -, juris) und Schleswig-Holstein (Beschluss vom 28. Februar 2022 – 3 B 11/22 -) – soweit überhaupt eine identische oder doch zumindest vergleichbare Fragestellung vorliegen sollte – keine Berücksichtigung gefunden hat. Die Bedenken an einer Fragestellung, wie sie hier in Rede steht, werden auch durch das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein nicht geteilt.

Vgl. Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 5 MB 22/22 -, juris, Rn. 24 ff.

Der gegen die erste Frage in der Gutachtenanordnung gerichtete Einwand des Antragstellers, ein wissenschaftlich belegter Erfahrungssatz, dass Cannabiskonsumenten per se ein Kraftfahrzeug nicht sicher führen könnten, sei nicht bekannt und auch vom Antragsgegner nicht dargelegt worden, übersieht in diesem Zusammenhang, dass ein sicheres Führen eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich nicht angenommen werden kann, wenn keine Geeignetheit i. S. v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV vorliegt. Entgegen dem Verständnis des Antragstellers ist insofern nicht vorauszusetzen, dass der betreffende Fahrerlaubnisinhaber wegen einer unsicheren Fahrweise aufgefallen ist.

Auch im Übrigen sind die formellen Anforderungen an eine Begutachtungsanordnung erfüllt. Dem Erfordernis zur Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen ist ebenso Genüge getan wie den Hinweispflichten auf die Kostentragungspflicht des Antragstellers, auf sein Akteneinsichtsrecht sowie auf die Folgen einer nicht oder nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens (§ 11 Abs. 6 Satz 2, Abs. 8 Satz 2 FeV). Darüber hinaus enthält die Anordnung vom 16. Mai 2022 die Festlegung einer Frist, innerhalb derer die Untersuchung zu erfolgen hatte; die vorliegend gesetzte Frist von drei Monaten war angemessen bestimmt.

Des Weiteren lagen auch die materiellen Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV für die dem Antragsteller abverlangte Begutachtung vor. Die der Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners bekannt gewordenen Tatsachen begründeten Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen, welche die Behörde zum Erlass der Begutachtungsanordnung berechtigten.

Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV – für eine ärztlich verordnete Einnahme von Cannabis i. S. d. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV fehlt es bereits an Nachweisen – ist zum Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich u. a. ungeeignet, wer gelegentlich, also mehr als nur einmalig, in voneinander getrennten Konsumakten, die in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang stehen, Cannabis konsumiert und nicht zwischen der Einnahme und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennt. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

Von einem gelegentlichen, also mehr als einmaligen Konsum von Cannabis durch den Antragsteller ist auszugehen. Zum einen stellt der Antragsteller den gelegentlichen Cannabiskonsum nicht ausdrücklich in Abrede. Zum anderen ist aufgrund der Angaben des Antragstellers im Rahmen der Polizeikontrolle und dem in seinem Blut festgestellten THC-Wert auf einen gelegentlichen Konsum zu schließen. Durch das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums L.    vom 10. November 2021 ist ein Konsumakt belegt, da in den dem Antragsteller am 7. Oktober 2021 entnommenen Blutproben THC in einer Konzentration von 5,5 µg/l nachgewiesen wurde. Der Antragsteller räumte gegenüber dem die Polizeikontrolle am selben Tag durchführenden Polizeibeamten ein, zuletzt am vergangenen Wochenende einen Joint geraucht zu haben. Da THC nach einem Einzelkonsum im Blutserum nur für etwa sechs bis zwölf Stunden, jedoch bei einem regelmäßigen bzw. mehrfach täglichen Konsum auch über 24 Stunden im Blutserum nachweisbar ist,

vgl. Graw/Brenner-Hartmann/Haffner/Musshoff, in: Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. Auflage 2018, S. 322,

kann der Nachweis von THC in den am Donnerstag, den 7. Oktober 2021, entnommenen Blutproben gerade nicht auf den eingeräumten Konsum von Cannabis am Wochenende zuvor zurückgeführt werden.

Darüber hinaus liegt in der Fahrt vom 7. Oktober 2021 unter Cannabiseinfluss (5,5 µg/l) ein Verstoß gegen das Trennungsgebot nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, der Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers begründete (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 13.17 -, juris, Rn. 15 ff.

Der demnach berechtigten Anordnung der Beibringung eines Fahreignungsgutachtens ist der Antragsteller nicht nachgekommen. Tragfähige Gründe für die Nichtvorlage hat er nicht geltend gemacht…..“

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