„Sekt“ und alkoholfreies Bier im Maßregelvollzug?, oder: Auch für nicht Suchgefährdete nicht erlaubt

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Die 47. KW eröffne ich mit zwei vollzugsrechtlichen Entscheidungen, ein Bereich, der hier im Blog immer ein wenig zu kurz kommt.

Ich stelle zunächst den OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2018 – 3 Ws 205/18 (MVollz) – vor, schon etwas älter, aber ich habe ihn erst vor kurzem übersandt bekommen. Wie aus dem Aktenzeichen ersichtlich, handelt es sich um eine Maßregelvollzugsache.

Der Verurteilte ist nach § 63 StGB untergebracht. Der Unterbringung lag ursprünglich ein Urteil des LG Bremen vom 30.10.2009 zu Grunde. Im Juli 2016 wurde vom LG Göttingen rechtskräftig eine weitere Unterbringung gemäß § 63 StGB angeordnet. Eine Alkoholproblematik besteht bei dem Verurteilten nicht. Zusammen mit dem Verurteilten sind jedoch eine Vielzahl von Personen mit verschiedenen Suchtproblematiken gemäß § 64 StGB untergebracht.

Dem Verurteilten wird die Möglichkeit geboten, seine Lebensgefährtin regelmäßig in einem zu diesem Zweck vorhandenen Apartment zu treffen und mit dieser Zeit zu verbringen. Für einen solchen Langzeitbesuch vom 29.12.2017 bis zum 01.01.2018 erwarb der Antragsteller im Rahmen eines Gemeinschaftsausganges eine Flasche von einem schäumenden Getränk aus alkoholfreiem Wein/Sekt. Hierbei handelt es sich um ein Getränk, welches auf alkoholischer Weinbasis hergestellt und dem anschließend durch Weiterverarbeitung Alkohol entzogen wird. Aufgrund dieses Herstellungsverfahrens enthält das Getränk ggf. einen Alkoholrest, der jedoch 0,5 Promille im Regelfall nicht überschreitet. Insoweit unterscheidet sich das Getränk etwa von alkoholfreiem Punsch, der auf Fruchtsaftbasis hergestellt wird. Der Verzehr solchen Punsches wurde dem Verurteilten und weiteren Untergebrachten im Rahmen eines Besuchs des Göttinger Weihnachtsmarktes gestattet.

Der Verurteilte hat bei der Anstalt, in der er untergebracht ist, die Zulassung des „Sektes“ und darüber hinaus die Erlaubnis zum Erwerb vollständig alkoholfreien Bieres beantragt. Das wurde abgelehnt. Um die Frage wird nun gestritten. Das OLG hat sich der Auffassung der StVK, die die Zulassung und den Erwerb (ebenfalls) nicht gestattet hat, angeschlossen:

„Die Strafvollstreckungskammer hat rechtsfehlerfrei Feststellungen getroffen, die das Verbot des Erwerbs des streitgegenständlichen Bieres bzw. den Entzug des Sekts rechtfertigen und dieses auch rechtlich beanstandungsfrei begründet.

Rechtsgrundlage ist § 19 Nds.MVollzG. Hiernach können Sachen der untergebrachten Person vorenthalten oder entzogen werden bzw. ihr Erwerb beschränkt werden. Bei allen nach dem Nds. MVollzG zugelassenen Beschränkungen ist jedoch nach § 18 Nds. MVollzG Voraussetzung, dass die der untergebrachten Person auferlegte Beschränkung erforderlich ist, um das Ziel der Unterbringung auch der anderen Untergebrachten zu fördern oder um die Sicherheit oder Ordnung aufrechtzuerhalten.

Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer stände die Erlaubnis der streitgegenständlichen Getränke der Erreichung des Vollzugsziels entgegen.

Soweit der Antragsteller vorbringt, er selber habe kein Alkoholproblem und seine Tat stehe auch nicht im Zusammenhang mit Alkohol, kommt es hierauf nicht an. Aus der Formulierung „auch der anderen Untergebrachten“ ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass es bei der Beschränkung nicht nur auf den Untergebrachten ankommt, dem die Beschränkung auferlegt wird. Vielmehr ist generell auf sämtliche, also auch die nach § 64 StGB untergebrachten Personen abzustellen.

Das Vollzugsziel der nach § 64 StGB untergebrachten Personen ist nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nds.MVollzG, die untergebrachte Person von ihrem Hang zu heilen und die zugrundeliegende Fehlhaltung zu beheben.

Insoweit geht die Strafvollstreckungskammer zu Recht davon aus, dass ein konkreter positiver Nachweis, dass eines der streitgegenständlichen Getränke einen Suchtrückfall verursachen wird, nicht erforderlich ist. Vielmehr ist eine realistische und nicht vollständig einschätzbare, also eine abstrakt generelle Gefahr ausreichend (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 1994 – 2 BvR 2731/93 –, Rn. 11, juris).

Diese Gefahr ist darin zu sehen, dass nach den von der Strafvollstreckungskammer eingeholten wissenschaftlichen bzw. ärztlichen Stellungnahmen selbst bei den alkoholfreien Getränken und auch bei den Getränken, bei denen der Alkohol vollständig entzogen wurde, die nicht fernliegende Möglichkeit eines suchtbedingten Rückfalls besteht. Dieser Reiz kann durch den Geschmack oder aber auch aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes geweckt werden. Dass eine solche Gefahr auch im Allgemeinen als realistisch eingeschätzt wird, zeigt auch bereits die Warnung des Bierherstellers. Danach wird vor dem Genuss alkoholfreien Biers durch „trockene“ Alkoholiker gewarnt, da der reine Biergeschmack Suchtreize auslösen könnte.

Durch die Weitergabe eines der streitgegenständlichen Getränke bzw. das Beobachten des Konsums durch nach § 64 StGB untergebrachte Personen würde sich diese Gefahr auch realisieren.

Auch ist die Annahme der Strafvollstreckungskammer, die Weitergabe könne nicht durch zumutbare Kontrollmaßnahmen verhindert werden, nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob die abstrakt generelle Eignung zur Gefährdung des Vollzugsziels eines Gegenstandes durch zumutbare Kontrollmaßnahmen derart vermindert werden kann, dass eine Aushändigung vertretbar erscheint (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Februar 1994 – 2 BvR 2731/93 –, Rn. 11, juris).

Zu Recht weist die Strafvollstreckungskammer darauf hin, dass hinsichtlich zumutbarer Kontrollmaßnahmen nicht auf den Antragsteller isoliert abzustellen ist, sondern auf die Gruppe der nicht suchtgefährdeten Untergebrachten. Bereits der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 GG würde es verbieten, lediglich dem Antragsteller zu gestatten, die streitgegenständlichen Getränke zu besitzen bzw. zu erwerben. Aufgrund dieses Umstandes wäre es nahezu unmöglich und insbesondere nicht mit zumutbaren Kontrollmaßnahmen zu verhindern, dass Personen aus der Gruppe der nicht suchtgefährdeten Untergebrachten die streitgegenständlichen Getränke in Gegenwart suchtgefährdeter Untergebrachter konsumieren bzw. solche Getränke unkontrolliert weitergeben.

Soweit das Oberlandesgericht Karlsruhe in ähnlicher Konstellation einen Beschluss einer Strafvollstreckungskammer aufgehoben hat, beruhte dieses insbesondere auf einem Aufklärungsmangel. Das Oberlandesgericht warf insoweit die zu klärende Frage auf, ob der Konsum alkoholfreien Biers bei alkoholkranken Personen als den Suchtdruck in einer die Anstaltsordnung gefährdenden Weise steigernd angesehen werden kann (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 2 Ws 211/16 –, Rn. 14, juris). Diese Frage hat die Strafvollstreckungskammer hier rechtsfehlerfrei aufgeklärt und bejaht.“

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