Archiv für den Monat: August 2019

Fundunterschlagung durch Pförtner der Polizei, oder: Fristlose Kündigung wirksam

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Und als zweite Entscheidung dann heute mal ein wenig Arbeitsrecht, und zwar das LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.06.2019 – 6 Sa 994/18, von dem jetzt der Volltext vorliegt.

Entschieden hat das LAG über die Wirksamkeit der Kündigung eines seit dem 19.01.1987 bei dem Land NRW Beschäftigten. Zuletzt war er auf der Pförtnerstelle einer Polizeidienstelle eingesetzt. Ihm wurde am 22.12.2017 während seines Dienstes von einer ihm nicht bekannten Frau mitgeteilt, dass diese einen 100-Euro-Schein gefunden habe.

Ob der beschäftigte den Geldschein angenommen hat, ist zwischen dem Beschäftigten und dem Land NRW streitig. Jedenfalls ist weder in den Asservatenschränken noch im Vorgangsbearbeitungssystem der Eingang vermerkt. Die Finderin hatte sich am „Einlieferungstag“ mit einer E-Mail an die Poststelle des beklagten Landes. Sie teilte darin mit, dass sie einen 100-Euro-Schein gefunden und diesen an der Pforte der Polizeidienststelle abgegeben habe. Sie habe keine Angaben zum Fundort und zu ihren Personalien machen müssen. Da ihr dieses Verfahren seltsam vorkam, wollte sie wissen, was denn nun mit dem Geld passiert.

Gegen den Kläger ist daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung eingeleitet worden, in dem er sich zur Sache nicht geäußert hat. Bei einer Wahllichtbildvorlage, zu der auch ein Bild des Klägers gehörte, sah die Finderin eine Ähnlichkeit zu der Person, der sie den 100-Euro-Schein gegeben habe. Das Land NRW hat den Beschäftigten zum Verdacht der Unterschlagung angehört. Der hat die Entgegennahme des Geldscheins bestritten.

Das Land hat das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Das ArbG hatte dann die Kündigungsschutzklage abgewiesen, die Berufung dagegen hatte beim LAG keinen Erfolg. Das geht nach Beweisaufnahme davon aus, dass der dringende Tatverdacht besteht, dass die Finderin den Geldschein bei dem Kläger abgegeben und der ihn unterschlagen hat. Das stelle einen „wichtigen Grund“ für eine außerordentliche Kündigung dar:

„bbb) Der Verdacht der Unterschlagung einer dem Kläger anvertrauten Fundsache ist geeignet, das Vertrauen des beklagten Landes in dessen Redlichkeit dauerhaft zu zerstören.

Zwar stand die Fundsache nicht im Eigentum des beklagten Landes. Es hat aber die Aufgabe, derartige Fundsachen entgegen zu nehmen und solange sicher zu verwahren, bis sich entweder der Eigentümer meldet oder die Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist mit der Folge, dass die Sache dem Finder übergeben werden kann. Die Unterschlagung einer solchen Fundsache durch einen Arbeitnehmer des beklagten Landes ist daher nicht nur als Straftat zu werten, sondern zugleich eine erhebliche Pflichtverletzung gegenüber dem beklagten Land, welches hierdurch an der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe gehindert wird.“

Nutzungsausfall für ein Wohnmobil, oder: Nutzung im Alltagsgebrauch

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Author Björn Seifert

Die heute im „Kessel Buntes“ als erste vorgestellte Entscheidung passt noch ganz gut in die Jahreszeit.

Es geht im LG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.04.2019 – 2-01 S 283/18 – nämlich um die Höhe des Nutzungsausfalls bei einem Wohnmobil. Allerdings wird nicht Nutzungsausfall für das Vorenthalten des Wohnmobils als Urlaubswagen, sondern für den alltäglichen Gebrauch verlangt. Das LG meint dazu: Dann muss die Tauglichkeit des Wohnmobils auch an der Geeignetheit für die tägliche Nutzung gemessen werden. Das LG sagt: Zwar unhandlich, aber neuwertig. Also Bemessungsgrundlage wie bei einem großen SUV oder Van:

„Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen die Höhe des durch das Erstgericht angesetzten Tagessatzes von 23 €. Seine Einwendung ist begründet. Zur Überzeugung der Kammer ist ein Nutzungsausfall von 79 € pro Tag zu gewähren.

Nachvollziehbar hat das Amtsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Celle vom 8.1.2004, 14 U 100/03 (zitiert nach Juris) berücksichtigt, dass das Wohnmobil für den täglichen Gebrauch eher unkomfortabel, unhandlich und unpraktisch ist. Es kann daher nicht ohne Weiteres mit einem normalen PKW verglichen werden. Das Wohnmobil hat nach der Recherche der Kammer eine Länge von fast 7 Metern, eine Breite von rund 2,20 Metern, eine Höhe von 2,75 Metern und einen Wendekreis von 13,5 Metern. Da der Kläger Nutzungsausfall nicht für das Vorenthalten des Wohnmobils als Urlaubswagen, sondern für den alltäglichen Gebrauch verlangt, muss seine Tauglichkeit auch an der Geeignetheit für die tägliche Nutzung gemessen werden.

Indes bedeutete das zur Überzeugung der Kammer nicht, dass Wohnmobile, sofern sie für den alltäglichen Gebrauch genutzt werden und Nutzungsausfallentschädigung für diesen Bereich gefordert wird, stets gemäß dem OLG Celle in der niedrigsten Klasse nach der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch eingeordnet werden müssen. Vielmehr ist stets der Einzelfall zu betrachten und die Eigenschaften und Besonderheiten des jeweiligen Wohnmobils zu berücksichtigen.

Vorliegend ist zu beachten, dass das klägerische Wohnmobil zum Zeitpunkt des Unfalls erst gut anderthalb Jahre alt war und einen erheblichen Wiederbeschaffungswert von 50.000 € hatte. Als neuwertiges Fahrzeug hatte es daher Komfortmerkmale, die ein altes Wohnmobil nicht aufweisen kann, sei es in Bezug auf die Funktionsfähigkeit von Heizung, Lüftung, Musikanlage, Türen und Fenstern, Motorisierung, Neuwertigkeit der Innenausstattung etc. Unabhängig von den für den Gebrauch im städtischen Straßenverkehr wenig komfortablen Abmessungen hatte das im Jahr 2015 erstmals zugelassene Fahrzeug des Klägers zum Unfallzeitpunkt daher Komfortmerkmale, die mit der niedrigsten Eingruppierung nach Sanden/Danner/Küppersbusch nicht angemessen abgebildet werden können.

Der Kammer erscheint es daher angemessen, den Nutzungsausfall mit dem eines großen SUV oder Vans gleichzusetzen. Der Vergleich mit einem VW Multivan, der mit über 5 Metern Länge, knapp 2 Metern Höhe und Breite im innerörtlichen Straßenverkehr für alltägliche Verrichtung ebenfalls eingeschränkt handlich ist, ist berechtigt. Die Einordnung in die Gruppe J erscheint daher im vorliegenden Fall angemessen.“

Ich habe da mal eine Frage: Verdiene ich neben der Revisions-VG auch die Berufungs-VG?

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In der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ haben wir vor einigen Tagen folgende Frage diskutiert:

„Mandant wird (ohne mich) beim AG verurteilt und kommt dann zu mir. Ich lege gegen das Urteil Rechtsmittel ein, klassifiziere es später als Revision und begründe entsprechend. Später kommt dann ein Schreiben des LG wegen der eingelegten Berufung (!). Ich teile dem LG mit: Nix Berufung, Sprungrevision, die Akte wandert weiter zum OLG (und später wieder nach Erfolg zum AG).

Bekomme ich eigentlich, neben der Revisions-VG auch die Berufungsgebühr? Ich fürchte nein, aber vielleicht liege ich ja falsch.“

Nun, Ideen?

Kostenerstattung nach Freispruch, oder: Wenn der Privatgutachter in der Hauptverhandlung war

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Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung stelle ich heute dann den LG Hannover, Beschl. v. 15.03.2019 – 46 Qs 19/19 – vor, der sich zur Erstattungsfähigkeit der durch die Teilnahme eines (Privat)Sachverständigen an der Hauptverhandlung entstandenen Kosten äußert.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem es um die Vermeidbarkeit eines Verkehrsunfalls ging. Der Angeklagte hat zu der Frage ein „Privatgutachten“ eingeholt, der Gutachter hatte auch an der Hauptverhandlung teilgenommen. Nach Freispruch des Angeklagten wollte die Staatskasse die dadurch entstandenen Kosten nicht ersetzt. Das LG hat sie aber festgesetzt:

„2. Die geltend gemachten Aufwendungen für den vom freigesprochenen Angeklagten privat beauftragten Sachverständigen G. sind in voller Höhe festzusetzen.

Entgegen der Ansicht der Landeskasse gilt dies auch für die Kosten für die Teilnahme des Sachverständigen am Hauptverhandlungstermin. Auch sie waren aus Sicht des Angeklagten erforderlich. Denn ob ein von dem Angeklagten eingeholtes privates Sachverständigengutachten erforderlich war und dessen Kosten im Fall des Freispruchs von der Staatskasse zu tragen sind, beurteilt sich aus einer Betrachtung „ex ante“ aus der Sicht des Angeklagten zum Zeitpunkt des Gutachtenauftrags, und zwar unabhängig davon, ob sich das Gutachten tatsächlich auf den Prozess ausgewirkt hat (OLG Celle, Beschluss vom 05. Januar 2005 – 2 Ss 318/04 -, juris). Zutreffend weist der Verteidiger mit dem Beschwerdevorbringen darauf hin, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung nicht wissen konnte, zu welchem Ergebnis der als „Obergutachter“ beauftragte Sachverständige M. gelangen würde, und dass er auf dessen Ausführungen aber noch innerhalb der Hauptverhandlung hätte reagieren müssen. Denn das schriftliche Gutachten enthielt keine Ausführungen zur entscheidenden Frage der Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens und der Sachverständige wurde dementsprechend vom Gericht unter dem 19. September 2018 gebeten, sich auf diese Frage zusätzlich vorzubereiten und dazu im Termin mündlich Ausführungen zu machen. Aus Sicht des Angeklagten war es deshalb – gerade aufgrund der widersprüchlichen Einschätzungen der beiden anderen beteiligten Sachverständigen – erforderlich, auch im Termin die Hilfe des privat beauftragten Sachverständigen in Anspruch nehmen zu können.

Entgegen der Auffassung der Landeskasse ist für die Tätigkeit des privat beauftragten Sachverständigen ein Stundensatz von bis zu 170 Euro anzusetzen. Der Angeklagte kann insoweit nicht auf die Honorarsätze des JVEG verwiesen werden. Denn diese spiegeln nicht die tatsächlichen Preise für privat beauftragte Gutachten wider. Bei der Bestimmung der gesetzlichen Honorarsätze wurde vielmehr mit Rücksicht auf die öffentlichen Haushalte ein Abschlag auf die ermittelten Marktpreise vorgenommen, der damit begründet wurde, dass die Justiz als öffentlicher Auftraggeber ein solventer Schuldner sei und auf dem Markt als „Großauftraggeber“ auftrete (BT-Drs. 17/11471, S. 145). Auszugehen ist deshalb von den Stundensätzen, die für den freigesprochenen Angeklagten am Markt verfügbar waren. Soweit sich die Landeskasse auf eine gegenläufige Rechtsansicht des Landgerichts Wuppertal bezieht, verweist der Verteidiger zutreffend darauf, dass es bei der Bestimmung der notwendigen Auslagen nicht um eine mögliche Besserstellung des privat beauftragten Sachverständigen geht, sondern auf die Notwendigkeit der Auslagen aus Sicht des Freigesprochenen ankommt. Diese Notwendigkeit lässt sich nur anhand der für ihn zugänglichen Marktpreise bestimmen.

Nach diesen Maßstäben sind die vom freigesprochenen Angeklagten an den Sachverständigen G. gezahlten Stundensätze von 160 Euro im Jahr 2017 und 170 Euro im Jahr 2018 in voller Höhe erstattungsfähig. Denn diese entsprechen den ortsüblichen Marktpreisen. Die Kamer hat sich hierzu – nach einer ergebnislosen Anfrage an die Industrie- und Handelskammer Hannover – durch eigene Nachfragen die Überzeugung verschafft, dass die Kosten für privat beauftragte unfallanalytische Gutachten in Hannover bei mehreren Sachverständigen in der Größenordnung von 160 Euro oder darüber liegen. Günstigere Stundensätze sind der Kammer nicht bekannt.“

Rücknahme der Anklage und vorgerichtliche Verfahrensgebühr, oder: Rückgrat

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Heute am Gebührenfreitag dann zunächst eine Entscheidung des AG Passau. Zwar nur ein Kostenfestsetzungsbeschluss, der AG Passau, Beschl. v. 13.08.2019 – 5 Ds 25 Js 1540/17 jug. – ist aber insofern interessant, weil der Rechtspflger „Rückgrat gezeigt“ und trotz der Einwände des Bezirksrevisors die vom Kollegen beantragten Gebühren festgesetzt hat.

Der Kollege Wamser aus Passau, der mir den Beschluss geschicht hat, teilt zum Sachverhalt – der ergibt sich nicht so umfassend aus dem Beschluss – mit:

Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage zum Jugendrichter wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, der Kollege wurde nach Zustellung der Anklage mandatiert, die Akteneinsicht bestätigte die Version des Mandanten, dass er eigentlich der Zeuge war und nicht der Täter. Das wurde im Zwischenverfahren so mitgeteilt, dann passierte erst einmal nichts mehr. Eine spätere erneute Akteneinsicht ergab, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage nach Beratung durch das Gericht zurückgenommen und das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, worüber niemand eine Mitteilung erhielt.

Der Kollege hat dann Antrag gemäß § 467a Abs. 1 StPO, sodann Kostenfestsetzungsantrag mit den jeweiligen Mittelgebühren gestellt. Im Kostenfestsettzungsverfahren wurde dann vom Bezirksrevisor u.a. eingewandt, dass die geltend gemachte Nr. 4104 VV RVG überhaupt nicht angefallen wäre, weil unmittelbar nach Rücknahme der Anklage eingestellt wurde. Der Rechtspfleger hat diese nun, was zutreffend ist, festgesetzt:

Auch die infrage gestellte Gebühr Nr. 4104 VV RVG, mit ihr folglich auch die Aufwandspauschale Nr. 7002 VV RVG, ist entstanden.

Zwar wurde die Anklage zurückgenommen und das Ermittlungsverfahren damit auch eingestellt, sodass in der Zeit zwischen Rücknahme und Einstellung keine Tätigkeit des Verteidigers entwickelt werden konnte, die das Entstehen der Gebühr auslösen würde, aber auch Tätigkeiten nach der Einstellung sind dazu geeignet, die betreffende Gebühr entstehen zu lassen, vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., Rn. 7 zu Nr. 4104 VV RVG. Hier war das mit der Vornahme einer Akteneinsicht und der dann folgenden Beantragung einer entsprechenden Kostengrundentscheidung jedenfalls gegeben.“