Archiv für den Monat: Oktober 2020

OWi II: Nachträgliche Überprüfung des standardisierten Messverfahrens, oder: Auch du mein Sohn Brutus

Im zweiten Posting komme ich noch einmal auf den OLG Jena, Beschl. v. 23.09.2020 – 1 OLG 171 SsRs 195/19 – zurück. Den hatte ich neulich ja schon wegen der formellen Frage betreffend die Rechtsmittelbegründung vorgestellt (vgl. hier Rechtsmittelbegründung über beA ohne elektronische Signatur, oder: Zulässig?). 

Heute dann noch einmal wegen der materiellen Frage, zu der das OLG Stellung genommen hat, nämlich: Nachträgliche Überprüfbarkeit des standardisierten Messverfahrens. Erforderlich, ja oder nein.

Und – es überrascht nicht – wenn man den Leitsatz der OLG-Entscheidung zu der Frage liest. Der lautet:

Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden Rohmessdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.

Also wie gehabt, oder eben: Auch du mein Sohn Brutus.

OWi I: Wirksamkeit der StVO 2013?, oder: Zitiergebot bei der StVO-Novelle 2013 nicht verletzt

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In die 43. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren.

Zunächst der – nicht ganz unwichtige – OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.10.2020 – 2 Ss (OWi) 230/20. Das ist die erste – mir bekannt gewordene – Entscheidung eines OLG zur Frage der Verletzung des Zitiergebotes und die darauf beruhende Nichtigkeit der StVO vom 06.03.2013 wegen einer Verletzung des Zitiergebotes (Art. 80 GG). Die Frage hatte sich gestellt, weil aus Baden-Württemberg Stimmen laut geworden sind, die – im Anschluss an die Fehler bei der StVO-Novelle 2020 – vgl. dazu hier: Aus dem Bundesrat: Vorerst keine Reparatur der StVO-Novelle – auch bei der StVO-Novelle 2013, die ja schon eine Reparatur-Novelle war – Stichwort: Schilderwaldnovelle – Fehler behauptet hatten, die zur Nichtigkeit der Novelle 2013 geführt haben sollen. Folge: Es könnte dann immer noch die StVO 2007 gelten (vgl. auch hier).

Das OLG Oldenburg nimmt zu der Frage Stellung – und – wen wundert es? – verneint sie:

„c) Die Gegenerklärung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung:

Soweit die Betroffene hierin auf die vom Land Baden-Württemberg aufgeworfene und in der Presse aufgegriffene Frage einer Nichtigkeit auch der Straßenverkehrsordnung vom 6.3.2013 hinweist, teilt der Senat die Bedenken, dass die Straßenverkehrsordnung vom 6.3.2013 das Zitiergebot verletzt, nicht:

Durch die in der Eingangsformel erfolgte Nennung verschiedener Buchstaben von § 6 Abs 1 Nr. 3 StVG ist auch der vorhergehende Satzteil der Nr. 3 mitumfasst, da der den Buchstaben nachfolgende Text mit dem vorhergehenden – vor der Buchstabenfolge stehendem Text- eine Einheit bildet.

Ohnehin wäre der hier vorliegende Geschwindigkeitsverstoß von einer Verletzung des Zitiergebotes nicht betroffen. Aber selbst wenn man – einen Verstoß unterstellt – deshalb nicht nur eine Teilnichtigkeit, sondern eine Gesamtnichtigkeit der StVO vom 6.3.2013 und wegen Verletzung des Zitiergebotes im Rahmen der „Schilderwaldnovelle“ auch eine Gesamtnichtigkeit der StVO, die am 1.9.2009 in Kraft getreten ist (gegen eine Gesamtnichtigkeit der „Schilderwaldnovelle“ insoweit: Schubert, Die Rechtsirrtümer zur „Schilderwaldnovelle“, NZV 2011, 369 ff.), annähme, würde die bis zum 31.8.2009 geltende Fassung anzuwenden sein, so dass sich am Ergebnis nichts ändern würde.“

Mal sehen, was der „Bundes-Andi“ macht.

Sonntagswitz: Heute mal wieder zu Juristen, Anwälten usw. …

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Ich habe, wenn ich das richtig sehe, schon länger keine Juristenwitze mehr gebracht. Heute ist es dann mal wieder so weit. Hier kommen:

“Zugegeben, Herr Vorsitzender, mein Mandant kniete tatsächlich auf der Autobahn. Aber ist damit etwa bewiesen, dass erh tatsächlich betrunken war?”, verteidigt der Rechtsanwalt den Angeklagten.

“Nicht unbedingt”, räumt der Richter ein, “aber wie erklären Sie sich seine wiederholte Versuche, den Mittelstreifen aufzurollen?”


und Vollmacht man anders:

Häschen fragt den Rechtsanwalt: „Hast Du Vollmacht?”

Anwalt: “Ja!”

Häschen: “Mutu Hose wechseln”


und bekannt:

Ein Mandant fragt seinen Anwalt: “Was kostet es, wenn ich Ihnen 2 Fragen stelle?”

“1.000 Euro” antwortet der Anwalt und meint: ”Wie lautet denn Ihre zweite Frage?”


und – böse:

Soll es geben:

Rat eines erfahrenen Richters an einen jungen Einzelrichter, der sich nicht sicher ist, wie er das Strafmaß festlegen soll:

“Strafmildernd wird berücksichtigt, dass er es vielleicht nicht gewesen ist.”

Wochenspiegel für die 42. KW., das war ein wenig Corona, Bild, private Bodycam, WEG-Reform und Ablehnung

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Und zum Ende der 42. KW. gibt es dann – wie immer Sonntags – den Wochenspiegel. Heute mit Hinweisen auf:

  1. Beherbergungsverbot erschwert Gerichtsverfahren,

  2. Untersagung einer Präsenzsitzung wegen Corona?,

  3. „Fahndung“ der Bildzeitung war erlaubt,

  4. WEG-Reform tritt am 1. Dezember 2020 in Kraft,

  5. OLG Hamm: Facebook-Regeln zur Sperrung bei Hassrede-Postings rechtmäßig und wirksam,

  6. OLG Brandenburg: Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen fehlender oder zu spät abgesetzter Urteilsgründe,

  7. Private Nutzung von Bodycams und der Datenschutz,

  8. BfDI Infoschreiben zum internationalen Datentransfer nach Schrems II,

  9. Wie weiter bei Erfüllung nach Schluss der mündlichen Verhandlung?,

  10. und aus meinem Blog: StPO I: Befangenheitsantrag, oder: “Unverzüglich” heißt nicht “sofort”

 

Entziehung der Fahrerlaubnis II: Günstiges Fahreignungsgutachten, oder: Sperrwirkung?

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Die zweite Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommt aus Bayern. Entzogen worden ist die wegen nicht fristgerechter Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Gutachtenanforderungen war gestützt auf wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Dagegen hatte der Fahrerlaubnisinhaber – mit seiner Klage und im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend gemacht -, eine der herangezogenen Zuwiderhandelungen sei nicht mehr berücksichtigungsfähig. Er habe nach Vorlage eines die Fahreignung bestätigenden medizinisch-psychologischen Gutachtens und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis darauf vertrauen dürfen, dass wegen dieser zeitlich davorliegenden Tat keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen mehr eingeleitet werden.

Das hat der BayVGH im BayVGH, Beschl. v. 16. September 2020 – 11 CS 20.1061 – anders gesehen:

„b) Gemessen daran begegnet die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen rechtlichen Bedenken.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, rechtmäßig war, da die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 noch im Fahreignungsregister eingetragen ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Taten verwertbar sind und dem Betreffenden vorgehalten werden können, solange sie – wie hier aus den vom Verwaltungsgericht ausgeführten Gründen – im Fahreignungsregister noch nicht getilgt bzw. nicht tilgungsreif sind (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 21/04NJW 2005, 3440 = juris Rn. 25 ff.; BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris Rn. 14 m.w.N.).

Entgegen der Ansicht der Beschwerde setzen weder das positive Fahreignungsgutachten vom 19. Oktober 2017 noch die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis im selben Monat eine Zäsur mit der Folge, dass die zeitlich davorliegende Tat aus dem Jahr 2015 nicht mehr berücksichtigt werden dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris Rn. 18; B.v. 22.6.2012 – 11 ZB 12.837 – juris Rn. 15; B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 39 ff.). Der erkennende Senat hat aus § 29 Abs. 3 StVG und § 63 Abs. 1 FeV geschlossen, dass den Behörden und Gerichten nach dem Willen des Gesetz- und des Verordnungsgebers die Möglichkeit des Zugriffs auf Alttatsachen bis zum Eintritt ihrer Tilgungsreife oder sonstigen Unverwertbarkeit eröffnet bleiben soll, wenn der Betroffene im Anschluss an die Neuerteilung einer ehedem entzogenen Fahrerlaubnis wiederum nachteilig in Erscheinung tritt und die neuen Tatsachen alleine nicht ausreichen, um die Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV ohne weitere Sachverhaltsaufklärung zu entziehen oder Maßnahmen zur erneuten Überprüfung der Fahreignung zu ergreifen (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 a.a.O. Rn. 18; B.v. 22.6.2012 a.a.O. Rn. 17, B.v. 6.5.2008 a.a.O. Rn. 48). Insoweit hat er in seiner neueren Rechtsprechung auch den Rechtsstandpunkt der Beschwerde, ein die Fahreignung wieder bejahendes Gutachten bewirke eine Zäsur, die vor diesem Zeitpunkt liegende Ereignisse als „verbraucht“ erscheinen lasse, nicht geteilt. Denn derartige fachkundige Stellungnahmen haben allein vorbereitenden Charakter, ohne unmittelbare Rechtswirkungen zu Gunsten oder zu Lasten der Betroffenen zu entfalten, und können daher schon ihrer rechtlichen Natur nach keine Sperrwirkung im Sinne eines „Rückgriffsverbots“ entfalten (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 45 ff.).

Der Gutachtensanforderung vom 17. Juni 2019 stehen auch keine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen. Es kann dahinstehen, ob ein solcher im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. zur Rechtsfigur der Verwirkung BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 15; B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 32 m.w.N.). Denn jedenfalls liegen hier keine Umstände vor, die schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers darauf begründen könnten, das Landratsamt werde keine fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen an die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 knüpfen. Das positive Fahreignungsgutachten vom 19. Oktober 2017 bietet dafür bereits deswegen keine geeignete Vertrauensgrundlage, weil es, wie ausgeführt, allein eine das Handeln der Behörde vorbereitende Maßnahme darstellt. Doch auch die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 27. Oktober 2017 konnte kein derartiges Vertrauen des Antragstellers begründen. Das Landratsamt durfte zu diesem Zeitpunkt in Ermangelung einer wiederholten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss kein Gutachten nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV anfordern. Folglich hat es mit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auch nicht erkennen lassen, dass es die vor diesem Zeitpunkt liegende Tat – bei Hinzukommen neuer Umstände – nicht berücksichtigen und zum Anlass fahrerlaubnisrechtlicher Maßnahmen nehmen werde (vgl. zu den Voraussetzungen des Vertrauensschutzes im Bereich der Verwaltung auch Maurer in Isensee/Kirchhof, HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 79 Rn. 13, 131).

Schließlich ergibt sich ein Verwertungsverbot auch nicht aus § 4 Abs. 3 StVG. Danach waren zwar die im Fahreignungsregister eingetragenen Punkte für die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 mit der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 27. Oktober 2017 zu löschen. Die Löschung bezieht sich jedoch nur auf die Punkte, nicht aber die ihnen zugrundeliegenden Taten bzw. Eintragungen. Diese bleiben vielmehr im Fahreignungsregister bis zur Tilgungsreife erfasst und können in späteren, etwa – wie hier – auf § 3 Abs. 1 StVG gestützten Entziehungsverfahren herangezogen werden (vgl. BT-Drs. 17/12636 S. 40; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 4 StVG Rn. 52 m.w.N.; BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352NJW 2014, 3802 = juris Rn. 22 zu § 4 StVG a.F.).

Durfte das Landratsamt somit die Trunkenheitsfahrt vom 6. Dezember 2015 berücksichtigen und den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchs. b FeV auffordern, begegnet die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der nicht fristgemäßen Vorlage keinen Bedenken (und sind auch die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins und die Zwangsgeldandrohung nicht zu beanstanden). Weitergehende Einwände hat die Beschwerde nicht erhoben.“