Archiv für den Monat: Oktober 2022

StPO III: Verteidiger mit unleserlicher Handschrift, oder: Leseabschrift bei der Revisionsbegründung?

Bild von Anja-#pray for ukraine# #helping hands# stop the war auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 13.09.2022 – 5 StR 299/22 – der zu kurz und knapp allgemein zu Verfahrensrügen Stellung nimmt und dann auch noch etwas zur Aufklärungsrüge ausführt, nämlich:

„1. Soweit Verfahrensrügen unter Vorlage handschriftlich verfasster Anträge ohne Leseabschrift geführt werden, weist der Senat im Einklang mit dem Generalbundesanwalt darauf hin, dass in unleserlicher Form mitgeteilte Verfahrenstatsachen zur Unzulässigkeit der Rüge führen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1984 – 2 StR 166/84, BGHSt 33, 44).

2. Die unter Vorlage verschiedener Beweisanträge geltend gemachte Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unzulässig, da der Senat dem Revisionsvorbringen die bestimmte Behauptung dem Strengbeweis unterliegender Beweistatsachen nicht hinreichend entnehmen kann (vgl. zur Vortragspflicht bei Aufklärungsrügen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 3 StR 605/17, NStZ-RR 2018, 116).“

Den „Mangel“, den der BGH unter 1. „rügt“ kann man als Verteidiger schnell und einfach vermeiden, indem man der Revisionsbegründung eine Leseabschrift seiner Anträge beifügt. Und zwar m.E. immer. Denn über die Frage, was (noch) leserlich ist, kann man sicherlich streiten. Man kann auf diese Weise ein erstes Einfallstor für die Zurückweisung einer Revision gut vermeiden.

StPO II: Ablehnung der Einsicht in Encrochatprotokolle, oder: Zulässigkeit/Begründetheit der Verfahrensrüge

Bild von Thomas Ulrich auf Pixabay

Als zweite Entscheidung stelle ich dann den BGH, Beschl. v. 28.09.2022 – 5 StR 191/22 – vor. Er behandelt eine revisionsrechtliche Problematik, nämlich die Frage der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung der Akteneinsicht in die Originaldaten, also § 338 Nr. 8 iVm § 147 Abs. 1 StPO. Die war erhoben worden in einem sog. Encro-Chat-Verfahren. Die Ausführungen des BGH haben aber nichts mit Encro-Chat zu tun.

Der BGH hat die Rüge in erster Linie als unzulässig zurückgewiesen, er hat aber auch zur Begründetheit Stellung genommen:

„Der Senat bemerkt ergänzend:

Soweit der Beschwerdeführer eine „unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung der Akteneinsicht in die Originaldaten (§ 338 Nr. 8 iVm § 147 Abs. 1 StPO)“ rügt, entspricht das Revisionsvorbringen neben den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gesichtspunkten auch aus folgenden Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO: Nachdem das Landgericht die von der Verteidigung beantragte Beiziehung der „Rohdaten“ zu den – bei den Akten befindlichen – (Encro-)Chatprotokollen abgelehnt hatte, hat der Beschwerdeführer eine Gegenvorstellung hierzu erhoben und darin ein Protokoll des Bundeskriminalamts in Bezug genommen. Ausweislich der Revisionsbegründung sollen darin „Erkenntnisse(n) aus den Vernehmungen“ eines britischen und eines französischen Beamten enthalten sein, wonach die (Original-)Daten „in besonderer Weise bearbeitet und selektiert worden“ seien. Das Protokoll selbst oder dessen Inhalt hat er indes nicht mitgeteilt. Dazu war er aber verpflichtet. Denn ohne Kenntnis des Protokolls kann der Senat nicht prüfen, ob das Tatgericht durch die Ablehnung der Beiziehung der „Originaldaten“ den Beschwerdeführer in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt haben (§ 338 Nr. 8 StPO) oder seinen Aufklärungspflichten (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht nachgekommen sein könnte. Sollte dem Revisionsführer der Vortrag nicht möglich gewesen sein, weil ihm das Protokoll nicht vorlag, hätte er sich – damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird – jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge um dessen Erhalt bemühen und die entsprechenden Anstrengungen dartun müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 4 StR 599/09, NStZ 2010, 530 mwN; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 338 Rn. 101).

Die Rüge wäre aber auch unbegründet.

Ein Verstoß gegen das Akteneinsichts- oder das Besichtigungsrecht von Beweisstücken nach § 147 Abs. 1 StPO liegt auf der Grundlage des Revisionsvorbringens nicht vor. Denn der Anspruch bezieht sich nur auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten und auf die in diesem Verfahren verwahrten Beweisstücke (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45, 60; BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 147 Rn. 13, 19). Diese Eigenschaft hätten die „Originaldaten“ aber erst durch ihre – von der Verteidigung indes erfolglos beantragte – Beiziehung erlangt.

Die Ablehnung der Beiziehung der „Originaldaten“ begegnet auf der Grundlage des Revisionsvortrags keinen rechtlichen Bedenken. Denn ausweislich der Ablehnungsbegründung lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass einzelne für das Verfahren relevante Chats aus den „Originaldaten“ zurückgehalten oder inhaltlich verändert worden seien.

Soweit die Rüge auch mit der Stoßrichtung der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK erhoben worden sein sollte, bliebe sie schon deshalb ohne Erfolg, weil der Beschwerdeführer ausweislich des Revisionsvorbringens nicht beim Bundeskriminalamt um Einsicht in die „Rohdaten“ ersucht hat. Sein Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betreffend den Zugang zu den Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsübertretungen geht daher fehl. Denn der dortige Beschwerdeführer hatte sich vor dem gerichtlichen Verfahren (erfolglos) bei der Verwaltungsbehörde darum bemüht, die nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Rohmessdaten zu erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. November 2021 – 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455, 460; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45, 66).“

StPO I: Nochmals, ist das Schreiben eine Beschwerde?, oder: Auch der BGH vermisst den „Anfechtungswillen“

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann drei Entscheidungen zu Rechtsmitteln, also noch einmal StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 20.09.2022 – StB 38/22 -, der ganz gut zu dem LG Hechingen, Beschl. v. 28.03.2022 – 3 Qs 7/22 (vgl. dazu:  StPO I: Ist das Schreiben an die StA eine “Beschwerde”?, oder: Wo ist der Anfechtungswille?) passt. Denn es geht ind em BGH-Beschluss auch um die Frage des Anfechtungswillens.

Der Ermittlungsrichter der BGH hat in einem gegen den Angeschuldigten geführten  Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten Mordes und weiterer Straftaten am 01.08.2022 die Beschlagnahme des vom Angeschuldigten mutmaßlich für die Tat verwendeten Kraftfahrzeugs zur Sicherung dessen Einziehung angeordnet. Mit undatiertem, am 08.08.2022 beim BGH eingegangenem Begleitschreiben, das die Überschrift „Jesus Worte Nr. 2“ trägt, hat der Angeschuldigte die ihm übermittelte Abschrift des Beschlagnahmebeschlusses zurückgesandt. Mit Zuschrift vom selben Tag hat der Ermittlungsrichter des BGH den Brief des Angeschuldigten vorgelegt und erklärt, er helfe der Beschwerde gegen den Beschluss, als die das Schreiben habe ausgelegt werden können, nicht ab. Am 17.08.2022 hat der GBA Anklage gegen den Angeschuldigten zum OLG Stuttgart erhoben.

Der BGH hat festgestellt, dass es sich bei dem am 08.08.2022 eingegangenen Schreiben nicht um eine Beschwerde gehandelt hat:

„2. Die undatierte Eingabe des Angeschuldigten beinhaltet keine Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs über die Beschlagnahme seines Kraftfahrzeugs. Sie ist keiner Auslegung in diesem Sinne zugänglich.

a) Zwar ist gegen die Anordnung der Beschlagnahme durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 304 Abs. 5 StPO). Auch ist es nach § 300 StPO unschädlich, wenn der Rechtsmittelführer die Anfechtungserklärung, mit der er gegen einen Beschlagnahmebeschluss vorgeht, nicht als Beschwerde bezeichnet.

Die Anwendung der Vorschrift des § 300 StPO setzt jedoch voraus, dass tatsächlich die Überprüfung einer bestimmten gerichtlichen Entscheidung mit dem Ziel ihrer Aufhebung oder Änderung begehrt wird und dieser Anfechtungswille aus der abgegebenen Erklärung unmissverständlich hervorgeht. Der Wille des Erklärenden, gegen eine bestimmte Entscheidung ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen, muss deutlich zu erkennen sein. Bei bloßen Unmutsäußerungen ist dies nicht der Fall. Ebenso wenig liegt eine Anfechtungserklärung allein in der Mitteilung, mit einer Entscheidung unzufrieden zu sein. Gerade dem Rechtsunkundigen darf ein – gegebenenfalls für ihn kostenpflichtiges (§ 473 Abs. 1 StPO) – Rechtsmittel nicht auf unsicherer Tatsachengrundlage aufgedrängt werden (vgl. zum Ganzen HK-StPO/Rautenberg/Reichenbach, 6. Aufl., § 300 Rn. 2; KK-StPO/Paul, 8. Aufl., § 300 Rn. 2; LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 300 Rn. 4, jeweils mwN).

b) Hier kommt in dem Begleitschreiben des Angeschuldigten nicht dessen Anfechtungswille zum Ausdruck. Vielmehr scheint es sich in Zitaten aus einer religiösen Schrift mit allgemein mahnendem Charakter zu erschöpfen. Der Wille des Angeschuldigten, gegen den die Beschlagnahme des Kraftfahrzeugs anordnenden Beschluss ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen, geht auch nicht daraus hervor, dass er die ihm übermittelte Abschrift zurückgesandt hat. Dafür, dass er hiermit die Überprüfung der Entscheidung durch den anordnenden Richter und/oder in einer weiteren Instanz begehrt, besteht kein Anhalt. Das gilt umso mehr, als nach dem Ermittlungsergebnis der dringende Verdacht besteht, dass der Angeschuldigte generell die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Organe der Bundesrepublik sowie deren Länder nicht anerkennt und die Legitimität staatlichen Handelns in Abrede stellt (s. Senatsbeschluss vom 6. September 2022 – AK 27/22, juris Rn. 7).

c) Nach alledem kommt es nicht darauf an, wie prozessual zu verfahren wäre, wenn der Angeschuldigte gegen den Beschlagnahmebeschluss eine Beschwerde (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 15. September 1977 – StB 196/77 u.a., BGHSt 27, 253; vom 12. November 2020 – StB 34/20, BGHR StPO § 142 Abs. 3 Zuständigkeit 1 Rn. 4 mwN) oder einen anderen Rechtsbehelf eingelegt hätte.“

StPO III: Anfangsverdacht für Nebenklagebeiordnung?, oder: Rückwirkende Beiordnung bei der Nebenklage

© santi_ Fotolia.com

Und zum Schluss der heutigen Berichterstattung stelle ich dann noch den LG Kiel, Beschl. v.26.01.2022 – 5 Qs 2/22 – vor. Gegenstand des Beschlusses ist die Frage der Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Nebenkläger, und zwar im Hinblick auf die Frage des Beiordnungsgrundes und auf die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Beiordnung.

Das AG hatte in einem Todesermittlungsverfahren die unter Erklärung des Anschlusses als Nebenklägerin schon für das Ermittlungsverfahren beantragte Beiordnung eines Rechtsanwaltes versagt. Das AG hatte seine Entscheidung damit begründet, dass ein Anfangsverdacht gegen Beschuldigte nicht bestehe, da aufgrund des Sektionsbefundes die  Todesursache unklar sei und eine Plazentainsuffizienz in Betracht komme. Das LG hat dann auf die Beschwerde beigeordnet:

„Für die Beurteilung der Frage, ob eine Beiordnung im Rahmen einer Nebenklage zu erfolgen hat, gilt der beim Nebenklageanschluss übliche Verdachtsgrad (BeckOK-StPO-Weiner, § 397a, Rn 27). Danach hat eine Beiordnung zu erfolgen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass eine zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Straftat vorliegt (BGH NStZ 2000, 552; NStZ-RR 2008, 352 ). Das Vorliegen eines Anfangsverdachtes ist nicht erforderlich.

Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung war von dem Stand des Verfahrens im Juni 2021 auszugehen. Insoweit liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine rückwirkende Beiordnung eines Rechtsanwaltes unzulässig ist (Meyer-Goßner/Schmitt-Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 397a, Rn. 15) vor. Eine solche Ausnahme ist mit der Folge der Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung gegeben, wenn der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bestellung des Beistandes Erforderliche getan hat, der Antrag aber nicht rechtzeitig beschieden worden ist (BVerfG NStZ-RR 1997,69; BGH NStZ-RR 2008,255; OLG Celle NStZ-RR 2012,291). Bei Antragstellung am 4.6.2021 war zugleich der Anschluss als Nebenkläger durch die Beschwerdeführerin erklärt worden. Damit waren alle formellen Erfordernisse für die Stellung des Antrages auf Beiordnung bereits zu diesem Zeitpunkt erfüllt. Die Entscheidung über die Beiordnung des Rechtsanwaltes bereits im Ermittlungsverfahren hätte zeitnah erfolgen müssen.

Bei dieser Sachlage kann das Ergebnis des erst im Oktober 2021 erstatteten Gutachtens der Frau Prof. Dr. pp. der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden.

Auch das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung des Fötus war nicht geeignet, die beantragte Beiordnung abzulehnen, denn die Beurteilung der Todesart als „unklar“ ließ die Möglichkeit offen, dass ein zum Anschluss als Nebenkläger geeignetes Verhalten der an der Betreuung der Schwangeren beteiligten Personen vorgelegen haben könnte.

Eine Zulassung der Nebenklage erschien jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt gemäß § 395 Abs. 3 StPO wegen einer in Betracht kommenden fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) zum Nachteil der Beschwerdeführerin möglich.

Zwar wäre wegen des Absterbens der Leibesfrucht eine Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin für die Beschwerdeführerin nach § 395 Abs. 2 Nummer 1 StPO nicht möglich gewesen, weil dies vorausgesetzt hätte, dass ein Kind durch eine rechtswidrige Tat getötet worden wäre. Dies ist hier nicht der Fall gewesen, da das noch ungeborene Kind jedenfalls noch vor Eintritt der Eröffnungswehen im Mutterleib verstorben ist und damit im strafrechtlichen Sinne noch nicht als Mensch im Sinne der Tötungstatbestände galt (BGH Urteil vom 22.4.1983, A z.: 3 StR 25/83; nach juris: Rn. 16). Die Leibesfrucht ist bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich durch § 218 StGB geschützt. Diese Norm entfaltet insoweit eine Sperrwirkung, als nur vorsätzliche Verhaltensweisen, die zum Abbruch einer Schwangerschaft führen, strafbar sind (Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Aufl., 2022, Vor §§ 211-217, Rn. 8 ). Ein im Hinblick auf das Absterben der Leibesfrucht auch nur bedingt vorsätzliches Verhalten der an der Betreuung der Beschwerdeführerin beteiligten Personen ist nicht erkennbar.

Insoweit konnte allenfalls fahrlässiges Fehlverhalten in Rede stehen, das aufgrund des Ablaufes der Ereignisse am Ende der Schwangerschaft und der Unklarheiten in der Frage, wie es zu dem Absterben gekommen ist, im Juni 2021 durchaus möglich erscheinen konnte.

Wäre dies der Fall gewesen, hätte das Absterben der Leibesfrucht eine fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin begründen können, denn deren Gesundheit wäre hierdurch geschädigt worden. Der abgestorbene Fötus hat bei der Beschwerdeführerin einen pathologischen Zustand verursacht, der eine ärztliche Behandlung erforderlich gemacht hat ( vgl. OLG Koblenz Urteil vom 28.1.1988, Az: 5 U 1261 /85; OLG Oldenburg, Urteil vom 14.5.1991, Az.: 5 U 22/91).

Hätte eine zum damaligen Zeitpunkt möglich erscheinende fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil der Beschwerdeführerin vorgelegen, wäre ihr wegen der schweren Folgen der Tat nach § 395 Abs. 3 StPO die Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin zu erteilen gewesen.“

StPO II: Unterbrechung/Begriff der Sachverhandlung, oder: Wenn es nach dem Feueralarm nicht weitergeht

Bild von Renee Gaudet auf Pixabay

Als zweite StPO-Entscheidung stelle ich den BGH, Beschl. v. 03.08.2022 – 5 StR 47/22 – zum Begriff der Sachverhandlung (§ 229 StPO) vor.

Das LG hat die Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges verurteilt. Dagegen haben die Angeklagten Revision eingelegt, die sie u.a. auf die Verfahrensrüge einer Verletzung von § 229 Abs. 1 und 4 StPO, weil im Hauptverhandlungstermin vom 27.11.2020 nicht verhandelt worden sei. gestützt haben. Die Rüge hatte beim BGH keinen Erfolg:

„1. Die von allen Angeklagten erhobenen Rügen einer Verletzung von § 229 Abs. 1 und 4 StPO , weil im Hauptverhandlungstermin vom 27. November 2020 nicht verhandelt worden sei, sind unbegründet.

a) Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der betreffende Hauptverhandlungstermin begann um 9 Uhr. Zu Beginn teilte der Mitangeklagte F. der Strafkammer seine neue Wohnanschrift mit. Anschließend ordnete die Vorsitzende die Fortsetzung der Vernehmung des vor dem Sitzungssaal wartenden Zeugen S. an. Bevor diese begonnen werden konnte, wurden auf Initiative eines Verteidigers der Inhalt bereits gestellter Ablehnungsgesuche sowie die Frage erörtert, inwieweit Mitangeklagte sich den entsprechenden Anträgen angeschlossen haben. Währenddessen wurde Feueralarm ausgelöst, weshalb das Gerichtsgebäude geräumt werden musste. Grund hierfür war ein Kabelbrand, der auch zu einem Stromausfall führte. Angesichts dessen regten mehrere Verteidiger die Vertagung der Hauptverhandlung an. Die Vorsitzende ordnete indes um 9.40 Uhr lediglich die Unterbrechung bis 11 Uhr an; anschließend sollte der Zeuge S. vernommen werden.

Die Hauptverhandlung konnte allerdings an diesem Tag nicht wie beabsichtigt fortgesetzt werden, weil der Sitzungssaal im weiteren Verlauf durch die Feuerwehr, die den Brandherd in diesem Raum vermutete, gesperrt wurde und ein Ausweichsaal nicht verfügbar war. Die Vorsitzende erklärte die Hauptverhandlung an diesem Tag deswegen um 11.10 Uhr für beendet. Die Verfahrensbeteiligten wurden vor dem Sitzungssaal entlassen. Der nächste Hauptverhandlungstag fand am 11. Dezember 2020 statt.

b) Die Rügen sind unbegründet.

aa) Eine Hauptverhandlung gilt im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO als fortgesetzt und muss demgemäß nicht ausgesetzt werden, wenn in einem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt wird. Das ist der Fall, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 5 StR 496/20 , NStZ 2021, 381).

Indes kann auch in der Befassung lediglich mit Verfahrensfragen eine Förderung des Verfahrens in der Sache liegen, wenn deren Ziel die Klärung ist, durch welche Untersuchungshandlungen der Aufklärung des Sachverhalts Fortgang gegeben werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die für den Fortsetzungstermin in Aussicht genommene sonstige Förderung des Verfahrens infolge unvorhersehbarer Ereignisse nicht stattfinden kann. Denn es sind regelmäßig Situationen vorstellbar, in denen eine Hauptverhandlung aufgrund solcher Geschehnisse nur in wesentlich geringerem Umfang als geplant, möglicherweise sogar nur durch eine Entscheidung über die Unterbrechung des Verfahrens nach § 228 StPO gefördert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 262/17 , NStZ 2018, 297, 298 mwN).

bb) Danach wurde in der Sitzung vom 27. November 2020 zur Sache verhandelt. Die Hauptverhandlung sollte an diesem Tag um 9 Uhr mit der Vernehmung eines Zeugen fortgesetzt werden. Nur aufgrund einer auf einen Verteidiger zurückgehenden Erörterung bereits vorliegender Ablehnungsgesuche konnte der Zeuge nicht unmittelbar nach Sitzungsbeginn vernommen werden. Anders als von der Verteidigung erbeten, unterbrach die Vorsitzende nach der infolge des Feueralarms angeordneten Räumung des Gerichtsgebäudes die Sitzung lediglich für eine Stunde und zwanzig Minuten, um anschließend die für diesen Verhandlungstag geplante Beweisaufnahme durchzuführen. Dass dies letztlich nicht möglich war, lag nicht in der Macht der Strafkammer, sondern daran, dass die Feuerwehr den Sitzungsraum gesperrt und kein Ausweichsaal zur Verfügung gestanden hatte. Unter diesen – unvorhersehbaren – Umständen konnte die Strafsache ihrem Abschluss nur durch die Anordnung der Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 228 StPO substantiell näher gebracht werden. Andernfalls hätte die Hauptverhandlung allein aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses ausgesetzt und mit ihr von neuem begonnen werden müssen ( § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO ). Dies stünde aber weder mit der Verfahrensökonomie noch mit dem Anspruch des Angeklagten auf einen zügigen Abschluss des Verfahrens in Einklang (vgl. BGH aaO).“