Heute dann ein „Versuchstag“. Gemeint sind damit StGB-Entscheidungen zum Versuch (§§ 22, 23 StGB).
Und ich starte mit einem schon etwas älteren Beschluss des BGH, dem BGH, Beschl. v. 18.09.2019 – 2 StR 187/19. Den hier vorzustellen, habe ich immer wieder übersehen. Jetzt ist es so weit.
Das LG hat den Angeklagten ausweislich des Urteilstenors wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Ausweislich der Urteilsgründe hat das LG hingegen angenommen, der Angeklagte habe sich statt wegen besonders schweren Raubes wegen versuchten besonders schweren Raubes schuldig gemacht. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg:
Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wegen des Widerspruchs im Schuldspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen in vollem Umfang Erfolg.
1. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil der in der Urteilsformel zum Ausdruck kommende Schuldspruch – Verurteilung wegen besonders schweren Raubes – von den in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung – versuchter besonders schwerer Raub – nicht getragen wird. Es liegt kein für alle Beteiligten klar zu Tage tretendes Fassungs- oder Schreibversehen vor (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 5 StR 154/19, juris Rn. 7 mwN), das eine Tenorberichtigung ermöglichen würde. Es handelt sich auch nicht um eine Fallgestaltung, bei der ohne Weiteres ersichtlich wird, dass der Tatrichter seine Erwägungen in Wirklichkeit nicht auf den in den Urteilsgründen, sondern auf den in der Urteilsformel zum Ausdruck gebrachten Schuldspruch bezogen hat und dass dies trotz der anderslautenden Entscheidungsgründe dem Beratungsergebnis entspricht. Vielmehr wird die Urteilsformel von den Feststellungen nicht zweifelsfrei getragen.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der kokain- und alkoholabhängige Angeklagte am 4. August 2018 in einen Lebensmitteldiscounter begab, um Alkohol zu stehlen. Er sah in der Tüte einer an der Kasse wartenden Zeugin eine Geldbörse und wollte diese an sich bringen. Er folgte der Zeugin aus dem Gebäude und sprühte ihr, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Passanten in der Nähe waren, Pfefferspray in Richtung des Gesichts, um die nunmehr in der Hand der Geschädigten befindliche Geldbörse und andere stehlenswerte Gegenstände zu entwenden. Er versuchte, die Einkaufstüten zu ergreifen und entriss der Zeugin außerdem kurzzeitig die Geldbörse. Die Zeugin wehrte sich heftig und hielt den Angeklagten an seinem T-Shirt fest. Im weiteren Verlauf des Gerangels verlor der Angeklagte die Geldbörse wieder. Nachdem einige Passanten aufgrund der Hilferufe der Zeugin herbeigeeilt waren, gab sich der Angeklagte geschlagen und wartete auf das Eintreffen der Polizei.
b) Diese Feststellungen ermöglichen keine zweifelsfreie Beurteilung, ob die Raubtat bereits vollendet war.
aa) Eine Sache ist weggenommen und ihr Raub ist vollendet, wenn der Gewahrsam des bisherigen Inhabers aufgehoben und die Sache in die tatsächliche Verfügungsmacht des Räubers gelangt ist. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens; die Erlangung gesicherten oder gefestigten Gewahrsams ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271, 273; BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08, NStZ 2008, 624, 625; vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18, juris Rn. 4 f.).
bb) Hiervon ausgehend erweisen sich die getroffenen Feststellungen als ambivalent. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (BGH, Urteil vom 21. April 1970 – 1 StR 45/70, BGHSt 23, 254, 255; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158), weshalb in Betracht kommt, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten, im Entreißen der Geldbörse eine zur Vollendung des Raubdelikts führende Gewahrsamserlangung zu sehen. Konnte allerdings der Angeklagte den Geldbeutel nur kurzzeitig der Geschädigten entreißen, während diese ihn durchgehend am T-Shirt festhielt und mit ihm rang, liegt die Annahme nahe, dass der Angeklagte die Sachherrschaft am Geldbeutel noch nicht ohne Behinderung durch die Geschädigte ausüben konnte, mithin die Raubtat noch nicht vollendet war. Wie sich die Sache hier verhalten hat, lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.“
Der BGh hatte im Übrigen auch noch andere Bedenken. Die insoweit ganz interessanten Ausführungen zu § 21 StGB bitte selbst lesen.