Archiv für den Monat: August 2020

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das mit den Gebühren beim Pflichtverteidigerwechsel?

© AllebaziB – Fotolia

Und zum Schluss des freitäglichen Tagesprogramm hier dann noch das RVG-Rätsel, und zwar::

„…..

ich bin in einem Strafbefehlsverfahren beigeordnet worden. Habe dann Mandant angeschrieben, Akteneinsicht beatragt und bekommen. Es meldet sich jetzt ein anderer Anwalt und will einen Pflichtverteidigerwechsel, weil vor der Beiordnung keine Anhörung stattgefunden hat.

Nach Rücksprache mit der Betreuerin des Mandanten will ich erklären, dass ich mit dem Wechsel einverstanden bin, aber die bisherigen Gebühren (4100 u. 4104, da Strafbefehl noch nicht erlassen ist) haben will.

Gibt es durch die Neuregelung (vor allem 143a StPO) auch Besonderheiten bezüglich der Gebühren? Der Richter meinte wenn der Wechsel praktisch nach 143a StPO durchgeführt wird könnte sein, dass beide Verteidiger die Gebühren kriegen. Ist das so?

Gibt es eine „Standarformulierung“ bezüglich der angefallenen Gebühren?

Danke schon mal“

Die Frage stellt sich jetzt häufiger, nicht nur im Strafbefehlsverfahren.

BGH zur Pauschgebühr, oder: Antragsbegründung

© mpanch – Fotolia.com

Und eine Entscheidung gibt es dann heute auch, und zwar den BGH, Beschl. v. 14.7.2020 – 1 StR 277/17 – zu den Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren.

Der BGH sagt: Dafür gibt es nichts (mehr):

„Der bereits vom Landgericht als Pflichtverteidiger der Angeklagten R. beigeordnete Antragsteller wurde mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 27. Juli2017 neben einem weiteren Pflichtverteidiger als Verteidiger der Angeklagten für die Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof bestellt. Am 7.November 2017 fand im ersten Rechtsgang eine Hauptverhandlung mit einer Dauer von einer Stunde und zehn Minuten vor dem Bundesgerichtshof statt, an der unter anderem neben dem weiteren Pflichtverteidiger auch der Antragsteller als Verteidiger der Angeklagten R. teilnahm. Im zweiten Rechtsgang wurden die von beiden Angeklagten eingelegten Revisionen im Beschlusswege verworfen.

Im nachfolgenden Vergütungsfestsetzungsverfahren hat das Landgericht auf Antrag des Antragstellers durch Beschluss vom 4. Juni 2018 dessen gesetzliche Gebühren und Auslagen für das erste Revisionsverfahren einschließlich einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4131, 4130 RVG-VV in Höhe von 603 € und einer Terminsgebühr gemäß Nr. 4133, 4132 RVG-VV in Höhe von 328 € auf insgesamt 1.849,41€ festgesetzt. Mit Schriftsatz vom 8. April 2020 hat der Antragsteller die Bewilligung einer Pauschvergütung gemäß § 51 RVG für beide Revisionsverfahren (ein-schließlich der Hauptverhandlung) beantragt und zur Begründung ausgeführt, das Revisionsverfahren sei –insbesondere im ersten Rechtsgang–mit einem außergewöhnlich großen Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden gewesen. Es sei um eine komplexe und schwierige Rechtsfrage und auch schwierige tatsächliche Fragen gegangen; zudem habe es sich um eine sehr schwierige Mandantschaft gehandelt, die einen hohen Erläuterungsbedarf gehabt habe. Durch Beschluss vom 30. April 2019 hat das Oberlandesgericht München eine Pauschvergütung für das gesamte Verfahren (erster und zweiter Rechtsgang) ausschließlich des Verfahrensabschnitts der Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof in Höhe von 10.000 € festgesetzt. Die Bundeskasse hat zu dem danach noch unbeschiedenen, die Haupt-verhandlung vor dem Bundesgerichtshof betreffenden Vergütungsantrag dahin Stellung genommen, dass für einen gerade mit der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren in Zusammenhang stehenden besonderen Aufwand des Antrag-stellers, der eine Pauschgebühr rechtfertigen könnte, nichts ersichtlich sei. Sie hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs für die Entscheidung über die Bewilligung der vom Antragsteller geltend gemachten Pauschgebühr ist, weil der Bundesgerichtshof den Antragsteller für die Hauptverhandlung bestellt hat, gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 RVG eröffnet, soweit die Gebühr für die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren des ersten Rechtsgangs (1 StR 277/17) geltend gemacht wird.

2. Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren sind vorliegend nicht erfüllt.

a) Nach § 51 Abs.1 Satz 1 RVG ist dem in einer Strafsache gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine über die gesetzlichen Gebühren hinaus-gehende Pauschgebühr zu bewilligen, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind. Dies ist nur der Fall, wenn sich die anwaltliche Mühewaltung von sonstigen –auch über-durchschnittlichen–Verfahren so deutlich abhebt, dass dem Anwalt die gesetzlichen Gebühren als Vergütung seiner Tätigkeit auch in Anbetracht des gelten-den Prinzips der Mischkalkulation nicht zumutbar sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn.5 mwN; BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober2008 –2 BvR 1173/08 Rn. 9 mwN; zum Prinzip der Mischkalkulation vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2007 –1 BvR 910/05 und 1 BvR 1389/05 Rn. 72 mwN). Die Bewilligung einer Pauschgebühr ist nach dem gesetzlichen Vergütungssystem auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn. 5 mwN; vom 19. Januar 2017 –2S StR 549/15 Rn. 1 und vom 1.Juni 2015 –4 StR 267/11 Rn. 5). Entscheidend ist für die Bewilligung einer Pauschgebühr, ob die konkrete Strafsache umfangreich oder rechtlich schwierig war und sie deshalb eine zeit-aufwendige, gegenüber anderen Verfahren deutlich erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich gemacht hat. Zu berücksichtigen ist insoweit nur der Zeit-aufwand, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 –1 StR 492/15 Rn. 5 mwN und vom 1. Juni 2015 –4 StR 267/11 Rn. 5mwN);etwa angefallene Fahrt- und Reisezeiten sind ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 –1S tR 492/15 Rn. 5 mwN).

b) Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren liegen hier nicht vor. Der Antragsteller hat sich schon nicht dazu erklärt, wie hoch der ihm gerade im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren entstandene Aufwand im Einzelnen tatsächlich war. Er hat damit auch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihm ein Aufwand entstanden ist, der den üblicherweise für eine Hauptverhandlung im Revisionsverfahren anfallenden Aufwand in einem Maße übersteigt, dass dieser auch unter Berücksichtigung des dem Gesetz zugrundeliegenden Gedankens der gebührenrechtlichen Mischkalkulation nicht mehr mit den gesetzlichen Gebühren angemessen abgegolten ist. Dass es sich vorliegend um ein Revisionsverfahren gehandelt hat, in dem sich eine schwierige Rechtsfrage gestellt hat, und es sich zudem um eine schwierige Mandantin mit hohem Erläuterungsbedarf gehandelt haben mag, reicht zur Begründung der Voraussetzungen des § 51 Abs.1 Satz1 RVG nicht ohne Weiteres aus, zumal vorliegend unklar bleibt, welchen Aufwand dies dem Antragsteller gerade im Zusammenhang mit der Revisionshauptverhandlung tatsächlich verursacht hat. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass die Hauptverhandlung im vorliegenden Fall mit einer Dauer von kaum mehr als einer Stunde nicht erheblich länger als eine durchschnittliche Hauptverhandlung gedauert hat, dass die rechtliche Aufarbeitung des Falles und der sich dabei stellenden revisionsrechtlichen Fragen auch und gerade durch die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren abgegolten ist, wobei insoweit bereits eine Pauschgebühr bewilligt wurde, und dass der Vorbereitungsaufwand für die Hauptverhandlung zwischen dem Antragsteller und dem weiteren für die Angeklagte bestellten Verteidiger aufgeteilt werden konnte.2

Die Entscheidung zeigt die Bedeutung einer vernünftigen Antragsbegründung. Wegen der Änderungen in den §§ 142, 350 StPO werden wir im Übrigen demnächst m.E. in „neuen Verfahren“ nichts mehr vom BGH zur Pauschvergütung lesen.

Referentenentwurf zum KostenrechtsänderungsG 2021 – „Es röhrt ein Elefant und er gebiert eine Maus“ –

folgenden Text dazu nutzen:
Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Seit dem 31.07.2020 steht auf der Homepage des BMJV der „Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Justizkosten-und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts (Kostenrechtsänderungsgesetz 2021–KostRÄG 2021) online. Dabei handelt es sich um den lange erwarteten Entwurf u.a. zur Anhebung der anwaltlichen Gebühren.

Dazu heißt es auf der Homepage des BMJV:

„Die Gebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) sind zuletzt zum 1. August 2013 erhöht worden. Mit Blick auf die erheblich gestiegenen Kosten für den Kanzleibetrieb und im Interesse einer Teilhabe der Anwaltschaft an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung erscheint eine erneute Anhebung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung geboten.

Gleichzeitig sind auch die Sach- und Personalkosten der Justiz gestiegen. Mit einer Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren sowie der ebenfalls geplanten Anpassung der Honorare der Sachverständigen, Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sowie der Entschädigungen für Zeuginnen und Zeugen sind zudem höhere Ausgaben des Staates in Rechtssachen verbunden. Daher bedürfen auch die Gerichtsgebühren einer Anpassung.

Darüber hinaus greift der Entwurf weiteren Änderungsbedarf im Bereich des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts auf, der sich seit der letzten größeren Überarbeitung im Jahr 2013 ergeben hat.“

Einige markige Worte zu einem in meinen Augen mickrigen Entwurf, zumindest betreffend Änderungen des RVG (in Teil 4 und 5 VV RVG). Für die anderen Bereiche kann ich es nicht abschließend beurteilen. Aber viel besser wird es im Zweifel auch nicht sein. Darum hat man wohl lieber diesen Gesetzesentwurf auch gar nicht erst „3. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz“ genannt. Das war wohl selbst dem BMJV etwas viel/übertrieben.

Ich will hier jetzt nur kurz die Änderungen vorstellen, die für Straf- und Bußgeldrechtler kommen, also Teil 4 und 5 VV RVG.  Das ist nicht viel und in meinem Augen auch nichts Weltbewegendes, aber das kann man von dieser BMJV-Ministerin eh nicht erwarten.

Also dann hier die wesentlichen Einzelheiten:

1. An der Spitze natürlich die lineare Anhebung der Gebühren um 10 %, die für alle Teile des RVG gilt. Das hört sich viel an. Ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass die letzte Erhöhung aus dem Jahr 2013 stammt und davor die Anwaltsgebühren letztmals 1994 angehoben worden sind. Die Einführung des RVG 2004 hatte keine linearen Erhöhungen gebracht. Die Erhöhungen, die durch das RVG eingetreten sind, waren auf die geänderten Strukturen zurückzuführen. 10 % nicht viel? Nein, wenn man sich mal die Steigerungen in anderen Bereichen in dem Zeitraum ansieht, werden die sehr schnell aufgefressen. Und: Wenn ich auf die Schnelle richtig gerechnet habe, dürften die Gehälter der Bundesbeamten in dem Zeitraum um rund 20 – 25 % brutto gestiegen sein.

2. In § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG – Stichwort: Erstreckung – wird eingefügt: „und ist der Rechtsanwalt nicht in allen Verfahren bestellt und beigeordnet“. M.E. sinnvoll, denn: Werden Verfahren zunächst verbunden und erfolgt erst danach die anwaltliche Bestellung oder Beiordnung in dem nunmehr verbundenen Verfahren, gilt Absatz 6 Satz 1 unmittelbar (siehe Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage, Rn. 205 zu § 48). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum das Gericht nach Absatz 6 Satz 3 die Erstreckungswirkung ausdrücklich anordnen sollte. Die vorgeschlagene Ergänzung von Absatz 6 Satz 3 stellt dies klar und beschränkt den Anwendungsbereich auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen und stellt damit indirekt auch klar, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung deshalb nicht erforderlich ist, weil Absatz 6 Satz 1 unmittelbar gilt.“ Habe ich doch schon immer gesagt.

3. In § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG werden die Wörter „als die Höchstgebühren“ durch die Wörter „als die im Vergütungsverzeichnis vorgesehenen Höchstgebühren“ ersetzt. Damit wird der Streit um die Auslegung dieser Regelung im Sinne der herrschenden Meinung geregelt.

4. Es wird dann demnächst einen neuen Absatz 3 bei der Vorbem. 4.1 VV RVG geben. Da soll es dann heißen:„Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen. Dies gilt nicht für Wartezeiten und Unterbrechungen, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat, sowie für Unterbrechungenvon jeweils mehr als einer Stunde,soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden.“

Gemeint sind damit die Längenzuschläge bei den den Terminsgebühren der Pflichtverteidiger. Mit der Regelung will man das Rechtsprechungsdurcheinander beseitigen. Ob das gelingt, wage ich zu bezweifeln. Die o.a. Formulierung wird – das räume ich ein – manchen Streitpunkt beseitigen, es werden sich aber neue auftun. Und zwar vor allem in Verfahren mit mehreren Verteidigern und bei der Auslegung des Begriffs „zu vertreten hat“. Bezirksrevisoren sind sehr erfinderisch in dem, was Rechtsanwälte zu vertreten habe.

5. In  Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG werden die Wörter „in einem Verfahren, für das sich die Gebühren nach diesem Teil bestimmen, entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verteidiger in diesem Verfahren“ durch die Wörter „sind die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden“ ersetzt.

Eine in meinen Augen „geniale Änderung“ 🙂 . Die brinngt an der Stelle m.E. nämlich nichts, aber: Sie nimmt ein Argument an anderer Stelle, wenn es nämlich um die Frage geht, welche Gebühren für die Tätigkeit des Zeugenbeistands im Strafverfahren entstehen bzw., ob die als Einzeltätigkeit abzurechnen sind. da ist nämlich immer – mit Recht – mit der (bislang) unterschiededlichen Formulierung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG und in Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG argumentiert worden. Das ist dann demnächst nicht mehr möglich. Und so bringt man noch mehr Wasser auf die Mühlen derjenigen, die von einer Einzeltätigkeit ausgehen, was falsch ist. Ich frage mich, warum man nicht so mutig ist und die Streitfrage eindeutig in dem ein oder anderen Sinn endgültig regelt.

So, das ist es im Wesentlichen. Der Rest sind redaktionellen Änderungen ohne große Auswirkungen. Wie gesagt, in meinen Augen mickrig. Allein schon, dass nicht in der Nr. 7000 VV RVG wieder eine Regelung zugunsten der Abrechenbarkeit von Scans aufgenommen worden ist, sagt alles. Der Entwurf trägt in meinen Augen deutlich die Handschrift der Bundesländern. Die wollten so wenig wie möglich an zusätzlichem Geld ausgeben. Daher auch die zeitgleich Anhebung der Gerichtskosten pp. Dagegen hatten sich BRAK und DAV gewehrt. Und was haben wir jetzt? Wie man bei dem Ergebnis schreiben kann „Auch wenn nicht alle Forderungen von DAV und BRAK in den vorlie­genden Referen­ten­entwurf Eingang gefunden haben – das vorliegende Ergebnis ist ein Erfolg und zeigt, dass sich die Mühen der letzten Monate gelohnt haben.“ erschließt sich mir – zumindest für Teil 4 und 5 VV RVG nicht. Man sollte sich lieber hinsetzen und weinen.

Wie geht es nun weiter? Derzeit läuft die Anhörung der Verbände, wohl bis zum 24.08. Danach gibt es dann einen Regierungsentwurf. Ich rechne bei dem nicht mehr mit Änderungen. Dieses kleine Paket scheint festgezurrt zu sein. Und dann geht es ins Gesetzgebungsverfahren. Auch da wird es m.E. keine Änderungen geben. Die Länder werden sich dagegen wehren. In Kraft treten sollen die Änderungen ggf. schon am 01.01.2021. M.E. ambitioniert, aber – wie Corona gezeigt hat – möglich ist alles, wenn man will.

Ja, wenn man will. Wenn man gewollt hätte, hätte man auch einen besseren Entwurf – für Teil 4 und 5 – vorstellen können.

Ablehnung III: Ablehnung eines Ermittlungsrichters, oder: „…. der Beschuldigte bleibt auf jeden Fall drin.“

Bild von PIRO4D auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung zum Thema Ablehnung dann noch der AG Ingolstadt, Beschl. v. 10.02.2020 – 1 Gs 2523/19. Er behandelt die (begründete) Ablehnung eines Haft-/Ermittlungsrichters.

Das Geschehen und die Begründung für die erfolgreiche Ablehnung ergeben sich aus dem Beschluss:

„Gegen den Beschuldigten wurde durch das Amtsgericht Ingolstadt am 25.10.2019 wegen des Verdachts des Totschlags in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen ein Haftbefehl erlassen und am 30.10.2019 in Vollzug gesetzt.

Der Haftbefehl wurde auf Beschwerde des Beschuldigten hin durch Beschluss des Landgerichts Ingolstadt vom 13.12.2019 unter Abänderung des Tatvorwurfs auf fahrlässige Tötung in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen außer Vollzug gesetzt. Der Beschuldigte wurde am 17.12.2019 aus der Untersuchungshaft entlassen.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin wurde der Haftbefehl durch Beschluss des OLG München vom 20.01.2020 wieder in Vollzug gesetzt.

Der Beschuldigte wurde am 22.01.2020 festgenommen und um selben Tag um 14.30 Uhr dem zuständigen Ermittlungsrichter RiAG pp. vorgeführt. Im Vorfeld gab es zur Terminsabstimmung ein Telefonat zwischen RiAG pp. und der Kanzlei des Verteidigers pp., in welchem RiAG pp. sinngemäß äußerte, der Haftbefehl werde ohnehin vollzogen.

Mit Schriftsatz vom 22.01.2020 beantragte der Verteidiger die Ablehnung des Richters am Amtsgericht pp. wegen Besorgnis der Befangenheit. Zur Begründung führte er aus, dass der Erlass des Haftbefehls sachfremd und diskriminierend sei und sich die Voreingenommenheit des RiAG pp. bereits aus der vor der Haftvorführung getätigten telefonischen Äußerung ergebe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 22.01.2020 verwiesen.

Der Richter am Amtsgericht pp. erklärte in einer dienstlichen Stellungnahme vom 22.01.2020 folgendes:

„Es trifft zwar zu, dass ich telefonisch mitgeteilt habe, dass der Haftbefehl wohl aufrechterhalten und vollstreckt werden wird. Dies vor dem Hintergrund, dass auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft der vom LG Ingolstadt außer Vollzug gesetzte Haftbefehl durch das OLG München am 20.01.2020 wieder in Vollzug gesetzt wurde. Es wäre vom Gerechtigkeitssinn her bizarr, würde der Amtsrichter, nachdem das Verfahren über drei Instanzen hinweg entschieden worden ist, nun mittels eines Federstrichs den Haftbefehl wiederum aufheben oder die vom OLG bejahte Fluchtgefahr verneinen, obwohl sich die Sachlage nicht geändert hat. Insofern erschien es mir zum Zeitpunkt des Telefonates sehr unwahrscheinlich zu sein, dass entgegen der Tatsache, dass ich ursprünglich ohnehin den Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt habe, nach einer Entscheidung des OLG München nun plötzlich nicht mehr vom Vorliegen von Haftgründen ausgehen würde.

Die Benachrichtigung der Verteidigung erfolgte nach meiner Information durch die Familie des Beschuldigten bereits in den Morgenstunden nach Angaben der Staatsanwaltschaft. Ich hätte selbst ohne Akte auch die Verteidigung nicht selbst benachrichtigen können. Auf Betreiben der Verteidigung habe ich den Termin dann auch noch von 13.15 auf 14.30 Uhr verlegt.

Abgesehen davon, dass rechtlich fraglich ist, ob auch im vorbereitenden Verfahren der Ermittlungsrichter bereits abgelehnt werden kann, so musste jedenfalls die Eilentscheidung angesichts der eilig durchzuführenden Vorführung entschieden werden, weil das Prozedere (Dienstliche Stellungnahmen, rechtliches Gehör bezüglich letzterer durch die Verteidigung und Entscheidung durch den für die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag zuständige Richterin) länger gedauert hätte, als für die Vorführung Zeit gewesen ist. Zudem ist eine Haftvorführung besonders eilig durchzuführen.“

Die dienstliche Stellungnahme wurde dem Verteidiger mit Verfügung vom 24.01.2020 zur Stellungnahme binnen einer Woche übersandt.

II.

1. Das Ablehnungsgesuch des Beschuldigten ist zulässig.

Ein Ablehnungsgesuch ist auch gegen einen Ermittlungsrichter statthaft (Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2014, § 27 StPO Rn. 17).

2. Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.

a) Eine Besorgnis der Befangenheit besteht nach allgemeiner Auffassung, wenn aus Sicht eines vernünftigen Ablehnungsberechtigten Zweifel an der – auch verfassungsmäßig gebotenen – Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit des Richters bestehen. Befangenheit ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ein innerer Zustand des Richters, welcher seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen kann. Ob die Befangenheit tatsächlich vorliegt, ist hierbei ebenso unerheblich wie die Frage der Ernstlichkeit ihrer Besorgnis beim Ablehnenden. Es genügt der Anschein der Befangenheit. Bei verbleibenden Zweifeln ist zuungunsten des abgelehnten Richters zu entscheiden.

b) Bei Anwendung der oben genannten Grundsätze ist die berechtigte Besorgnis der Befangenheit vorliegend gegeben.

Aufgrund der bereits vor der Haftvorführung getätigten Äußerung des RiAG pp., der Haftbefehl werde unabhängig davon, ob der Verteidiger zum Termin erscheine, vollzogen werden, hat RiAG pp. den Eindruck vermittelt, seine Entscheidung bereits vor der Vernehmung des Beschuldigten getroffen zu haben. Der Beschuldigte durfte bei verständiger Würdigung dieses Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Ich frage mich, wie der abgelehnte Ermittlungsrichter auf die Idee kommt, dass ein Ermittlungsrichter nicht abgelehnt können werden soll?

Ablehnung II: Wann ist ein Richter (auch) Zeuge?, oder: Selbstablehnung

Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay

Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.5.2020 – 1 Ws 140/20 – im Hinblick auf § 22 Nr. 5 StPO zur Abgrenzung der dienstlichen Äußerung eines Richters von einer Zeugenaussage Stellung genommen.

Es geht in etwa um folgenden Sachverhalt: Im September 2019 ist vom LG Oldenburg der ehemalige Krankenpflegers Niels H. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen (ehemalige) Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg erhoben. Im anhängigen Verfahren wird den Angeschuldigten als Mitarbeitern der Klinik vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch F ermöglicht zu haben. Das Schwurgericht hat das Hauptverfahren bisher noch nicht eröffnet.

Die Angeschuldigten haben geltend gemacht, der Vorsitzende und der Beisitzer seien von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, und lehnen die Richter hilfsweise wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Vorsitzende und der Beisitzer haben jeweils eine Selbstanzeige zu den Akten gereicht und das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift als zutreffend bezeichnet. Mit angefochtenem Beschluss hat die Vertreterkammer die auf Ablehnung wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten hat das OLG als unbegründet verworfen.

Hier die (amtlichen) Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Eine dienstliche Erklärung über Wahrnehmungen anlässlich einer früheren Hauptverhandlung kann nur dann als eine die persönliche Vernehmung ersetzende schriftliche Zeugenäußerung i.S.d. § 22 Nr.5 StPO gewertet werden, wenn diese sich nicht allein zu prozessual erheblichen Vorgängen verhält, sondern Beweisergebnisse zum Gegenstand hat, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen.

  2. Die Urteilsgründe eines früheren Prozesses stellen schon deshalb keine Zeugenbekundungen im vorstehenden Sinne dar, da diese lediglich das Ergebnis der geheimen Beratungen (der Mehrheit) eines Spruchkörpers abbilden und sich ihnen gerade nicht entnehmen lässt, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen in der früheren Hauptverhandlung gemacht hat.

  3. Das Vorliegen einer Selbstanzeige nach § 30 StPO führt selbst dann, wenn diese komplexe, ausschließlich auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen aus einer früheren Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, nicht zwangsläufig zum Ausschluss des betreffenden Richters nach § 22 Nr. 5 StPO, solange vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gegeben sind, das im Rahmen der Selbstanzeige zu Tage getretene Wissen des Richters auf andere Weise als durch dessen Zeugenvernehmung in das laufende Verfahren einzubringen.