Verkehrsrecht III: Nochmals – Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Die dritte Entscheidung  zum Verkehrrecht passt ganz gut zu dem „Pedelec-Beschluss“ des OLG Karlsruhe vom 14.07.2020. Es handelt sich nämlich um eine landgerichtliche Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter. Das LG Halle hat im LG Halle, Beschl. v. 16.07.2020 – 3 Qs 81/20 – zu dieser Frage Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„….Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Die Kammer sieht keine dringenden Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten gemäß § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, da aller Voraussicht nach die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB dafür, den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ausnahmsweise widerlegt ist.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auf Fahrten mit E-Scootern, die Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 1 eKFV sind und demgemäß auch als Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG ausgewiesen werden (LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 8, juris m.w.N.), der für die absolute Fahruntüchtigkeit bei Kraftfahrzeugen geltende Grenzwert einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %o anzuwenden ist (so LG München I, Beschluss vom  29.11.2019 – 26 Qs 51/19 -, Rn. 15, juris; LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 8, juris; Kerkmann, „Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter“, NZV 2020, 161 m.w.N.) oder ob für sie der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6 %o gilt.

Selbst wenn von einem Grenzwert von 1,1 0/00 auszugehen wäre, so dass der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt wäre, da der dringende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte den E-Scooter zum Tatzeitpunkt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,27 0/00 gefahren hat und seine Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf nahm, so kommt doch ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Entgegen dieser Regelvermutung kann bei einer Verwirklichung des § 316 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß günstiger erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung positiv beeinflusst haben (MüKo StGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Auflage, § 69 Rn. 74 m.w.N.; vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 9, juris). Ein solcher Umstand ist unter anderem in der Tatsache zu sehen, dass sich das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern erkennbar von dem der „klassischen“ Kraftfahrzeuge. wie Pkws, Lkws, Krafträder. usw., unterscheidet (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 13, juris; Schefer: „Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Das ergibt sich bereits aus der durch Gewicht und Höchstgeschwindigkeit bestimmten äußeren Beschaffenheit von E-Scootern (Schefer: ,Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Diese weisen in aller Regel ein Gewicht von ca. 20 bis 25 kg und eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf (LG München I, Beschluss vom 29.11.2019 – 26 Qs 51/19 -, Rn. 19, juris). Entgegen der Auffassung des Landgerichts München I, das hieraus auf ein erhebliches Verletzungspotenzial für Dritte schließt, wird anhand dieser Angaben deutlich, dass ein E-Scooter in Bezug auf diese, für die Beurteilung des Gefährdungspotenzials entscheidenden, technischen Daten in erster Linie mit einem Fahrrad oder einem Fahrrad mit einem elektrischen Hilfsantrieb (sogenannte Pedelecs) vergleichbar ist (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -. Rn. 13, juris). Davon geht im Übrigen auch der Gesetzgeber selbst aus und hat deswegen in BR-Drs. 158/19, S. 23 explizit festgehalten, dass die Fahreigenschaften sowie die Verkehrswahrnehmung von Elektrokleinstfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads ähnelten, weshalb nach der Vorstellung des Gesetzgebers verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder gelten sollten, sofern keine besonderen Vorschriften erlassen würden. Schließlich sind auch die Leistungsanforderungen bei dem Führen eines E-Scooters, insbesondere in Bezug auf das Halten des Gleichgewichts und kontrollierte Lenkbewegungen, nahezu identisch mit denen des Fahrens auf einem Fahrrad (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 31 Qs 1/20 -, Rn. 13, juris; Schefer: „Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters“, NZV 2020, 239 (242)).

Aufgrund dieser Parallelität hinsichtlich des Gefährdungspotentials zwischen E-Scootern und Fahrrädern ist bei der Anwendung des § 69 StGB im Zusammenhang mit einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter grundsätzlich zu berücksichtigen, dass eine gemäß § 316 StGB möglicherweise strafbare Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad gerade nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nach sich zieht und insoweit, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, Wertungswidersprüche entstehen können. Insofern kann nicht ohne weiteres von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgegangen werden. Vielmehr wird bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter in aller Regel zu prüfen sein, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann, die mit einer Trunkenheitsfahrt mit „klassischen“ Kraftfahrzeugen vergleichbar ist und somit von seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden muss.

In dem hier vorliegenden Fall gibt es, jedenfalls nach derzeitiger Sachlage, keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte durch seine höchstwahrscheinlich begangene Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter eine in irgendeiner Form gegenüber dem abstrakten Gefährdungspotenzial erhöhte Gefährdungslage geschaffen und sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. insbesondere ist der Ermittlungsakte nur zu entnehmen, dass der Beschuldigte auf einem Fahrradweg über die relativ kurze Strecke von 15 m leichte Schlangenlinien gefahren sei. Weitere Ausfallerscheinungen im Verkehr, die Gefährdung von Personen oder Sachen oder vorangegangene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten des Beschuldigten in Bezug auf den öffentlichen Straßenverkehr sind nicht ersichtlich. Angesichts dessen liegt es nahe, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB hier als widerlegt anzusehen, so dass die Voraussetzungen des § 69 StGB nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind. Infolgedessen war der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben.“

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