Archiv für den Monat: Juni 2023

Fahrtenbuch II: Unmöglichkeit der Täterermittlung, oder: Kein Ermittlungsdefizit der Behörde

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Und dann als zweite Entscheidung der OVG Münster, Beschl. v. 30.05.2023 – 8 A 464/23 -, auch zur Fahrtenbuchauflage, und zwar zur Unmöglichkeit der Täterermittlung.

Das VG hatte eine Klage des Betroffenen gegen eine Fahrtenbuchauflage abgewiesen. Dagegen dann der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, der keinen Erfolg hatte:

„… Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Dazu gehört grundsätzlich, dass der Fahrzeughalter möglichst umgehend – im Regelfall innerhalb von zwei Wochen, wobei es sich aber nicht um eine starre Grenze handelt – von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine verspätete Anhörung schließt eine Fahrtenbuchauflage allerdings dann nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, juris Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, juris Rn. 25.

Hiervon ausgehend darf der ausgebliebene Ermittlungserfolg jedenfalls nicht maßgeblich auf ein Ermittlungsdefizit der zuständigen Behörde zurückzuführen sein. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt insbesondere nicht voraus, dass die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers auf einer fehlenden Mitwirkung des Fahrzeughalters beruht oder der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 5 LB 17/22 -, juris Rn. 28.

Im Einklang mit diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall „möglicherweise nicht optimal verlaufen“ sei; der vom Kläger bestrittene Zugang des nach Aktenlage zwei Wochen nach dem Verkehrsverstoß vom 6. Januar 2022 zur Post gegebenen Anhörungsschreibens lasse sich jedenfalls nicht feststellen. So sei der Kläger erst am 4. März 2022 durch einen Außendienstmitarbeiter des Beklagten – möglicherweise ohne Nennung des Datums und ohne Vorlage des Beweisfotos – darüber informiert worden, dass mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug in E.  ein Rotlichtverstoß begangen worden sei. Ein behördliches Ermittlungsdefizit, das für die letztlich erfolglos gebliebenen Ermittlungsbemühungen ursächlich gewesen sei, hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht erkannt. Hierzu hat es ausgeführt: Nach Befragung des Klägers stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser nicht bereit gewesen sei, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Selbst wenn der als Zeuge vernommene damalige Außendienstmitarbeiter des Beklagten dem Kläger das Datum des Verkehrsverstoßes nicht genannt haben sollte, hätte es diesem oblegen, danach zu fragen, wenn er diese Information zur Eingrenzung des Täterkreises benötigt hätte. Auf die verspätete Information und den genauen Inhalt des Gesprächs mit dem Außendienstmitarbeiter des Beklagten komme es aber auch nicht an, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Klageverfahren ohnehin wusste, dass seine Tochter die verantwortliche Fahrzeugführerin war. Aus welchen Gründen der Kläger keine Angaben gemacht habe, insbesondere, ob ihm ein Aussageverweigerungsrecht zustehe und ob ihm bei seiner Entscheidung, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes nicht im Rahmen des ihm Möglichen mitzuwirken, die Befugnis der Behörde zum Erlass einer Fahrtenbuchanordnung bewusst gewesen sei, sei unerheblich.

Das Antragsvorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Sachverhaltswürdigung.

Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht hätte in Anlehnung an den Beschluss des Senats vom 14. November 2013 – 8 A 1668/13 – (juris) maßgeblich auf die von der Behörde ergriffenen Maßnahmen zur Täterermittlung abstellen müssen. Diese seien unzureichend gewesen, weil der Zeuge den Kläger in dem Gespräch am 4. März 2022 nur unvollständig informiert habe und es nicht dem Kläger oblegen hätte, von sich aus nach dem Datum des Verkehrsverstoßes und dem Fahrerfoto zu fragen.

Diese Argumentation greift jedoch nicht durch. In der genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO setze nicht voraus, dass Grund für die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Täters einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein rechtswidriges (oder gar schuldhaftes) Verhalten des Halters sei; es genüge vielmehr, dass der begangene Verkehrsverstoß nicht aufklärbar gewesen sei, obwohl die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Täterermittlung getroffen habe. Davon ist jedoch auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Ein Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein behördliches Ermittlungsdefizit, das sich nicht ursächlich auf den letztlich ausgebliebenen Ermittlungserfolg ausgewirkt hat, der Annahme, dass die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei, entgegenstehe, ist der genannten Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen und existiert auch nicht. Ausgehend von der im Zulassungsverfahren nicht mit beachtlichen Rügen angegriffenen und im Übrigen auch nachvollziehbar begründeten Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger zur Mitwirkung an der Aufklärung nicht bereit war, bedurfte er der ergänzenden Informationen über den Tag des Verkehrsverstoßes und der Vorlage des Fotos nicht. Er wusste nach eigenen Angaben ohnehin, dass seine Tochter den Rotlichtverstoß begangen hat. Das stellt die Antragsbegründung auch nicht in Frage.

Ergänzend ist anzumerken, dass – abgesehen von den vom Verwaltungsgericht gewürdigten Umständen – auch sonst keine Anhaltspunkte für ein relevantes Ermittlungsdefizit vorliegen. Da das Fahrzeug am Tattag von einer Frau geführt wurde, kam der Kläger selbst als Täter nicht in Betracht. Der Lichtbildabgleich mit dem Ausweisfoto der Ehefrau des Klägers ergab keine Übereinstimmung. Dass sich bei dieser Sachlage für die Behörde weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben hätten, macht der Kläger nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich…..“

Fahrtenbuch I: Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung, oder: Wenn es ein gutes Lichtbild gibt

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Und heute dann der „Kessel Buntes“, und zwar mit zwei Entscheidungen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVZO). Beide Entscheidungen kommen vom OVG Münster.

Zunächst stelle ich den OVG Münster, Beschl. v. 03.05.2023 – 8 B 185/23 – vor. Er nimmt npch einmal Stellung zu den Voraussetzungen der Fahrtenbuchauflage wegen Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung. Es war ein Fahrtenbuch angeordnet worden. Dagegen die Klage. Der im Zusammenhang damit gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hatte Erfolg:

„Nach §31a Abs.1 Satz1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dies ist dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Zu den danach angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört in erster Linie, dass der Halter möglichst umgehend -im Regelfall innerhalb von zwei Wochen- von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Eine solche Benachrichtigung begründet für den Halter eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Bußgeldbehörde können sich im Weiteren an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Ermittlung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person ab und liegen der Bußgeldbehörde auch sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vor, ist es dieser regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.Dezember 1982 -7C 3.80-, juris Rn.7; OVG NRW, Beschlüsse vom 7.Dezember 2021 -8B 1475/21- juris Rn.3, und vom 22.Juli 2020 -8B 892/20-, juris Rn.15.

Ausgehend hiervon bestehen vorliegend bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung durchgreifende Zweifel daran, dass die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers im Sinne von §31a Abs.1 Satz1 StVZO unmöglich war. Es spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass der gegenüber Herrn O. ergangene Bußgeldbescheid vom 20.September 2022 hätte aufrechterhalten bleiben können.

Zwar ist die Feststellung des Fahrers auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren gemäß §69 Abs.2 OWiG das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte. Abzustellen ist dabei auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.Juni 2020 -8A 1423/19-, juris Rn.30, und vom 15.Mai 2018 -8A 740/18-, juris Rn.39ff.; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47.Aufl. 2023, StVZO, §31a Rn.25.

Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es weiter nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind. Die Führung eines Fahrtenbuchs kann daher auch dann angeordnet werden, wenn der Fahrzeughalter an der Feststellung mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde jedoch gleichwohl erfolglos geblieben sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30.Juni 2020 -8A 1423/19-, juris Rn.27, und vom 25.Januar 2018 -8A 1587/16-, juris Rn.13.

Vorliegend hat indes die Bußgeldbehörde nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand wohl nicht alle gebotenen und angemessenen Ermittlungsmaßnahmen ergriffen, nachdem die Antragstellerin unter dem 16.August 2022 mitgeteilt hatte, sie habe das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt Herrn C. O. , geb. am 00.Januar 0000 in Teheran, Anschrift: I. Straße 110, E. , überlassen, und entsprechend ein Bußgeldbescheid gegenüber Herrn O. ergangen war.

Zwar hat Herr O. über einen Rechtsanwalt Einspruch einlegen und ankündigen lassen, sich nicht zur Sache zu äußern. Die Bußgeldbehörde versuchte daraufhin vergeblich, über das Einwohnermeldeamt und die Ausländerbehörde ein Personalausweis-/Passfoto zwecks Lichtbildabgleichs anzufordern. Eine EMA-Abfrage blieb laut Vermerk vom 26.Oktober 2022 erfolglos. Dies war jedoch auf Vertauschung von Vor- und Zuname des Herrn O. zurückzuführen, die anhand der Namensangabe der Antragstellerin vom 16.August 2022 („C.O. “ – ohne Komma, wie es bei nach dem Formblatt eigentlich vorgesehener Erstnennung des Nachnamens zu erwarten gewesen wäre), vor allem aber wegen der zutreffenden Namensnennung durch dessen Rechtsanwalt für die Antragsgegnerin erkennbar bzw. vermeidbar gewesen wäre. Soweit die Antragsgegnerin sich darauf beruft, „aufgrund der nicht auf den ersten Blick völlig eindeutigen Namensbesonderheit“ -damit dürfte der Umstand gemeint sein, dass es sich um einen ausländischen Namen handelt- hätte es der Antragstellerin zumindest oblegen, eine besondere Sorgfalt bei der Übermittlung des Vor- und Nachnamens an den Tag zu legen, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Sorgfaltspflicht zumindest ebenso auch auf Seiten der Bußgeldbehörde besteht. Da sich nach Zustellung des Bußgeldbescheids unter der von der Antragstellerin bezeichneten Adresse ein Verteidiger für den Betroffenen bestellt hat, hätte es nahe gelegen, anhand des Akteninhalts den Grund für die erfolglosen Abfragen zu hinterfragen. Dabei hätte auffallen müssen, dass der Verteidiger des Herrn O.den Namen seines Mandanten in den Schreiben vom 23.September 2022 und vom 4.Oktober 2022 maschinenschriftlich eindeutig mit „C.O. “ und nicht mit „C. , O. “ angegeben hat. Ein Vertauschen des Vor- und des Nachnamens erscheint in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden als eine sich auch ohne eigene iranische Sprachkenntnisse aufdrängende Fehlerursache. Eine EMA-Abfrage durch die Berichterstatterin bezüglich C.O. verlief dementsprechend erfolgreich. Die sehr gute Qualität des Tatfotos spricht dafür, dass die Antragsgegnerin sich auf diese Weise eine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Herrn O. hätte bilden können.

Weiterhin hätte es sich aufgedrängt, die Antragstellerin zu befragen, ob sie Herrn O. anhand des Lichtbilds identifizieren könne. Dies wäre vor Ablauf der Verjährungsfrist gegenüber Herrn O.(vgl. §26 Abs.3 Satz1 StVG: Verlängerung auf sechs Monate nach Erlass eines Bußgeldbescheides) möglich und – wie ihrer im Anhörungsverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 16.Dezember 2022 zu entnehmen ist – erfolgversprechend gewesen.“

Ich habe da mal eine Frage: Mandant soll ausgeliefert werden, welche Gebühren?

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Und dann noch die Gebührenfrage, die zum Posting von heute Morgen passt:

„…..

folgende Abrechnungsfrage, da ich dies so noch nicht hatte:

Mandant soll ausgeliefert werden – es gibt Termin vor dem Ermittlungsrichter – ich werde beigeordnet. Ermittlungsrichter entscheidet, dass Mandant bis zur Entscheidung des OLG festzuhalten ist. Zwischenzeitlich setzt das OLG den AUslieferungshaftbefehl außer Vollzug. Nun erhalte ich die Entscheidung des OLG, dass Mandant nicht ausgeliefert wird.

Was kann ich alles abrechnen? Ich habe bis dato: Nrn. 4100, 4101, 4102 Nr1, 4103, 4104, 4105.

Gibt es noch irgendetwas, was ich vergessen habe? Danke“

Anhörungsrüge/Erschöpfung des Rechtsweges, oder: Auslagenerstattung/Gegenstandswert beim BVerfG

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Die zweite Entscheidung kommt vom BVerfG. Der BVerfG, Beschl. v. 03.03.2023 – 2 BvR 1810/22 – behandelt eine ganz interessante Problematik zur Anhörungsrüge und Erschöpfung des Rechtsweges, insoweit also keine gebührenrechtliche Problematik. Er enthält – insoweit dann aber RVG- auch Ausführungen zur Auslagenerstattung und zum Gegenstandswert. Folgener Sachverhalt:

Die durch einen Betrug Geschädigte wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Strafurteil und rügt, ein von ihr gestellter Adhäsionsantrag sei übergangen worden. Sie macht einen Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot, den Justizgewährungsanspruch und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.

Die Geschädigte war im Juni 2020 Opfer eines Betrugs geworden. Sie erlitt einen Vermögensschaden in Höhe von 110 EUR. Die Staatsanwaltschaft erhob im September 2020 Anklage zum AG wegen gewerbsmäßigen Betrugs durch 16 selbständige Handlungen, darunter auch die gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Tat. Die Anklageerhebung wurde der Geschädigten mitgeteilt.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2020 stellte die Geschädigte einen Adhäsionsantrag. Sie sei durch die Straftat geschädigt worden und beantrage, den Angeklagten zu einer Zahlung von 110 EUR nebst Prozesszinsen zu verurteilen. Auf Nachfragen des Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2020 und 16.04.2021 nach dem Stand des Verfahrens wurde jeweils geantwortet, ein Termin zur Hauptverhandlung stehe noch nicht fest. Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 28.07. 2021 verurteilte dann das AG den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 21 Fällen zu einer Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Einziehung der Taterträge an. Unter den abgeurteilten Taten befand sich auch die Tat zu Lasten der Geschädigten. Den Adhäsionsantrag der Geschädigten erwähnte und beschied das AG nicht. Gegen das Urteil legte der Angeklagte Berufung ein.

Mit Schreiben vom 17.08.2021 fragte der Prozessbevollmächtigte der Geschädigten erneut nach dem Sachstand. Das AG antwortete, der Angeklagte sei mit Urteil vom 28.07.2021 verurteilt worden; er habe hiergegen Berufung eingelegt. Ein Adhäsionsantrag sei nicht bekannt. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.09.2021 ließ die Geschädigte dann die Verletzung des Justizgewährungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs durch das Vorgehen des AG rügen. Ihr Adhäsionsantrag sei zu Unrecht übergangen worden und sie sei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht zur Hauptverhandlung geladen worden. Eine am 16.09.2021 erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG mit Beschluss vom 22.12.2021 nicht zur Entscheidung angenommen, da die Geschädigte ihren Adhäsionsantrag im Berufungsverfahren noch weiterverfolgen könne. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.10.2021 hat die Geschädigte dann ihren Adhäsionsantrag für das Berufungsverfahren wiederholt. In der Hauptverhandlung am 22.06.2022 hat der der Angeklagte seine Berufung zurückgenommen. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.9.2022 übersandt.

Das BVerfG hat die am 07.10.2022 beim BVerfG eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen:

„Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zulässig ist. Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsweg noch nicht erschöpft. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO gehört vorliegend zum Rechtsweg (1.). In ihrem Schreiben vom 3. September 2021 ist eine solche Anhörungsrüge zu sehen, über die das Amtsgericht Montabaur noch zu entscheiden hat (2.). In der Sache spricht viel für einen Verstoß gegen den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (3.).

1. Die Verfassungsbeschwerde genügt dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht. Die Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO zählt vorliegend zum Rechtsweg.

a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde – gegebenenfalls lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG regelmäßig abhängig ist. Erheben Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>).

Das Anhörungsrügeverfahren gehört andererseits nicht zum Rechtsweg und wirkt nicht fristbestimmend für die Verfassungsbeschwerde, wenn es offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 f. Rn. 23>; stRspr). Offensichtlich aussichtslos ist ein Rechtsbehelf, über dessen Unzulässigkeit der Beschwerdeführer bei seiner Einlegung nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht im Ungewissen sein konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 – 1 BvR 730/07 -, Rn. 10; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juni 2009 – 1 BvR 893/09 -, Rn. 16 m.w.N.).

b) Die Beschwerdeführerin ist nach diesem Maßstab darauf zu verweisen, eine Entscheidung über ihre mit Schreiben vom 3. September 2021 erhobene Anhörungsrüge herbeizuführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist ihre Verfassungsbeschwerde daher nicht zulässig. Die Anhörungsrüge zählt vorliegend zum Rechtsweg, da die Beschwerdeführerin jedenfalls der Sache nach die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht. Die Anhörungsrüge ist auch nicht offensichtlich aussichtslos. Insbesondere ist sie als statthaft anzusehen.

aa) Nach § 33a Satz 1 StPO versetzt ein Gericht, das in einem Beschluss das Recht eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt hat, das Verfahren in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hatte, wenn der Beteiligte noch beschwert ist und wenn ihm kein anderer Rechtsbehelf zusteht. Die Vorschrift dient dem Zweck, dem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, einem Gehörsverstoß selbst abhelfen zu können (vgl. Schneider-Glockzin, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1; vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 1). Für das Beschwerde- und das Revisionsverfahren stellen § 311a und § 356a StPO vorrangige Sonderregelungen der Anhörungsrüge dar (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3).

bb) Tauglicher Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO ist grundsätzlich nur ein Beschluss (vgl. Valerius, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 33a, Rn. 3). Im vorliegenden Fall jedoch ist die Anhörungsrüge ausnahmsweise auch gegen ein (amtsgerichtliches) Urteil statthaft.

(1) Wird ein Adhäsionsantrag gestellt und erweist sich dieser als zulässig und begründet, so hat das Gericht dem Adhäsionskläger die geltend gemachte Forderung in dem Strafurteil zuzusprechen (§ 406 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ist der Antrag unzulässig oder stellt sich das Strafgericht auf den Standpunkt, dass die geltend gemachte Forderung nicht begründet sei, so hat es nach Hinweis und Anhörung des Adhäsionsklägers (§ 406 Abs. 5 Satz 1 StPO) von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO). Diese Entscheidung ist durch Beschluss zu treffen (§ 406 Abs. 5 Satz 2 StPO). Gegen eine der Form nach korrekte, ausdrückliche Absehensentscheidung durch Beschluss ist sodann, bis zur instanzabschließenden Entscheidung, zunächst die sofortige Beschwerde (vgl. Grau, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2019, § 406, Rn. 17) und im Anschluss die Anhörungsrüge statthaft.

(2) Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts betrachtete eine Anhörungsrüge auch dann als statthaft, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, trifft. Es hänge nicht von der Bezeichnung ab, ob eine Entscheidung hinsichtlich der statthaften Rechtsbehelfe als Urteil oder als Beschluss anzusehen sei; maßgeblich seien vielmehr der Inhalt der Entscheidung und die Gründe, auf denen sie beruhe (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 30).

(3) Die der genannten Entscheidung der 2. Kammer des Zweiten Senats zugrunde liegenden Erwägungen sind übertragbar mit der Folge, dass die Anhörungsrüge auch in der vorliegenden Fallkonstellation statthaft ist. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich von dem Sachverhalt, über den das Bundesverfassungsgericht bereits zu entscheiden hatte, nur dahingehend, als das Amtsgericht vorliegend nicht ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absah. Es sprach keine explizite Absehensentscheidung aus, sondern überging den Adhäsionsantrag stillschweigend. Dieses Vorgehen hat der Sache nach aber den gleichen Inhalt und die gleiche Wirkung wie eine ausdrücklich durch Urteil ausgesprochene Absehensentscheidung. Das Gericht enthält sich nämlich einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag. Ebenso wie im Falle einer ausdrücklichen Absehensentscheidung im Urteil ist auch die sofortige Beschwerde wegen des Abschlusses der Instanz ausgeschlossen (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). In beiden Fallkonstellationen kann der Adhäsionskläger seine Forderung zwar grundsätzlich im Rahmen einer Berufungsinstanz weiterverfolgen. Er kann jedoch eine Entscheidung, etwa wenn die Berufung, wie vorliegend, zurückgenommen wird, nicht erzwingen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27-29). Beide Fallkonstellationen unterscheiden sich daher nicht wesentlich voneinander. Ist die Anhörungsrüge statthaft, wenn das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, so muss das erst recht gelten, wenn es dies nur stillschweigend tut.

c) Die sofortige Beschwerde ist demgegenüber nicht mehr Teil des Rechtsweges, da die Instanz mit dem Strafurteil beendet wurde (§ 406a Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der verfassungsprozessuale Subsidiaritätsgrundsatz nicht dazu führt, dass die Beschwerdeführerin zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 – 2 BvR 2054/19 -, Rn. 27 ff.).

2. Das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2021 ist als Anhörungsrüge zu werten. Die Beschwerdeführerin ließ darin sinngemäß rügen, dass ihr Adhäsionsantrag ohne zureichende Gründe übergangen worden sei. Nach der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten hat das Amtsgericht über diese Anhörungsrüge erneut zu entscheiden; die Beschwerdeführerin hat vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf eine solche Entscheidung hinzuwirken.

3. In der Sache spricht aufgrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen sehr viel dafür, dass das Amtsgericht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör verletzte.

a) Art. 103 Abs. 1 GG garantiert die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <6>). Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen (vgl. BVerfGE 19, 32 <36>). Das Gericht hat das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Bei seiner Entscheidung darf das Gericht keine Anforderungen an den Sachvortrag stellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu rechnen braucht. Es darf auch keine Tatsachen zugrunde legen, zu denen nicht Stellung genommen werden konnte (vgl. BVerfGE 7, 275 <278>; 55, 1 <6>). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 149, 86 <109 Rn. 63>). Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>; stRspr).

b) Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen weisen deutlich darauf hin, dass das Amtsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben dürfte. Das Amtsgericht Montabaur überging den Adhäsionsantrag vollständig; auch schnitt es der Beschwerdeführerin die Möglichkeit ab, sich im Rahmen der Hauptverhandlung als Adhäsionsklägerin zu äußern. Dies alles ergibt sich schon daraus, dass das Amtsgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung erklärte, ein Adhäsionsantrag sei ihm nicht bekannt, obwohl es zuvor auf mehrere Sachstandsanfragen, die einen Verweis auf diesen Antrag enthalten hatten, geantwortet hatte. Selbst wenn die ursprüngliche Antragsschrift nicht bei dem Gericht eingegangen sein sollte – die Beschwerdeführerin legte keinen Zugangsnachweis vor -, hätten die Sachstandsanfragen doch Anlass geben müssen, diesbezüglich nachzufragen und frühzeitig darauf hinzuweisen, dass eine Antragsschrift nicht eingegangen sei, zumal ein Adhäsionsantrag auch noch im Rahmen der Hauptverhandlung gestellt werden kann.“

Und dann zur Auslagenerstattung pp.:

„1. Das Land Rheinland-Pfalz hat die Auslagen der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu tragen.

Nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>). Die Anordnung der Auslagenerstattung steht im Ermessen des Gerichts und setzt voraus, dass besondere Billigkeitsgründe vorgetragen oder ersichtlich sind (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 75 <77>; 20, 119 <133 f.>; 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>; 89, 91 <97>; 133, 37 <38 f. Rn. 2>).

Die Auslagenerstattung wird angeordnet, da in der Sache ein Verfassungsverstoß gegeben sein dürfte und die Verfassungsbeschwerde lediglich aus prozessualen Gründen, die für die Beschwerdeführerin nur schwer antizipierbar waren, nicht zur Entscheidung angenommen werden kann. Ob eine Anhörungsrüge statthaft und als Teil des Rechtsweges anzusehen ist, ist in der vorliegenden Fallkonstellation durchaus problematisch; die Kommentarliteratur schweigt zu dieser Frage.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Festsetzung des Gegenstandswerts wird verworfen, da ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht besteht. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>). Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Oktober 2018 – 1 BvR 700/18 -, Rn. 4 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 962/19 -, juris, Rn. 4 f.).

Haftaufhebung/Überprüfung der Sicherungshaft, oder: BGH entscheidet sich für zwei Angelegenheiten

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Und dann noch Gebührenrecht zum (Fast)Abschluss der Woche. Und heute dann mal von ganz oben, also vom BGH. So häufig macht der ja nicht Gebührenrecht.

Hier dann der BGH, Beschl. v. 21.03.2023 – XIII ZB 76/20 – mit Ausführungen zur Gebühren betreffend Teil 6 VV RVG, also die sog. „Sonstigen Verfahren“.

Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, hielt sich im Gebiet der Bundesrepublik auf, obwohl er ausreisepflichtig war. Am 24.03. 2017 wurde er festgenommen. Mit Beschluss vom gleichen Tag ordnete das AG gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung bis zum 25.05.2017 an. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des von Rechtsanwalt K. vertretenen Betroffenen stellte das Beschwerdegericht fest, dass der die Haft anordnende Beschluss des AG den Betroffenen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts in seinen Rechten verletzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde zurück und hielt die Haftanordnung aufrecht.

Im Kostenfestsetzungsverfahren setzte das Amtsgericht zugunsten von Rechtsanwalt K. u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6300 VV RVG und eine Terminsgebühr nach Nr. 6301 VV RVG , eine Entgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG fest.

Mit Schriftsatz vom 05.05.2017 hat der Betroffene, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt F., die Aufhebung der Haft und die Feststellung der Verletzung seiner Rechte seit Eingang des Aufhebungsantrags beantragt. Mit Schriftsatz vom 22.05.2017 hat der Betroffene weitergehend die Feststellung beantragt, dass seine vorläufige Ingewahrsamnahme durch die beteiligte Behörde bis zum Erlass der Haftanordnung vom 24.03.2017 rechtswidrig gewesen sei.

Nach Ablauf der Haftzeit hat das AG mit Beschluss vom 14.08.2018 die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt. Mit weiterem Beschluss vom 29.11.2017 hat es – nachdem es bereits mit Beschluss vom 16.06.2017 dem Betroffenen für das Haftaufhebungsverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. gewährt hatte – festgestellt, dass die Haftanordnung den Betroffenen seit Eingang des Aufhebungsantrags in seinen Rechten verletzt hat. Mit Beschluss vom 08.12.2017 hat das Amtsgericht seinen Beschluss vom 29.11.2017 ergänzt und ausgesprochen, dass die Gerichtskosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse zur Last fallen.

Auf Grundlage des Beschlusses von 08.12.2017 hat das AG mit Beschluss vom 19.12.2019 zugunsten von Rechtsanwalt F. die im Haftaufhebungsverfahren zu erstattenden Kosten u.a. in Höhe einer Verfahrensgebühr nach Nr. 6302 VV RVG, einer Pauschale für die Herstellung von Kopien nach Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a VV RVG, einer Entgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG festgesetzt. Für das Verfahren zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme hat das AG mit Beschluss vom 23.01.2019 eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6300 VV RVG, eine Entgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG festgesetzt.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.11.2017 (?) im Haftaufhebungsverfahren hat die Stadt C. Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, dass sie nach der Kostengrundentscheidung des AG nicht die richtige Kostenschuldnerin sei. Mit Beschluss vom 14.04.2020 hat das Amtsgericht der Beschwerde der Stadt C. abgeholfen und die dem Betroffenen zu erstattenden Kosten im gleichen Umfang gegen die weitere Beteiligte (Landeskasse) festgesetzt. Die von der Landeskasse dagegen erhobene Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 22.09.2020 zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Landeskasse ihr Begehren weiter.

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„2. Das Beschwerdegericht meint, für die Tätigkeit im Haftaufhebungsverfahren könne Rechtsanwalt F. eine Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 6302 und eine Pauschale nach VV-RVG Nr. 7002 verlangen, weil das Haftaufhebungsverfahren ein vom Verfahren über die Anordnung und Überprüfung der Sicherungshaft verschiedenes Verfahren sei. Da es sich mithin um zwei Angelegenheiten handele, gelte die für das Anordnungsverfahren zugunsten des Rechtsanwalts K. festgesetzte Gebühr nach VV-RVG Nr. 6300 nicht die Tätigkeit des Rechtsanwalts F. im Aufhebungsverfahren ab. Auch die im Verfahren über die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Ingewahrsamnahme festgesetzte Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 6300 decke die Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten im Haftaufhebungsverfahren nicht mit ab.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass der Verfahrensbevollmächtigte nach VV-RVG Nr. 6302 für seine Tätigkeit im Verfahren über die Aufhebung der Freiheitsentziehung eine Verfahrensgebühr neben den Verfahrensgebühren erhält, die das Amtsgericht nach VV-RVG Nr. 6300 zugunsten des Rechtsanwalts K. im Haftanordnungsverfahren und in dem weiteren vom jetzigen Verfahrensbevollmächtigten geführten Verfahren gegen die behördlich angeordnete Freiheitsentziehung festgesetzt hat.

a) Die Vergütung des Rechtsanwalts für die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach den in Teil 6, Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz enthaltenen Sonderregelungen. Nach der gesetzlichen Anmerkung zu VV-RVG Nr. 6302 entsteht eine Verfahrensgebühr für jeden Rechtszug des Verfahrens über die Verlängerung (§ 425 FamFG) oder Aufhebung (§ 426 Abs. 2FamFG) einer Freiheitsentziehung. Bei dem Antrag des Verfahrensbevollmächtigten vom 5. Mai 2017 handelt es sich um einen Antrag auf Aufhebung einer Freiheitsentziehung nach § 426 Abs. 2 FamFG, der eine Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 6302 auslöst.

b) Die Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten im Haftaufhebungsverfahren ist nicht durch andere Gebührentatbestände abgegolten. Weder das Haftanordnungsverfahren noch das gegen die behördliche Ingewahrsamnahme gerichtete Verfahren bilden im Verhältnis zum Haftaufhebungsverfahren dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG, wonach der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann.

aa) Die Annahme derselben Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne setzt einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betreffen weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH, Urteile vom 26. Mai 2009 – VI ZR 174/08, AfP 2009, 394 Rn. 23; vom 12. Juli 2011 – VI ZR 214/10, NJW 2011, 3657 Rn. 22; vom 6. Juni 2019 – I ZR 150/18, ZIP 2020, 242 Rn. 24 – Der Novembermann).

Soweit der Auftrag die Wahrnehmung der Interessen in gerichtlichen Verfahren betrifft, bildet das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug regelmäßig eine Angelegenheit (BGH, Beschluss vom 24. März 2016 – III ZB 116/15, NJW-RR 2016, 883 Rn. 7; Ahlmann in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., § 15 Rn. 10; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., § 15 Rn. 5 f., 14). Das gilt allerdings nicht nur dann, wenn mehrere Ansprüche gegen zwei unterschiedliche Parteien zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gemacht werden, sondern im Grundsatz auch für den umgekehrten Fall, dass ein Recht einer Person in unterschiedlichen Gerichtsverfahren zur Geltung gebracht werden soll.

Anhaltspunkte für eine gebührenrechtliche Selbständigkeit können sich insbesondere aus der Systematik des gesetzlichen Gebührenverzeichnisses ergeben, wenn dort für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in unterschiedlichen Verfahren gesonderte Gebührentatbestände vorgesehen sind.

bb) Bei dem hier in Rede stehenden Haftaufhebungsverfahren handelt es sich im Verhältnis zum Haftanordnungsverfahren um ein eigenständiges Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen, das mit Blick auf die von Art. 104 GG hervorgehobene Bedeutung des Freiheitsgrundrechts sicherstellen soll, dass eine angeordnete Haft aufgehoben wird, wenn die Haftanordnung fehlerhaft war oder der Betroffene durch die Fortdauer der Haft in seinen Rechten verletzt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23; vom 23. Februar 2021 – XIII ZB 52/20, juris Rn. 14). Der Betroffene darf unabhängig von der Einlegung und Durchführung einer Beschwerde gegen die Haftanordnung eine Aufhebung der Haft gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG beantragen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 – XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 8 ff.). Solange er sich in Haft befindet, kann er daher sowohl vor als auch nach Eintritt formeller Rechtskraft im Haftanordnungsverfahren die Aufhebung der Haft ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht beantragen. Die Haftanordnung kann damit nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (BGH, Beschluss vom 20. April 2021 – XIII ZB 93/20, juris Rn. 13 f.).

(1) Hat sich der Haftaufhebungsantrag – wie hier – durch die Entlassung des Betroffenen erledigt und begehrt der Betroffene gemäß § 62 FamFG die Feststellung, durch die Haft ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht in seinen Rechten verletzt zu sein, kann über den Gegenstand dieses Antrags – anders als bei der Aufhebung einer noch andauernden Haft – aber nur einmal abschließend entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2021 – XIII ZB 93/20, juris Rn. 21). Nach Eintritt der Erledigung sperrt daher der zuerst rechtshängig gewordene Feststellungsantrag den inhaltsgleichen Antrag im anderen Verfahren. Kommt es in einem dieser Verfahren zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag, bleibt es dabei.

(2) Hier liegt eine solche rechtskräftige Entscheidung für den Zeitraum ab Erlass der Beschwerdeentscheidung im Haftanordnungsverfahren aber nicht vor. Die Beschwerdeentscheidung im Haftanordnungsverfahren stellte zwar die Rechtswidrigkeit der Haft bis zur Entscheidung fest, hielt aber die noch andauernde Haft aufrecht. Da eine im Haftanordnungsverfahren ergangene Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Haft keine in die Zukunft gerichtete Feststellungswirkung hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2023 – XIII ZB 20/21, juris Rn. 9), steht sie einer Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Haft im Aufhebungsverfahren nicht entgegen, soweit damit – wie hier – Zeiträume im Anschluss an die Entscheidung im Anordnungsverfahren erfasst werden sollen. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, stand daher die Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 13. April 2017 im Anordnungsverfahren der auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten vom 22. Mai 2017 ergangenen Entscheidung des Amtsgerichts im Aufhebungsverfahren nicht entgegen. Daran ändert auch die formelle Rechtskraft der Entscheidung vom 13. April 2017 nichts.

(3) Die Eigenständigkeit von Anordnungs- und Aufhebungsverfahren hat sich auch in den Sonderregelungen der Gebührentatbestände gemäß Teil 6, Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz niedergeschlagen. Danach richtet sich die Verfahrensgebühr für das Haftanordnungsverfahren gemäß Anlage 1 nach VV-RVG Nr. 6300, während VV-RVG Nr. 6302 die Verfahrensgebühr für das Aufhebungsverfahren regelt (v. Seltmann in BeckOK RVG, Einl. VV-RVG 6300; Schmitt in Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., VV-RVG 6300 Rn. 17; Toussaint in: Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., § 15 RVG Rn. 32 „Freiheitsentziehungsverfahren“).

cc) Die Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten im Haftaufhebungsverfahren ist auch nicht durch die Gebühren abgegolten, die das Amtsgericht für das gegen die behördliche Ingewahrsamnahme gerichtete Verfahren festgesetzt hat. Das folgt schon daraus, dass sich dieses Verfahren gegen eine von der gerichtlichen Haftanordnung verschiedene Maßnahme der Freiheitsentziehung (BVerfG, Beschluss vom 16. April 2021 – 2 BvR 2470/17, InfAuslR 2021, 289 Rn. 29) richtet, die einen selbständigen Verfahrensgegenstand bildet (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2013 – V ZB 224/12, juris Rn. 13). Dieses Verfahren stellt daher ebenfalls eine eigene Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG dar…..“

M.E. so zutreffend. Allerdings habe ich Probleme mit dem Satz: „Da es sich mithin um zwei Angelegenheiten handele, gelte die für das Anordnungsverfahren zugunsten des Rechtsanwalts K. festgesetzte Gebühr nach VV-RVG Nr. 6300 nicht die Tätigkeit des Rechtsanwalts F. im Aufhebungsverfahren ab.“  „Zwei Angelegenheiten“ – ok, aber warum die an Rechtsanwalt K. gezahlten Gebühren die Tätigkeit von Rechtsanwalt F. abdecken sollen, erschließt sich mir nicht.