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StGB II: Die unvollständige Zeugenaussage, oder: Wenn eine OStAin nicht alles erzählt

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Und die zweite Entscheidung ist dann auch ein wenig „ungewöhnlich“. Es geht um die Verurteilung einer Angeklagte wegen falscher uneidlicher Aussage.

Das Besondere: Die Angeklagte war Oberstaatsanwältin und Leiterin einer Abteilung für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und von Betäubungsmittelstraftaten. Nach den Feststellungen des LG Leipzig hatte sie Ermittlungen gegen eine im Raum Leipzig aktive Tätergruppe geführt und gegen zwei der Täter wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz im Frühjahr 2015 beim LG Leipzig Anklage erhoben. Ein Tatvorwurf stützte sich dabei auf Angaben eines Belastungszeugen, der einige Wochen zuvor durch Beamte der Polizei vernommen worden war. Zu den Umständen des Zustandekommens und des Ablaufs dieser Vernehmung wurde sie in der Hautverhandlung vor dem LG als Zeugin vernommen. Auf ausdrückliche Nachfrage erklärte sie, mit der Vernehmung nichts zu tun gehabt zu haben. Tatsächlich war sie zwar bei der eigentlichen Vernehmung nicht anwesend, hatte aber an einem der Vernehmung zeitlich unmittelbar vorgelagertem informellen Gespräch mit dem Belastungszeugen, dessen Verteidiger und mehreren Polizeibeamten teilgenommen. Dabei war der Angeklagten bewusst, dass diese Tatsache für die Wahrheitsfindung des Gerichts von Bedeutung sein konnte.

Das LG hat die Angeklagte wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Geldstrafe verurteilt und sie von dem weiteren Anklagevorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt freigesprochen.Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 23.11.2020 – 5 StR 172/20 – erst vor kurzem veröffentlicht – die Revision verworfen:

„1. Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung (vgl. zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab: BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741) beruhenden Feststellungen und Wertungen tragen den Schuldspruch wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB).

a) Ein Zeuge verletzt seine Wahrheitspflicht, wenn er Tatsachen, die für den Gegenstand der Vernehmung erheblich sind, falsch wiedergibt oder – sofern sie mit der Beweisfrage für ihn erkennbar im Zusammenhang stehen – verschweigt (BGH, Urteil vom 11. November 1954 – 3 StR 422/54, BGHSt 7, 127 f.). Eine Aussage im Sinne des § 153 StGB umfasst alle zum Zeitpunkt der Äußerung potentiell erheblichen Tatsachen, die mit der Tat im Sinne des § 264 StPO zusammenhängen oder zusammenhängen können (BGH, Urteil vom 17. Februar 1976 – 1 StR 756/75). Anders als im Zivilprozess existiert im Strafprozess eine Begrenzung des Umfangs der Zeugnispflicht auf die im Beweisbeschluss in bestimmter Form bezeichnete Beweisfrage nicht. Gegenstand der Vernehmung zur Sache ist hier allgemein der „Gegenstand der Untersuchung“ nach § 69 Abs. 1 StPO, der dem Zeugen vor seiner Vernehmung zu bezeichnen ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1976 – 1 StR 756/75; RGSt 57, 152 ff.; Ruß in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., Vorbemerkungen zu den §§ 153 ff. Rn. 20a; MüKoStGB/Müller, 3. Aufl., § 153 Rn. 21). Eine zum Gegenstand der Vernehmung gehörige, für die Entscheidung erhebliche Tatsache muss mitgeteilt werden, selbst wenn der Zeuge nicht ausdrücklich danach gefragt wird. Er hat von sich aus alles anzugeben, was er in diesem Zusammenhang als wesentlich erkennt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1951 – 1 StR 505/51, BGHSt 2, 90 ff.; Beschluss vom 6. September 1989 – 2 StR 428/89; Matt/Renzikowski/Norouzi, StGB, 2. Aufl., § 153 Rn. 6; Mückenberger in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar, StGB, 3. Aufl., § 153 Rn. 26).

b) Nach diesen Maßstäben hätte die Angeklagte das Vorgespräch vom 4. Februar 2015 erwähnen müssen. Ein einer förmlichen Vernehmung unmittelbar vorgelagertes Gespräch der Aussageperson mit den Ermittlungsbeamten ist mit der Vernehmung eng verknüpft. Denn aus dem Vorgespräch können sich Rückschlüsse auf Befragungs- und Aussagemotivation ergeben, die für die Belastbarkeit der Vernehmungsergebnisse beachtlich sein können. Hieran vermag auch eine informelle Ausgestaltung eines solchen Gesprächs nichts zu ändern. Entsprechend einem dahingehenden Aufklärungsinteresse ist der Gegenstand der Untersuchung im Sinne des § 69 Abs. 1 StPO ausdrücklich auch auf Umstände des Zustandekommens und des Ablaufs der Vernehmung erstreckt und als solcher bezeichnet worden. Zudem war die Angeklagte vom Vorsitzenden der Strafkammer danach gefragt worden, wie es zur Vernehmung durch das Bundeskriminalamt gekommen sei. Angesichts dessen erweist sich ihre Angabe, mit der Vernehmung nichts zu tun gehabt zu haben, als falsch.

c) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch die subjektiven Voraussetzungen der uneidlichen Falschaussage bejaht. Soweit es darauf abgestellt hat, dass für die Angeklagte als Beamtin der Staatsanwaltschaft die Bedeutung des Vorgesprächs aufgrund des bezeichneten Gegenstands der Untersuchung als wesentlicher, mit dem Vernehmungsgegenstand untrennbar zusammenhängender Teil offen zu Tage lag, ist dies nicht zu beanstanden. Dies galt zumal, da die Wesentlichkeit der mitzuteilenden Tatsache durch weitere Fragen, z.B. nach eventuellen Zusagen der Ermittlungsbehörden gegenüber dem Zeugen, konkretisiert und der Angeklagten dadurch weiter verdeutlicht wurde.

Angesichts dessen, dass zwischen dem Zusammentreffen im Februar 2015 und der Aussage der Angeklagten in der Hauptverhandlung lediglich zehn Monate vergangen waren und mit Blick auf die sonstigen vom Landgericht herausgearbeiteten markanten Details zu den näheren Umständen des Treffens, hat es nachvollziehbar ausgeschlossen, dass die Angeklagte das Vorgespräch vergessen oder dessen Erheblichkeit für die Wahrheitserforschung des Prozessgerichts, insbesondere im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit des Belastungszeugen, verkannt haben könnte.

d) Dass das Landgericht kein Tatmotiv festzustellen vermochte, steht der Tatbestandsverwirklichung – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – nicht entgegen.

Ablehnung II: Wann ist ein Richter (auch) Zeuge?, oder: Selbstablehnung

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Die zweite Entscheidung stammt vom OLG Oldenburg. Das hat im OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.5.2020 – 1 Ws 140/20 – im Hinblick auf § 22 Nr. 5 StPO zur Abgrenzung der dienstlichen Äußerung eines Richters von einer Zeugenaussage Stellung genommen.

Es geht in etwa um folgenden Sachverhalt: Im September 2019 ist vom LG Oldenburg der ehemalige Krankenpflegers Niels H. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen (ehemalige) Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg erhoben. Im anhängigen Verfahren wird den Angeschuldigten als Mitarbeitern der Klinik vorgeworfen, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch F ermöglicht zu haben. Das Schwurgericht hat das Hauptverfahren bisher noch nicht eröffnet.

Die Angeschuldigten haben geltend gemacht, der Vorsitzende und der Beisitzer seien von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen, und lehnen die Richter hilfsweise wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Vorsitzende und der Beisitzer haben jeweils eine Selbstanzeige zu den Akten gereicht und das tatsächliche Vorbringen in der Antragsschrift als zutreffend bezeichnet. Mit angefochtenem Beschluss hat die Vertreterkammer die auf Ablehnung wegen Ausschlusses kraft Gesetzes gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten hat das OLG als unbegründet verworfen.

Hier die (amtlichen) Leitsätze der OLG-Entscheidung:

  1. Eine dienstliche Erklärung über Wahrnehmungen anlässlich einer früheren Hauptverhandlung kann nur dann als eine die persönliche Vernehmung ersetzende schriftliche Zeugenäußerung i.S.d. § 22 Nr.5 StPO gewertet werden, wenn diese sich nicht allein zu prozessual erheblichen Vorgängen verhält, sondern Beweisergebnisse zum Gegenstand hat, die auf komplexen, ausschließlich auf den Einzelfall bezogenen Wahrnehmungen des Richters beruhen.

  2. Die Urteilsgründe eines früheren Prozesses stellen schon deshalb keine Zeugenbekundungen im vorstehenden Sinne dar, da diese lediglich das Ergebnis der geheimen Beratungen (der Mehrheit) eines Spruchkörpers abbilden und sich ihnen gerade nicht entnehmen lässt, welcher der jeweils seinerzeit an der Urteilsfindung beteiligten Richter welche konkreten Wahrnehmungen in der früheren Hauptverhandlung gemacht hat.

  3. Das Vorliegen einer Selbstanzeige nach § 30 StPO führt selbst dann, wenn diese komplexe, ausschließlich auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen aus einer früheren Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, nicht zwangsläufig zum Ausschluss des betreffenden Richters nach § 22 Nr. 5 StPO, solange vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gegeben sind, das im Rahmen der Selbstanzeige zu Tage getretene Wissen des Richters auf andere Weise als durch dessen Zeugenvernehmung in das laufende Verfahren einzubringen.