StPO I: Nochmals, ist das Schreiben eine Beschwerde?, oder: Auch der BGH vermisst den „Anfechtungswillen“

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann drei Entscheidungen zu Rechtsmitteln, also noch einmal StPO-Entscheidungen.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 20.09.2022 – StB 38/22 -, der ganz gut zu dem LG Hechingen, Beschl. v. 28.03.2022 – 3 Qs 7/22 (vgl. dazu:  StPO I: Ist das Schreiben an die StA eine “Beschwerde”?, oder: Wo ist der Anfechtungswille?) passt. Denn es geht ind em BGH-Beschluss auch um die Frage des Anfechtungswillens.

Der Ermittlungsrichter der BGH hat in einem gegen den Angeschuldigten geführten  Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten Mordes und weiterer Straftaten am 01.08.2022 die Beschlagnahme des vom Angeschuldigten mutmaßlich für die Tat verwendeten Kraftfahrzeugs zur Sicherung dessen Einziehung angeordnet. Mit undatiertem, am 08.08.2022 beim BGH eingegangenem Begleitschreiben, das die Überschrift „Jesus Worte Nr. 2“ trägt, hat der Angeschuldigte die ihm übermittelte Abschrift des Beschlagnahmebeschlusses zurückgesandt. Mit Zuschrift vom selben Tag hat der Ermittlungsrichter des BGH den Brief des Angeschuldigten vorgelegt und erklärt, er helfe der Beschwerde gegen den Beschluss, als die das Schreiben habe ausgelegt werden können, nicht ab. Am 17.08.2022 hat der GBA Anklage gegen den Angeschuldigten zum OLG Stuttgart erhoben.

Der BGH hat festgestellt, dass es sich bei dem am 08.08.2022 eingegangenen Schreiben nicht um eine Beschwerde gehandelt hat:

„2. Die undatierte Eingabe des Angeschuldigten beinhaltet keine Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs über die Beschlagnahme seines Kraftfahrzeugs. Sie ist keiner Auslegung in diesem Sinne zugänglich.

a) Zwar ist gegen die Anordnung der Beschlagnahme durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 304 Abs. 5 StPO). Auch ist es nach § 300 StPO unschädlich, wenn der Rechtsmittelführer die Anfechtungserklärung, mit der er gegen einen Beschlagnahmebeschluss vorgeht, nicht als Beschwerde bezeichnet.

Die Anwendung der Vorschrift des § 300 StPO setzt jedoch voraus, dass tatsächlich die Überprüfung einer bestimmten gerichtlichen Entscheidung mit dem Ziel ihrer Aufhebung oder Änderung begehrt wird und dieser Anfechtungswille aus der abgegebenen Erklärung unmissverständlich hervorgeht. Der Wille des Erklärenden, gegen eine bestimmte Entscheidung ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen, muss deutlich zu erkennen sein. Bei bloßen Unmutsäußerungen ist dies nicht der Fall. Ebenso wenig liegt eine Anfechtungserklärung allein in der Mitteilung, mit einer Entscheidung unzufrieden zu sein. Gerade dem Rechtsunkundigen darf ein – gegebenenfalls für ihn kostenpflichtiges (§ 473 Abs. 1 StPO) – Rechtsmittel nicht auf unsicherer Tatsachengrundlage aufgedrängt werden (vgl. zum Ganzen HK-StPO/Rautenberg/Reichenbach, 6. Aufl., § 300 Rn. 2; KK-StPO/Paul, 8. Aufl., § 300 Rn. 2; LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 300 Rn. 4, jeweils mwN).

b) Hier kommt in dem Begleitschreiben des Angeschuldigten nicht dessen Anfechtungswille zum Ausdruck. Vielmehr scheint es sich in Zitaten aus einer religiösen Schrift mit allgemein mahnendem Charakter zu erschöpfen. Der Wille des Angeschuldigten, gegen den die Beschlagnahme des Kraftfahrzeugs anordnenden Beschluss ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen, geht auch nicht daraus hervor, dass er die ihm übermittelte Abschrift zurückgesandt hat. Dafür, dass er hiermit die Überprüfung der Entscheidung durch den anordnenden Richter und/oder in einer weiteren Instanz begehrt, besteht kein Anhalt. Das gilt umso mehr, als nach dem Ermittlungsergebnis der dringende Verdacht besteht, dass der Angeschuldigte generell die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Organe der Bundesrepublik sowie deren Länder nicht anerkennt und die Legitimität staatlichen Handelns in Abrede stellt (s. Senatsbeschluss vom 6. September 2022 – AK 27/22, juris Rn. 7).

c) Nach alledem kommt es nicht darauf an, wie prozessual zu verfahren wäre, wenn der Angeschuldigte gegen den Beschlagnahmebeschluss eine Beschwerde (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 15. September 1977 – StB 196/77 u.a., BGHSt 27, 253; vom 12. November 2020 – StB 34/20, BGHR StPO § 142 Abs. 3 Zuständigkeit 1 Rn. 4 mwN) oder einen anderen Rechtsbehelf eingelegt hätte.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert