Archiv für den Monat: August 2019

Schon wieder beA, oder: Überwachungspflichten bei Rechtsmitteleinlegung durch beA

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Im „Kessel Buntes“ „köchelt“ dann heute als erste Entscheidung der BAG, Beschl. v. 07.08.2019 – 5 AZB 16/19  – mit Ausführungen des BAG zu Überwachungspflichten bei der Berufungseinlegung über das beA. Die Entscheidung ist zwar in einer arbeitsgerichtlichen Streitigkeit ergangen, ihre Grundsätze kann man m.E. aber auch auf andere Verfahren übertragen (vgl. z.B. § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO).

Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Im Verfahren hatte das ArbG der Klage stattgegeben. Urteilsverkündung war am 19.11.2018. Das Urteil wurde der Beklagten, die erstinstanzlich anwaltlich nicht vertreten war, am 05.12.2018 zugestellt. Am 08.01.2019 ging im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (iF EGVP) des LAG Hamm eine aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (iF beA) übermittelte Berufungsschrift ein. Nachdem das LAG mit gerichtlichem Schreiben vom 22.01.2019 den Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf die verspätete Einlegung der Berufung hingewiesen hatte, teilte dieser mit Schriftsatz vom 26.01.2019 mit, die Berufungsschrift sei per beA am 28.12.2018 an das LAG übermittelt worden. Hierzu legte er eine Übermittlungsdatei vor, wonach die Berufungsschrift am angegebenen Datum um 10:34 Uhr gesendet wurde. Die weiteren in der Übermittlungsdatei enthaltenen Rubriken „Empfangen“ und „Zugegangen“ enthalten keine Einträge. Zugleich beantragte die Beklagte für den Fall des nicht fristgerechten Zugangs Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das LAG hat die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Dagegen die Revisionszulassungsbeschwerde, die beim BAG keinen Erfolg hatte. Die Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, sie sei ohne ihr Verschulden bzw. ohne ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der fristgemäßen Einreichung der Berufung verhindert gewesen. Das BAG beanstandet, dass der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht rechtzeitig gewesen sei. Und:

bb) Die Beklagte hat darüber hinaus auch nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter in seiner Kanzlei über eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle verfügt.

(1) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht (BGH 4. September 2018 – VIII ZB 70/17 – Rn. 13). Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 614/15 – Rn. 20).

(a) Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird (st. Rspr., vgl. nur BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 614/15 – Rn. 22; BGH 8. November 2018 – I ZB 108/17 – Rn. 13; 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15 – Rn. 8). Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleich mit dem Fristenkalender dient nicht alleine dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern vielmehr auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, ggf. anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (BGH 8. November 2018 – I ZB 108/17 – Rn. 13; 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15 – Rn. 8).

(b) Nach gefestigter Rechtsprechung genügt ein Rechtsanwalt bei einer Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax seiner Pflicht zur Ausgangskontrolle nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH 24. Januar 2019 – I ZB 47/18 – Rn. 10 mwN). Die Überprüfung des Sendeberichts kann lediglich dann entfallen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzleiangestellten angewiesen hat, die Frist erst nach telefonischer Rückfrage beim Empfänger zu streichen (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 614/15 – Rn. 22; BGH 25. Februar 2016 – III ZB 42/15 – Rn. 10).

(c) Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (Bayerisches LSG 3. Januar 2018 – L 17 U 298/17 – Rn. 16; vgl. zum elektronischen Rechtsverkehr OVG Rheinland-Pfalz 27. August 2007 – 2 A 10492/07 – Rn. 24). Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies kann ohne Weiteres durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung (§ 46c Abs. 5 Satz 2 ArbGG) erfolgen (vgl. Kulow BRAK-Mitteilungen 2019, 2, 5). Sobald eine an das Gericht versendete Nachricht auf dem in dessen Auftrag geführten Server eingegangen ist, schickt dieser automatisch dem Absender eine Bestätigung über den Eingang der Nachricht. Hieran hat sich mit Einführung des beA nichts geändert, die Eingangsbestätigung wird vom EGVP an das beA versandt. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BT-Drs. 17/12634, S. 26 zum gleichlautenden § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO). Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung erhalten, besteht damit Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben muss den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. zur erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. hierzu Bacher NJW 2015, 2753, 2756).

(d) Diese Grundsätze gelten sowohl bei der manuellen als auch bei der elektronischen Führung eines Fristenkalenders. Diese darf keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten (BAG 3. Juli 2019 – 8 AZN 233/19 – Rn. 6; BGH 4. November 2014 – VIII ZB 38/14 – Rn. 10 mwN). Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten muss. Das kann durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. In seiner ständigen Rechtsprechung verlangt der Bundesgerichtshof, dass die Eingaben in den elektronischen Kalender durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert werden. Unterbleibe dies, sei darin ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen (BGH 28. Februar 2019 – III ZB 96/18 – Rn. 13 mwN; ebenso BAG 3. Juli 2019 – 8 AZN 233/19 – Rn. 8; BSG 28. Juni 2018 – B 1 KR 59/17 B – Rn. 9; krit. hierzu Siegmund NJW 2019, 1456, 1458). Unabhängig davon ist jedoch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Büroorganisation nicht genügt, wenn ein elektronischer Fristenkalender so geführt wird, dass am Tag des Fristablaufs zuvor als erledigt gekennzeichnete Sachen überhaupt nicht mehr in der Fristenliste erscheinen und ein vorheriges versehentliches Löschen der Frist daher bei der Endkontrolle am Abend des Tags nicht mehr erkannt werden kann (vgl. BGH 11. Oktober 2000 – IV ZB 17/00 – zu II 1 d der Gründe; vgl. auch OVG Saarland 20. Mai 2014 – 1 A 458/13 – Rn. 9; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 233 Rn. 23).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Einrichtung und Anwendung einer ordnungsgemäß gestalteten Fristen- und Ausgangskontrolle bereits nicht schlüssig dargelegt….“

Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich meine Tätigkeit gegenüber dem Schwurgericht ab?

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In der ablaufenden Woche hat mich folgende Anfrage erreicht:

Hallo,

ich habe wieder einmal eine Frage zum Gebührenrecht und bitte um kurze Info hierzu:

Ermittlungsverfahren wegen Totschlags und schweren Raubes. Leider keine VV geschlossen. Das Verfahren gegen meinen Mandanten wird nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, alle anderen werden angeklagt.

Auftrag eigentlich beendet (aber Abschlussschreiben hatte ich nicht erstellt und auch noch nicht abgerechnet; wir wussten, dass da ggf. eine Ladung des Gerichts kommen würde und wollten abwarten).

Der Mandant wird sodann erwartungsgemäß als Zeuge geladen und beauftragt mich, die Schwurgerichtskammer anzuschreiben, dass er die Auskunft nach § 55 StPO verweigert. Welche Gebühr rechne ich für meine Tätigkeit gegenüber der Schwurgerichtskammer ab? 4118 oder 4302? Falls letztere, ist diese auf die Verfahrensgebühr 4104 anzurechnen?“

Na, wie läuft es?

Die richtige Formulierung der Vorausabtretung, oder: Rahmengebühr beim Berufskraftfahrer

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Die zweite Gebührenentscheidung stammt vom Kollegen Grüne aus Schweinfurt. Bei der Gelegenheit: Allen Einsendern herzlichen Dank für die vielen (schönen) RVG-Entscheidungen. Im Moment ist mein Ordner ziemlich leer, so dass ich mich über weitere/neue Entscheidungen sehr freuen würde.

Hier hatte der Kollege beim AG Köln einen Mandanten in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Missachtung eines qualifizierten Durchfahrtsverbots für LKW vertreten. Nach Einstellung des Verfahrens macht der Kollege Kostenerstattung gegenüber der Staatskasse geltend und beantragt dabei Überweisung an ihn, weist allerdings wohl nicht auf die zu seinen Gunsten erfolgte (Voraus)Abtretung der Kostenerstattungsansprüche hin. Dies veranlasst die Bezirksrevisorin zu dem Einwand, dass dem Verteidiger ein eigenes Antragsrecht nicht zustehe. Der Kollege legt dann die Vollmacht mit der darin enthaltenen Vorausabtretung vor. Diese war der Bezirksrevisorin und dem AG Köln aber dann nicht ausreichend, einerseits wegen angeblicher Unwirksamkeit der Abtretung und wegen Unbestimmtheit der „wegen“-Angabe – es würde ja schließlich das gerichtliche Aktenzeichen fehlen.

Das LG hat dem Hin und Her dann im LG Köln, Beschl. v. 13.08.2019 – 323 Qs 87/19 – ein Ende bereitet:

1. Entgegen der Ansicht von Amtsgericht und Bezirksrevisorin bestehen im konkreten Fall keine Bedenken gegen die Aktivlegitimation des Beschwerdeführers. Insofern hat der Betroffene als Gläubiger der Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Staatskasse diese wirksam gem. § 398 S. 1 BGB an den Beschwerdeführer abgetreten.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die von dem Betroffenen unter dem 02.08.2018 unterzeichnete „Vollmacht“ wegen „VOWi vom 24.04.2018″ vorgelegt, in welcher sich unter Ziff. 1 am Ende in Fettdruck der Passus befindet „Zukünftige Kostenerstattungsansprüche werden unwiderruflich an die oben genannten Rechtsanwälte zur Sicherung deren jeweiliger Honoraransprüche abgetreten.“

Aus objektiver Sicht des Erklärungsempfängers – hier des Beschwerdeführers – handelt es sich gem. den § 133, 157 BGB dabei um ein Abtretungsangebot künftiger Kostenerstattungsansprüche, welche dieser auch nach seinem Vorbringen angenommen hat. Einer Unterschrift des Beschwerdeführers unter die Vollmachtsurkunde bedarf es gem. § 151 S. 1 BGB zur Annahme dabei nicht. Es bestehen weiterhin auch keine Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Abtretungserklärung. Insofern ist die Vorausabtretung künftiger Ansprüche allgemein anerkannt, soweit diese so beschrieben ist, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners bestimmbar ist. Insofern war es dem Betroffenen und dem Beschwerdeführer aufgrund der Bezeichnung als „VOWi vom 24.04.2018″ klar, aus welchem künftigen Bußgeld- und Gerichtsverfahren ein solcher Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse folgen würde. Dass es insofern Unklarheiten zwischen den Vertragsparteien gegeben hätte, ist nicht erkennbar. Schließlich verstößt die verwendete Formularklausel auch nicht gegen § 305c BGB, als sie überraschend wäre. Insofern geht § 43 RVG ausdrücklich davon aus, dass der Betroffene seinen Anspruch auf Erstattung von Anwaltskosten als notwendige Auslagen an letzteren abtreten kann. Eine solche Abtretung ist damit jedoch nicht so ungewöhnlich, dass der Betroffene mit einer solchen Abtretungsklausel nicht rechnen müsste. Dies gilt im konkreten Fall auch für die Aufnahme der Abtretungsklausel in die Vollmachtsurkunde. Den teilweise erhobenen Bedenken dahingehend, dass innerhalb einer einseitigen Vollmachtserteilung ein Angebot auf Abschluss eines Abtretungsvertrags versteckt würde, wurde hier dadurch begegnet, dass diese Passage im Fettdruck hervorgehoben wurde. Aufgrund dieser konkreten Gestaltung ist daher davon auszugehen, dass der Inhalt der Klausel für den Betroffenen erkennbar und daher nicht überraschend war (so auch etwa OLG Rostock, Beschluss vom 30.04.2018, 20 Ws 78/18 — juris -; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.03.2015, 2 Ws 426/14 — juris; Meyer/Kroiß-Kroiß, RVG, 7.A., 2018, § 43 Rn. 7; Gerold/Schmidt-Burhoff, RVG-Kommentar, 23.A., 2017, § 43 Rn. 12; Riedel/Sußbauer-Kremer, RVG, 10.A., 2015, § 43 Rn. 10; Hartung/Schons/Enders-Hartung, RVG, 3.A., 2017, § 43 Rn. 18).

Das ist zutreffend

In der Sache ist das LG der Gebührenbestimmung des Kollegen dann weitgehend gefolgt. Es hat nur bei der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG Abstriche gemacht:

„…..Die Betragsrahmengebühr der Verfahrensgebühr Ziff. 5109 VV RVG umfasst einen Rahmen von 30,00 EUR bis 290,00 EUR für Bußgelder von 60,00 bis 5.000,00 EUR. Die Gebühr umfasst dabei die erbrachten Tätigkeiten nach Erteilung des Auftrags zur Verteidigung im gerichtlichen Verfahren bis zum Abschluss der ersten Instanz, also insbesondere die Vorbereitung der Rechtsverteidigung, die Fertigung von Schriftsätzen, die Zustellung und Empfangnahme von Entscheidungen etc. (vgl. Meyer/Kroiß-Krumm, a.a.O., RVG Nr. 5107-5112 VV, Rn. 6).

Bei der Bemessung dieser Gebühr ist konkret zu berücksichtigen, dass innerhalb des Gebührenrahmens für Bußgelder von 60 bis 5.000 EUR das dem Betroffenen drohende Bußgeld von 500,00 EUR zwar nicht unerheblich ist, jedoch weiterhin am unteren Rand der abgedeckten Bußgeldspannweite liegt. Die Eintragung von Punkten im Fahreignungs-register stand nicht zu befürchten. Für eine bereits leicht überdurchschnittliche Bedeutung der Sache spricht dann jedoch das vorgesehene Fahrverbot für den Betroffenen von zwei Monaten. Zwar hätte dieser hier die Möglichkeit gehabt, den Zeitpunkt dieses Fahrverbots innerhalb von vier Monaten selbst zu wählen und es wäre ihm auch ohne Weiteres zumutbar, hierfür seinen Jahresurlaub zu verwenden. Gleichzeitig ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dem Betroffenen — ggf. unter Abbau von Überstunden – mehr als 40 Urlaubstage zur Verfügung standen. Insofern erscheint es auch als naheliegend, dass dies vor dem Hintergrund, dass der Betroffene Berufsfahrer ist, zu nicht unerheblichen Problemen mit seiner Arbeitsstelle geführt hätte, ohne dass jedoch zwingend von einem Verlust des Arbeitsplatzes auszugehen ist. Insgesamt spricht diese individuelle Bedeutung für den Betroffenen bei der Verfahrensgebühr für eine leicht (20%) über der Mittelgebühr liegenden Gebührenhöhe, nicht jedoch für eine um 50% über der Mittelgebühr liegende Gebührenhöhe, die bis nahe an den oberen Rand des Gebührenrahmens reicht. Die Schwierigkeit des Falls mit der Besonderheit der Zustellungsproblematik des Bußgeldbescheids bewegt sich im mittleren Bereich und rechtfertigt ebenfalls keine noch höhere Festsetzung dieser Gebühr. Die angemessene Verfahrensgebühr wird im Antrag des Verteidigers auch um mehr als 20% überschritten, sodass sie von der Kammer festzusetzen war.“

Darüber, ob das so zutreffend ist, kann man streiten.

Fahrtkosten des auswärtigen Wahlanwalts, oder: Mittelgebühr ist Grundlage

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Am heutigen „Gebührenfreitag“ zunächst der LG Chemnitz, Beschl. v. 08.08.2019 – 2 Qs 295/19 -, den mir der Kollege F.Glaser aus Berlin geschickt hat.

Der Kollege, der seinen Kanzleisitz in Berlin hat, hat den früheren Angeklagten in einem Strafverfahren beim AG Aue vertreten. Das Verfahren ist gem. § 153 StPO eingestellt worden. Die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden. Nach Abtretung durch seinen Mandanten macht(e) der Kollege dessen Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten gegen die Staatskasse geltend. Beantragt worden ist die Erstattung von insgesamt 1.448,83 EUR. Festgesetzt worden sind nur 1.088,08 EUR fest. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Kollegen hatte teilweise Erfolg:

1. Im Hinblick auf die überwiegend zum Abzug gebrachten Fahrtkosten des auswärtigen Wahlverteidigers ist dies zu Recht erfolgt. Es handelte sich weder vorliegend um eine Spezialmaterie, für die nur vereinzelt Fachanwälte zur Verfügung stehen, noch um eine Anklage zu einer Strafkammer, bei der die Berufung auf das besondere Vertrauensverhältnis das sich aus §§ 464 a Abs.2 Nr.2 StPO i.V.m. § 91 Abs.2 ZPO ergebende Sparsamkeitsgebot aus Gründen des fairen Verfahrens ausnahmsweise verdrängen vermag (vgl. Meyer-Goßner hierzu StPO, § 464a Rn.12; BGH I ZB 29/02, LG Dresden 15 Qs 63/09;).

Zurecht weist der Beschwerdeführer aber daraufhin, dass die Kürzung auf 3,00 Euro auch nicht zutreffend ist.

In Verfahren vor Zivil-, Verwaltungs- und Arbeitsgerichten wird das Kriterium der Notwendigkeit im Sinne von § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO (Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren) in Entscheidungen so ausgelegt, dass zumindest die Fahrtkosten bis zur weitestentfernten Gerichtsbezirksgrenze als erforderlich anzusehen und ohne Notwendigkeitsprüfung zuzusprechen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2018, Az. I ZB 62/17; LG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2014, Az. 6 0 455/11; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 08.03.2013, Az. 3 Ta 8/13; VG Oldenburg, Beschluss vom 12.05.2009, Az. 11 A 48/08; zitiert nach juris). Bei der Bestimmung der „notwendigen Auslagen“ im Strafprozess, bei einem Wahlverteidiger, gibt es keinen durchschlagenden Grund, eine andere Entscheidung zu treffen und warum nicht auch im Strafverfahren die Fahrtkosten eines auswärtigen Rechtsanwaltes bis zur Gerichtsbezirksgrenze des zuständigen Gerichts als notwendig anzusehen sind (so bereits Kammerbeschluss 2 Qs 151/15). Die hilfsweise geltend gemachten Fahrtkostenosten von 21,00 Euro waren daher als angemessen anzuerkennen.

2. Hinsichtlich des Angriffspunktes, dass die vom Beschwerdeführer berechneten Gebühren zu Unrecht gekürzt worden sind und nur in Höhe der Mittelgebühren festgesetzt worden sind, ist die Beschwerde begründet.

Grundsätzlich soll im Rahmen des § 14 RVG die Mittelgebühr als Normalfall und Abrechnungsgrundlage für durchschnittliche Verfahren wie vorliegend gelten. Über- und Unterschreitungen sollen nur bei besonderen, vom üblichen Fall erheblich abweichenden Gründen gerechtfertigt sein. Grundsätzlich ist das Gericht an die für einen Normalfall abgerechneten Mittelgebühren gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG an die von dem Verteidiger angesetzten Gebühren gebunden. Dass vorliegend nur ein Durchschnittsverfahren vorliegt, ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung des Verfahrens.

Gemäß § 14 Abs.1 S. 4 RVG ist die vom Rechtsanwalt gegenüber einem Dritten – und auch der Staatskasse – getroffene Gebührenbestimmung nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig hoch ist. Dies ist regelmäßig nur der Fall, wenn die vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die vom Gericht als angemessen erachtete Mittelgebühr um mehr als 20 % überschreitet (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. zu § 14 Rn. 12; Mayer/ Kroiß, RVG zu § 14 Rn. 56 f,; Hartmann, Kostengesetze, zur RVG in § 14 Rn. 24). Hier liegt mit dem Antrag zwar eine Überschreitung, jedoch nur eine Überschreitung der Mittelgebühren in einem Rahmen bis max. 18 % der als angemessen erachteten Rahmengebühren vor.

Insgesamt ist die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers hier deshalb nicht unbillig hoch und als verbindlich anzusehen.

…..“

 

OWI III: Das OLG Zweibrücken und der VerfG Saarland, oder: Bei Poliscan Speed FM 1 irrelevant

Und zur Abrundung der Berichterstattung zum VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17 – dann als dritte Entscheidung heute noch den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.07.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 68/19. Der nimmt kurz Stellung zur Anwendung des Urteils des VerfG Saarland auf das Messverfahren Poliscan Speed FM 1 und meint:

„Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat in seinem Urteil vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17) nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte zu den standardisierten Messverfahren verworfen. Der Gerichtshof geht vielmehr bei seiner Entscheidung ausdrücklich von dieser Rechtsprechung aus (Rn. 90; zit. nach juris); er hält es lediglich verfassungsrechtlich für geboten, dass das Messergebnis aufgrund gespeicherter Rohmessdaten für den Betroffenen überprüfbar sein muss (Rn. 96). Dies ist bei dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed FM 1 aber grundsätzlich möglich.“

Na, ob das so richtig ist, weiß ich nicht. Da müsste man mal einen Sachverständigen fragen.

Bisher haben wir dann übrigens folgende „Anwendungsentscheidungen“ oder besser – weitgehend – „Nichtanwendungsentscheidungen“

anders: