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StPO II: Zeugenvernehmung zu dem Tatgeschehen, oder: Ausschluss des Vorsitzenden als Richter

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Und dann die zweite Entscheidung des Tage, der BGH, Beschl. v. 12.09.2023 – 5 StR 251/23 – ein „Ausschlussfall“ – Ausschluss eines Richters

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Er beanstandet nach Auffassung des BGH zu Recht, dass an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung seines Richteramts gemäß § 22 Nr. 5 StPO kraft Gesetzes ausgeschlossen war:

„1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Beschwerdeführer war wegen der Raubtat zunächst mit zwei Tatbeteiligten vor einer allgemeinen Strafkammer angeklagt. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass er zur Tatzeit womöglich noch Heranwachsender war, trennte die Strafkammer das Verfahren gegen ihn ab und legte es der Jugendkammer vor, die es übernahm. Die Hauptverhandlungen beider Spruchkörper fanden zeitgleich statt; in beiden wurde der Geschädigte als Zeuge vernommen. In der Hauptverhandlung vor der allgemeinen Strafkammer beantragten die Verteidiger der gesondert Verfolgten, den Jugendkammervorsitzenden zu den Angaben des Geschädigten in der gegen den Angeklagten geführten Hauptverhandlung zeugenschaftlich zu vernehmen, um vermeintliche Widersprüche in den Aussagen nachzuweisen. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde der sogleich herbeigerufene Jugendkammervorsitzende zu dem beantragten Beweisthema förmlich vernommen. Die Jugendkammer setzte ihre Hauptverhandlung in unveränderter Besetzung bis zur Urteilsverkündung fort, nachdem der Angeklagte nunmehr einem bereits zuvor gemachten Verständigungsvorschlag zugestimmt hatte.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Sie nötigt zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen.

a) Der Jugendkammervorsitzende war nach seiner Vernehmung kraft Gesetzes von der weiteren Ausübung seines Amtes in dem Verfahren ausgeschlossen. Denn er hat „in der Sache“ im Sinne von § 22 Nr. 5 StPO als Zeuge ausgesagt.

aa) Sachgleichheit setzt keine Verfahrensidentität voraus. Sie ist auch dann gegeben, wenn ein Richter in einem anderen Verfahren zu demselben Tatgeschehen förmlich vernommen worden ist, das er jetzt abzuurteilen hätte. Die Vernehmung muss sich nicht auf eigene Wahrnehmungen zum Tatgeschehen beziehen. Es genügt, wenn sie Umstände thematisiert, die der Richter auch in dem ihm vorliegenden Verfahren im Hinblick auf Schuld- und Straffrage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bewerten muss (BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2008 – 4 StR 507/07, StV 2008, 283; vom 22. Mai 2007 – 5 StR 530/06, NStZ 2007, 711; vom 27. September 2005 – 4 StR 413/05, NStZ 2006, 113, 114).

bb) So liegt es hier. Die Vernehmung des Jugendkammervorsitzenden als Zeuge zu den Angaben des Geschädigten betraf das auch in der von ihm geleiteten Hauptverhandlung zu beurteilende Raubgeschehen. Die Aussage des Geschädigten musste der Vorsitzende auch in seinem Verfahren bewerten.

b) Das Urteil unterliegt nach § 338 Nr. 2 StPO der Aufhebung, weil ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter daran mitgewirkt hat. Denn die Hauptverhandlung ist auch nach der Zeugenvernehmung des Vorsitzenden unter seiner Leitung fortgesetzt und das Urteil mit ihm verkündet worden. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob er der Ansicht folgen könnte, wonach allein das Unterzeichnen der Urteilsurkunde durch einen gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossenen Richter einen Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO begründen soll (so aber BGH, Beschlüsse vom 11. November 2020 – 2 StR 241/20, NStZ 2021, 751, 752; vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19, StV 2022, 794).

Ablehnung II: Wann ist ein Richter (auch) Zeuge?, oder: Selbstablehnung

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.5.2020 – 1 Ws 140/20 – im Hinblick auf § 22 Nr. 5 StPO zur Abgrenzung der dienstlichen Äußerung eines Richters von einer Zeugenaussage Stellung genommen.

Es geht in etwa um folgenden Sachverhalt: Im September 2019 ist vom LG Oldenburg der ehemalige Krankenpflegers Niels H. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen (ehemalige) Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg erhoben. Im anhängigen Verfahren wird den Angeschuldigten als Mitarbeitern der Klinik vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch F ermöglicht zu haben. Das Schwurgericht hat das Hauptverfahren bisher noch nicht eröffnet.

Die Angeschuldigten haben geltend gemacht, der Vorsitzende und der Beisitzer seien von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, und lehnen die Richter hilfsweise wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Vorsitzende und der Beisitzer haben jeweils eine Selbstanzeige zu den Akten gereicht und das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift als zutreffend bezeichnet. Mit angefochtenem Beschluss hat die Vertreterkammer die auf Ablehnung wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten hat das OLG als unbegründet verworfen.

Hier die (amtlichen) Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Eine dienstliche Erklärung über Wahrnehmungen anlässlich einer früheren Hauptverhandlung kann nur dann als eine die persönliche Vernehmung ersetzende schriftliche Zeugenäußerung i.S.d. § 22 Nr.5 StPO gewertet werden, wenn diese sich nicht allein zu prozessual erheblichen Vorgängen verhält, sondern Beweisergebnisse zum Gegenstand hat, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen.

  2. Die Urteilsgründe eines früheren Prozesses stellen schon deshalb keine Zeugenbekundungen im vorstehenden Sinne dar, da diese lediglich das Ergebnis der geheimen Beratungen (der Mehrheit) eines Spruchkörpers abbilden und sich ihnen gerade nicht entnehmen lässt, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen in der früheren Hauptverhandlung gemacht hat.

  3. Das Vorliegen einer Selbstanzeige nach § 30 StPO führt selbst dann, wenn diese komplexe, ausschließlich auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen aus einer früheren Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, nicht zwangsläufig zum Ausschluss des betreffenden Richters nach § 22 Nr. 5 StPO, solange vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gegeben sind, das im Rahmen der Selbstanzeige zu Tage getretene Wissen des Richters auf andere Weise als durch dessen Zeugenvernehmung in das laufende Verfahren einzubringen.