Archiv für den Monat: Juli 2020

Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, der AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 – verhält sich zum Haftzuschlag (Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG) bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Um den hat der Kollege Peisl aus Nürnberg, der mir den Beschluss geschickt hat, mit der Staatskasse gestritten. Der Kollege hat dann beim Amtsrichter „gewonnen“. Der hat den Haftzuschlag gewährt. Begründung:

„Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.

Im Übrigen ist die Berechnung im Antrag des Verteidigers vom 21.01.2020 zutreffend, so dass auf diesen Bezug genommen werden kann, weshalb im Ergebnis insgesamt 415,31 Euro an Vergütung zuzusprechen waren.2

Wie gesagt: M.E. nicht richtig, denn: Befand sich der Angeklagte/Mandant zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger sich „eingearbeitet“ hat – das ist der Abgeltungsbereich der Grundgebühr – (noch) nicht in Haft, ist die Grundgebühr ohne Haftzuschlag entstanden. Dass der Mandant später inhaftiert wurde hat keinen Einfluss mehr auf bereits abgeschlossene Gebührentatbestände. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Grundgebühr „neben“ der Verfahrensgebühr entsteht. Das AG irrt, wenn es meint, dass die „Zuschlagsvoraussetzungen“ nicht zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben müssen. Doch. Müssen sie, sonst passt der Zuschlag nicht. Wäre die Auffassung des AG richtig, würde die Grundgebühr ja immer (nachträglich) mit Zuschlag entstehen, wenn der Mandant irgendwann im Laufe des Verfahrens inhaftiert würde. Das ist aber nicht der Fall.

Pauschgebühr beim OLG Schleswig, oder: Wir haben keine Ahnung von Gebühren

Smiley

Heute am Gebührenfreitag stelle ich dann mal wieder zwei RVG-Entscheidungen vor. Beide falsch, die eine zu Lasten, die andere zu Gunsten des Verteidigers.

Ich beginne mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 16.07.2020 – 1 AR 8/20, den mir der Kollege Marquort aus Kiel vor einigen Tagen mit dem Betreff: „Schöne“ Entscheidung, geschickt hat. Nun ja, „schön“ ist nun wirklich etwas anderes 🙂 .

Ergangen ist der Beschluss im Pauschgebührenverfahren (§ 51 RVG). Das OLG hat die vom Kollegen beantragte Pauschgebühr abgelehnt. Begründung:

„Es ist bereits zweifelhaft, ob die Sache einen besonderen Umfang im Sinne von § 51 Abs 1 Satz 1 RVG hatte. Der Umfang beschränkt sich auf fünf Aktenbände; von den insgesamt 18 Hauptverhandlungsterminen haben insgesamt acht Termine deutlich weniger als zwei Stunden angedauert. Allerdings mag grundsätzlich aufgrund des Verfahrensgegenstandes und der Einholung dreier unterschiedlich gelagerter Sachverständigengutachten von einer besonderen Schwierigkeit ausgegangen werden.

Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht vor, denn der Antragsteller hat bislang lediglich die Festsetzung der Vergütung eines gerichtlich bestellten Verteidigers abgerechnet und damit noch nicht alle ihm zustehenden Vergütungsansprüche geltend gemacht.

Gemäß § 52 Abs. 1 RVG kann nämlich der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen. Dieser Anspruch entfällt gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG nur insoweit, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz RVG kann der Anspruch nur insoweit geltend gemacht werden, als dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht. Diese Voraussetzungen liegen vorliegend allerdings vor, da der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Dezember 2018 freigesprochen wurde und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse auferlegt wurden (§ 467 Abs 1 StPO). Unter Berücksichtigung dieses (weiteren) Vergütungsanspruches ist für die Bewilligung einer Pauschgebühr kein Raum, weil der Antragsteller nicht allein auf die Gebühren eines gerichtlich bestellten Rechtsanwaltes beschränkt ist und diese daher auch nicht unzumutbar sind.“

Ja, falsch, und zwar grottenfalsch. Dabei geht es mir nicht um die Ablehnung der Pauschgebühr an sich. Das wundert ja schon kaum noch, dass die OLG sich damit schwer tun. Nein, es ist die Begründung, und zwar der Hinweis auf § 52 RVG. Denn wäre das, was die Einzelrichterin des OLG hier verlangt, richtig, würde das bedeuten, dass der Verteidiger zunächst seinen Anspruch gegen den Mandanten geltend machen muss – § 52 RVG – , bevor er eine Pauschgebühr erhält. Das ist so neu (= falsch), dass es bisher nirgendwo vertreten worden ist. Diese Argumentation verkennt nicht nur das Gebührengefüge im RVG mit eigenen Ansprüchen des Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren und  den Ansprüchen des Mandanten nach Freispruch. Die haben nichts miteinander zu tun. Hinzu kommt der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Da geht es um die gesetzlichen Gebühren und die Frage, ob die „unzumutbar“ sind. Irgendwelche Ansprüche, die der Pflichtverteidiger vielleicht geltend machen könnte, spielen da keine Rolle. Auch Zahlungen Dritter bleiben außen vor, die haben ggf. erst bei der späteren Festsetzung der Pauschgebühr Bedeutung.

Das steht in jedem Kommentar zum RVG. Aber offenbar hat man die beim OLG Schleswig nicht, oder: Man schaut nicht rein, weil man keine Lust hat oder, um es vorsichtig auszudrücken, die Zeit nicht aufwenden will. Da erfindet man lieber etwas Neues und das natürlich auch als Einzelrichter. Ohne jede Belegstelle. Erschreckend, dass man bei einem OLG so mit anwaltlichen Gebühren umgeht. Wenn das die Leistung eines Schülers wäre, würde die sicherlich mit einer Note ganz am Ende der Notenskala bewertet.

Der Kollege wird es mit einer Gegenvorstellung versuchen, vielleicht hat er damit ja Erfolg. Und dann: Es bleibt wohl nur der Gang nach Karlsruhe, der allerdings, das räume ich ein, nicht sehr erfolgversprechend ist.

Verkehrsrecht III: Nochmals – Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Die dritte Entscheidung  zum Verkehrrecht passt ganz gut zu dem „Pedelec-Beschluss“ des OLG Karlsruhe vom 14.07.2020. Es handelt sich nämlich um eine landgerichtliche Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter. Das LG Halle hat im LG Halle, Beschl. v. 16.07.2020 – 3 Qs 81/20 – zu dieser Frage Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„….Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Die Kammer sieht keine dringenden Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten gemäß § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, da aller Voraussicht nach die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB dafür, den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ausnahmsweise widerlegt ist.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auf Fahrten mit E-Scootern, die Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 1 eKFV sind und demgemäß auch als Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG ausgewiesen werden (LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 8, juris m.w.N.), der für die absolute Fahruntüchtigkeit bei Kraftfahrzeugen geltende Grenzwert einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o anzuwenden ist (so LG München I, Beschluss vom  29.11.2019 – 26 Qs 51/19 -, Rn. 15, juris; LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 8, juris; Kerkmann, „Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter“, NZV 2020, 161 m.w.N.) oder ob für sie der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6 %o gilt.

Selbst wenn von einem Grenzwert von 1,1 0/00 auszugehen wäre, so dass der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt wäre, da der dringende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte den E-Scooter zum Tatzeitpunkt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,27 0/00 gefahren hat und seine Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf nahm, so kommt doch ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Entgegen dieser Regelvermutung kann bei einer Verwirklichung des § 316 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß günstiger erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung positiv beeinflusst haben (MüKo StGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Auflage, § 69 Rn. 74 m.w.N.; vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 9, juris). Ein solcher Umstand ist unter anderem in der Tatsache zu sehen, dass sich das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern erkennbar von dem der „klassischen“ Kraftfahrzeuge. wie Pkws, Lkws, Krafträder. usw., unterscheidet (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 13, juris; Schefer: „Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Das ergibt sich bereits aus der durch Gewicht und Höchstgeschwindigkeit bestimmten äußeren Beschaffenheit von E-Scootern (Schefer: ,Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Diese weisen in aller Regel ein Gewicht von ca. 20 bis 25 kg und eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf (LG München I, Beschluss vom 29.11.2019 – 26 Qs 51/19 -, Rn. 19, juris). Entgegen der Auffassung des Landgerichts München I, das hieraus auf ein erhebliches Verletzungspotenzial für Dritte schließt, wird anhand dieser Angaben deutlich, dass ein E-Scooter in Bezug auf diese, für die Beurteilung des Gefährdungspotenzials entscheidenden, technischen Daten in erster Linie mit einem Fahrrad oder einem Fahrrad mit einem elektrischen Hilfsantrieb (sogenannte Pedelecs) vergleichbar ist (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -. Rn. 13, juris). Davon geht im Übrigen auch der Gesetzgeber selbst aus und hat deswegen in BR-Drs. 158/19, S. 23 explizit festgehalten, dass die Fahreigenschaften sowie die Verkehrswahrnehmung von Elektrokleinstfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads ähnelten, weshalb nach der Vorstellung des Gesetzgebers verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder gelten sollten, sofern keine besonderen Vorschriften erlassen würden. Schließlich sind auch die Leistungsanforderungen bei dem Führen eines E-Scooters, insbesondere in Bezug auf das Halten des Gleichgewichts und kontrollierte Lenkbewegungen, nahezu identisch mit denen des Fahrens auf einem Fahrrad (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 13, juris; Schefer: „Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242)).

Aufgrund dieser Parallelität hinsichtlich des Gefährdungspotentials zwischen E-Scootern und Fahrrädern ist bei der Anwendung des § 69 StGB im Zusammenhang mit einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter grundsätzlich zu berücksichtigen, dass eine gemäß § 316 StGB möglicherweise strafbare Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad gerade nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nach sich zieht und insoweit, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, Wertungswidersprüche entstehen können. Insofern kann nicht ohne weiteres von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgegangen werden. Vielmehr wird bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter in aller Regel zu prüfen sein, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann, die mit einer Trunkenheitsfahrt mit „klassischen“ Kraftfahrzeugen vergleichbar ist und somit von seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden muss.

In dem hier vorliegenden Fall gibt es, jedenfalls nach derzeitiger Sachlage, keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte durch seine höchstwahrscheinlich begangene Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter eine in irgendeiner Form gegenüber dem abstrakten Gefährdungspotenzial erhöhte Gefährdungslage geschaffen und sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. insbesondere ist der Ermittlungsakte nur zu entnehmen, dass der Beschuldigte auf einem Fahrradweg über die relativ kurze Strecke von 15 m leichte Schlangenlinien gefahren sei. Weitere Ausfallerscheinungen im Verkehr, die Gefährdung von Personen oder Sachen oder vorangegangene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten des Beschuldigten in Bezug auf den öffentlichen Straßenverkehr sind nicht ersichtlich. Angesichts dessen liegt es nahe, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB hier als widerlegt anzusehen, so dass die Voraussetzungen des § 69 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind. Infolgedessen war der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben.“

Verkehrsrecht II: Ist ein „Pedelec“ ein Kfz?, oder: Welche Grenze gilt für die absolute Fahruntüchtigkeit?

entnommen wikimedia.org
Urheber J. Hammerschmidt

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.07.2020 – 2 Rv 35 Ss 175/20 – äußert sich – in Form einen „Hinweises“ zur strafrechtlichen Einstufung von Pedelecs als Kraftfahrzeugen und der Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit bei Pedelecs, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„Der Angeklagte ist von Amts- und Landgericht vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen worden. Nach den im Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg getroffenen Feststellungen stieß der Angeklagte am Abend des 9.5.2018 als Fahrer eines Pedelecs mit einer auf seinen Fahrweg einbiegenden Fahrradfahrerin zusammen. Bei dem Pedelec handelt es sich um ein Elektrofahrrad mit einem zuschaltbaren Elektromotor mit einer Nenndauerleistung von 250 Watt, der das Fahrrad bis zu einer Geschwindigkeit von 6 km/h ohne Trittunterstützung, darüber bis zu einer Geschwindigkeit bis 25 km/h beim Treten (mit-) antreibt. Nach den weiteren – nach vorläufiger Würdigung auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden – Feststellungen hatte der Angeklagte dabei eine maximale Alkoholkonzentration von 1,59 %o im Blut, ohne dass die vorhandenen Beweise für die Annahme ausreichten, der Angeklagte sei deshalb alkoholbedingt nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs in der Lage gewesen. Im Weiteren sind Amts- und Landgericht auf der Grundlage von § 1 Abs. 3 StVG davon ausgegangen, dass Pedelecs nicht als Kraftfahrzeuge einzustufen sind und deshalb bei der Beurteilung der absoluten Fahruntüchtigkeit nicht der für Kraftfahrer geltende Grenzwert von 1,1 %o, sondern der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert von 1,6 %o zugrunde zu legen ist. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Freiburg mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die auch von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vertreten wird.“

Dazu weist das OLG:

„… darauf hin, dass

a) nach vorläufiger Beurteilung für die entscheidungserhebliche Frage, ab welchem Blutalkoholgehalt Fahrer von Elektrofahrrädern (Pedelecs) unwiderleglich als nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs geeignet anzusehen sind (absolute Fahruntüchtigkeit), nicht maßgeblich ist, ob Pedelecs (straßenverkehrs-) rechtlich als Kraftfahrzeuge einzustufen sind,

b) nach den vom Senat angestellten Nachforschungen derzeit keine gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen, dass Fahrer von Pedelecs bereits unterhalb der für Fahrradfahrer geltenden Grenze von 1,6 %o Blutalkoholkonzentration absolut fahruntüchtig sind….“

Und das begründet das OLG wie folgt:

„Auf der Grundlage der im angefochtenen landgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen kann eine Verurteilung des Angeklagten wegen (fahrlässiger) Trunkenheit im Verkehr nur erfolgen, wenn die bei ihm festgestellte Blutalkoholkonzentration zur Bewertung führt, dass er deshalb absolut fahruntüchtig war. Soweit sowohl Amts- und Landgericht als auch Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft es dabei für maßgeblich erachtet haben, ob das vom Angeklagten geführte Elektrofahrrad rechtlich als Kraftfahrzeug zu behandeln ist, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

1. Allerdings neigt der Senat entgegen der von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft unter Berufung auf Stimmen in der Literatur (vor allem König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 316 Rn. 17) vertretenen Meinung bereits zu der Auffassung, dass der Ausnahme der technisch – jedenfalls bei zugeschaltetem Motor – zweifelsfrei als Kraftfahrzeuge (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) einzustufenden Pedelecs vom straßenverkehrsrechtlichen Kraftfahrzeugbegriff in § 1 Abs. 3 StVG auch für die Auslegung desselben Begriffes im Strafrecht Bedeutung zukommt.

a) Dabei verkennt der Senat nicht, dass in § 1 Abs. 3 StVG ausdrücklich bestimmt ist, dass diese Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes, also des Straßenverkehrsgesetzes, sind und Anlass für die Einfügung des § 1 Abs. 3 StVG durch das Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 17.6.2013 (BGBl. I S. 1558) eine Zulassungsfragen betreffende EU-Richtlinie war (BT-Drs. 17/12856 S. 11).

b) Gleichwohl ist es allgemein anerkannt, dass die Begrifflichkeiten straßenverkehrsrechtlicher Gesetze wegen des gleichen Schutzzwecks, der Verkehrssicherheit, auch bei der Auslegung der den Straßenverkehr betreffenden strafrechtlichen Normen heranzuziehen sind (BGHSt 50, 93, 100 – zum Begriff der Ungeeignetheit; so im Übrigen auch LK-König, StGB, 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 7). Es entspricht deshalb ganz überwiegender Auffassung, dass der Kraftfahrzeugbegriff des Strafgesetzbuches entsprechend der Legaldefinition im Straßenverkehrsgesetz zu bestimmen ist (OLG Rostock NZV 2008, 472; OLG Brandenburg NZV 2008, 474; BayObLG MDR 1993, 1100; LK-Valerius, StGB, 13. Aufl., § 69 Rn. 44; MK-Athing/von Heintschel-Heinegg, StGB, 3. Aufl., § 69 Rn. 30; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 69 Rn. 13; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 44 Rn. 3; Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 4. Aufl., § 315c Rn. 3; Eschelbach in Matt/Renzikowski, StGB, § 69 Rn. 20).

c) Dass der Gesetzgeber abweichend hiervon mit der Begrenzung des unmittelbaren Anwendungsbereichs eine Übertragung der Begrifflichkeit des Straßenverkehrsrechts auf das Strafrecht ausschließen wollte, lässt sich auch den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Vielmehr ist in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes vom 17.6.2013 ausgeführt (BT-Drs. 17/12856 S. 11): „Im Zusammenhang mit dem Thema Elektromobilität gewinnen sogenannte Elektrofahrräder im öffentlichen Straßenverkehr zunehmend an Bedeutung. Auf Grund der dynamischen Marktentwicklung und großen Variantenvielfalt besteht oft Unklarheit über die verkehrsrechtliche Einstufung dieser Fahrzeuge und über die daraus resultierenden fahrerlaubnis-, verhaltens- und zulassungsrechtlichen Konsequenzen. Eine Anpassung des § 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) soll Rechtssicherheit bei der verkehrsrechtlichen Einordnung von Elektrofahrrädern schaffen.“ Dieses Regelungsziel und das ausdrückliche Ansprechen der verhaltensrechtlichen Konsequenzen legen eine vereinheitlichende Auslegung des Kraftfahrzeugbegriffs über den eigentlichen gesetzlichen Anwendungsbereich hinaus nahe.

d) Auch systematische Erwägungen sprechen für dieses Auslegungsergebnis. Denn auch das Straßenverkehrsgesetz enthält in § 24a StVG eine das Führen von Kraftfahrzeugen unter dem Einfluss von Alkohol ahndende Regelung, die nach der insoweit eindeutigen Regelung des § 1 Abs. 3 StVG auf Pedelecs keine Anwendung findet. Den gleichgerichteten Regelungen im Strafgesetzbuch, vor allem § 69 StGB, einen anderen Kraftfahrzeugbegriff zugrundezulegen, erscheint systemwidrig (Kerkmann SVR 2019, 369, 370).

2. Ungeachtet dessen ist der Senat nach vorläufiger Beurteilung der Auffassung, dass die Bestimmung eines Alkoholgrenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit von Pedelec-Fahrern nicht davon abhängt, ob diese rechtlich als Kraftfahrzeuge einzustufen sind.

a) Allerdings hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.6.1990 (4 StR 297/90 = BGHSt 37, 89) in einem Vorlageverfahren gemäß § 121 Abs. 2 GVG die Vorlagefrage, ob „der Führer eines Kraftfahrzeuges bereits von einem Blutalkoholgehalt von 1,1 g Promille an absolut fahruntüchtig“ ist, bejaht. Allerdings wurde mit dieser Entscheidung nicht bestimmt, auf welche Fahrzeugtypen die genannte Promillegrenze Anwendung findet, sondern es ging darum, ob der bis dahin geltende Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern – in dem der Vorlage zugrundeliegenden Verfahren der Fahrer eines Personenkraftwagens – von 1,3 %o auf 1,1 %o herabzusetzen war. Zu der Bestimmung des Anwendungsbereichs bestand auch kein Anlass, nachdem in einer vorausgegangenen Entscheidung (Beschluss vom 29.10.1981 – 4 StR 262/81 = BGHSt 30, 251) bereits klargestellt worden war, dass diese Promillegrenze auch für Kraftradfahrer einschließlich der Fahrer von Fahrrädern mit Hilfsmotor (Mofas), und damit für alle gängigen Kraftfahrzeugtypen gilt.

b) Dagegen ergibt sich aus weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, dass die genannte Bestimmung des Grenzwertes für die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit keineswegs direkt daran anknüpft, ob ein Kraftfahrzeug geführt wird (a.A. OLG Nürnberg NStZ-RR 2011, 153). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesgerichtshof in allen Entscheidungen, in denen es um die Bestimmung eines Grenzwertes für alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit ging, betont hat, dass es sich dabei nicht um ein normatives Merkmal, sondern um die rechtliche Anerkennung gesicherten naturwissenschaftlich-medizinischen Erfahrungswissens im Sinn eines Erfahrungssatzes handelt (u.a. BGHSt 19, 82; 21, 157; 22, 352; 25, 246; 25, 360; 30, 251; 34, 133; 36, 341; 37, 89). Der Bundesgerichtshof hat deshalb wiederholt die Anwendung der für Kraftfahrer bestimmten Promillegrenze auf bestimmte Typen von Kraftfahrzeugen zunächst abgelehnt, weil insoweit zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt keine allgemein anerkannten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für die Bestimmung absoluter Fahruntüchtigkeit vorlagen (BGHSt 22, 352 – Krafträder; BGHSt 25, 360 – Mofas). In der letztgenannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof dabei hervorgehoben, dass im Hinblick darauf, dass für die Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit einerseits auf die Änderungen der Leistungsfähigkeit und die Beeinträchtigungen der Gesamtpersönlichkeit, andererseits das Maß der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer abzustellen ist (BGHSt 22, 352), Mofas sich trotz ihrer begrifflichen Zuordnung zu den Kraftfahrzeugen unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit von den übrigen Krafträdern unterscheiden, was sich in straßenverkehrsrechtlichen Erleichterungen gegenüber sonstigen Krafträdern niederschlug. Erst nachdem durch neuere Untersuchungsergebnisse der wissenschaftlichen Forschung belegt war, dass der Genuss von Alkohol auf das Führen von Mofas gleiche Auswirkungen wie auf das Führen anderer Kraftfahrzeuge hatte, wurden Mofas hinsichtlich des Grenzwertes für die Annahme absoluter Fahruntüchtigkeit anderen Kraftfahrzeugen gleichgestellt (BGHSt 30, 251).

c) Auch Pedelecs weisen Merkmale auf, die sie maßgeblich von anderen Kraftfahrzeugen und insbesondere Mofas unterscheiden, insbesondere dadurch, dass oberhalb der auf 6 km/h beschränkten Anschubhilfe die Motorleistung nur bei gleichzeitigem Treten zum Antrieb beiträgt. Damit stehen Pedelecs gleichsam zwischen Fahrrädern einerseits und Mofas andererseits. Diesen technischen Besonderheiten ist auch rechtlich durch die Regelung in § 1 Abs. 3 StVG Rechnung getragen worden. Angesichts dieser Unterschiede verbietet es sich, den für andere Kraftfahrer geltenden Grenzwert von 1,1 %o ohne Weiteres auf Pedelec-Fahrer zu übertragen. Nach der Auffassung des Senats kommt es deshalb auf der Grundlage der vorstehend unter b. wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr darauf an, ob es gesichertes naturwissenschaftlich-medizinisches Erfahrungswissen gibt, dass Pedelec-Fahrer bereits unterhalb des für Fahrräder geltenden Grenzwerts von 1,6 %o im Blut absolut fahruntüchtig sind.

d) Eine Entscheidung des Senats ist danach ohne Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, bei der die technische Entwicklung von Elektrofahrrädern noch keine Berücksichtigung finden konnte, möglich. Soweit der Senat damit von der in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 13.12.2010 (a.a.O.) allgemein geäußerten Rechtsauffassung abweicht, der Grenzwert von 1,1 %o gelte unterschiedslos für alle Kraftfahrzeugtypen, die sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ableiten lässt, zwingt dies im Hinblick darauf, dass dem vom Oberlandesgericht Nürnberg mit dem Führen eines motorisierten Krankenfahrstuhls eine gänzlich andere Sachverhaltsgestaltung zugrunde lag, ebenfalls nicht zur Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG.

III.

Der Senat hat deshalb untersucht, ob bereits Forschungsergebnisse vorliegen, auf deren Grundlage die Bestimmung einer – von der für Fahrradfahrer abweichenden – Grenze für die Annahme alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit vorgenommen werden kann.

Danach gibt es zwar mehrere Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Pedelecs an ihre Fahrer höhere Anforderungen stellen als an Fahrradfahrer, wobei neben der erzielbaren höheren Geschwindigkeit auch das höhere Gewicht und das durch die Anschubhilfe veränderte Fahrverhalten von Bedeutung sein dürften (vgl. insbesondere Panwinkler/Holz-Rau, Unfallgeschehen von Pedelecs und konventionellen Fahrrädern im Vergleich, Zeitschrift für Verkehrssicherheit 2019, 336; Unfallforschung der Versicherer, Verkehrssicherheit von Elektrofahrrädern, 2017; Schleinitz u.a., Pedelec-Naturalistic Cycling Study, 2014 – im Internet abrufbar über die Homepage des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.). Allein daraus lässt sich aber nicht der Schluss auf einen bestimmten niedrigeren Grenzwert für Pedelec-Fahrer ziehen (BGHSt 22, 352). Untersuchungen der Auswirkungen des Konsums von Alkohol gerade auf die Leistungsfähigkeit von Pedelec-Fahrern, die zu gesichertem Erfahrungswissen bezüglich der Bestimmung eines Grenzwerts für alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit geführt haben, liegen dagegen nach den Erkenntnissen des Senats derzeit noch nicht vor.“

Dann schauen wir mal, was daraus wird.

Verkehrsrecht I: Zweites BGH-Urteil im „Berliner Raser-Fall“, oder: Dritter Durchgang erforderlich

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Nach dem gestrigen „Pflichti-Tag“ heute dann ein Tag mit verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Zunächst weise ich in dem Zusammenhang – der Vollständigkeit halber – auf das BGH, Urt. v. 18.06.20220 – 4 StR 482/19 – hin.  Das ist die zweite Entscheidung des BGH im sog. Berliner Raserfall. Ich erinnere: Es geht um ein Autorennen im Februar 2016 in der Berliner Innenstadt. Dabei ist es auf dem Kudamm im Kreuzungsbereich mit einer anderen Straße zu einem Zusammenstoß mit dem Pkw eines andern Verkehrsteilnehmer gekommen, der noch an der Unfallstelle verstorben ist.

Das LG Berlin hatte nach einer ersten Hauptverhandlung wegen Mordes verurteilt. Der BGh hatte auf die Revision hin aufgehoben und zurückverwiesen. In der erneuten Hauptverhandlung ist dann wiederum eine Veurteilung wegen Mordes erfolgt. Dagegen dann nochmals die Revision.

Nun hat der BGH im Urt. v. 18.06.2020 die Revision des Angeklagte, der mit dem Fahrzeug des Getöteten zusammengestoßen ist, verworfen. Auf die Revision des anderen am Rennen Beteiligten, der ebenfalls wegen Mordes verurteilt war, hat er hingegen das Urteil aufgehoben und nochmals zurückverwiesen. Da das für BGHSt vorgesehene Urteil recht lang ist, will ich es hier nicht einstellen, sondern verweise auf den Volltext. Ich zitiere hier nur aus der PM 78/2020 des BGH:

„Die Revision des am Unfall unmittelbar beteiligten Angeklagten hat der Senat verworfen. Er hat bei diesem Angeklagten insbesondere den Schuldspruch wegen Mordes bestätigt und lediglich eine Schuldspruchkorrektur vorgenommen.

Das Landgericht hat maßgeblich aus der außergewöhnlichen Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten und der damit einhergehenden und von ihm erkannten Unfallträchtigkeit auf die billigende Inkaufnahme eines schweren Verkehrsunfalls mit tödlichen Folgen für den Unfallgegner und damit auf ein bedingt vorsätzliches Handeln dieses Angeklagten geschlossen. Es ist dabei den hohen Anforderungen an die Prüfung der vorsatzkritischen Aspekte gerecht geworden, die dieser Fall in besonderem Maße aufwarf. Die Strafkammer hat insoweit insbesondere bedacht, dass schon wegen der mit einem Unfall verbundenen Eigengefährdung des Angeklagten das Tatbild von einem typischen vorsätzlichen Tötungsdelikt abwich. Auch mit dem Handlungsmotiv des Angeklagten, den Rennsieg davonzutragen, der durch einen Unfall zwangsläufig vereitelt würde, hat es sich ausreichend auseinandergesetzt.

Bei Prüfung der Eigengefahr als vorsatzkritischen Umstand hat das Landgericht zu Recht nur auf das tatsächlich eingetretene Unfallgeschehen abgestellt. Es hat tragfähig begründet, dass der Angeklagte diesen Unfallhergang als möglich erkannte, die hiervon ausgehende Gefahr für sich selbst aber als gering einschätzte und hinnahm. Der Senat hat unter diesen Umständen die Erörterung der Frage, ob dem Angeklagten, als er den Entschluss fasste, das Rennen trotz der erkannten Unfallgefahr fortzusetzen, auch andere Unfallszenarien mit einem möglicherweise für ihn höheren Gefahrenpotential vor Augen standen, für entbehrlich erachtet.

Auch dem Handlungsmotiv des Angeklagten, das Rennen zu gewinnen, hat das Landgericht mit tragfähiger Begründung keine vorsatzausschließende Bedeutung beigemessen. Es hat belegt, dass der Angeklagte erkannte, das Rennen nur bei maximaler Risikosteigerung auch für Dritte unter Zurückstellung aller Bedenken gewinnen zu können, und ihm deshalb die Folgen des bewusst hochriskanten Fahrverhaltens gleichgültig waren.

Auch die Bewertung der Tat als Mord ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar weist die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Seite des Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln durchgreifende Rechtsfehler auf. Da das Landgericht die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung aus niedrigen Beweggründen rechtsfehlerfrei bejaht hat, wirkt sich dies auf den Strafausspruch aber nicht aus.

Das Urteil gegen diesen Angeklagten ist damit rechtskräftig.

Auf die Revision des Mitangeklagten, dessen Fahrzeug nicht mit dem des Unfallopfers kollidierte, hat der Senat das Urteil, soweit es diesen Angeklagten betrifft, insgesamt aufgehoben. Die Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes konnte keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts die Feststellung eines gemeinsamen, auf die Tötung eines Menschen gerichteten Tatentschlusses nicht trägt. Das Landgericht hat sich lediglich mit dem Vorsatz betreffend einen durch den Mitangeklagten selbst verursachten Unfall auseinandergesetzt. Nicht belegt ist die mittäterschaftliche Zurechnung der Tat des Unfallverursachers. Dass die Angeklagten – wie das Landgericht gemeint hat – während des Zufahrens auf die Kreuzung den auf das Straßenrennen ausgerichteten Tatplan konkludent auf die gemeinsame Tötung eines anderen Menschen erweiterten, liegt angesichts ihrer Fokussierung auf das Rennen auch fern.

Gegen diesen Angeklagten wird das Landgericht deshalb in einem dritten Rechtsgang nochmals zu verhandeln haben.“

Also: Dritter Durchgang