Archiv für den Monat: Mai 2022

StPO III: Befangenheit nur bei „objektiven“ Gründen, oder: Terminsfragen und dienstliche Äußerung

Bild von Darkmoon_Art auf Pixabay

Und weil es so schön war mit einer Entscheidung aus einem Zivilverfahren, dann hier gleich noch eine weitere, und zwar der KG, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 U 69/19. In dem (Ablehnungs)Verfahren geht es u.a. um einen Terminsverlegungsantrag und Fragen der Begründung des Ablehnungsantrags. Die Ausführungen des KG dazu kann man ggf. auch im Strafverfahren verwenden:

„Die Ablehnungsersuchen des Klägers sind nicht begründet, weil kein Grund vorliegt, der nach § 42 Abs. 2 ZPO geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Solche Gründe folgen weder aus der Zurückweisung des Terminverlegungsantrags (1.) noch aus der nach dem Empfinden des Klägervertreters menschenverachtenden und behindertenfeindlichen Einstellung des abgelehnten Richters (2.). Schließlich gibt auch der Inhalt der dienstlichen Erklärungen des Richters keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit (3). Eine Kostenentscheidung ist ebenso wenig veranlasst wie eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (4.).

1. Die Zurückweisung des Antrags, den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28. März 2022 kurzfristig wegen der krankheitsbedingten Verhinderung des Klägervertreters aufzuheben, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit nicht. Alleiniger Gegenstand eines Ablehnungsverfahren nach §§ 42 ff. ZPO ist eine mögliche Parteilichkeit des Richters und nicht die inhaltliche Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung allein den Rechtsmittelgerichten vorbehalten ist. Ein Ablehnungsersuchen kann daher grundsätzlich nicht erfolgreich auf die Verfahrensweise oder Rechtsauffassung eines Richters gestützt werden (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61; OLG Dresden, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 4 W 300/20, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2013 – 17 U 221/12, MDR 2014, 242; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 42 Rn. 28). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann geboten, wenn die Gestaltung des Verfahrens oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus Sicht der Partei nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 2006 – 15 W 31/06, NJW-RR 2006, 1577; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 42 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen vermag der Umstand, dass der abgelehnte Richter dem Terminverlegungsantrag einer Partei nicht entsprochen hat, die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, weil eine Aufhebung oder Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nach § 227 ZPO nur beim Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 6. April 2006 – V ZB 194/05, NJW 2006, 2492 [2494]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. Mai 2021 – 9 W 25/21, NJW-RR 2021, 1077; OLG Brandenburg NJ 2019, 390; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5 Aufl. 2020, § 42 Rn. 20 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 42 Rn. 14 m. w. N. in Fn. 81). Anders ist es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Verlegung oder Aufhebung des Termins offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei schlechthin unzumutbar wäre und somit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzte (BGH, Urteil vom 28. April 1958 – III ZR 43/56, BGHZ 27, 163 [167] = NJW 1958, 1186; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. Juli 2020 – 3 W 41/20, NJW-RR 2020, 1325; OLG Brandenburg, Beschluss vom 30. September 1998 – 1 W 32/98, NJW-RR 1999, 1291 [1292]) oder sich aufgrund der Ablehnung des Verlegungsantrags der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt (OLG Dresden, Beschluss vom 22. November 2016 – 18 WF 985/16, NJ 2017, 29; KG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 2006 – 15 W 43/06, NJW 2006, 2787).

Ausgehend von diesem Maßstab sind für eine berechtigte Besorgnis der Befangenheit in dem hier vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Dies folgt bereits daraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Aufhebung des Termins wegen der fehlenden Glaubhaftmachung der eingetretenen Erkrankung tatsächlich nicht vorlagen. Zwar ist eine Partei zur Glaubhaftmachung der geltend gemachten Hinderungsgründe gemäß § 227 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur auf Aufforderung des Gerichts bzw. des Vorsitzenden verpflichtet. Wird ein Terminänderungsantrag – wie in dem hier vorliegenden Fall – allerdings erst unmittelbar vor dem anberaumten Termin unter Hinweis auf eine Erkrankung gestellt und bleibt dem Vorsitzenden daher keine Zeit, die Partei zur Glaubhaftmachung der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit aufzufordern, müssen die Gründe für die Verhinderung bereits in dem Verlegungsantrag so angegeben und untermauert werden, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst zu beurteilen vermag (BGH, Beschluss vom 12. März 2015 – AnwZ (Brfg) 43/14, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschluss vom 13. April 2021 – 6 A 2041/18, juris Rn. 12, VGH München, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 11 ZB 16.30121, NJW 2017, 103; Prütting/Gehrlein/Kazele, ZPO, 13. Aufl. 2021, § 227 Rn. 2; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 227 Rn. 8).

…..

2. Die Besorgnis der Befangenheit ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der abgelehnte Richter nach dem Empfinden des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten von einem „aggressiven Zynismus“, einer „noch nicht erlebten Variante richterlicher Selbstherrlichkeit“ sowie einer „Menschen-Verachtung und speziell Behinderten-Feindlichkeit“ geprägt sei und nicht über ein „Minimum an menschlichem Einfühlungsvermögen“ verfüge.

Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters vermögen nur objektive Gründe zu rechtfertigen, welche vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 – II ZB 2/10 – Rn. 13, NJW 2011, 1358; BGH, Beschluss vom 02. Oktober 2003 – V ZB 22/03 –, BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164; BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2000 – 1 BvR 539/96 –, BVerfGE 102, 122 (125) = NJW 2000, 2808). Es gilt somit ein objektiver Maßstab, der allerdings durch die Bezugnahme auf den Standpunkt der ablehnenden Partei einen gewissen subjektiven Einschlag erhält (Musielak/Voit/Heinrich, 18. Aufl. 2021, § 42 ZPO Rn. 6; Conrad, MDR 2015, 1048 f.). Ein erfolgreiches Ablehnungsersuchen setzt danach nicht voraus, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist vielmehr, ob aus Sicht der ablehnenden Partei objektiv nachvollziehbare Gründe vorliegen, welche an seiner Unparteilichkeit zweifeln lassen (vgl. auch MüKoZPO/Stackmann, a. a. O., Rn. 4). Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge der ablehnenden Partei reichen hingegen grundsätzlich nicht aus, um ein Ablehnungsersuchen zu rechtfertigen (Wieczorek/Schütze/Gerken, a. a. O., § 42 Rn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 32. Aufl. 2021, § 42 Rn. 9).

Nach diesen Maßstäben vermag die Befürchtung des Klägers, aufgrund einer negativen Einstellung des abgelehnten Richters gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten unfair behandelt zu werden, die Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen. Denn diese subjektive Befürchtung beruht nicht auf auch nur annähernd objektiv nachvollziehbaren Erwägungen. Die Verfügung vom 25. März 2022, mit dem der abgelehnte Richter die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 28. März 2022 aus – wie bereits dargelegt – rechtlich zutreffenden Gründen abgelehnt hat, ist in einem höflichen und gegenüber den Parteien respektvollen Ton verfasst. Darüber hinaus ist der abgelehnte Richter dem Prozessbevollmächtigten des Klägers dadurch entgegenkommen, dass er ihm eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Wege der Ton- und Bildübertragung angeboten hat.

3. Schließlich begründen auch die von dem abgelehnten Richter abgegebenen dienstlichen Erklärungen vom 28. März 2022 – entgegen der mit dem Schriftsatz vom 29. März 2022 geltend gemachten Auffassung des Klägers – nicht die Besorgnis der Befangenheit…..“

StPO II: Das Kollegialverhältnis bei einem kleinen AG, oder: Wenn niemand für eine Entscheidung mehr bleibt

Bild von MasterTux auf Pixabay

Als zweite Entscheidung dann ein Beschluss aus einem familiengerichtlichen Verfahren, also keine StPO 🙂 . Die im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.03.2022 – 7 AR 165/22 – angesprochenen Fragen zum Kollegialverhältnis können aber auch in Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Bem Beschluss liegt ein Scheidungsverfahren zugrunde liegt. In dem ist die Antragsgegnerin Richterin am Amtsgericht in T und mit dem Antragsteller verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt des Ehepaares war in der Gemeinde , die zum Bezirk des Amtsgerichts T gehört. Die Antragsgegnerin lebt dort weiterhin zusammen mit den beiden minderjährigen Kindern.

Das Amtsgericht T ist das kleinste Amtsgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts Nürnberg. Es sind dort einschließlich des Direktors sowie des Richters am Amtsgerichts als ständiger Vertreter des Direktors insgesamt fünf Richterinnen und Richter beschäftigt.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten hat der Antragsteller beim Amtsgericht T einen Scheidungsantrag einreichen lassen. Dieser wurde der Antragsgegnerin zugestellt. Nacheinander haben die weiteren vier Richter des Amtsgerichts T eine Selbstanzeige gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben. Der RiAG, der als Letzter die Anzeige nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 48 ZPO abgegeben hat, hat das Verfahren dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegt.

Das OLG bestimmt das zuständige Gericht – insoweit bitte selbst lesen – und führt zu den Selbstanzeigen aus:

„2. Sämtliche Selbstanzeigen sind begründet.

Ebenso wie ein Ablehnungsgesuch eines Beteiligten ist die Selbstanzeige dann begründet, wenn Umstände, die die Besorgnis der Befangenheit begründen, vorliegen. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann zu bejahen, wenn Gründe gegeben sind, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, das Vorliegen eines Sachverhaltes, der vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten aus bei Betrachtung und Würdigung aller Umstände berechtigten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters gibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 Rn 9 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei braucht nicht auf die in den Selbstanzeigen jeweils geschilderten persönlichen Beziehungen zwischen der Antragsgegnerin und dem jeweiligen Richter eingegangen werden; denn die berechtigte Besorgnis der Befangenheit besteht im vorliegenden Fall bereits aufgrund des Kollegialverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und den die Selbstanzeigen erstattenden Richtern. Grundsätzlich reicht das bloße Kollegialverhältnis zwischen einem Richter und einem Verfahrensbeteiligten zwar nicht für die Begründung der Befangenheit aus. Etwas anderes gilt jedoch innerhalb eines kleinen Gerichts wie es das Amtsgericht T ist, da bei einem kleinen Gericht eine sehr enge berufliche Zusammenarbeit zwischen allen Richtern des Gerichts naheliegt (BGH NJW-RR 2022, 284; BGH NJW 1957, 1400; Zöller-Vollkommer aaO § 42 Rn 12a m.w.N.; Wieczorek/Schütze-Niemann, ZPO, 3. Aufl., § 42 Rn 16).“

StPO I: „wir befinden nicht über moralische Mitschuld“, oder: Wie zweckmäßig sind moralische Bewertungen?

Bild von Tumisu, auf Pixabay

Heute dann wieder ein StPO-Tag, und zwar ein „Befangenheitstag“, also (nur) Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit (§§ 24 ff. StPO).

Ich eröffne den Reigen mit dem BGH, Beschl. v. 03.03.2022 – 4 StR 379/21. Der BGH äußert sich zu Äußerungen des Vorsitzenden im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung gegenüber der Mitangeklagten nach Abtrennung der bis dahin gegen sie und den Angeklagten gemeinsam geführten Hauptverhandlung. Auf diese Äußerungen – dazu siehe unten im Zitat – war ein gestützten Befangenheitsantrag des Angeklagten des Angeklagten gestützt worden. Der BGh hat gegen dessen Zurückweisung keine Bedenken.:

„1. Die Rüge einer Verletzung der „§§ 24 Abs. 2, 338 Nr. 3 StPO, Art. 6 Abs. 1 EMRK“ ist unbegründet. Die Zurückweisung des auf Äußerungen des Vorsitzenden im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung gegenüber der Mitangeklagten nach Abtrennung der bis dahin gegen sie und den Angeklagten gemeinsam geführten Hauptverhandlung gestützten Befangenheitsantrags des Angeklagten begegnet auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 ? 1128/17, NJW 2021, 2947, keinen Bedenken

Die Äußerungen des Vorsitzenden, die Kammer habe nicht darüber zu befinden, ob sie ? die Mitangeklagte ? eine „moralische Mitschuld“ am Tode des Säuglings trage, sowie sein erläuternder Hinweis, er gehe ? dem rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend ? davon aus, dass E. durch den Angeklagten zu vier verschiedenen Zeitpunkten Rippenserienfrakturen zugefügt worden seien, begründen jenseits von Fragen der Zweckmäßigkeit moralischer Bewertungen in einem Strafverfahren nicht die Besorgnis, der Vorsitzende trete dem Angeklagten nicht mehr unvoreingenommen gegenüber.

Die mündlichen Ausführungen des Vorsitzenden zu den Ergebnissen der bis zur Abtrennung zur Urteilsverkündung gegen die Angeklagten gemeinsam durchgeführten Hauptverhandlung stimmen inhaltlich mit der den Verfahrensbeteiligten übersandten „vorläufigen Würdigung des bisherigen Beweisergebnisses der Beweisaufnahme“ vom 5. Februar 2021 überein und tragen erkennbar vorläufigen Charakter. Die mündliche Urteilsbegründung enthielt schließlich ? anders als das schriftliche Urteil in der Fallkonstellation, die dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16. Februar 2021 ? 1128/17, NJW 2021, 2947 zugrunde lag ? keine nähere Feststellung oder Würdigung des dem Angeklagten zur Last liegenden Tötungsverbrechens zum Nachteil seines Sohnes.“

OWi III: Anfrage bei der ausländischen Meldebehörde, oder: Verjährungsunterbrechung?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich die Antwort auf die Frage, ob auch der gerichtlichen Anfrage bei einer ausländischen Meldebehörde verjährungsunterbrechende Wirkung in Anwendung von § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG zu kommen kann?

Das OLG Köln hat die Frage im OLG Köln, Beschl. v. 15.02.2022 – III-1 RBs 26/22 – bejaht:

„b) Indessen ist der Lauf der Verjährungsfrist durch die am 3. Dezember 2019 erfolgte Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 6 OWiG rechtzeitig unterbrochen worden.

Nach dieser Vorschrift führt jedes Ersuchen des Richters um Vornahme einer Untersuchungshandlung im Ausland zur Unterbrechung der Verjährung. Ihr unterfällt jedes Amtshilfeersuchen des Gerichts an eine ausländische Behörde, sofern dieses aufgrund von Gesetzen, zwischenstaatlichen Verträgen oder Vereinbarungen eines Notenwechsels zwischen der Bundesregierung und der ausländischen Regierung oder kraft Gewohnheitsrechts statthaft ist oder mit welchen der ausländische Staat einverstanden ist. Gegenstand des Ersuchens kann jede im Bußgeldverfahren zulässige Handlung zur Förderung des Verfahrens sein (zum Ganzen s. Remann/Roth/Hermann, OWiG, 3. Auflage Stand Oktober 2020, § 33 Rz. 29).

Hieran gemessen handelt es sich bei dem richterlich angeordneten Ersuchen um Auskunft der Meldebehörde der Stadt Plombiers um eine solche im Ausland vorzunehmende Untersuchungshandlung. Ausgehend von dem diesbezüglichen Beweisantrag der Verteidigung diente sie der Feststellung, ob der Betroffene – wie von ihm behauptet – seine Wohnung im zustellungsrechtlichen Sinne im Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides (ausschließlich) in Belgien hatte und damit der Klärung der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Anfrage ist – wie erforderlich – durch die zuständige Tatrichterin veranlasst worden (dazu vgl. BeckOK-OWiG-Gertler, 32. Edition Stand 01.10.2021, § 33 Rz. 84). Sie war schließlich auch statthaft: Das Königreich Belgien führt ein zentrales Melderegister für natürliche Personen, das unter anderem Auskunft über deren Wohnsitz gibt und auf dessen Daten auch ausländische öffentlich-rechtliche Institutionen Zugriff haben (s. Näher www.ibz.rrn.fgov.de). Dass auch die belgischen Behörden von der Zulässigkeit ihres Handelns ausgegangen sind, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass diese die Anfrage des Amtsgerichts Geilenkirchen bereits am 9. Dezember 2019 ohne weitere Rückfrage beantwortet haben.

Nach alledem ist die Verfolgungsverjährung hier durch die richterliche Anfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt Plombiers am 3. Dezember 2019 wirksam unterbrochen worden. Innerhalb der danach erneut in Lauf gesetzten Sechsmonatsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG) ist die Verjährung sodann am 22. Januar 2020 gemäß § 33 Abs. 1 Ziff. 11 OWiG erneut wirksam unterbrochen worden und sodann auch bis zum 3. Juni 2020 – dem Datum des ersten Urteils in vorliegender Sache – nicht mehr abgelaufen.“

OWi II: Messung mit dem Messgerät Riegl FG 21-P, oder: Muss der Betroffene das Messergbenis prüfen können?

entnommen wikimedia.org
Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

Muss bei einer Messung mit dem nicht dokumentierenden Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P dem Betroffenen ermöglicht werden, das Messergebnis am Tatort durch Einsichtnahme in das Display zu überprüfen. DieseFrage kann sich insbesondere stellen, wenn z.B. auf der Autobahn gemessen wird und dann keine Möglichkeit besteht, von der Anhaltestelle zu dem Standort des Messbeamten zurückzufahren.

Das OLG Düsseldorf hat die Frage im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 RBs 51/22 – verneint:

„Der Erörterung bedarf lediglich die in der Begründungsschrift geltend gemachte Forderung, dass dem Betroffenen bei einer Messung mit dem nicht dokumentierenden Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P ermöglicht werden müsse, das Messergebnis am Tatort durch Einsichtnahme in das Display zu überprüfen. Daran habe es hier schon deshalb gefehlt, weil es auf der Autobahn nicht möglich gewesen sei, von der Anhaltestelle zu dem Standort des Messbeamten zurückzufahren.

Der Begründungsschrift ist nicht zu entnehmen, auf welchen prozessualen Gesichtspunkt diese Beanstandung abzielt. Verfahrensrechtlich kommt allein die Geltendmachung eines Beweisverwertungsverbotes in Betracht. Daher scheitert die Rüge bereits an der mangelnden Darlegung, dass die verteidigte Betroffene der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bis zu dem durch § 71 Abs. 1 OWiG, § 257 Abs. 1 StPO bestimmten Zeitpunkt widersprochen hat. Zur Vermeidung der Rügepräklusion ist die Erhebung und Darlegung eines solchen Widerspruchs auch im Bußgeldverfahren erforderlich (vgl. Senat BeckRS 2019, 25099 = DAR 2020, 209; BeckRS 2022, 4715; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4261; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104).

Abgesehen davon hätte die Verfahrensrüge auch im Falle zulässiger Erhebung keinen Erfolg gehabt. Denn ein allgemeines Recht des Betroffenen auf Anwesenheit bei polizeilichen Ermittlungshandlungen und damit auf sofortige persönliche Überprüfung des Ermittlungsergebnisses besteht nicht (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20. August 1997, 3 Ws (B) 427/97, bei juris).

Nach dem gesetzlich geregelten Gang des Vorverfahrens genügt es, wenn die Verdachtsgründe dem Betroffenen bei seiner Anhörung, die spätestens vor dem Abschluss der Ermittlungen zu erfolgen hat, mitgeteilt werden (§ 55 Abs. 1 OWiG, §§ 163a Abs. 1, 136 Abs. 1 StPO).

Es kann zur Förderung der Akzeptanz selbstverständlich hilfreich sein, dem Betroffenen – auf dessen Verlangen oder von Amts wegen – nach einer Messung mit dem nicht dokumentierenden Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P Einsicht in das Display mit dem (noch) angezeigten Messergebnis zu gewähren. Ein entsprechender Anspruch des Betroffenen ist indes gesetzlich nicht vorgesehen und lässt sich auch nicht aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens herleiten. Die Verwertbarkeit des Messergebnisses hängt nicht davon ab, dass dem Betroffenen die Einsichtnahme in das Display tatsächlich ermöglicht werden konnte, was bei der Messung auf einer Autobahn in der Regel nicht der Fall ist, weil eine Rückkehr von der Anhaltestelle zum Standort des Messbeamten umständlich (je zweimal Abfahren und Auffahren) und zeitaufwendig wäre. Vorliegend befand sich der Standort des Messbeamten zudem in einer Nothaltebucht, in der die Betroffene nur im Notfall oder bei einer Panne hätte halten dürfen.

Das mit dem Laserhandmessgerät Riegl FG 21-P erzielte Messergebnis ist auch dann verwertbar, wenn dem Betroffenen eine Einsichtnahme in das Display mit dem (noch) angezeigten Messergebnis wegen der örtlichen Gegebenheiten am Tatort nicht ermöglicht werden konnte.“