Archiv für den Monat: August 2020

StPO I: Entbindung von Schöffen wegen Urlaubs, oder: Überprüfbar?

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Und ich lege dann heute gleich mal mit StPO-Entscheidung nach, allerdings heute StPO von den OLG.

Und ich starte dann mit dem KG, Beschl. v. 27.04.2020 – 4 Ws 29/20 – zur Entbindung von Schöffen aufgrund Urlaubs. Und da reichen m.E. mal wieder die Leitsätze der Entscheidung. Die lauten:

  1. Ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts ist im Fall der Befreiung eines Schöffen von der Dienstleistung angesichts der Unanfechtbarkeit einer solchen Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 336 Abs. 1 Satz 2 StPO (weiterhin) nur dann möglich, wenn der Beschwerdeführer durch die von ihm beanstandete Entscheidung seinem gesetzlichen Richter entzogen wird. Dies ist nicht bereits bei einer fehlerhaften, sondern erst bei einer objektiv willkürlichen Entscheidung der Fall.

  1. Willkür in diesem Sinne liegt nicht nur bei einer bewussten Fehlentscheidung, sondern schon dann vor, wenn die mit der Entbindung des Schöffen verbundene Festlegung des gesetzlichen Richters bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken, im Fall des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Verhinderung einer manipulativen Richterauswahl, grob fehlerhaft und offensichtlich unhaltbar ist. Dabei ist an die Willkürprüfung angesichts der rechtsstaatlichen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein strenger Maßstab anzulegen.

  1. Bei der antragsgemäßen Entbindung aufgrund eines von dem Schöffen angezeigten Erholungsurlaubs liegt Willkür in aller Regel fern.

  1. Eine gezielte, die Mitwirkung des an sich verhinderten Hauptschöffen erst ermöglichende Änderung der Terminierung kann mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Bedenken erwecken können. Wird dagegen ohne Rücksicht auf eine mögliche Verhinderung der Schöffen terminiert und führt dies dazu, dass ein Hilfsschöffe eintreten muss, kann sich aus dieser Vorgehensweise – anders als im umgekehrten Fall – von vornherein kein Verdacht einer Manipulation ergeben.

StPO III: „Verlesungsanordnungsbeschluss“ fehlt, aber Urteil beruht nicht auf dem Fehler

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Und auch die dritte StPO-Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 5 StR 250/20 – vom BGH. Inhalt u.a. eine Verfahrensrüge betreffend die vernehmungsersetzende Verlesung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften von Zeugen. Die hatte im Ergebnis keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrügen in Zusammenhang mit der vernehmungsersetzenden Verlesung der polizeilichen Vernehmungsniederschriften der Zeugen R. , M. und X. sowie der E-Mails des Geschädigten A. bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Zwar rügt die Revision zu Recht, dass die Verfahrensweise der Strafkammer nicht dem Gesetz entsprach, weil die Vernehmungsniederschriften und E-Mails im allseitigen Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten verlesen wurden (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO ), aber ohne den erforderlichen Gerichtsbeschluss nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO .

b) Der Senat schließt allerdings aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls aus, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht:

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 StPO ausgeschlossen werden kann, wenn allen Beteiligten der Grund der Verlesung klar und von der persönlichen Vernehmung der Zeugen keine weitere Aufklärung zu erwarten war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 3 StR 113/15 , NStZ 2016, 117; LR-StPO/Cirener/Sander, 27. Aufl., § 251 Rn. 97; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 251 Rn. 45; MüKo-StPO/Kreicker, § 251 Rn. 92, jeweils mwN).

Beides war vorliegend der Fall. Allen Verfahrensbeteiligten war aufgrund des Verfahrensablaufs klar, dass die Zeugenaussagen nur vernehmungsersetzend verlesen wurden, weil alle damit einverstanden waren und mithin die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO vorlagen. Auf die Vernehmung der Geschädigten A. , M. und X. war zudem allseits verzichtet worden. Von der persönlichen Vernehmung der Zeugen war keine weitere Aufklärung zu erwarten. Die überwiegend im Ausland lebenden Geschädigten konnten im Wesentlichen nur darüber berichten, dass sie bei einem Autokauf über das Internet mit unter bestimmten Namen auftretenden Verkäufern verhandelt, Geld im Voraus auf bestimmte Konten überwiesen und anschließend keinen Gegenwert erhalten hatten. Die Zeugin R. konnte insoweit ohnehin nur von den Angaben des Geschädigten A. ihr gegenüber berichten. Dass die persönliche Vernehmung der Zeugen ein Mehr an relevanter Erkenntnis erbracht hätte, ist ungeachtet entsprechenden – spekulativen – Revisionsvortrags nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf einem dem Angeklagten rechtsfehlerfrei zugeordneten Laptop für alle Betrugsfälle umfangreiche Verkaufsunterlagen festgestellt werden konnten. Durch den nachfolgenden Gerichtsbeschluss, wonach von einer Vernehmung der Geschädigten A. , M. und X. abgesehen werden könne, nachdem alle Verfahrensbeteiligten auf sie verzichtet hätten und auch die Strafkammer eine Vernehmung zur weiteren Sachaufklärung nicht für erforderlich halte, hat das gesamte Gericht zudem konkludent die Verantwortung für die Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes diese Zeugen betreffend übernommen (vgl. zu diesem Aspekt BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 – 2 StR 78/10 , NStZ 2010, 649). Dies erfasste konkludent auch die Zeugin R. , die lediglich mittelbar zu den Angaben des Geschädigten A. hätte bekunden können.

c) Die insoweit auch erhobene Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO erweist sich bereits deswegen als unzulässig, weil nicht vorgetragen wird, was die Strafkammer zur Erhebung des vermissten Beweises hätte drängen müssen. Den Behauptungen der Revision, die Zeugen hätten den Angeklagten als Täter ausgeschlossen, fehlt es an Anknüpfungstatsachen.“

StPO II: Verständigung/Absprache, oder: die „defizitäre Unterrichtung über den Inhalt des Verständigungsgesprächs

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom BGH, und zwar handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 23.06.2020 – 5 StR 115/20. Der BGH hat noch einmal zur Frage der Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO  – also Mitteilungspflicht – Stellung genommen:

„Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

1. Nach Verlesung des Anklagesatzes am ersten Hauptverhandlungstag, der Feststellung, dass es bisher keine Verständigungsgespräche gegeben habe, und der Belehrung aller Angeklagten erklärte der Verteidiger des Angeklagten A. in öffentlicher Hauptverhandlung, dass der Angeklagte grundsätzlich zur Äußerung bereit sei, und regte ein Rechtsgespräch auf der Grundlage eines Geständnisses bzw. Teilgeständnisses an, welches die Rechtsfolgen und die Möglichkeit einer Haftverschonung zum Gegenstand haben sollte. Der Strafkammervorsitzende teilte dazu mit, dass er sich keinem Rechtsgespräch verschließe. Für den Angeklagten Ak. erklärte dessen Verteidigerin, dass dieser grundsätzlich zur Äußerung bereit sei, nicht jedoch am ersten Verhandlungstag, da noch keine Gelegenheit zur Einsicht in die Verfahrensakten betreffend den gesondert Verfolgten F. bestanden habe. Die Verteidiger der Mitangeklagten B. und G. teilten mit, dass auch diese grundsätzlich zur Äußerung bereit seien, beim Angeklagten G. hinsichtlich des Zeitpunkts der Einlassung abhängig vom Ergebnis des erwarteten Rechtsgesprächs. Anschließend wurde die Hauptverhandlung zur Durchführung eines Rechtsgesprächs unterbrochen.

An diesem Gespräch nahmen die Verteidiger, der Vorsitzende, die beisitzende Richterin und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft teil. Die Verteidigerin des Angeklagten Ak. führte aus, dass eine Verständigung auf der Grundlage eines umfassenden Geständnisses zu allen Anklagepunkten (Fälle 1 bis 3 und 5) nicht in Betracht komme. Die Vorwürfe in den Anklagepunkten 1 bis 3 werde der Angeklagte Ak. nicht einräumen, insoweit habe sie schon die Nichteröffnung im Zwischenverfahren beantragt. Eine teilgeständige Einlassung zu Fall 5 der Anklage komme möglicherweise in Betracht. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft lehnte eine Verständigung auf der Basis eines Geständnisses nur zu einem Anklagepunkt ab. Voraussetzung für eine Verständigung könne nur ein umfassendes Geständnis zu allen Anklagepunkten sein. Dies wiederum stieß auf Ablehnung bei der Verteidigerin des Angeklagten Ak. .

Der Verteidiger des Angeklagten A. stellte eine teilgeständige Einlassung dieses Angeklagten in Aussicht und erklärte, dass aus seiner Sicht eine Verständigung in Bezug auf den Angeklagten A. möglich erscheine. Der Verteidiger der Angeklagten B. gab keine Erklärung ab. Der Vorsitzende führte aus, dass sich nach seiner Einschätzung die Sache insgesamt eigentlich nicht für eine Verständigung eigne. Ob möglicherweise ein minder schwerer Fall in Betracht komme und in welchen Grenzen sich ein möglicher Strafrahmen bewege, könne er noch nicht einschätzen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie dies ähnlich sehe. Im Übrigen müssten nach ihrer Auffassung sämtliche Haftbefehle aufrecht erhalten bleiben.

Das Gespräch wurde ohne Ergebnis beendet und die Hauptverhandlung anschließend fortgesetzt. Der Vorsitzende berichtete sodann, dass das Rechtsgespräch ohne Ergebnis geblieben sei, weil sich die Sache für eine Verständigung nicht eigne. Eine Beanstandung der Mitteilung erfolgte nicht. Im Sitzungsprotokoll vom 6. September 2019 wurde aufgenommen: „Der Inhalt des Rechtsgesprächs wurde bekannt gegeben.“

Im Hauptverhandlungstermin vom 12. September 2019 gab der Angeklagte Ak. über seine Verteidigerin eine Erklärung zur Sache ab, ohne Nachfragen zuzulassen. Im weiteren Verlauf der Sitzung verlas der Vorsitzende – wie auch im Protokoll vermerkt – einen von ihm am 11. September 2019 gefertigten Vermerk folgenden Inhalts: „Am 6.9.2019 fand in einer Unterbrechung der Hauptverhandlung ein Rechtsgespräch zwischen den beteiligten Berufsjuristen (Verteidiger, Sitzungsvertreter der StA und Berufsrichter) statt. Gegenstand des Rechtsgesprächs war die Möglichkeit einer Verständigung, einer Abtrennung hinsichtl. einzelner Verfahrensbeteiligten und die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Untersuchungshaft. Der Vorsitzende gab seine Einschätzung bekannt, dass bei vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage sich die Sache nicht für eine Verständigung i.S.d. § 257c eignet, eine Abtrennung nicht indiziert und für Maßnahmen bezüglich der Untersuchungshaft v.A.w. keine Veranlassung gegeben sei.“ Auch der Inhalt dieser Mitteilung wurde von keinem der Verfahrensbeteiligten als defizitär beanstandet. Im Fortsetzungstermin am 23. September 2019 ließ sich der Angeklagte Ak. ergänzend zur Sache ein und ließ Nachfragen über seine Verteidigerin zu.“

Und dazu stellt der BGH fest:

2. Bei dieser Verfahrenslage rügt der Angeklagte Ak. im Ansatz zu Recht, dass der Vorsitzende der Strafkammer seiner Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO inhaltlich nicht vollständig Genüge getan hat; den (späten) Zeitpunkt der Mitteilung des Vermerks rügt er hingegen nicht.

a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a , 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung ( § 257c StPO ) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu deren Beginn ergeben haben. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 –

b) Diesen Anforderungen genügte die Mitteilung des Strafkammervorsitzenden – auch mit dem Inhalt des am 12. September 2019 verlesenen Vermerks – nicht vollständig, weil danach insbesondere offenblieb, welche Standpunkte die am Gespräch beteiligten Verteidiger und die Staatsanwältin vertreten haben.“

Aber:

„3. Der Senat schließt jedoch aus, dass das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht ( § 337 An Teilgeständnis aber strafmildernd berücksichtigt.“

Was der BGh immer so alles „ausschließen“ kann 🙂 .

StPO I: Wirksamkeit der Anklage beim Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt

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Heute dann mal ein wenig StPO.

Und ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Urt. v. 11.03.2020 – 2 StR 478/19. Es nimmt noch einmal zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße/wirksame Anklageschrift (§ 200 StPO) Stellung. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB Anklage erhoben. Das LG hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Hiergegen richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Dem angefochtenen Urteil liegt folgendes prozessuales Geschehen zugrunde:

1. Mit Anklageschrift vom 19. Oktober 2016 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, ab Januar 2011 in M. und danach in B. H. ein Gewerbe als Bodenleger betrieben, während dieser Zeit den für den Einzug der Beiträge zur Sozialversicherung zuständigen Stellen keine Arbeitnehmer gemeldet und entsprechend in 48 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben (§ 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Der Angeklagte habe in der Anklage genannte, bulgarische Arbeiter angeworben, ihnen 1.000 € und später 1.400 € Monatslohn versprochen, sie nach ihrem Eintreffen in Deutschland beim Einwohnermeldeamt (zum Großteil unter seiner eigenen Adresse) angemeldet und sie dazu veranlasst, ein Gewerbe anzumelden. Den nicht der deutschen Sprache mächtigen Arbeitern sei die Bedeutung der Gewerbeanmeldung nicht bewusst gewesen. Sie hätten in der Folgezeit für den Angeklagten gearbeitet, der sie örtlich und zeitlich für die Aufträge seiner Firma eingeteilt sowie einen nach Arbeitsstunden berechneten Lohn gezahlt habe. Sie seien an seine Weisungen gebunden gewesen, seien nicht werbend aufgetreten, hätten über keinerlei geschäftliche Kontakte und zudem über kein Fahrzeug verfügt.

Die Gewerbeanmeldung sei lediglich zum Schein erfolgt, um die ansonsten fälligen Beiträge zur Sozialversicherung zu sparen. Auf diese Weise sei es für die Monate Februar 2011 bis einschließlich Dezember 2014 zu Beitragshinterziehungen von 148.287,35 € an Arbeitgeberanteilen und 141.685,46 € an Arbeitnehmeranteilen gekommen, die für jeden der 47 Monate in der Anklageschrift jeweils einzeln aufgeschlüsselt dargelegt werden.

2. Die Anklage wurde durch Beschluss des Landgerichts vom 7. Juni 2017 mit der Maßgabe zugelassen, dass lediglich 47 Handlungen im Rechtssinne vorliegen, und das Hauptverfahren eröffnet.

3. Das Landgericht hat das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2019 mit Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt und dies damit begründet, dass die Anklageschrift der gemäß § 200 Abs.1 Satz 1 StPO zu fordernden Umgrenzungsfunktion nicht gerecht werde. Weder aus dem konkreten Anklagesatz noch aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen lasse sich entnehmen, welcher konkrete Sozialversicherungsträger jeweils von der angeklagten Beitragshinterziehung betroffen sein solle. Dies sei jedoch zwingende Voraussetzung einer Anklage wegen einer Straftat nach § 266a StGB. Die Angabe der jeweils zuständigen Sozialversicherungsträger sei hier erforderlich, weil die vorliegende Anklage auch hinsichtlich der erbrachten Arbeitsleistungen keinerlei zeitliche und betragsmäßige Zuordnung vornehme. Die Angaben zu den beschäftigten Arbeitnehmern enthielten teilweise nur Vornamen oder Bezeichnungen ihrer Gruppenzugehörigkeit, Angaben zum jeweiligen Einsatzort, zur Einsatzzeit und zum Umfang der jeweiligen Arbeitsstunden fehlten vollständig. Somit sei der Prozessgegenstand nicht hinreichend unverwechselbar gekennzeichnet, da es an einer Benennung der jeweils zuständigen Sozialversicherungsträger und die an diese monatlich abzuführenden Beiträge fehle. Es wäre daher eine nahezu beliebige Zuordnung der Arbeitnehmer zu den in der Anklageschrift aufgeführten einzelnen Monaten möglich, so dass eine Verteidigung für den Angeklagten kaum möglich sei.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann das Verfahren nicht eingestellt werden. Die Anklage und der Eröffnungsbeschluss sind wirksam, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthalten und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügen.

1. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 90 f. Rn. 12 mwN). Dies ist hier nicht der Fall.

a) Die Umgrenzungsfunktion der Anklage dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht auf Grund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Sie erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Senat, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 186). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 242/16, wistra 2018, 49). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN). Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen – wie sich schon aus dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt – nicht zur Bezeichnung der Tat (Senat, Urteil vom 2. März 2011, aaO). Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden (vgl. LR-StPO/ Stuckenberg, 27. Aufl., § 200 Rn. 18; MüKo-StPO/Wenske, § 200 Rn. 18 ff. jeweils mwN).

b) Für den hier maßgeblichen Bereich des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt führt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass im Anklagesatz das relevante Verhalten und der Taterfolg im Sinne von § 266a StGB anzuführen sind, wobei es einer Berechnungsdarstellung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge dort nicht bedarf (BGH, Urteil vom 9. Januar 2018 – 1 StR 370/17, NJW 2018, 878, 879). Erforderlich sind im Einzelnen Angaben zur Arbeitgeberstellung des Angeklagten und damit zu seiner Zahlungspflicht. Weiter sind für den konkret zu bezeichnenden Tatzeitraum die jeweiligen Beitrags- und Beschäftigungsmonate zu benennen, für die trotz bestehender Pflicht Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. Dabei sind für die relevanten Monate im Tatzeitraum auch die jeweils nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge, aufgeschlüsselt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen, aufzuführen, wobei es nicht vonnöten ist, diese hinsichtlich der betreffenden Monate nach einzelnen Personen aufzuschlüsseln (BGH, Urteil vom 9. Januar 2018, aaO).

Zwar ist es mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO; Nr. 112 RiStBV) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten. Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2018, aaO mwN). Die Wirksamkeit der Anklage als Verfahrensvoraussetzung nicht berührende Mängel der Informationsfunktion sind gegebenenfalls im gerichtlichen Verfahren durch gerichtliche Hinweise in entsprechender Anwendung von § 265 StPO auszugleichen (Senat, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 242/16, wistra 2018, 49, 50).

2. Ausgehend hiervon fehlt es im vorliegenden Fall nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses……“

Rest dann bitte im Volltext lesen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren nach Rücknahme/Neuerlass eines Bußgeldbescheides?

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Am Freitag hieß es: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren nach Rücknahme/Neuerlass eines Bußgeldbescheides?.

Ich hatte dann zunächst nachgefragt, ob es denn eine Kostengrundentscheidung zu Lasten der Staatskasse gegeben hat? Das war nicht der Fall, sondern nur den neuen Bescheid mit der Aufhebung des alten Bußgeldbescheids.

Und darauf hatte ich dann geantwortet:

„Dann können Sie gegenüber der Staatskasse nichts geltend machen. Beim Mandanten können Sie aber wohl die Nr. 5115 Anm. 1 Nr 3 VV abrechnen. Wegen des weiteren Vorgehens schauen Sie mal im OWI-HB bei Kostengrundentscheidung.“

Die Ausführungen zur Kostengrundentscheidung sind in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren, 5. Aufl. bei den Rn. 2361 ff. zu finden. Aber hier dürften Anträge im Hninblick auf eine Kostenübernahme wegend es neu erlassenen Bußgeldbescheides nichts bringen.