Archiv für den Monat: April 2022

Strafzumessung II: Berufsrechtliche Folgen übersehen, oder: Einmal Rechtsanwalt, einmal Apotheker

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zum strafzumessungsrechtlichen Dauerbrenner: Übersehen der berufsrechtlichen Konsequenzen der Verurteilung.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 08.03.2021 – 3 StR 398/21. Der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, war vom LG wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dem BGH gefällt die Strafzumessung nicht:

“ Die „Strafzumessungserwägungen der Kammer, die sich nur mit der Frage eines Berufsverbots nach § 70 StGB befasst und dessen Verhängung abgelehnt hat, lassen nicht erkennen, ob sie bei der Strafbemessung die – unabhängig von einem Berufsverbot – (möglicherweise) drohenden anwaltsgerichtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO in den Blick genommen hat. Die beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Angeklagten sind jedenfalls dann als bestimmender Strafzumessungsgrund ausdrücklich anzuführen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 2 StR 506/12, NStZ 2013, 522 mwN). Dass dies hier der Fall sein könnte, lässt sich nicht nur nicht ausschließen, sondern ist wahrscheinlich: Nach den Feststellungen ist der Angeklagte jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Urteils als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei, insbesondere auch als Strafverteidiger, tätig gewesen. Dazu, ob dem Angeklagten Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 BRAO drohen, verhalten sich die Feststellungen nicht. Angesichts dessen, dass es sich bei der Beteiligung eines Rechtsanwalts, zumal in der Eigenschaft als solchem, an einem Aussagedelikt um einen – wie die Kammer zu Recht ausführt – besonders schwerwiegenden Verstoß gegen eine Berufspflicht handelt, erscheint es naheliegend, dass ihm in Folge der strafgerichtlichen Verurteilung anwaltsgerichtliche Maßnahmen, zumindest ein zeitlich befristetes Vertretungsverbot (§ 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO) oder sogar eine Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft (§ 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO) drohen (vgl. § 113 Abs. 1 BRAO). Bei Aussagedelikten, wie sie hier Gegenstand der Verurteilung sind, ist nach der anwaltsrechtlichen Rechtsprechung die Ausschließung aus der Anwaltschaft sogar der Regelfall, weil ein gravierender Verstoß gegen die Kernpflicht anwaltlicher Tätigkeit vorliegt (vgl. dazu Lubini, NZWist 2020, 178 (181)). Auf Grund dessen droht dem Angeklagten der Verlust seiner beruflichen oder wirtschaftlichen Basis. Daher hätte das Gericht sich mit etwaigen Folgen dieser Art auseinandersetzen und diese ggf. mildernd berücksichtigen müssen.“

Und dann noch der BGH, Beschl. v. 15.03.2022 – 5 StR 497/21 -, in dem es um einen Apotheker ging:

„1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

a) Die Revision macht zutreffend geltend, die Ausführungen zur Strafzumessung ließen nicht erkennen, ob das Landgericht mögliche berufsrechtliche Konsequenzen in seine Erwägungen eingestellt hat. Die Erörterung solcher Umstände ist geboten, weil nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind. Hierzu zählen als bestimmende Strafzumessungsgründe (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) nicht nur Beamte treffende Nebenfolgen, sondern auch solche, die sich bei anderen Berufsgruppen wie Apothekern auswirken können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 1991 – 5 StR 542/90, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 23 mwN). Der Angeklagte ist nach den Feststellungen approbierter Apotheker und seit 1998 Inhaber einer Apotheke. Die zur Verurteilung führenden Straftaten beging er unter Ausnutzen seiner beruflichen Stellung. Es liegt daher nahe, dass die Approbation des Angeklagten nach § 6 Abs. 2 Bundes-Apothekerordnung widerrufen und die Erlaubnis zum Betreiben der Apotheke nach § 3 Nr. 3 Apothekengesetz erlöschen wird.

Dass das Landgericht nach § 70 StGB die Anordnung eines Berufsverbotes geprüft und im Ergebnis abgelehnt hat, genügt der Erörterungspflicht hier nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 StR 256/16, NZWiSt 2017, 39).“

Strafzumessung I: Strafaussetzung zur Bewährung, oder: Kurzer Strafrest und erste Freiheitsstrafe

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Heute ist zwar Feiertag – Ostermontag – aber: Warum an dem Tag nicht ein wenig arbeiten? Und daher gibt es hier heute das ganz normale Programm, und zwar mit Entscheidungen zur Strafzumessung. Zweimal zwei BGH-Beschlüsse.

Ich beginne mit zwei Beschlüssen zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Zunächst der BGH,  Beschl. v. 22.03.2022 – 1 StR 62/22 – in dem der BGH ein im sog. 2. Durchgang ergangenes Urteil des LG München I aufgehoben hat, weil:

„Die Strafzumessung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung wegen eines durchgreifenden Erörterungsfehlers nicht stand. Denn das Landgericht hat sich nicht mit dem hier bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) auseinandergesetzt, dass nach Anrechnung erlittener Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) nunmehr allein etwas mehr als ein Monat der Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Der für eine Reststrafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB maßgebliche Zweidrittelzeitpunkt ist längst überschritten. Der Angeklagte, der sich zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils seit über einem Jahr wieder auf freiem Fuß befand, arbeitet derzeit als Koch sowie für einen Sicherheitsdienst und hat einen festen Wohnsitz. Unter diesen Umständen ist ein Herausreißen aus den sozialen Bindungen durch die Vollstreckung des kurzen Strafrestes mit einer besonderen, vom Landgericht nicht ersichtlich bedachten Härte verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. August 2009 – 5 StR 257/09, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 9 Rn. 6 f. und vom 28. August 2012 – 3 StR 305/12 Rn. 4); insbesondere ist dieser Gesichtspunkt nicht der strafmildernden Berücksichtigung des fast 20-monatigen Vollzugs der Untersuchungshaft unter den Einschränkungen der COVID-Pandemie zu entnehmen.“

Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 26.01.2022 – 6 StR 633/21. Auch in ihm beanstandet der BGH die Nichtgewährung von Bewährung:

„Die Strafkammer hat anknüpfend an die „Gefährlichkeitsprognose der Sachverständigen“ eine positive „Sozialprognose“ im Sinne des § 56 StGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. November 2021 – 6 StR 12/20, Rn. 119; zur Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB, BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – 2 StR 297/14) verneint und dabei zu Ungunsten des Angeklagten ausgeführt, dass aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sowie der ungünstigen sozialen Situation – ungeregelte Lebensführung, keine berufliche Perspektive – eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Gewaltstraftaten bestehe. Diese Einschätzung wird von den Urteilsgründen nicht getragen. Hinzu kommt, dass wesentliche Umstände, die eine günstige Prognose begründen können, unbeachtet geblieben sind. Denn das Landgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1991 – 5 StR 598/91) und dass er sich im Sommer 2021 in dieser Sache mehr als zwei Monate in Haft befunden hat (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 215).“

Sonntagswitz, an Ostersonntag natürlich nur zu Eiern, Hühnern und/oder Hasen

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Heute ist Ostersonntag 2022. Und an Ostern liegt die Thematik bei den Sonntagswitzen auf der Hand. Natürlich Ostern, Eier und/oder Hasen, nämlich:

Kommt ein Hahn mit einem Straußenei auf seine Hühnerfarm und ruft:

„Mädels, ich will ja nicht meckern, aber kuckt mal, was die Konkurrenz macht.


Zwei Hühner stehen vor einem Schaufenster und betrachten Eierbecher.

Sagt das eine Huhn: „Schicke Kinderwagen haben die hier!“


Kommt das Häschen zu einem Optiker und fragt: “

„Brauchst du Brille?“

Der Optiker erklärt dem Häschen „Nein, ich verkaufe Brillen.“

Am nächsten Tag kommt das Häschen wieder und fragt dasselbe.

Das geht eine ganze Woche so.

Da sagt der Optiker eines Tages: „Hau ab ich kann dich nicht mehr sehen!“

Sagt das Häschen: „Brauchst du doch eine Brille!“


Der Vater klärt seinen Sohn auf.

„Also, du musst es endlich mal erfahren. Der Osterhase, der Weihnachtsmann, das bin immer ich gewesen!“

„Weiß ich doch längst“, beruhigt ihn der Kleine, „nur der Klapperstorch, das war Onkel Jochen!“

Wochenspiegel für die 15. KW., das war Kurzarbeit, CBD, Google, Justizminister und schweigender Mandant

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Am Ostersonntag 2022 wünsche ich erst mal ein frohes Osterfest und ein paar erholsame und ruhige Tage, so weit die Tage derzeit „erholsam und ruhig“ sein können. Man mag es angesichts der Nachrichten, die uns erreichen, kaum schreiben. Ukraine und immer auch noch die Pandemie. Es handelt sich dann übrigens um das dritte Osterfest in „Pandemiezeiten“ – und es wird m.E. auch nicht das letzte sein. Wir können – finde ich – allerdings eine Menge dazu beitragen, dass es – wenn schon nicht edngütlig besser – dann aber wenigstens nicht schlimmer wird. Also: Masken auf, wo man sich nahe kommt.

Genießen wir also das, was wir (noch) haben und jammern nicht darüber, was wir nicht (mehr) haben. Ich meine, es geht uns (noch) gut. Zum Jammern besteht kein Grund.

Das voraus geschickt und jetzt geht es zu den Hinweisen auf Beiträge anderer Blogs in der ablaufenden Woche. Also: Wochenspiegel. Und ich weise auf folgende Beiträge aus der 15. KW./2022 hin:

  1. Vetorecht des Justizministers gegen Gesetzesentwürfe der Bundesregierung?

  2. Kurzarbeit als Rettungsanker: Arbeitgeber zwischen Corona- und Gas-Krise,

  3. EuGH-Generalanwalt zu Löschanträgen: Google muss prüfen, ob Inhalte unrichtig sind
  4. Das Osterpaket – Teil 3: Neuregelungen für die Grund- und Ersatzversorgung,

  5. VG Köln: CBD-Tropfen sind zulassungspflichtige Arzneimittel

  6. Datenschutzverstoß und Datenpanne: Beispiele und Vorgehen

  7. Teilnahme an einer Videoverhandlung auch aus der Schweiz?

  8. Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen,

  9. Kürzung der Sachverständigenkosten…..

  10. und aus meinem Blog:  Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Einstellung?, oder: “Mein Mandant wird derzeit schweigen…”

Corona: Ersatz einer Desinfektionspauschale COVID-19, oder: Gemeinkosten des Sachverständigen

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In der zweiten vorösterlichen Entscheidung, dem LG Saarbrücken, Urt. v. 08.04.2022 – 13 S 103/21 -, geht es noch einmal um den Ersatz für die Beschaffung von Desinfektionsmaterial aus Anlass der Corona-Pandemie und der Zeitaufwand für die Desinfektion des Kundenfahrzeugs bei einem Sachverständigen.

Der Kläger hat die Beklagte nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 22.12.2020 ereignet hat, auf restliche Sachverständigenkosten in Anspruch genommen. Die alleinige Haftung der Beklagten steht nicht im Streit. Der Kläger beauftragte ein Sachverständigenbüro mit der Erstattung eines Schadengutachtens. Diesesstellte dem Kläger einen Betrag von 1.266,58 EUR in Rechnung, den die Beklagte vorgerichtlich in Höhe von 1.042,70 EUR regulierte.

Den Rest, darunter eine „Desinfektionspauschale COVID-19“ hat der Kläger mit seiner Klage geltend gemacht. Er hatte keinen Erfolg:

„….

c) Die „Desinfektionspauschale COVID-19″ hat das Erstgericht ebenfalls mit Recht den Gemeinkosten zugeordnet (vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 25. September 2020 – 120 C 279/20 (05) -, juris; AG Völklingen, Urteil vom 13. November 2020 – 16 C 283/20 (11) -, juris; a. A. AG Pinneberg, Urteil vom 03. März 2021 – 62 C 86/20 -, juris). Der Zeuge pp. hat hierzu bekundet, dass Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel benötigt würden und ein höherer Zeitaufwand entstehe. Der Zeitaufwand ist indes grundsätzlich bereits mit dem Grundhonorar abgegolten (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 26. September 2018 – 1 U 14/18 -, juris). Gleiches gilt aber auch für das Hygieneverbrauchsmaterial. Denn die Pauschale betrifft auch insoweit ersichtlich nicht solche tatsächlichen Aufwendungen, die konkret anlässlich des Gutachtenauftrags des Klägers angefallen sind, sondern die von dem konkreten Auftrag unabhängige generelle Beschaffung des Verbrauchsmaterials. Die Berufung führt insoweit selbst aus, dass gerade keine konkrete Abrechnung des verbrauchten Materials erfolgt. Auch das Hygieneverbrauchsmaterial unterfällt daher den Gemeinkosten (vgl. SG Mainz, Beschluss vom 17. September 2020 – S 2 R 250/19 -, juris für einen medizinischen Sachverständigen; s. a. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. November 2021 – L 2 SB 128/21 B -, juris, dass allerdings einen pauschalierten Ersatz für besondere Aufwendungen nach § 12. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG zuerkennt; ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 2020 – L 4 SB 122/19 -, juris). Diese Kosten sind daher nicht gesondert neben dem Grundhonorar als Nebenkosten zu vergüten. Ob die Kosten bei der Bemessung des Grundhonorars tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben, ist bei der von dem Schadengutachter gewählten Abrechnung dabei ohne Belang…..“