Archiv für den Monat: Februar 2021

OWi II: Qualifizierter Rotlichtverstoß/Haltelinie, oder: Google Maps oder Google Earth sind „allgemeinkundig“

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Düsseldorf. Im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.01.2021 – IV-2 RBs 191/20 – hat das OLG über die Verurteilung wegen eines Roltichtverstoßes entschieden. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Missachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage verurteilt. Das OLG hat die Verurteilkung gehalten, wobei es interessante Ausführungen zu den Urteilsgründen macht:

„Zu der Beanstandung, das Amtsgericht habe bei der Feststellung der schon länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase nicht auf das Überfahren der Haltelinie abgestellt, bemerkt der Senat:

Zutreffend ist, dass für die Berechnung einer qualifizierten Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde der Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem die Haltelinie überfahren wird (vgl. BayObLG NZV 1994, 200; OLG Köln NZV 1995, 327; OLG Frankfurt NJW 1995, 1229; OLG Celle VRS 91, 312; OLG Oldenburg ZfSch 1996, 433; OLG Hamm DAR 2008, 35). Dem wird die getroffene Feststellung, dass die Lichtzeichenanlage „zum Zeitpunkt des Passierens der Lichtzeichenanlage“ für den Betroffenen schon länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte, nicht gerecht.

Indes darf diese Formulierung nicht isoliert betrachtet werden. Das Amtsgericht hat nämlich ferner festgestellt, dass die beiden Polizeibeamten, die das Verkehrsgeschehen an der Ampelkreuzung im Rahmen einer gezielten Verkehrsüberwachung beobachteten, seit dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Rotlicht bereits ca. drei Sekunden gezählt hatten (Zeuge H: „einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig“ bzw. Zeuge B: „eins Mississippi, zwei Mississippi, drei Mississippi“), bevor der sich durch Aufheulen des Motors ankündigende Pkw des Betroffenen in deren Blickfeld erschien und die Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage passierte.

Der Abstand der Haltelinien von Lichtsignalanlagen soll in der Regel 3,50 m betragen, mindestens aber 2,50 m (vgl. Richtlinien für die Markierung von Straßen, Teil 1 Abmessungen und geometrische Anordnung von Markierungszeichen, Nr. 4.6.3, VkBl. 1993, 728). In Nr. IV.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu den §§ 39 bis 43 StVO (VwV-StVO) ist bestimmt, dass Markierungen nach den Richtlinien für die Markierung von Straßen (RMS) auszuführen sind. Schon nach diesen für die Straßenverkehrsbehörde verbindlichen Vorschriften liegt mangels straßenbaulicher Besonderheiten (etwa einer zwischen Haltelinie und Lichtzeichenanlage einmündenden Seitenstraße) nahe, dass der Abstand zwischen Haltelinie und Lichtzeichenanlage vorliegend jedenfalls nicht wesentlich von der maßgeblichen Richtlinie abweicht und im Bereich weniger Meter einzuordnen ist.

Die konkrete örtliche Gegebenheit lässt sich durch Rückgriff auf im Internet allgemein zugängliche Luftbildaufnahmen (Google Maps oder Google Earth) leicht feststellen und ist daher als allgemeinkundig anzusehen. Allgemeinkundige Tatsachen stehen der Kenntnisnahme durch das Rechtsbeschwerdegericht offen, ohne dass es ihrer Darlegung im tatrichterlichen Urteil bedarf (vgl. BGHSt 49, 34, 41 = NJW 2004, 1054, 1056; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 337 Rdn. 25). Allgemeinkundig sind alle Tatsachen und Erfahrungssätze, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne Weiteres Kenntnis haben oder über die sie sich aus allgemein zugänglichen Quellen unschwer unterrichten können (vgl. Eschelbach in: BeckOK, StPO, 38. Edition, § 261 Rdn. 27 m.w.N.). Zu den Quellen der Allgemeinkundigkeit gehören auch Homepage-Abfragen und sonstige Erkenntnisse aus dem Internet (vgl. KG Kommunikation & Recht 2009, 807, 808; OLG Düsseldorf [3. Senat für Bußgeldsachen] BeckRS 2011, 6244). Dementsprechend können nicht nur im Internet abrufbare Straßenkarten und Stadtpläne, sondern auch die bei Google Maps oder Google Earth abrufbaren Luftbildaufnahmen als Quelle für allgemeinkundige Erkenntnisse zu örtlichen Gegebenheiten herangezogen werden (vgl. FG Hamburg BeckRS 2015, 95121).

Die Luftbildaufnahme der von dem Betroffenen in Oberhausen in Fahrtrichtung Innenstadt überquerten Ampelkreuzung B-Straße / D-Straße kann bei Google Maps unter Benutzung der Zoomfunktion in derart hoher Auflösung abgerufen werden, dass die Fahrbahnmarkierungen, insbesondere die für den Betroffenen maßgebliche Haltelinie, und der dortige Standort der Lichtzeichenanlage deutlich erkennbar sind. Der Abstand zwischen Haltelinie und Lichtzeichenanlage ist kürzer als die aus der Vogelperspektive abgebildeten Pkws und beträgt in Relation hierzu jedenfalls nicht mehr als 4,00 m.

Bei diesem geringen Abstand ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Polizeibeamten mit ihrer jeweiligen Methode bereits drei Sekunden seit Beginn der Rotlichtphase gezählt hatten, bevor der durch Aufheulen des Motors zunächst phonetisch wahrnehmbare Pkw des Betroffenen für sie sichtbar wurde und die Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage passierte, zwangsläufig, dass die Rotlichtphase schon beim Überfahren der Haltelinie länger als eine Sekunde andauerte.“

OWi I: Inhalt der Urteilsgründe, wenn der Betroffene schweigt, oder: Dauerbrenner

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Nachdem ich gestern schon OWi-Entscheidungen vorgestellt habe, heute dann noch einmal ein OWi-Tag. Im Nachgang zu der gestrigen Berichterstattung ist anzumerken: Es ist schon interessan, wenn man Kommentare zum OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.02.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 685/20 (OWi II: Gehörsrüge, oder: Was der Richter alles in fünf Minuten in der Hauptverhandlung erledigt haben will) auf Twitter liest. Da wird versucht, das Verhalten, zu dem das OLG ergänzend angemerkt hat, mit der „unnötigen Bindung von Kapazitäten“ zu erklären – entschuldigen (?). Na ja, ein Blick in die StPO zeigt, dass der Gesetzgeber das (noch) anders sieht. Daher habe ich den Kommentator dann dorthin verwiesen. Ist nicht so gut angekommen 🙂 .

Heute hier dann also  noch einmal OWi-Entscheidungen, allerdings zum Verfahrensrecht. Und da beginne ich mit dem KG, Beschl. v. 28.01.2021 – 3 Ws (B) 18/21 – 162 Ss 7/21. Problematik: Inhalt der Urteilsgründe, wenn sich der Betroffene nicht zur Sache eingelassen hat:

„Der Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht ermöglicht.

Zwar ist die Würdigung der Beweise Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerde-gericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetzte oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 — 2 StR 494/19 —, BeckRS 2020, 11446 m. w. N.; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 — 3 Ws (B) 174/20 —, juris). Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein; es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 — 1 StR 218/19 —, juris; Senat, Beschluss vom 11. Juli 2001 — 3 Ws (B) 260/01 —, juris) und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist.

Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe jedoch erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. März 2018 — 3 Ws (B) 75/18 —, 12. September 2011 — 3 Ws (B) 493/11 — und 25. Mai 2010 — 3 Ws (B) 212/10 —).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Denn den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, woraus sich die Überzeugung des Gerichts ergibt, dass es der Betroffene war, der zur Tatzeit das verfahrensgegenständliche Kraftfahrzeug geführt hat.
Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass sich der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat. Dass Beweise erhoben wurden, die auf eine Identifizierung des Fahrzeugführers abzielten, ist den Darlegungen nicht zu entnehmen. Das Urteil setzt sich im Wesentlichen mit der Ordnungsgemäßheit und Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsauswertung auseinander, welche der Betroffene bestritten hat. Allein aus der Anzweifelung des Messergebnisses kann jedoch nicht auf seine Fahrereigenschaft geschlossen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 2018 a.a.O. und 14. September 2011 — 3 Ws (B) 462/11 —).

Anhaltspunkte dafür, dass sich aus dem verlesenen Protokoll zur sog. Vidista-Auswertung, das den Feststellungen zur Geschwindigkeit zugrunde liegt, Hinweise auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen ergeben haben, sind nicht ersichtlich. Weitere Beweiserhebungen sind ausweislich der Urteilsgründe nicht erfolgt.“

Die Problematik ist ein Dauerbrenner, nicht nur im Bußgeldverfahren.

OWI III: Fahreridentifizierung, oder: Das Lichtbild von „mäßiger Qualität“

Zum Tagesschluss komme ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 18.08.2020 – 3 Ws (B) 152/20 – zurück. Über den hatte ich ja schon einmal in Zusammenhang mit der dort angesprochenen Verjährungsfrage berichtet (vgl. OWI III: Nochmals Verjährungsunterbrechung?, oder: Die nicht zugegangene Anhörung).

Heute will ich auf die Ausführungen des KG zur „Fahreridentifizierung“ anhand eines Lichtbildes von dem Verkehrsverstoß hinweisem. Dazu das KG:

„a) Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung beruhenden tatrichterlichen Feststellungen genügen den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Urteilsgründe.

(1) Die Beweiswürdigung ist hinsichtlich der festgestellten Fahrereigenschaft des Betroffenen rechtsfehlerfrei.

Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss je-doch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachen-grundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschlüsse vom 24. Juli 2020 – 3 Ws (B) 135/20 –, 19. Februar 2020 – 3 Ws (B) 25/20 –, 14. Februar 2020 – 3 Ws (B) 6/20 –, 27. September 2019 – 3 Ws (B) 297/19 – und 19. Februar 2014 – 3 Ws (B) 67/14 – m.w.N.).

Die Feststellung, ob eine auf einem Foto abgebildete Person mit dem Betroffenen identisch ist, unterliegt zwar im Prinzip nicht der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht (vgl. BGH NJW 1996, 1420; Brandenburgisches OLG DAR 2016, 282). Der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter sind indessen auch hinsichtlich der Identifizierung eines Betroffenen Grenzen gesetzt. So kann sich die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Identifizierung durch den Vergleich mit dem Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen anhand eines unscharfen oder das Gesicht des Fahrers nur zu einem geringen Teil abbildenden Fotos als willkürlich erweisen (BGH NJW 1996 a.a.O.). Die Urteilsgründe müssen vor diesem Hintergrund so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (BGH NJW 1996 a.a.O.). Insoweit reicht die deutlich und zweifelsfrei (BGH NStZ-RR 2016, 178) zum Ausdruck gebrachte Bezugnahme auf das in den Akten befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG aus, um dem Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen (vgl. BGH StraFo 2016, 155; Senat, Beschlüsse vom 30. April 2020 – 3 Ws (B) 84/20 –, 27. November 2019 – 3 Ws (B) 380/19 –, 18. Juni 2019 – 3 Ws (B) 186/19 – und 1. August 2017 – 3 Ws (B) 158/17 –; OLG Hamm NZV 2006, 162). Bestehen danach Zweifel an der Eignung eines qualitativ schlechten Bildes zur Identifikation des Betroffenen, so müssen die Urteilsgründe aufzeigen, warum dem Tatrichter die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (BGH NJW 1996 a.a.O.; Senat, Beschluss vom 1. August 2017 a.a.O.; OLG Hamm NZV 2006 a.a.O.; OLG Rostock VRS 108, 29).

Das Amtsgericht hat diesen Maßstäben entsprechend durch genaue Bezeichnung der Seitenzahlen in den Akten die in Bezug genommenen Messbilder zum Inhalt des Urteils gemacht und dabei maßgeblich auf das Lichtbild Bl. 3 der Akten abgestellt, das eine Ausschnittsvergrößerung des Lichtbildes Bl. 2 darstellt.

Das Lichtbild Bl. 3 der Akten weist eine mäßige Qualität auf. Es ist verhältnismäßig unscharf und kontrastarm. Die Körnung der Aufnahme ist grob. Das Tatgericht hat sich zwar sehr knapp aber noch hinreichend mit der Ergiebigkeit dieses Lichtbildes auseinandergesetzt. Es hat hierzu ausgeführt, dass die Qualität des Lichtbildes aus-reichend sei und ist in nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass es den Betroffenen zeigt. Dies hat es unter Darlegung und Beschreibung verschiedener Identifikationsmerkmale (wie Dichte und Farbe des Haares, Farbe der Augenbrauen, Bartwuchs, Gesichtsform, Nasen- und Augenpartie, Größe der Ohrläppchen) begründet. Zwar sind die Augen der Person auf dem Lichtbild durch eine Spiegelung nicht deutlich abgebildet. Auch die Größe des – allein zu sehenden – rechten Ohrläppchens ist mangels tiefergehender Konturen nur schemenhaft zu er-kennen. Deshalb ist das Messfoto jedoch nicht generell ungeeignet zur Fahreridentifizierung (vgl. Senat, Beschlüsse 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 – und 26. Januar 2018 – 3 Ws (B) 11/18 –, beide bei juris). Angesichts der übrigen vom Amtsgericht hervorgehobenen Merkmale und aufgrund des Umstandes, dass auf dem Foto weitestgehend das ganze Gesicht der Person uneingeschränkt zu sehen ist, erweist sich das zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachte Lichtbild auf dieser Grundlage als zur Identifizierung geeignet, so dass Zweifel dahingehend, dass das Tatgericht anhand des Lichtbildes einen Vergleich auf Übereinstimmung der darauf abgebildeten Person mit dem äußeren Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen vorzunehmen vermochte, nicht bestehen.“

Wie gehabt 🙂 .

OWi II: Gehörsrüge, oder: Was der Richter alles in fünf Minuten in der Hauptverhandlung erledigt haben will

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom OLG Brandenburg. Den OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.02.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 685/20 – hat mir der Kollege Anger aus Bergisch Gladbach erst gestern geschickt. Er ist aber „zu schön“, so dass ich ihn dann gleich heute vorstelle.

Entschieden hat das OLG über eine Gehörsrügeüber eine Gehörsrüge des Betroffenen. Der hatte gegen das in einer Abwesenheitsverhandlung ergangene Urteil des AG vorgebracht, dass sich das AG „nicht mit seinen in den Anwaltsschriftsätzen vom 10. September 2020 und 11. September 2020, eingegangen bei Gericht jeweils am selben Tag, dargelegten Sachvortrag auseinander gesetzt habe. Der Betroffene hat in diesen Schriftsätzen u.a. vorgebracht, dass ihm durch die Verwaltungsbehörde nicht die so genannte erweiterte Akteneinsicht, insbesondere Messdateien betreffend, gewährt worden sei und von einem so genannten standardisierten Messverfahren nicht ausgegangen werden könne.“

Die Rüge greift durch:

„Gemessen an diesen Grundsätzen rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, da nicht ersichtlich ist, dass das Amtsgericht die vorbereitenden Schriftsätze und die darin enthaltenen Erklärungen des Betroffenen zur Kenntnis genommen bzw. diese erwogen hatte.

Die Hauptverhandlung ist ausweislich der Urteilsgründe in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers durchgeführt worden. Allerdings hatte der Verteidiger des Betroffenen in seinen oben genannten Schriftsätzen Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung geäußert bzw. vorgetragen, dass die Vorgaben für die Annahmen eines standardisierten Messverfahrens nicht beachtet worden seien.

Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vom 14. September 2020 wurde — entgegen § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG — lediglich Seite 1 des 11 Seiten umfassenden Anwaltsschriftsatzes vom 10. September 2020 verlesen und im Übrigen weder die weiteren Seiten des Anwaltsschriftsatzes vom 10. September 2020 noch der 35 Seiten umfassende Anwaltsschriftsatz vom 11. September 2020 zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, mithin weder durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts noch durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Dabei betrifft die verlesene Seite 1 des Anwaltsschriftsatzes vom 10. September 2020 lediglich den Antrag auf Entbinden des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung, der sodann beschieden wurde. Den weiteren umfangreichen Sachvortrag hat das Bußgeldgericht offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Denn auch im Urteil fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verteidigers. Insgesamt lassen sich weder dem Hauptverhandlungsprotokoll noch den Urteilsgründen Anhaltpunkte dafür entnehmen, dass das Amtsgericht die vorbereitenden Schriftsätze des Verteidigers überhaupt zur Kenntnis genommen hatte. Diese Umstände in ihrer Gesamtheit führen zu der Annahme, dass das Amtsgericht wesentliches Verteidigungsvorbringen außer Acht gelassen und dadurch das rechtliche Gehör des Betroffenen verkürzt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2016, 1 (Z) 53 Ss-OWi 221/16 (120/16); Senatsbeschluss vom 8. November 2016 (1 Z) 53 Ss-OWi 422/16 (324/16)). Dies nötigt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg.“

So weit, so gut. Aber die Musik/das Schöne steckt in der ergänzenden Anmerkung des OLG:

„b) Ergänzend ist anzumerken, dass die protokollierte Hauptverhandlung — auch ungeachtet der Gehörsverletzung — kaum einem rechtsstaatlichen Verfahren entsprochen haben dürfte. Dass in einer ausgewiesenen, lediglich fünf Minuten dauernden Hauptverhandlung (10:50 Uhr bis 10:55 Uhr) nach Aufruf der Sache der Bußgeldbescheid, der Eichschein, das Messprotokoll, der Schulungsnachweis des Messbeamten, die Datenleisten des Messfotos, der Auszug aus dem Fahreignungsregister verlesen, der form- und fristgerechte Einspruch festgestellt, das Messfoto sowie die Ausschnittsvergrößerungen in Augenschein genommen und das Urteil verkündet wurden, erscheint wenig wahrscheinlich. Die Dokumentation in dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass „nach jeder einzelnen Beweiserhebung“ sowohl der Betroffene als auch der Verteidiger gefragt worden seien, ob sie etwas zu erklären hätten, ist offensichtlich fehlerhaft, da eingangs des Protokolls beurkundet ist, dass beide Personen, Betroffener und Verteidiger, an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatten. Die Sinnhaftigkeit der Beurkundung, „weitere Beweisanträge wurden nicht gestellt“, erschließt sich ebenfalls nicht, wenn ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls an der Hauptverhandlung nur die Bußgeldrichterin und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle teilgenommen hatten. Was mit dem „allseitigen Einverständnis“ gemeint ist, dem die Schließung der Beweisaufnahme zugrunde gelegen habe, erschließt sich nach dem Vorgenannten ebenfalls nicht.2

Endlich mal ein OLG, das ex pressis verbis bezwefelt, dass das alles in der Hauptverhandlung erldigt worden ist, was nach dem Protokoll erlediggt worden sein.

 

OWi I: Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Heute dann mal wieder ein OWi-Tag.

Und den eröffne ich mit dem  OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.01.2021 – 2 RBs 1/21, der im Wesentlichen zwei Punkte behandelt, nämlcih die Statthaftigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) und die Frage eines Beweisverwertungsverbotes, weil das AG die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung zu einem Messgerät nicht beigezogen hat.

Dazu das OLG:

„1. a) Dass die Bußgeldbehörde einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Falle der Nichtabhilfe dem nach § 68 OWiG zuständigen Gericht vorzulegen hat, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG, § 306 Abs. 2 StPO) und bedarf keiner – so die Antragsschrift – „Grundsatzentscheidung“.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Verteidiger im Verfahren der Bußgeldbehörde keinen statthaften Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hatte. Er hatte mit Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid um Übersendung diverser Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) und der digitalen Falldaten gebeten. Am Ende der Einspruchsschrift vom 11. Mai 2020 heißt es:

„Wir gehen davon aus, dass eine Übersendung der Falldaten bis zum 25.05.2020 erfolgt. Sollte eine Übersendung bis dahin nicht erfolgen, stellen wir bereits jetzt den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 2 OWiG.“

Eine Daten-CD mit der digitalen Falldatei, Messfoto-Screenshots und Unterlagen zur Historie des verwendeten Messgerätes (PoliScan M1 HP, Softwareversion 3.7.4) hat der Verteidiger erhalten. Gegenstand des vorab gestellten Antrags auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) war die „Übersendung der Falldaten“, das Messgerät betreffende Unterlagen (u. a. Konformitätsbescheinigung, Konformitätserklärung) waren hier nicht benannt.

Ohnehin ging der bei der Bußgeldbehörde vorab gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 62 OWiG) ins Leere, da keine Anordnung, Verfügung oder sonstige Maßnahme der Bußgeldbehörde vorlag, gegen die sich der Rechtsbehelf hätte richten können. Gegen eine Entscheidung, die noch gar nicht erlassen worden ist, kann in statthafter Weise kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf eingelegt werden (vgl. BGH NJW 1974, 66, 67; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., vor § 296 Rdn. 4), und zwar auch nicht vorsorglich mit künftiger Wirkung (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1986, 935; OLG Bamberg BeckRS 2017, 102375).

b) Auch zur Frage des von dem Betroffenen geltend gemachten Beweisverwertungsverbotes, das bereits der erforderlichen tatsächlichen Grundlage entbehrt, bedarf es keiner Rechtsfortbildung…….

Zu dem Punkt stellt das OLG in seinem Leitsatz fest:

Der Umstand, dass das Messgerät geeicht war, impliziert, dass der Eichbehörde die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung vorgelegen haben und das Messgerät ordnungsgemäß in den Verkehr gebracht worden ist.