Pflichti II: Nochmals gestörtes Vertrauensverhältnis, oder: „Ich bin nicht das „Mietmaul“ der Angeklagten.“

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In der zweiten Pflichtverteidigungsentscheidung geht es dann auch noch einmal um die Entpflichtung des Verteidigers wegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses, und zwar wegen Differenzen im Mandatsvwerhältnis. Das LG hatte die Entpflichtung des Verteidigers abgelehnt. Dagegen die Beschwerde der Angeklagten, die unzulassig war. Das OLG hat aber im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.06.2021 – 3 Ws 200/21 – zur Entpflichtung Stellung genommen:

„2. Der Senat weist daher nur ergänzend darauf hin, dass die sofortige Beschwerde auch unbegründet wäre. Die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt H. liegen nicht vor.

a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Beiordnung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Verteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet ist. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Vorschrift, die am 13. Dezember 2019 in Kraft getreten ist (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134), das Ziel, zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel zu normieren.

Insofern kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung dargelegten Grundsätze zurückgegriffen werden (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach ist insoweit die Sicht eines verständigen Angeklagten ausschlaggebend und eine solche Störung von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, NStZ 2021, 60, m.w.N.)

Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen eine Entpflichtung grundsätzlich nicht. Etwas Anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (vgl. BGH, NStZ 2020, 434).

b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten steht auch aus einem sonstigen Grund im Sinne der § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO nicht in Frage.

Die Angeklagte hat – nachdrücklich und ungeachtet der von Rechtsanwalt H. offen angesprochenen zurückliegenden Konflikte über die Verteidigungsstrategie in einem anderen Verfahren und entgegen seinem ausdrücklichen Wunsch – auf der Beiordnung des ihr als besonders kompetent aufgefallenen Anwaltes bestanden. Wenn Rechtsanwalt H. nunmehr in vorliegender Sache – aus Sicht der Angeklagten erwartungsgemäß – in eigenverantwortlicher Einschätzung der Sach- und Rechtslage von ihm als aussichtslos oder sachfremd erachtete Anträge und Rechtsbehelfe nicht stellt bzw. einlegt und entsprechende Eingaben der Angeklagten nicht unterstützt, wird er damit seinen Pflichten als bestellter Verteidiger gerecht. Er ist Beistand, nicht Vertreter der Angeklagten und an deren Weisungen nicht gebunden. Seine Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten und das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig von der Angeklagten zu deren Schutz mitzugestalten (vgl. BGH, NStZ 1995, 296, m.w.N.).

Soweit die Angeklagte geltend macht, sie habe nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht und der Berufungseinlegung durch Rechtsanwalt H. keinen Kontakt zu diesem herstellen können, fehlt es an konkreten Darlegungen, wann, über welchen Zeitraum und auf welche Weise vergebliche Kontaktversuche stattfanden. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es z.B. nicht zu den Aufgaben eines Pflichtverteidigers gehört, (ständig) für einen Beschuldigten/Angeklagten telefonisch erreichbar zu sein. Er entscheidet vielmehr unabhängig und nach pflichtgemäßem Ermessen, in welchem Umfang und auf welche Weise er Kontakt zu seinem Mandanten hält (vgl. KG Berlin, B. v. 9.8.2017 – 4 Ws 101/17 -, juris).

Die von der Angeklagten vorgetragenen weiteren Schwierigkeiten im Mandatsverhältnis, vor allem die Meinungsverschiedenheiten über die Art und den Umfang der Weiterleitung von Verfahrensakten, können eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses oder einen sonstigen Grund im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ebenfalls nicht begründen. Rechtsanwalt H. entscheidet auch insoweit selbständig darüber, wie er seinen Informationspflichten gegenüber der Angeklagten nachkommt. Dafür, dass er sie über für die Verteidigung wesentliche Umstände bewusst im Unklaren lässt, ist nichts ersichtlich.

Schließlich sind auch die von der Angeklagten gestellten Strafanzeigen und die zuletzt von ihr erhobenen pauschalen Vorwürfe angeblich rechtsextremistischer Umtriebe des Verteidigers und einer ihr gegenüber erfolgten Drohung nicht geeignet, eine Entpflichtung von Rechtsanwalt H. zu rechtfertigen. Die Strafanzeigen entbehren, soweit ersichtlich, jeglicher Substanz. Die Angeklagte selbst hat Mitteilungen über Verfügungen zu den Akten gereicht, mit denen die Staatsanwaltschaft Tübingen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Rechtsanwalt H. wegen Rechtsbeugung bzw. Beihilfe zur Freiheitsberaubung gemäß § 152 Abs. 2 StPO abgesehen hat. Die weiteren Behauptungen der Angeklagten sind gänzlich unsubstantiiert. Es kann nicht in der Hand der Angeklagten liegen, durch Strafanzeigen und Verunglimpfungen einen objektiv nicht gerechtfertigten Verteidigerwechsel zu erzwingen, denn sonst könnte sie ohne sachlichen Grund ein Verfahren nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGH, B. v. 29.6.2020 – 4 StR 654/19 – juris).

Rechtsanwalt H. sieht sich trotz der gravierenden Vorwürfe und Strafanzeigen der Angeklagten nach wie vor in der Lage, sie sachgerecht zu verteidigen, auch wenn er nachvollziehbar einräumt, dass sein Engagement durch das Verhalten der Angeklagten belastet ist. Aufgrund der psychiatrisch auffälligen Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten, die der forensisch-psychiatrische Sachverständige in seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten vom 28.10.2020 nach Aktenlage nur skizzieren konnte, ist zur Überzeugung des Senats jedoch davon auszugehen, dass jeder Pflichtverteidiger, der seine Aufgabe als unabhängiger Beistand ernst nimmt, sich mit einem solchen Verhalten der Angeklagten konfrontiert sehen würde. Als Fachanwalt für Strafrecht steht die fachliche Kompetenz von Rechtsanwalt H. zudem außer Frage. Wenn er zuletzt mit Schriftsatz vom 28.4.2021 seine Entpflichtung selbst beantragt hat, um damit dem Wunsch der Angeklagten zu entsprechen, kann auch daraus der Schluss auf eine endgültige Zerstörung der Vertrauensbasis nicht gezogen werden (vgl. BGH, StV 1997, 565).

 

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